(Deutsch) Simone Keller – vergessene Klaviermusik wiederentdeckt


Corinne Holtz: Simone Keller bringt Ausgesperrte der Musikgeschichte ans Licht

Schwarz, schwul und provokant: Julius Eastman (1940–1990) zerfetzte die Oberfläche gepflegter minimal music. Mit seiner Bekenntnismusik platzte er in die Blase der weissen Avantgarde New Yorks. Die Schweizer Pianistin Simone Keller trug mit dem Kukuruz Quartett massgeblich zur Wiederentdeckung bei und setzt sich auch für weitere «vergessene» Klaviermusik ein.

Portrait Simone Keller © Doris Kessler

Corinne Holtz
Als Julius Eastman in der Aula Rämibühl in Zürich über eine Stunde improvisiert, ist Simone Keller drei Jahre alt. Der Maler Dieter Hall hat den unbekannten Pianisten, Komponisten, Sänger und Performer 1983 für ein Debüt in die Schweiz eingeladen, bevor er selbst für Jahrzehnte in die brodelnde Metropole eintauchen sollte.

Eastman hinterlässt in Zürich ein «verstörtes» Publikum und schenkt seinem Gastgeber eine mit fugue no 1überschriebene Skizze, die das Kukuruz Quartett Jahre später zusammen mit anderen Transkripten sowie Fotos und Aufnahmen auswerten wird. Die «Eastman-Leidenschaft» setzte ein. Sie beförderte Einrichtungen und Ausdeutungen von Stücken, «die auch Insidern noch nicht bekannt waren», sagt Simone Keller.

Dazu zählt Buddha (1983), das den Interpretierenden gleichzeitig zu realisierende 20 Einzelstimmen auferlegt, ohne bestimmte Instrumente oder deren Anzahl festzulegen. Das Kukuruz Quartett hat sich für Präparationen entschieden, die Klangflächen im Pianissimo an der Schwelle der Hörbarkeit ermöglichen.

Ganz anders Gay Guerrilla (1979) und sein wilder Mix aus Jazzharmonik und Luther-Choral, eine Niederlegung von Eastmans Lebensfragen. «Ich habe lange mit Gott gekämpft», sagte er in einem Interview, und hoffte, dereinst Frieden mit ihm schliessen zu können. Seine panreligiöse Spiritualität fand auch auf die Bühne. 1984 etwa führte er das Solo The Lord give it and the Lord take it away auf, ein 15 Minuten langes Gebet in tiefem Ernst.

Julius Eastman: Gay Guerilla: https://neo.mx3.ch/t/1gxe
Das Kukuruz Quartett spielt Gay Guerilla 2019 an der Brown University, Providence, Rhode Island, USA.

Überschreiten von Grenzen, Stilen und Konventionen

Eastman überschreitet Grenzen von Stilen, Genres und Konventionen und hinterlässt Musik, die klanggewordener Protest ist. Das gilt insbesondere für die Trilogie Evil Nigger, deren Titel 1980 afroamerikanische Studierende auf dem Campus der Northwestern University in Evanston (Illinois) protestieren liess. Sie forderten, das «N.»-Wort müsse aus dem Programm gestrichen werden. Eastman wandte sich vor dem Konzert ans Publikum und begründete seinen sprachlichen Rassismus historisch. Das beleidigende Wort verwende er, um die Rolle der Afroamerikaner in der US-amerikanischen Geschichte sichtbar zu machen. «Die Grundlage des ökonomischen Aufstiegs des Landes baut auf der Arbeitskraft der Afroamerikaner, insbesondere der Field-Niggers.» 250 Jahre lang hatten Sklaven und Sklavinnen Reichtum für Weisse erwirtschaftet, während ihnen selbst Eigentum und Bildung in der Regel untersagt waren.

Eastman sagt, was ist, und wird dafür von der eigenen Community abgestraft. Ist hier ein Mechanismus im Gang, dem wir heute im Cancelling unerwünschter Meinungen begegnen? «Nein», findet Simone Keller. «Eastman wollte provozieren und damit zeigen können, warum es wichtig ist, über diese Titel und ihre Sprengkraft nachzudenken.» Es sei richtig, dass wir im Zuge «des kulturellen Wandels sensibler» mit dem tradierten Rassismus auch in der Sprache umgehen würden.

Heruntergewirtschaftete Klaviere machen schmerzhafte Schönheit hörbar..

