Vom Zauber der Zusammenarbeit

Bei den Donaueschinger Musiktagen 2023 bringt das Ensemble Ascolta Dunst – als käme alles zurück von Elnaz Seyedi zur Uraufführung. Es ist als Auftragswerk des Ensembles im Tandem mit der Schriftstellerin Anja Kampmann entstanden.
Elnaz Seyedi im Portrait von Friederike Kenneweg.

 

Die Komponistin Elnaz Seyedi, lächelnd, schwarz gekleidet und vor grauem Hintergrund.
Portrait der Komponistin Elnaz Seyedi. © Roya Noorinezhad

 

Friederike Kenneweg
Komponieren heißt für Elnaz Seyedi immer auch: Zusammenarbeit. Die Komponistin, die 1982 in Teheran geboren wurde und u.a. bei Younghi Pagh-Paan in Deutschland und Caspar Johannes Walter an der Hochschule für Musik Basel studiert hat, zieht viel Energie aus den ganz unterschiedlichen Begegnungen und Konstellationen, die ihre Tätigkeit mit sich bringt. Dunst – als käme alles zurück ist für Elnaz Seyedi die zweite Zusammenarbeit mit dem Ensemble Ascolta.

“Das ist schon ein Vorteil, weil die Musiker wissen, was sie von mir erwarten können, und sich dann anders auf die Arbeit mit mir einlassen können.”

 

Das Glück auf der Suche nach Klängen

Das führte zu besonderen Glücksmomenten bei den Vorproben für Seyedis Donaueschingen-Debüt, als sie mit allen Musikern des Ensembles in Einzelproben nach den richtigen Klängen für das Stück suchte. Zum Beispiel mit dem Schlagzeuger Boris Müller.

“Er holte immer noch mehr Sachen und Muscheln und Steine hervor, und am Ende sah der ganze Raum aus, als hätten da lauter Kinder acht Stunden lang gespielt, und ich bin nach Hause gefahren mit Material für drei Stücke. Das ist einfach das Schönste und gibt mir viel Energie.”

 


Auch Glasfluss von Elnaz Seyedi entstand aus einer engen Zusammenarbeit mit der Perkussionistin Vanessa Porter im Jahr 2022.

 

Wagnis: Gemeinsam komponieren

Eine besondere Form der Zusammenarbeit verbindet Elnaz Seyedi mit dem Komponisten Ehsan Khatibi, der ebenso wie sie aus dem Iran stammt und mit dem sie schon lange befreundet ist. Als sie 2019 beim Besuch des Impuls-Festivals in Graz zufällig im Hotel Zimmernachbarn waren und daraufhin viel Zeit miteinander verbrachten, stellten sie fest, wie ähnlich sie über Musik dachten und wie fruchtbar die Diskussionen über Konzerte und Musik waren. Und so kam die Idee auf, gemeinsam zu komponieren. Bereits das erste Projekt, ein Entwurf für eine Ausschreibung der Neuköllner Oper Berlin für eine Kammeroper, entfaltete einen erstaunlichen Sog. “Erst hatten wir nur eine kleine Idee, aber in drei Wochen hatten wir ein fertiges Konzept, inklusive Licht und Bühnenbild.” Auch wenn ihr Entwurf nicht genommen wurde: ein Anfang war gemacht.

 

Ehrlichkeit als Voraussetzung

Mit dem Entwurf für eine Umsetzung von Der Fremde von Albert Camus, bei dem der Philosoph Johannes Abel ihr Planungsteam ergänzte, erhielten sie schon den zweiten Preis bei einem anderen Kompositionswettbewerb. Und bei den Bludenzer Tagen für zeitgemäße Musik wurde 2021 ihre gemeinsame Komposition ps: and the trees will ask the wind für Kontrabass-Paetzold-Flöte, Violine, Objekte, Audio- und Videozuspielung uraufgeführt, in dem sie zusammen die gesellschaftspolitischen Ereignisse im Iran künstlerisch verarbeiteten.

