Fritz Hauser – Perkussionist und verkappter «Synästhetiker»

Fritz Hauser, Perkussionist und Komponist erhielt einen der Schweizer Musikpreise 2022. Florence Baeriswyl traf ihn zum Gespräch.

 

Foto: Andreas Zimmermann

 

Florence Baeriswyl
Fritz Hauser, die Schweizer Musiklandschaft haben Sie seit langem mitgeprägt. Gab es schon Momente, in denen Sie das alles hinschmeissen wollten?

Ja, solche Momente gibt es immer wieder. Es hat viel weniger mit der Musik zu tun, als mit den Umständen. Es ist ein steiniger Weg, wenn man als selbständig erwerbender, freischaffender Künstler unterwegs ist. Manchmal sehnt man sich nach einer schön geregelten 5-Tage-Woche mit bezahlten Ferien. Aber: es ist ein grandioser Beruf und ich mache ihn wahnsinnig gerne.

Was hält sie in diesen Momenten an der Musik?

Ich bin ein verkappter «Synästhetiker». Ich interessiere mich enorm für andere Ausdrucksformen, sei es Malerei, Tanz, Film, Fotographie, oder Literatur. Ich sehe es ein bisschen wie der englische Regisseur Stanley Kubrick: Nichts ins inspirierender als Inspiration. Wenn ich wirklich nicht mehr weiterweiss, gehe ich ins Kino oder ins Museum oder lese ein Buch und dann fällt mir immer wieder etwas ein.

Perkussion ist Freiheit

 

In Ihrer Musik haben sie stehts den Austausch gesucht. Bei dem Projekt «Chortrommel», zum Beispiel, singen zwei Chöre zusammen mit Perkussion. Warum haben Sie sich für Chöre entschieden?

Das Schlagzeug ist ein sehr abstraktes Instrument. Es ist ein freies Feld, wo man mit Geräuschen und Klängen und Obertönen arbeiten kann, da die Trommeln und Becken keine Konnotation zu Melodie und Harmonie haben. Die Stimme kann sich gut anpassen und in dieses Feld eintauchen – dabei entstehen spannende Klangsymbiosen.

Perkussion ist also Freiheit?

Unbedingt. Ich kann auf Kleinstinstrumenten spielen, aber ich kann mir auch ein riesiges Instrumentarium zusammenstellen. Ich kann mich über freie Formen der Musik bis zu ganz klassischen Formen bewegen. Ich kann rhythmisch oder klanglich spielen, ich kann abstrakte Geräusche machen. Kurzum: ich kann aus allem schöpfen, was sich anbietet.

Die Klangflächen, von denen Sie sprechen, werden bei manchen Projekten sehr gross. Bei einer Kollektivperformance im Luzerner KKL, «Schraffur», haben 100 Teilnehmende mit Schlagzeugstöcken und Essstäbchen das Gebäude beschallt. Was gefällt Ihnen an solchen Grossformationen?

Ich liebe es, in grösseren Formationen zu arbeiten, denn der Klang wird immer abstrakter. Ich finde drei Schlagzeuge schon interessant, aber 50 Schlagzeuge sind spektakulär. Dazu kommt, dass ich gerne die Zusammenarbeit mit verschiedenen Arten von Ensembles suche. Ich fühle mich von verschiedenen Altersklassen und Kulturkreisen inspiriert.

 

“Für mich geht es primär um Reduktion.”

 

Sie sind aber oft auch fast ein Minimalist. Ist das nicht ein Gegensatz?

Ich habe Stücke geschrieben, die minimal sind, aber ich zähle mich nicht zu den Minimalisten. Für mich geht es primär um Reduktion. Es ist eine Art ‘Eindampfen.’ Das ist eher minimal maximal: Ich versuche aus kleinen Dingen das Grösste rauszuholen, und dadurch Klangflächen zu gestalten, die zeitlos sind.

 


Fritz Hauser, Schraffur für Gong und Orchester, Basel Sinfonietta, UA Lucerne Festival 2010

Der Raum als Partner der Musik

 

Ihr Soloprojekt «Spettro» nennen Sie «Eine Geisterverschwörung für Schlagzeug.» Was hat es damit auf sich?

Seit über 30 Jahren besitze ich ein Haus in Italien, welches in der Nachbarschaft «La casa delle masche», also «Das Geisterhaus» genannt wird. Glücklicherweise machen mir die Geister nichts, sie inspirieren mich eher. Zusammen mit der Regisseurin Barbara Frey haben wir für dieses Projekt die Energie des Hauses genommen, um eine Art Schlagzeug-Ritual entstehen zu lassen. Wir haben uns mit den Geistern verschwört, um die Art von Musik zu machen, welche die Geister wahrscheinlich in meiner Abwesenheit spielen.