Das Kukuruz Quartett hat Eastman für Europa entdeckt und seine Musik zuerst in Clubs, Bars und Bierbrauereien gespielt – auf vier «heruntergewirtschafteten» Klavieren, die bereits viele Präparationen überlebt haben und mit ihren «geschundenen Resonanzkörpern genügend Widerstand bieten», um die «Repetitionswut» bei gleichzeitig schmerzhafter «Schönheit» zeigen zu können.

Damit wird das Quartett einer von Drogenexzessen getriebenen Musik gerecht, die im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung während Demonstrationen durch die Strassen schallte und heute in etablierten Konzertsälen erklingt. MaerzMusik in Berlin gab 2017 den Auftakt, kürzlich zog das Lucerne Festival Forwardnach.

Was der visionäre Eklektiker zur Anerkennung durch das Establishment sagen würde, wissen wir nicht. Er selbst verbrachte seine letzten Lebensjahre im Obdachlosenlager im Tompkins Square Park in New York und starb 1990 vergessen in einem Spital in Buffalo.

St. Gallen – Portrait der Pianistin Simone Keller anlässlich der Verleihung des IBK-Preises für Musikvermittlung © Lisa Jenny

«Ich bin als weisse Musikerin verpflichtet, auch Musik von Menschen anderer Hautfarbe zu spielen», sagt Simone Keller. Im Studium habe sie ausschliesslich Musik von weissen Männern gespielt und das noch in den 2000er-Jahren, als bereits die eine und andere weisse Komponistin wiederentdeckt wurde, etwa Clara Schumann, Fanny Mendelssohn und Lili Boulanger.

Höchste Zeit, auch an afroamerikanische Komponistinnen wie etwa Irene Higginbotham und ihre berühmteste Komposition Good Morning Heartache (1945) zu erinnern und «Ungleichheits- und Machtverhältnisse» sichtbar zu machen, findet Simone Keller und titelt ihre neuste CD mitsamt Buch Hidden Heartache.

Irene Higginbotham (1918-1988), Good Morning Heartache, interpretiert von Simone Keller, Klavier, und Michael Flury, Posaune, 2024.

Anders als Julius Eastman ist Julia Amanda Perry (1924–1979) vergessen. Die afroamerikanische Pianistin, Komponistin und Dirigentin feiert am 25. März ihren 100. Geburtstag. Nach ihrer Grundausbildung am Westminster Choir College Princeton studierte sie in Europa bei Luigi Dallapiccola und Nadia Boulanger, war Guggenheim-Stipendiatin in Florenz und dirigierte zwischen 1952 und 1957 so berühmte Orchester wie das BBC Philharmonic und die Wiener Philharmoniker. Dennoch standen Perry zurück in den USA kaum Türen offen. Mit Hidden Heartache verweist Simone Keller auf Strukturen dieses Vergessens und bringt Klaviermusik von Ausgesperrten der Musikgeschichte ans Licht.
Corinne Holtz

 Julius Eastman (1940-1990), Lucerne Festival Forward; MärzMusik, Irene Higginbotham (1918-1988), Diener

An Julia Amanda Perrys Geburtstag, am 25. März 2024, erscheinen Buch und Doppel-CD mit 100 Minuten Klaviermusik der letzten 100 Jahre, mit Werken von u.a. Julius Eastman, Julia Amanda Perry, OIga Diener, Jessie Cox, bei Intakt records 2024.

Simone Keller: Hidden Tour, 19.–27. März 2024.

Julia Perry Centenary Celebration & Festival, New York City, 13.–16. März 2024.

Sendungen SRF Kultur:
Musik unserer Zeit,

neo-profiles:
Simone Keller, Kukuruz Quartett, Jessie Cox

Communiquer au-delà de la musique

Eric Gaudibert, pianiste, compositeur et professeur genevois, fut une figure clé de la scène musicale contemporaine et expérimentale en Suisse romande. Décédé il y a dix ans, il a marqué toute une génération de musiciens en tant que pédagogue et soutenu d’importants ensembles de musique contemporaine. Du 9 au 17 décembre, ces derniers organisent un festival en son honneur, avec un marathon de concerts au Victoria Hall de Genève. A cette occasion, 22 miniatures composées par ses anciens élèves seront jouées pour la première fois.   