“Wir haben da inzwischen eine Art gefunden, wie wir gegenseitig miteinander genauso kritisch sein können wie mit uns selbst. Wir sind sehr ehrlich in der gemeinsamen Arbeit, und das macht es manchmal auch schwer, aber wenn wir uns mal nicht einig sind, machen wir so lange weiter, bis wir beide zufrieden sind. Und am Ende kommen wir zusammen auf eine viel bessere Lösung.”

 


In Die Zeiten – Versuch (über das Paradies) für Bariton und Klavier, das im August 2023 beim Lucerne Festival uraufgeführt wurde, vertonte Elnaz Seyedi einen Text des iranischen Dichters Ahmad Shamlou.

 

Arbeiten an neuen Orten

Inspiration zieht Elnaz Seyedi auch aus Ortswechseln, wie sie das Reisen mit sich bringt. Aus diesem Grund mag sie auch Aufenthaltsstipendien besonders. Denn der Abstand vom Alltag, findet die Komponistin, lässt einen plötzlich die Schönheit des Gewohnten erkennen, die einem sonst im Trott verborgen bleibt – ein Gedanke, den sie in Postkarte (Moorlandschaft mit Regenbogen) verarbeitet hat, das sie 2016 für das Ensemble S201 aus Essen komponierte. 2020 führte ein Aufenthaltsstipendium der Bartels Fondation sie in den Kleinen Markgräflerhof in Basel. Und als sie 2021 einige Monate im Künstlerhof Schreyahn in Niedersachsen verbrachte, war sie am Ende dieser Zeit selbst ganz erstaunt, wie produktiv sie dort gewesen war.

 

Das Orchesterstück A Mark of your breath von Elnaz Seyedi wurde vom Aufenhalt im Künstlerhaus Schreyahn inspiriert – vor allem von der Weite des Himmels und der Landschaft im Wendland.

 

‘Dunst’ – Uraufführung in Donaueschingen 2023

Auch in diesem Herbst arbeitet Elnaz Seyedi dank eines Aufenthaltsstipendiums an einem anderen Ort: im Künstlerhaus Otte in Eckernförde, wo sie ihre Arbeit mit Konzerten und Filmabenden dem dortigen Publikum nahe bringen kann. Außerdem hat sie dort gerade die Partitur von Dunst – als käme alles zurück abgeschlossen. Für das Konzertprogramm Echoräume des Ensembles Ascolta bei den diesjährigen Donaueschinger Musiktagen haben sich zwei künstlerische Tandems aus einer Komponistin und einer Schriftstellerin gebildet und, dabei ganz frei in ihrer Herangehensweise, je ein gemeinsames Werk erarbeitet. In dem Stück von Elnaz Seyedi und der Autorin Anja Kampmann für zwei Stimmen und Ensemble geht es um die Ästhetik des Fragments und den Übergang zwischen Sprache und Musik.

Und wer weiß, welche kompositorischen Ideen der Aufenthalt in der Hafenstadt an der Ostsee für Elnaz Seyedi noch so mit sich bringt.
Friederike Kenneweg

 

Uraufführung Donaueschinger Musiktage: Samstag, 21. Oktober 2023, 11:00, Mozart-Saal Donaueschingen, Konzert Echoräume mit dem Ensemble Ascolta: Elnaz Seyedi und Anja Kampmann Dunst – als käme alles zurück; Iris ter Schiphorst und Felicitas Hoppe: Was wird hier eigentlich gespielt?

Elnaz SeyediDonaueschinger Musiktage 2023, Ensemble Ascolta, Younghi Pagh-Paan, Caspar Johannes Walter, Hochschule für Musik BaselAnja Kampmann, Ehsan Khatebi, Vanessa Porter, Ensemble S201, Neuköllner Oper, Künstlerhaus Otte Eckernförde, Künstlerhof Schreyahn, Bludenzer Tage für zeitgemäße Musik, Lucerne Festival, Impulsfestival Graz, Bartels Fondation

 

Sendung SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, 2.6.2021: Nach neuen Meeren – die Komponistin Elnaz Seyedi, Redaktion Cécile Olshausen

neo-profiles:
Elnaz SeyediDonaueschinger MusiktageLucerne Festival Contemporary Orchestra

