Gabrielle Weber: Interview mit Tobias Reber, Video-Sprechstunde @Musikfestival Bern 28.5. & 25.6.20
« Sprechstunde neue Musik », so lautet ein online-Angebot des Musikfestival Bern. Das Motto: « Musik hören und diskutieren ». Tobias Reber, selbst Komponist und Performer ist für das Vermittlungsprogramm des Festivals verantwortlich. Das Format initiierte er bereits 2019. Damals fanden die Sprechstunden live statt. Nun werden sie als Videokonferenzen abgehalten.
Mit Reber unterhielt sich Gabrielle Weber über Sprechstunden, Field recordings und Terry Rileys Werk In C.
Vor kurzem hielten Sie die erste online-« Sprechstunde neue Musik » ab. Unter dem Titel Schichtungen besprachen Sie Terry Rileys Stück « in C », ein Werk aus der Minimal Music. Das dreht sich alles insistierend um den Ton C.. weshalb dieses Werk?
Mit dem Stück stieg ich ein, weil es einerseits zugänglich ist und es andererseits Bezug zum Festivalthema Tektonik hat. Es ist ein Schichtungswerk, in dem sich Klangschichten übereinander und gegen einander verschieben.
Terry Riley, In C, Ensemble Ictus live, 2012
Der Titel « Sprechstunde neue Musik » ist ja durchaus auch unterhaltsam zu verstehen – zur Sprechstunde beim Arzt begibt man sich meist eher ungern…
Sprechstunde ist natürlich einerseits wörtlich gemeint. Denn es soll ja gemeinsam gesprochen werden. Und gleichzeitig auch selbstironisch, als eine Art « Sorgentelefon ». Denn die zeitgenössische Musik bereitet ja auch Kopfzerbrechen. Sie hat ein Problem damit, ein grösseres Publikum zu erreichen. Mir geht’s darum: Wie kann ich die Lust am Facettenreichtum dieser Musik wecken. Mir begegnet oft die Angst, alles verstehen zu müssen. Diese möchte ich abbauen.
Nehmen wir als Vergleich die Gourmetküche. Wenn ich bspw. in einem Molekular-Restaurant esse, gehe ich auch nicht davon aus, das verstehen zu müssen. Da lasse ich mich bewusst auf etwas Neues ein. Auch bei der neuen Musik geht es darum sich sinnlich einzulassen, zu probieren, zu kosten.
« ich möchte ein grosses Buffet anbieten.. »
Die Sprechstunde ist einmalig, findet im Hier und jetzt statt, wenn auch virtuell – wer dabei ist, erlebt einen exklusiven Moment des Zusammenkommens.. wie kam das an?
Gerade das einmalige Zusammensein im Moment haben alle speziell genossen. Es gibt ein Bedürfnis nach dem Experimentieren mit virtuellen Begegnungen. Wir alle lernen jetzt Vertrauen aufzubauen, bspw. mit fremden Menschen über Videokonferenzen. Das ist fast eine neue Kulturtechnik.
Die nächsten Daten stehen unter dem Motto: « Klingende Welten » resp. « Brüche, Störungen, Falten » – das klingt etwas allgemein: können Sie mir weiterhelfen?
Bei « Klingende Welten » geht es um reale aufgezeichnete Klänge aus der « echten » Welt, sogenannte field recordings, die in Musik verwendet werden. Zum Beispiel hören wir uns Klangmaterial von Erdbewegungen an, das durch Sensoren im Boden aufgezeichnet wurde, oder von Verschiebungen von Eisschollen, durch Hydrophone oder wasserfeste Mikrofone im arktischen Wasser aufgezeichnet.
In der letzten Sprechstunde geht es dann um Werke, die für einen spezifischen Ort gestaltet wurden, bspw. in Form von Performances oder Klangskulpturen.
Tobias Reber, Polyglot, 2013
Die Sprechstunden sind komplett offen und richten sich genauso an ein Fachleute wie an ein interessiertes Laienpublikum: wie gelingt dieser Spagat?
In der ersten online-Sprechstunde hatten wir eine gute Mischung von Berufsmusikern und -musikerinnen und interessierten Laien. Alle brachten ganz unterschiedliche Kenntnisse mit. Den gemeinsamen Nenner mussten wir aber zuerst herstellen. Das war dann für beide Seiten bereichernd.
Ich deklarierte die Sprechstunde als Experiment und lud dazu ein, Vorschläge einzubringen. Wir fanden gemeinsam heraus, was gut funktionierte.
Wie gingen Sie konkret an Terry Rileys « In C » heran..?
Als Vorbereitung habe ich eine nicht-öffentliche Playlist auf Soundcloud erstellt und geteilt. Wir verglichen dann drei sehr unterschiedliche Interpretationen. Bspw. gibt es eine Aufnahme mit Musikern aus Mali. Dort wird über die Motive improvisiert anstatt sie zu wiederholen. Das ist auch völlig in Terry Rileys Sinn.
Terry Riley, Africa Express, In C Mali, live at Tate Modern, 2015
Gibt es etwas in der kommenden Sprechstunde auf das wir speziell gespannt sein können..?
Letzten Winter gab es das Phänomen des sogenannten « singenden Eises ». Ich habe es im Oberengadin am zugefrorenen St.Moritzer-See selbst erlebt. Eine der Aufnahmen die ich mitbringe hat damit zu tun…
Gabrielle Weber
Das Musikfestival Bern findet vom 2. Bis zum 6. September 2020 statt. Die diesjährige Festivalausgabe steht unter dem Motto « Tektonik »
Musikfestival Bern, 2.-6. September, Tektonik
Anmeldung & Information: Sprechstunde neue Musik @Tobias Reber
Neo-Profiles: Musikfestival Bern, Tobias Reber