Gabrielle Weber  
Ils s’appellent Contrechamps, Ensemble Vortex, Eklekto Geneva Percussion Center ou encore Nouvel Ensemble Contemporain (NEC) et leur point commun est non seulement d’être très actifs sur la scène musicale contemporaine romande, mais aussi d’avoir un lien fort avec Eric Gaudibert.   

Daniel Zea, Serge Vuille et Antoine François, les directeurs artistiques de Vortex, Contrechamps et NEC, ont initié le festival en tant que projet collaboratif : « l’idée est venue spontanément en parlant d’Eric et il s’est avéré tout à fait naturel de le réaliser ensemble », estime Daniel Zea, car Gaudibert a été une figure importante pour le développement de toute la scène. La Haute école de musique Genève (HEMG) accueillera une conférence, une projection de films avec table ronde et un concert de Vortex, suivi par le marathon de concerts au Victoria Hall avec l’orchestre de la HEMG. 

Portrait Eric Gaudibert ©DR zVg. Contrechamps

Gaudibert voulait « communiquer au-delà de la musique » ce qui le poussait à enseigner. Cette communication, il l’a d’abord expérimentée en France où, après des études de piano à Lausanne et de composition à Paris, il a travaillé à partir de 1962 dans le domaine de l’animation et de la médiation musicale, dans des régions rurales. De retour en Suisse, il a enseigné la composition pendant de nombreuses années au Conservatoire Populaire de Genève, avant de rejoindre la HEMG. Michael Jarrell ou Xavier Dayer, tous deux compositeurs et professeurs renommés ayant leurs racines à Genève, ont été ses élèves et il a accompagné de nombreuses carrières nationales et internationales en tant que guide artistique, promoteur et créateur de réseaux.   

Serge Vuille, directeur de Contrechamps, même s’il n’a pas été directement élève de Gaudibert, est impressionné par la présence durable du « phénomène Gaudibert », qui s’est également manifestée par la rapidité avec laquelle d’autres partenaires ont accepté de participer au festival. Contrechamps travaille constamment avec d’anciens élèves, qu’il s’agisse d’interprètes ou de compositeurs. « C’est pourquoi je voulais que le festival reflète cet aspect enseignant-élève dans les deux directions », explique Vuille.   

Il y a d’une part Nadia Boulanger, professeure de théorie de Gaudibert à Paris : Contrechamps présente une de ses œuvres pour orchestre. Boulanger a enseigné à de nombreux compositeurs qui sont aujourd’hui joués dans le monde entier. Sa propre œuvre est en revanche rarement jouée, étant peu connue en tant que compositrice, car surtout perçue comme figure pédagogique, selon Vuille.   

D’autre part, Contrechamps a mandaté des courtes compositions aux anciens élèves de Gaudibert. Vu le nombre élevé de diplômés (45), il n’a été demandé « qu’à un » cercle régional restreint de personnes travaillant en Suisse romande ou ayant des liens étroits avec la région de participer et tous, à deux exceptions près, ont accepté. « Ce fort engagement de la part de ses élèves a été impressionnant », déclare Serge Vuille.   

Les conditions étaient une durée d’une minute seulement avec une orchestration ouverte, du grand ensemble au solo et, le cas échéant, à la bande magnétique, 22 miniatures seront présentées au public, dont des œuvres d’Arturo Corrales, Fernando Garnero, Dragos Tara ou Daniel Zea.   

Daniel Zea souligne un aspect ultérieur de la communication enseignant-élève : « Nous sommes tous très reconnaissants de ce qu’il nous a apporté et permis de faire. En même temps, il s’agissait d’un véritable échange: Eric était ouvert et curieux – il s’intéressait à ce qui nous intéressait. Nous l’avons par exemple influencé par notre intérêt pour les musiques traditionnelles de nos pays d’origine ». Zea, comme certains diplômés de la classe de composition de Gaudibert, est originaire d’Amérique du Sud. Son ensemble Vortex s’est formé pendant les cours de Gaudibert, qui l’a accompagné et encouragé jusqu’à la fin.   

 


Hekayât, pour rubâb, hautbois, hautbois baryton, alto et percussion, 2013 Production propre SRG/SSR, interprétée par Khaled Arman au rubâb, un luth arabe, est l’une des œuvres tardives de Gaudibert, dans laquelle il cherche à intégrer des instruments, leurs interprètes et des modes de jeu issus d’autres espaces culturels.

