Lauren Newtons Stimmkunst

Sie ist eine Pionierin der Stimmkunst – die US-amerikanische Vokalistin Lauren Newton. Das volle Potential der Stimme zu entdecken, treibt ihr Schaffen in der Freien Improvisation, im Jazz und der Zeitgenössischen Musik voran. Mit der Schweizer experimentellen Musikszene eng verbunden, unterrichtete sie von 1993 bis 2019 an der Musikhochschule Luzern (HSLU)  Jazzgesang und Freie Improvisation.

Portrait Lauren Newton © Peter Purgar

 

Luca Koch
Die verschiedensten Formationen von langjährigen Duos, über Vokalensembles zum grossen Jazzorchester prägen ihre Karriere. Ihre Konzerte zeichnen sich durch einnehmende Tiefe und Dringlichkeit auf. Dieses Jahr feiert Lauren Newton ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum. Für die SRF Kultur-Sendung Living Past besuchte ich Lauren Newton in Tübingen in Deutschland, wo sie zuhause ist, und hörte mich mit ihr durch wegweisende Live-Aufnahmen.

 

Wink des Schicksal

Eigentlich wollte Lauren Newton in Oregon in den USA Kunst studieren, doch bekam sie dort keinen Studienplatz. Als Wink des Schicksals versuchte sie dann ihr Glück in der Musikabteilung. Schon zuhause waren sowohl Klassik wie auch Jazz präsent. Ihr Vater spielte Kontrabass und sang in Nachtclubs. Auch Lauren hatte eine solide Stimme und begann ein klassisches Gesangsstudium. In ihrem dritten Bachelorjahr durfte sie an einem Austauschjahr in Stuttgart teilnehmen. Das war unüblich für Bachelor-Studierende, doch ihr damaliger Lehrer bürgte für sie. Ein grosser Schritt, denn Deutschland wurde ihr neues Zuhause.

 


Lauren Newton, Sound Songs, Improviation solo 2006.

 

Klassik-Studentin by Day, Jazz-Rock Sängerin by Night

In Stuttgart trat Lauren Newton ihren Master in der Gesangsklasse der Opernsängerin Sylvia Geszty an und gleichzeitig tauchte sie in die junge Jazzszene der Stadt ein. An einer Jam-Session lernte sie den Trompeter Frederic Rabold kennen, der von Newtons Stimme begeistert war. Kurze Zeit später sang Lauren Newton in seiner Jazz-Rock Band der Frederic Rabold Crew. Der Mix aus einfach komponierten Themen und freier Improvisation, war ideal für sie. Konnte sie so die gelernte Technik des Studiums in der Freiheit der Improvisation ausarbeiten. Beide Tätigkeiten gingen nahtlos ineinander über, es fühlte sich nie wie ein Doppelleben an, erzählte sie mir im Interview.

 

Vienna Art Orchestra

Die Frederic Rabold Crew wurde 1979 in die Fernseh-Sendung Bourbon Street nach Wien eingeladen, was vom Schweizer Jazzmusiker Mathias Rüegg nicht unbemerkt blieb. Er selbst gründete zwei Jahre zuvor mit Wolfgang Puschnig das Vienna Art Orchestra. Nach dem TV-Auftritt fragte er Lauren Newton sofort an, ob sie ein Teil davon werden wolle. Zehn Jahre lang war Lauren Newton ein unersetzlicher Bestandteil das Vienna Art Orchestra, welches durch dutzende Album-Produktionen und grossen Tours zu einer Instanz des experimentellen Jazz wurde. Ihre Stimme sticht mit messerscharfer Präzision und verspielter Virtuosität aus dem Jazz-Orchester heraus. Eine Zeit, die Lauren Newton um nichts in der Welt missen wollte, auch wenn die ständigen Reisen im Tourbus als einzige Frau herausfordernd waren.

Vocal Summit

Persönlich lernte ich Lauren Newton in ihrer Unterrichtstätigkeit an der Hochschule Luzern kennen. Für mich war sie nicht nur als Vokalistin mit grosser stimmlicher Bandbreite eine wichtige Figur, sondern auch als Musikerin, die grosses Interesse für andere Stimmen mitbringt. Nicht nur als Dozentin half sie ihren Studierenden ihre eigene Stimme zu entdecken, auch auf der Bühne kollaborierte sie immer wieder mit anderen Sänger:innen. Gemeinsam mit Bobby McFerrin, Urszula Dudziak, Jeanne Lee und Jay Clayton bildete sie die Gesangs-Allstar-Band: das Vocal Summit. Fünf komplett unterschiedliche Stimmen kreieren zusammen Soundscapes, die atmen. Die Arbeit mit Stimmen in grösseren Formationen führte Lauren Newton mit der Vokalensemble Timbre fort.

