Stimme – Schweigen – Persona

Die junge Komponistin Anda Kryeziu bringt den Kultfilm «Persona» von Ingmar Bergman für das Theater Basel als Musiktheater auf die Bühne. Eine musikalische Reflexion über die Themen Stimme, Schweigen und Identität.

 

Die Komponistin Anda Kryeziu, ©Jetmid Idrizi

 

Jaronas Scheurer
Ich treffe Anda Kryeziu an einem regnerischen Februarabend in der Basler Innenstadt zum Interview. Die letzte Probephase für ihr Musiktheater «Persona», basierend auf dem gleichnamigen Film des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman, hat gerade begonnen und ihr steht ein stressiger Endprobe-Monat bevor. Für sie bedeutet das, von Montag bis Samstag jeweils den ganzen Tag Proben und in der Nacht Revisionsarbeiten. Gleichzeitig lastet eine gehörige Portion Druck auf der knapp 30-jährigen Komponistin – ein abendfüllendes Musiktheater für das renommierte Theater Basel zu schreiben, ist nicht allen vergönnt. So könnte man auf jeden Fall meinen. Doch Anda Kryeziu wirkt beim Interview erstaunlich entspannt und gelöst.

Die kosovarische Komponistin studierte in Bern Klavier und Komposition bei Dieter Ammann, danach in Basel und Berlin bei Caspar Johannes Walter und Daniel Ott Komposition und elektroakustische Musik und intermediale Komposition bei Wolfgang Heiniger. Inzwischen hat sich schon eine erstaunlich umfangreiche Werkliste angehäuft: Musiktheatrale Werke, Performances, Orchesterkompositionen, Werke für Instrumentalbesetzungen mit oder ohne Elektronik, multimediale Kompositionen, Installationen und akusmatische Stücke. Kryeziu wechselt mühelos zwischen verschiedenen Formaten und Besetzungen und präsentierte ihre Werke schon an renommierten Festivals wie Impuls Festival Graz, Neue Musik Rümlingen oder der Münchener Biennale. Ihr reiches und diverses Portfolio ist vielleicht der Grund für ihre Gelassenheit angesichts des renommierten Auftrags vom Theater Basel.

 


Anda Kryeziu: «Infuse: Playtime» (2021), Ensemble Recherche.

 

«Persona» von Bergman

Für das Theater Basel vertont sie den Film «Persona» von Ingmar Bergman als «ambivalentes musiktheatrales Format, oszillierend zwischen Oper, Theater und Performance», wie sie das Werk selbst bezeichnet, für eine Sopranistin, eine Performerin, vier Instrumente und Elektronik. Der Kultfilm von Bergman aus dem Jahre 1966 dreht sich um zwei Frauen, die Schauspielerin Elisabeth Vogler und die Krankenpflegerin Alma. Elisabeth hat plötzlich aufgehört zu sprechen und wird daher in Begleitung von Alma zur Kur in eine Villa am Meer geschickt. Durch das Schweigen von Elisabeth übernimmt Alma das Sprechen und erzählt Elisabeth von ihren innersten Wünschen, Träumen und von gutgehüteten Geheimnissen aus ihre Vergangenheit. Es entwickelt sich eine komplexe Beziehung zwischen den zwei Frauen und das Schweigen von Elisabeth nimmt dabei ganz unterschiedliche Facetten an, von überheblicher Distanz über empathische Teilnahme bis hin zu passiver Aggressivität. Mehr und mehr verschwimmen die Grenzen zwischen den zwei Protagonistinnen. Der Film von Bergman ist einerseits ein exaktes Psychogramm dieser ungewöhnlichen Beziehung, andererseits eine Reflexion darüber, was eine Person eigentlich ausmacht und ob wir nicht nur aus unterschiedlichen Masken bestehen.

Inwiefern macht die Stimme unsere Identität aus und was geschieht mit einer Identität, wenn der Faktor Stimme plötzlich wegfällt? Anda Kryeziu, die Regisseurin Caterina Cianfarini und die Dramaturgin Meret Kündig interessierten sich also vor allem für «Persona», weil darin Stimme, Schweigen und Identität in enger Verknüpfung verhandelt werden.

 

Anda Kryeziu: «co-» (2016-2017), gespielt von Theo Nabicht (Kontrabassklarinette), Seth Josel (E-Gitarre) und Gabriella Strümpel (Cello) vom Ensemble KNM Berlin.


Wie komponiert man Schweigen?