 

Électroacoustique et diversité     

Né en 1936 à Vevey, Gaudibert a étudié à Paris avec Nadia Boulanger et Henry Dutilleux. Il est connu surtout pour ses œuvres instrumentales poétiques et sonores, mais il existe aussi d’autres facettes moins connues : de retour en Suisse, il a fait des recherches sur les sons électroniques au studio expérimental de la radio de Lausanne au début des années 1970, dans une phase qu’il a lui-même définie comme « expérimentale ».   

 

Portrait Eric Gaudibert zVg. Contrechamps  

 

Vortex consacre un concert entier à ses œuvres électroacoustiques, ce qui correspond à l’orientation multimédia de l’ensemble : « c’est une phase importante de son œuvre, trop rarement présentée », explique Daniel Zea. Avec John Menoud, compositeur et multi-instrumentiste, il a rendu visite à Jacqueline, la veuve de Gaudibert et ils ont passé au crible nombreuses vidéos, cassettes audio et partitions. Des pièces pour instruments et bande magnétique ou instruments électroniques, souvent jouées qu’une ou deux fois, seront interprétées par des musiciens qui ont travaillé en étroite collaboration avec Gaudibert. Benoît Moreau joue par exemple « En filigrane » pour épinette et bande magnétique, qui n’a été joué qu’une seule fois par Gaudibert lui-même lors de la création en 2018 – à laquelle Moreau était présent.   

Le choix du répertoire pour le concert de clôture montre la diversité de Gaudibert. « Nous avons choisi de combiner des œuvres clés comme Gong – sa dernière grande œuvre d’ensemble – avec des pièces rarement jouées, afin de montrer la diversité de son œuvre », explique Vuille. Gong est dédié au pianiste Antoine Françoise, qui l’interprètera avec l’ensemble Contrechamps pendant le festival. Françoise, aujourd’hui pianiste soliste de renommée internationale et directeur du NEC, avait une relation étroite avec Gaudibert, qui, pianiste lui-même, l’a accompagné et a soutenu son développement depuis leur première rencontre à l’âge de 16 ans en misant sur ses compétences pour l’exigeante partie de Gong quand il avait 24 ans seulement. 

 


Gong &Lémanic moderne ensemble, Production propre SRG/SSR


En plus de ces œuvres instrumentales, la phase électroacoustique de Gaudibert sera également représentée au Victoria Hall : Vortex présente “Ecritures de 1975 pour voix soliste et bande magnétique” créé au studio expérimental de Lausanne, dans une nouvelle version pour quatre voix réparties dans l’espace. « La pièce continue à vivre avec de nouvelles possibilités techniques. Cela aurait été dans l’esprit de Gaudibert », dit Zea. Eric Gaudibert aurait certainement apprécié que ses anciens élèves continuent à collaborer, dans une communication au-delà de la musique. 
 
Gabrielle Weber

 

Nadia Boulanger, Henri Dutilleux

Dans le film portrait : Eric Gaudibert, pianiste, compositeur, enseignant (Plans fixes, 48min, Suisse, 2005), Gaudibert s’exprime sur ses grands thèmes, par exemple son goût pour la littérature et la peinture, le temps passé à Paris, l’enseignement et les influences d’autres cultures dans sa création musicale : le film sera au centre d’une table ronde au Festival Gaudibert de Genève le 10 décembre.

Festival Gaudibert:

9/10 décembre 2022, HEMG : Congrès / Concerts : Lors du congrès à la HEMG, les compositeurs et professeurs Xavier Dayer, Nicolas Bolens ou l’ethnomusicologue et interprète Khaled Arman, entre autres, discuteront.
17 décembre 2022, Victoria Hall Genève, 18:30h : Concert marathon Contrechamps, Eklekto, le NEC, Vortex, orchestre de la HEMG, chef d’orchestre : Vimbayi Kaziboni, Gaudibert, Boulanger, UA 22 miniatures

émission RTS:
musique d’avenir, 6.2.23Festival Gaudibert 2022, auteur Anne Gillot

Neo-Profils
Eric Gaudibert, Daniel Zea, Antoine Françoise, Arturo Corrales, Fernando Garnero, Dragos Tara, Ensemble Vortex, Contrechamps, Nouvel Ensemble Contemporain, Eklekto Geneva Percussion Center, John Menoud, Benoit MoreauEnsemble Batida, Xavier Dayer, Michael Jarrell