 

Vom Vom Zum Zum

Lauren Newton machte sich als experimentelle Vokalistin einen Namen, die sich besonders durch Klänge ausdrückt. Aber auch die Arbeit mit Text nimmt eine wichtige Rolle in ihrer Musik ein. Die Zusammenarbeit mit dem österreichischen Dichter Ernst Jandl war besonders prägend. Seine Gedichte wurden dekonstruiert und neu zusammengesetzt, Worte wurden gedreht, gedehnt und rückwärts gesprochen. Das Album Vom Vom Zum Zum auf dem Ernst Jandl selber spricht und Lauren Newton seine Worte umspielt war eine besondere Entdeckung für mich.


Pi aus Vom Vom Zum Zum, Lauren Newton mit Wolfgang Puschnig, Mathias Rüegg und Uli Scherer, 1988.

 

Duos im Gespräch

Freie Improvisation ist wie ein musikalisches Gespräch. Die Mitspieler:innen gehen aufeinander ein, kommentieren, sind sich einig oder streiten miteinander. Am besten gelänge dies im Duo, erzählt mir Lauren Newton im SWR-Studio in Tübingen.


O How We, Lauren Newton und Phil Minton performten zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne am Festival A Voix Haute in Bagnères de Bigorre, France, am 13. August 2010.

 

Duo-Aufnahmen bilden denn auch einen grossen Teil ihres Gesamtwerks. Sie kollaboriert beispielsweise mit Anthony Braxton, Phil Minton, Aki Takase und Joëlle Léandre. Besonders die Kontrabassistin Joëlle Léandre begleitet sie bis heute. Ihre Tiefe musikalische Freundschaft spiegelt sich in ihrem Interplay wider. Der reiche kernige Klang von Léandres Kontrabass-Spiel ergänzt Newtons glasklare Stimme perfekt. Erst kürzlich erschien das neue Album des Duos: Great Star Theatre, San Francisco.
Luca Koch

Lauren Newton und Joëlle Léandre © Friedrich Förster

 

Frederic Rabold, Frederic Rabold Crew, Mathias Rüegg, Bobby McFerrin, Urszula Dudziak, Jeanne LeeJay Clayton, Wolfgang Puschnig, Vienna Art Orchestra, Ernst Jandl, Anthony Braxton, Phil Minton, Aki Takase, Joëlle Léandre.

Neoprofil:
Lauren Newton

Sendung SRF Kultur:
Living Past – Lauren Newton, Pionierin der Stimmkunst, 13.02.2024, made by Luca Koch.

Musik und Leben als Einheit

Es sind viele Rollen, in denen Roland Dahinden auftritt: als Komponist, Posaunist, Klangkünstler, Improvisator, Dirigent… Bei den diesjährigen Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik stellt er Werke des US-amerikanischen Komponisten Anthony Braxton vor, mit dem ihn eine langjährige Zusammenarbeit verbindet.

 

Roland Dahinden mit zum Dirigieren erhobenen Hand vor schwarzem Hintergrund
Roland Dahinden. Foto: Marek Bouda

 

Friederike Kenneweg
Von morgens bis abends auf unterschiedliche Art mit Musik erfüllt – so kann man sich wohl den Alltag von Roland Dahinden vorstellen. Zwei Stunden sind immer für seine Posaunenetüden reserviert, denen er sich schon seit nunmehr 40 Jahren täglich widmet. Eine Zeit der vollen Konzentration auf sein Instrument, in der nichts anderes Platz hat. “Das ist etwas, auf das ich mich jeden Tag freue”, sagt Dahinden. “Und danach freue ich mich genauso darauf, die Partitur aufzuschlagen, die als nächstes dran ist, oder an meinen Kompositionen zu arbeiten, zu proben, oder was sonst gerade auf dem Plan steht. So hat alles seinen Platz.”

 

Roland Dahinden und HIldegard Kleeb, fotografiert von Gary Soskin
Roland Dahinden und Hildegard Kleeb. Foto: Gary Soskin

 

Ein Duo seit langem: Dahinden/Kleeb

Wenn er zu Hause ist, sind da außerdem meistens Klavierklänge, wenn seine Ehefrau, die Pianistin Hildegard Kleeb, für die nächsten Auftritte übt. Schon seit 1987 spielen die beiden als Duo miteinander, aber auch in verschiedenen Trio-Konstellationen, zum Beispiel mit dem Perkussionisten Alexandre Babel oder dem Elektromusiker Cameron Harris. Und beide verfolgen dazu auf unterschiedliche Weise ihre jeweilige Solokarriere, spielen aber auch noch in ganz anderen Projekten oder Konstellationen zusammen.