 

“La casa delle masche” (“Das Geisterhaus”) Foto: Fritz Hauser

 

«Spettro» haben sie später auch im Konzertsaal von Zaragoza aufgenommen – der hat einen besonderen Klang. Was verbindet in Ihren Augen die Musik mit dem Raum?

Der Raum ist der Partner in der Musik. Vor vielen Jahren habe ich als Schlagzeuger in einer Rockband angefangen. Damals haben wir versucht, unsere Klangästhetik den Räumen aufzuzwingen. Als ich dann begonnen habe, solo zu spielen, wurde mir klar: ich kann den Raum nicht bezwingen, sondern der Raum spielt mit. Besonders gefällt es mir, wenn der Raum hallt. Ich habe in Kirchen und Kathedralen gespielt, sogar in Parkgaragen. Aber auch eine kleine Telefonkabine kann interessant sein.

 


Fritz Hauser, Spettro – Solo für Schlagzeug, Fritz Hauser Schlagzeug, Regie Barbara Frey, Licht Brigitte Dubach, Ausschnitt, UA Lucerne Festival 2018

 

Mit dabei in Zaragoza war der Architekt Boa Baumann. Mit ihm arbeiten und reisen sie schon lange zusammen – sie haben zum Beispiel zusammen Ihr Haus in Italien designt.

Mit Boa Baumann verbindet mich eine lange Freundschaft und eine Gemeinsamkeit in Ästhetik und verschiedensten Fragen der Kultur. Seit gut 30 Jahren arbeiten wir zusammen und versuchen, jenseits der professionellen Kompetenz die Inspiration wirken zu lassen. Das heisst, ich mische mich in seine Projekte, er mischt sich in meine. Ich lasse mich von seiner Idee von Raum und Zeit und Gestaltung inspirieren.

Zum Beispiel?

Vor einigen Jahren habe ich ein Soloprogramm angedacht, bei dem ich mit vielen Becken arbeiten wollte. Als Schlagzeuger stellt man normalerweise seinen Stuhl hin und arrangiert die Instrumente einfach im Kreis um sich herum. Boa hat das gar nicht gefallen. Er schlug vor, auf einem acht Meter langen Tisch eine Becken-Landschaft zu bauen. Das sah aus wie eine Skyline von einer amerikanischen Grossstadt. Ich konnte räumlich ganz anders denken und die Dynamik der Körperbewegung einbringen. Dadurch ist eine andere Musik entstanden.

 

Fritz Hausers Beckenlandschaft erdacht von Boa Baumann © Christian Lichtenberg

 

Nebst dem Raum habe Sie sich auch viel mit Licht beschäftigt. Brigitte Dubach, die Emmentaler Lichtgestalterin, begleitet oft ihre Projekte. Wie passen die Musik und ihr Licht zusammen?

Wenn Brigitte mit Lichtdesign meine Programme begleitet, dann ist sie wie eine Musikerin, die mitspielt. Sie hat ein unglaubliches Gefühl für Farben und Verläufe von einer Stimmung in die andere. Das passt sehr gut zu mir, denn ich habe eine metamorphische Art, Schlagzeug zu spielen: etwas entwickelt ins andere und aus dem anderen entwickelt sich wieder was Neues. Besonders bei improvisierten Ansätzen muss Brigitte die Musik natürlich mitfühlen und entsprechend mit ihrem Licht Einfluss nehmen. Das macht sie auf wunderbare Art und Weise.

Woran arbeiten Sie im Moment?

Jetzt habe ich gerade eine Aufführung gemacht mit einer Weiterentwicklung meines Projektes «Point Line Area». Das habe ich letztes Jahr an der Ruhrtriennale realisiert mit 53 Schlagzeuger, verdichtet auf «nur» noch 20. Dafür haben wir zwölf Sängerinnen dazu komponiert. Dann geht es weiter Richtung kleinere Konzerte. Ich spiele am ‘überschlag’, einem internationalen Festival für Schlagzeug in Hannover Ende des Sommers ein Duo-Konzert – zusammen mit Johannes Fischer, einem Kollegen aus Deutschland. Wir dürfen eine Kirche bespielen und uns auch Zeit lassen, um verschiedene Experimente zu machen. Dieses Jahr werde ich noch verschiedene grössere Projekte realisieren, ich bin aber auch schon am Planen fürs nächste Jahr. Wenn alles klappt, dann bin ich nach wie vor sehr beschäftigt – obwohl ich ja offiziell schon schwer im AHV-Alter herumstiefle.
Florence Baeriswyl

