Die Sopranistin und Komponistin Sabina Meyer hat in Rom ein inspirierendes musikalisches Zuhause gefunden, in dem sie ihre Vielseitigkeit ausleben kann. Sie kombiniert Improvisation mit Jazz, zeitgenössischer Musik, Barockmusik und Elektronik. Fürs Duo Cry Baby schreibt sie eigene Songs, die sie selbst auf dem E-Bass begleitet. Ein Porträt von Friederike Kenneweg.
Friederike Kenneweg
Bei einem Konzert in Rom spielen drei Musiker:innen zusammen. Eine Sängerin. Zwei Klarinettisten. Eigentlich ist es ein Free-Impro-Konzert. Doch dann spielen die drei einen Song, den die Sängerin geschrieben hat. Und es macht Klick.
“Das war wirklich der beste Moment des Konzerts”, so beschreibt Sabina Meyer diesen Augenblick, in dem sie und der Klarinettist Alberto Popolla merkten, dass sie zusammen an Meyers Songs weiter arbeiten wollen. Als Duo Cry Baby haben sie inzwischen einige erfolgreiche Auftritte hinter sich und die ersten Songs auch aufgenommen. Das verdichtete Erzeugnis von Sabina Meyers Werdegang.
Weg nach Italien
“Es war mir immer klar, dass ich nicht in Zürich bleiben möchte”, sagt Sabina Meyer. Für die Tochter einer Italienerin lag der Weg in den Süden nahe, und sie ging zum Studium der Anthropologie und Musikwissenschaft nach Bologna. Die Stadt in Norditalien bot der experimentierfreudigen jungen Künstlerin ideale Bedingungen. “In den neunziger Jahren war Bologna eine sehr offene Stadt und kulturell extrem vielfältig”, erinnert sie sich. Unter diesen günstigen Voraussetzungen begann Sabina Meyer, neben dem Studium auch als Schauspielerin, als Sängerin und Musikerin zu arbeiten. Mit der Musikgruppe Antenata vertonte sie in dieser Zeit Werke von Lyrikerinnen wie Ingeborg Bachmann, Sylvia Plath, Anne Sexton und Meret Oppenheim.
In Rom zur zeitgenössischen Musik
Das aufkeimenden Interesse an der zeitgenössischen Musik führte sie schließlich bis nach Rom, damals das Zentrum der italienischen Musikavantgarde. Dort traf sie auf Michiko Hirayama (1923-2018), eine japanische Sängerin, die eng mit dem italienischen Komponisten Giacinto Scelsi (1905-1988) zusammen gearbeitet hatte. “Man kann sagen: Scelsi hat sein Vokalwerk ihr gewidmet und wurde von ihr inspiriert.” Sabina Meyer nahm bei Michiko Hirayama Unterricht und vertiefte sich dabei mehr und mehr in Scelsis Werk.
Persönlich vermittelt: Hô 1 von Giacinto Scelsi
Besonders prägend war die Zusammenarbeit mit ihrer Lehrerin an der Partitur von Hô 1 von Giacinto Scelsi.
“Das Stück besteht eigentlich nur aus einem F, eins in der Oktave oben und eins in der Mitte. Aber das ist eben nicht alles. Eigentlich sind da auch Vierteltöne, Dreivierteltöne, ein bisschen über und ein bisschen über dem F. In der Partitur gibt es außerdem so kleine Zeichen, die aber nicht erklärt werden. Da muss man erstmal genau herausfinden, welche Art von Vibrato das bezeichnet und an welcher Stelle man dann ein Messa di voce einsetzen soll.”
Auch die Art der Stimmfärbung lässt sich nicht aus der Partitur allein herauslesen.
“Man braucht da einen Mix zwischen klassischer Stimme und der Natürlichkeit einer ungeschulten Stimme. Das ist für diese Musik sehr wichtig, dass es nicht rein akademisch klingt.”
Hô 1 von Giacinto Scelsi, gesungen von Sabina Meyer.
Der Blick zurück im Heute: Barockmusik und Elektronik
Nicht nur die zeitgenössische Musik zog Sabina Meyer an, auch Alte Musik hat es ihr angetan. Zu ihrem Repertoire gehören Werke von John Dowland, Claudio Monteverdi und Barbara Strozzi. In ihrem Projekt “XANTO. Ninfa in Lamento” kombinierte sie Barockmusikwerke mit Video und Elektronikklängen.
Der Weg hin zu eigenen Songs
Die Auseinandersetzung mit der Musik der Barockzeit und mit dem Werk von Giacinto Scelsi prägen die Arbeit von Sabina Meyer bis heute. Zum Beispiel die Songs Under cover of night mit dem Duo Cry Baby.
In dem Song Run thematisiert Sabina Meyer die Gefahren der bedingungslosen Liebe.
Die Songs für das Duo komponiert Sabina Meyer selbst. Sie schreibt auch die Texte und sie begleitet sich selbst auf dem E-Bass. Die musikalische Besetzung, die sie für ihre Songs gefunden hat, ist eher ungewöhnlich.
“Zum E-Bass, den ich selbst spiele, kommt noch ein zweiter E-Bass und die Bass-Klarinette dazu. Die Stimmung ist also sehr dunkel, nächtlich, und damit passend zum Titel Under cover of night. Ohne die Erfahrungen mit Giacinto Scelsi und der Barockmusik hätte ich diese Songs so nicht schreiben können.”
Friederike Kenneweg
Cry Baby, Giacinto Scelsi, Alberto Popolla, Michiko Hirayama
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