“Wir sprechen über Musik, wenn wir morgens aufstehen, und oft auch noch, wenn wir abends schlafen gehen”, erzählt Roland Dahinden. “Das ist sehr wertvoll, dass man diese Begeisterung so lange mit jemandem teilen und das gemeinsam leben kann.”

 

Das Stück “Panorama” für Posaune und Klavier von Alvin Lucier aus dem Jahr 1993, gespielt vom Duo Dahinden/Kleeb

 

Begegnungen mit Anthony Braxton, Alvin Lucier, John Cage

Gemeinsam mit Hildegard Kleeb erlebte Roland Dahinden in den 1990er Jahren eine für ihn sehr prägende Zeit in den USA. Denn von 1992 bis 1995 konnte er an der Wesleyan University als Assistent von Alvin Lucier und Anthony Braxton arbeiten und deren besondere Herangehensweise an Klangkunst, Improvisation und Jazz genau kennen lernen. Dass dieser Aufenthalt überhaupt möglich war, verdankte er der Fürsprache keines geringeren als John Cage, der für das Duo Dahinden/ Kleeb 1991 mit Two5 sogar ein eigenes Werk komponierte.

 

Anthony Braxton und Roland Dahinden, fotografiert von Marek Bouda
Anthony Braxton und Roland Dahinden. Foto: Marek Bouda

 

Dirigieren in Prag

Sein guter Kontakt zu Anthony Braxton und die genaue Kenntnis seiner Musik, die sich zwischen fixierter Musik und Improvisation bewegt, führten dazu, dass Roland Dahinden im Jahr 2021 mit dem Prague Music Performance Orchestra  einige von Braxtons Stücken aus der Serie der Language Type Music einstudierte. Und das Ensemble, selbst in seiner Ausrichtung zwischen auskomponierter zeitgenössischer Musik, Improvisation und Jazz angesiedelt, war mit der Zusammenarbeit so zufrieden, dass sie ihn als festen Dirigenten anfragten. Die 55 Musiker:innen des Ensembles stehen alle auch noch mit eigenen musikalischen Projekten in der Öffentlichkeit und bringen je eigene Ansätze und Herangehensweisen mit. Diese zu einem Gesamtklang zusammenzuführen, ist immer wieder eine Herausforderung, sagt Dahinden – aber eine, der er sich nur zu gerne stellt.

 

 

Anthony Braxton in Darmstadt

In diesem Jahr widmet sich das PMP-Orchester unter der Leitung von Roland Dahinden der Uraufführung eines Monumentalwerks von Anthony Braxton: der Oper Trillium X. Die viereinhalbstündige Multimedia-Oper, an der Braxton über fünf Jahre gearbeitet hat, besteht aus vier Akten, und setzt sich mit den Auswirkungen des Turbokapitalismus auseinander – mit globalen Katastrophen,  mit nuklearen Bedrohungen und dem Zusammenleben von Mensch und Roboter.  Nach der ersten und auch erstmal einzigen Aufführung des Stückes am 1. August in Prag reist das Ensemble zu den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, um dort eine Aufnahme dieses großen Werkes zu realisieren. Beim Pre-Opening-Konzert in Darmstadt wird das PMP Orchestra unter der Leitung von Roland Dahinden dort eine Version der Language Music von Anthony Braxton zur Aufführung bringen. In Darmstadt hat Roland Dahinden außerdem noch einen Auftritt als Posaunist, wenn in einem eigens für diesen Anlass zusammen gestellten Ensemble das neue Stück Thundermusic von Anthony Braxton zur Uraufführung gebracht wird.

Nach diesem ereignisreichen Sommer soll es für Roland Dahinden dann erst mal wieder mit der Arbeit an eigenen Kompositionen weiter gehen. Sicher ist: der Alltag im Hause Dahinden/Kleeb bleibt weiter von Musik erfüllt, wie auch immer sie klingt. Und die nächste reizvolle Herausforderung lässt sicher nicht lange auf sich warten.
Friederike Kenneweg

 

Roland Dahinden Hildegard Kleeb PMP Orchestra Wesleyan University Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt

Termine:

5. August 2023: Language Music mit Anthony Braxton und dem PMP Orchestra unter der Leitung von Roland Dahinden, 17 Uhr, Edith-Steinschule, Darmstadt im Rahmen der Darmstädter Ferienkurse 2023

7. August 2023: Uraufführung von Thunder Music von Anthony Braxton, u.a. mit Roland Dahinden an der Posaune, 19:30 in der Lichtenbergschule Darmstadt

Neo Profile:
Roland Dahinden Hildegard Kleeb Alexandre Babel