 

 

 

Labyrinthische Spuren gegen fixe Systeme

Jaronas Scheurer
Die Münchener Biennale ist ein Festival für neues Musiktheater, das seit 2016 von Daniel Ott und Manos Tsangaris kuratiert wird. Die Uraufführungen des Festivals sprengen immer wieder die gewohnten Formate und führen das Publikum an überraschende Orte. So auch dieses Jahr vom 7. bis zum 19. Mai: zum Beispiel mit der Produktion
«s p u r e n» der jungen russischen Komponistin Polina Korobkova.

Ich treffe Polina Korobkova einen guten Monat nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine in einem gemütlichen Basler Café. Nach einem abgeschlossenen Kompositionsstudium in Moskau hat Korobkova in Zürich bei Isabel Mundry und in Basel bei Caspar Johannes Walter studiert. 2021 hat sie in Zürich ihren Master abgeschlossen und wohnt seit kurzem in Berlin. Weitere Studien betreibt sie nun bei Martin Schüttler in Stuttgart. Damit sind schon einige Fixpunkte für Korobkovas Schaffen abgesteckt: Ein waches, sensibles politisches Bewusstsein wie Mundry, ein Interesse für mikrotonale Klangwelten wie Walter und gründliches konzeptuelles Arbeiten wie Schüttler.

 

Die Komponistin Polina Korobkova, zVg. Polina Korobkova


Wendepunkt 24. Februar

Korobkova wirkt bei unserem Treffen erschüttert, jedoch gefasst ob der russischen Invasion in die Ukraine. Sie sei noch daran, die Geschehnisse zu verarbeiten und befinde sich noch im Schockzustand. Obwohl sie sich nicht mit Russland identifiziere, wird sie als gebürtige Russin unweigerlich damit in Verbindung gebracht. Für sie, die wie viele andere russischen Künstler:innen einerseits die russische Invasion vehement ablehnen und öffentlich kritisieren, andererseits beruflich und privat auch unter dem Krieg leiden, stellt der 24. Februar 2022, der Tag an dem Russland den Krieg gegen die Ukraine begann, einen Wendepunkt dar. Es gäbe für sie eine Zeit davor und eine Zeit danach und sie sei sich gerade noch am neu sortieren und könne noch nicht sagen, wie das Danach überhaupt aussehen werde. Die russische Invasion betrifft auch ihre Münchener Produktion namens «s p u r e n». Der grosse Teil der Arbeit sei vor dem 24. Februar entstanden, aber die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine könnten nicht spurlos an ihrer Produktion vorbeigehen. Wie genau sich das im Resultat, das vom 12. bis 18. Mai an der Münchener Biennale gezeigt wird, niederschlagen wird, wisse sie jedoch noch nicht.

 


Polina Korobkova: flashbacks to perform i, UA: 2021: in der Zürcher Hochschule der Künste.


Verloren im Luftschutzbunker

Ihre Produktion «s p u r e n» ist konzeptuell auf jeden Fall so angelegt, dass der Thematisierung des Ukraine-Kriegs nichts im Wege steht. Die Produktion wird in den Kellerräumen der Hochschule für Musik und Theater in München gezeigt. Das Gebäude hat Adolf Hitler als «Führerbau» in den 1930er Jahren errichten lassen und die Kellerräume waren als Luftschutzbunker gedacht. Ab 1943 boten die Kellerräume, in denen «s p u r e n» spielt, jedoch nicht Menschen Schutz, sondern über 600 grösstenteils geraubten Gemälde, die Hitler in seinem «Führermuseum» in Linz ausstellen wollte. Davon sieht man heute jedoch keine Spur mehr. Die Kellerräume sähen, so Korobkova, alle gleich aus und böten äusserlich keinerlei Hinweise auf Zeit, Land oder ihre Geschichte. Nur ein ungutes, klaustrophobisches Gefühl aufgrund des fehlenden Tageslichts und der dicken Kellerluft bekäme man. Man fühle sich sehr verloren da unten.