Das Schweigen der Hauptfigur Elisabeth ist ein zentraler Aspekt in «Persona». Doch, wie komponiert man eigentlich Schweigen? Musik besteht ja aus Klängen und Schweigen gerade nicht. Wobei, wie Anda Kryeziu betont, «Schweigen nicht dasselbe ist wie Stille. Schweigen ist die Entscheidung, nicht zu sprechen, und Stille ist die Absenz von Klängen.»

Das Schweigen musste Kryeziu jedoch gar nicht aktiv komponieren: «Das Schweigen war schon konzeptuell da und war eigentlich Auslöser für alle anderen musikalischen Ideen im Stück. Dieses Schweigen ist für mich das stärkste und krasseste Stilmittel, das mir in diesem Projekt zur Verfügung steht. Mit dem Schweigen von Elisabeth versuche ich die ganze Dynamik und Energie des Werks zu gestalten und es dient uns in vielen musikalischen und dramatischen Situationen als zündender Funke.»

Anda Kryeziu sieht im Schweigen der einen Hauptfigur eine willkommene Herausforderung und komponierte es als wichtigen Faktor mit. Ähnlich sieht es mit der Stimme der anderen Hauptfigur aus. Die Krankenpflegerin Alma übernimmt in Anbetracht der schweigenden Elisabeth das Sprechen für beide. Für Kryeziu ist die Stimme der Sopranistin Álfheiður Erla Guðmundsdóttir, die die Rolle der Alma übernimmt, Ausgangspunkt ihrer Komposition. «Die menschliche Stimme ist ein komplexes Kommunikationsmittel, ein ganzes Paket an Informationen, ein semiotisches System, über das man ganz viel über Identität erfahren kann.» so Kryeziu.

Die Stimme von Guðmundsdóttir wird von Kryeziu mittels elektronischen Mitteln verfremdet, verzerrt und vervielfacht. «Mit den Veränderungen des Stimmklangs kann ich auch die Wahrnehmung der sprechenden Person verändern. Sie kann plötzlich männlich, kindlich oder total zerstört klingen.»

 


Anda Kryeziu: “Kreiswanderung im Raum”, aus der Produktion “Grosse Reise in entgegengesetzter Richtung” an der Münchener Biennale 2022. Jens Ruland (Perkussion) und Ensemble Hand Werk.

 

Die Stimme aus den Instrumenten heraus

Zudem setzt Kryeziu die Stimme mit unterschiedlichen Gegenübern in Beziehung: Durch Loops spricht die Stimme von Guðmundsdóttir mit sich selbst, durch das raumfüllende Abspielen und Wiederaufnehmen tritt sie auch in einen Dialog mit dem Raum und mithilfe sogenannter Transduktoren kann Kryeziu den Stimmklang oder einzelne Schnipsel der Stimme auf die vier Instrumente projizieren. Die Stimme spricht dann sozusagen aus den Instrumenten heraus. Eine stimmige Metapher dafür, dass eine Identität in enger Verbindung und in stetiger Wechselwirkung mit der Aussenwelt interagiert.

Eine Stimme, die aus vielen Instrumenten heraus spricht – das ist vielleicht auch ein passendes Bild für das Schaffen von Kryeziu. Immer wieder taucht das Thema Identität in ihrem vielfältigen Schaffen auf. «Das Thema Identität kommt für mich nie alleine, weil es für mich nicht aus dem soziopolitischen Kontext ausgekoppelt werden kann. Wir existieren nicht als abstrakte Entitäten. Wir sind so, wie wir sind, wegen unserer Umgebung, wegen unserer Geschichte und Biografie.», so Kryeziu. Ihre Werke seien zwar nie autobiografisch, aber vielleicht liege dennoch in ihrer migrantischen Biografie ein Grund, wieso das Thema Identität immer wieder auftauche.
Jaronas Scheurer

 

Das Musiktheater «Persona» ist eine Produktion des Theater Basel und wird am 4., 6., 7., 15., 16. und 17. März 2023 im Gare du Nord gezeigt, mit: Álfheiður Erla Guðmundsdóttir: Sopran, Alice Gartenschläger: Performance, Jeanne Larrouturou: Perkussion, Chris Moy: Gitarre, Maria Emmi Franz: Cello und Aleksander Gabrýs: Kontrabass.

Álfheiður Erla Guðmundsdóttir, Ensemble Hand Werk, Jens Ruland, Wolfgang Heiniger, Caspar Johannes Walter, Theo Nabicht, Seth Josel, Gabriella Strümpel, Ensemble KNM Berlin, Ensemble Recherche

Neo-Profile:
Anda Kryeziu, Aleksander Gabrýs, Jeanne Larrouturou, Concept Store Quartet, Daniel Ott, Gare du Nord, Dieter Ammann