Korobkova bespielt die Kellerräume mit einem Popsong, dessen Fragmente von fünf Sängerinnen live gesungen werden. Dieser Song klänge wie ein ganz normaler Popsong, auch der Text sei typisch. Doch aufgrund der persönlichen Geschichte dahinter – Korobkova schrieb diesen Popsong, als sie zwölf Jahre alt war – sei das auch sehr persönlich und intim. Durch die Platzierung dieses Popsongs in den vereinheitlichten, klaustrophobischen Kellerräumen entsteht ein starker Kontrast. Ein ganz anderes Setting als ein konventionelles Konzert – sowohl was die Räumlichkeiten, als auch was das Format betrifft. Denn Korobkova bespielt den ganzen Luftschutzbunker. Das Publikum wird durch die Anlage geführt und sitzt nicht auf zugewiesenen Stühlen.

 


Polina Korobkova: anonymous material i, UA 2020: in Apeldoorn (Holland) durch das Orkest De Ereprijs.

 

Unzählige historische Spuren

Zu dem Popsong und den fünf Sängerinnen gesellt sich die Aufnahme einer 36-tönigen Orgel, die durch einen vorprogrammierten Roboter bespielt wird. Diese Orgel namens Arciorgano steht an der Musik Akademie Basel und ist ein Nachbau nach einer Beschreibung des Komponisten und Musiktheoretikers Nicola Vicentino. Er war im 16. Jahrhundert tätig. Vicentino wollte mit dieser Orgel alle Stimmungsprobleme lösen, die damals ausführlich diskutiert wurden: er entwarf eine Art Super-Orgel, die die Idee der “Universalharmonie”, ein wichtiger Bezugspunkt für die Musikphilosophie der Renaissance, mit der immer komplexer werdenden Harmonik vereinen sollte. Vicentino hat also die überbordende Musikpraxis der Zeit mit einem fixen, übergeordneten System zu bändigen versucht. Für Korobkova steht diese Orgel auch für den leicht diktatorischen Versuch, die wild wuchernde Welt der Musik in ein fixes System zu zwängen; daher auch die mechanische Spielweise und die Megafon-Lautsprecher, die an politische Repression egal welcher Couleur erinnern und über die die Orgelaufnahmen abgespielt werden.

Diktatorisch anmutende Megafon-Lausprecher, aus denen die mechanisch klickende Aufnahme einer Super-Orgel aus dem 16. Jahrhundert plärrt; fünf Sängerinnen, die den 08/15-Popsong eines Teenagers singen, der zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufwuchs; die klaustrophobischen, identitätslosen Kellerräume, in denen vor knapp 80 Jahren die Nazis massenhaft Raubkunst lagerten: In
«s p u r e n» von Polina Korobkova fliessen sehr unterschiedliche historische Zeitschichten zusammen, unzählige Spuren sind darin angelegt. Doch alle kreisen irgendwie um die Problematik von fixen Systemen– seien sie nun musiktheoretischer oder politischer Natur. Und dieses Hinterfragen von fixen Gewissheiten und Systemen ist auch ihr kompositorischer Antrieb. Sie frage sich bei jedem Stück immer und immer wieder, wieso sie eigentlich komponiere und wo ihr Platz in der Kunst- und Musikwelt überhaupt sei.
Jaronas Scheurer

Münchener BiennaleManos Tsangaris, Isabel Mundry, Caspar Johannes WalterMartin SchüttlerNicola Vicentino, Arciorgano,  Arciorgano des Studio 31+Führerbau

Erwähnte Veranstaltungen
Die Münchener Biennale findet vom 7. bis 19. Mai 2022 an verschiedenen Orten in München statt.

«s p u r e n» von Polina Korobkova wird vom 12. bis 18. Mai 2022 im Luftschutzbunker der Hochschule für Theater und Musik an der Arcisstrasse 12 in München aufgeführt.

 

Profile neo-mx3:
Polina Korobkova, Daniel Ott, Isabel Mundry