überschlag – internationales Schlagzeug Festival 17.-21.8.22, Hannover und Niedersachsen
19.8.22,  22h: Performance Anima Fritz Hauser und Johannes Fischer
20.8.22: Meisterkurs Improvisation mit Fritz Hauser

 

Boa Baumann, Brigitte Dubach, Barbara Frey, Ruhrtriennale, Johannes Fischer

Sendung SRF 2 Kultur:
Kultur Kompakt, 20.8.18: Inszeniertes Konzert von Fritz Hauser beim Lucerne Festival,  Moderation Irene Grüter

Neoprofil:
Fritz Hauser

 

Yello – Gesamt-Kunstprojekt erhält Grand Prix Musik 2022

Yello – das legendäre Schweizer Elektropop-Duo erhält den Schweizer Grand Prix Musik 2022. Seit mehr als vierzig Jahren und 14 gemeinsamen Alben strahlt das Duo aus Boris Blank, dem Klangtüftler, und Dieter Meier, dem Frontmann mit sonoriger Stimme, von der Schweiz aus in die Welt.

 

Portrait Yello zVg. Yello ©Helen Sobiralski

 

Gabrielle Weber
Der rhythmisch-groovige Sound und Wortschöpfungen wie «Oh Yeah» oder «Claro que si» prägen eine ganze Generation in den Achtzigern Aufgewachsener. Und noch heute, vierzig Jahre später, nehmen Yellos Rhythmen, ihre Wort- und Bildkreationen ungebrochen ein. Und das, auch wenn sie sich scheinbar fast nicht veränderten – aber eben nur fast.

1981 – im Video zu The evening’s young formen sich tanzende bunte Leuchtstäbchen zum Schriftzug Yello. Ein Gesicht in Nahaufnahme -ein junger Mann: Boris Blank- von vorn, von der Seite, sein Ganzkörper im Schattenspiel, rasche Schnitte, verschiedene Perspektiven, starke Farben, dann Dieter Meier am Mikrofon, wechselnde monochrome Farben im Hintergrund. Alles wird übermalt, verfliesst und beginnt wieder von vorn. Überblendungen, Schnitte, Licht- und Farbspiel. Der Klang rhythmisch vielfältig, dazu Sprechgesang auf einer Tonhöhe. Ein audiovisuelles Kunstprodukt, das die Möglichkeiten des Mediums musikalisch und visuell experimentell ausschöpft aber nicht überfrachtet: einfach, spielerisch leicht, elegant, selbstbewusst und selbstironisch.

 


Yello: The young, Video 1981

 

So präsentiert sich Yello – und bleibt dabei – die Rollenverteilung konstant: Blank kreiert die Klanglandschaften aus Samples und rhythmischen Pattern, und Meier steht fürs Visuelle und die Stimme. Er sei Dilettant, habe nie etwas Artistisches gelernt, alles sei reiner Zufall, sagt Meier gern, und Blank wiederum bezeichnet sich als Klangmaler und versieht seine Samples liebevoll mit individuellen Namen.

Präsentiert sich das Video zu The evenings young noch hausgemacht, so ist das Video zu Bostich von 1984, dem Song, der Yello auf Vinyl-Maxisingle als „natural born hit“ zuoberst in die weltweiten Hitparaden katapultierte, etwas ausgefeilter: Blank und Meier sind wieder die Protagonisten, dazu kommen diesmal rhythmisch tanzende Geräte und Maschinenteile. Ganz leicht kommt es daher, mit einem touch von Underground.

 


Yelllo: Bostich, Video 1984

 

In die Achtziger fällt auch die Gründung von Music Television, MTV, in New York: mit seinen 50 regionalen Ablegern festigt der neue Verbreitungskanal zahlreiche Popkarrieren. Yellos audiovisueller Ausrichtung kommt das neue Medium ganz natürlich entgegen. Das Duo nutzt es zukunftsweisend nicht «nur» für Musikvideos, sondern spinnt dort auch gezielt humorvoll-subversiv skurrile Geschichten, wie bspw. in der Performance Dr. Van Steiner von 1994, wo Blank als Urwaldforscher, interviewt von Meier, seine Sounds vom unter dem Tisch versteckten Keyboard einspielt und mimisch imitiert.

 


Yello Video@MTV: Dr. Van Steiner, 1994

 

Die Videos sind Kult, umso mehr als sich Yello -im Gegensatz zu vielen anderen Bands- gezielt Live-Konzerten entzieht: nach wenigen frühen ersten Auftritten, noch im Trio mit Carlos Perón, Gründungsmitglied, in Zürich, und einem ersten legendären Auftritt 1984 im DJ-Club Roxy in New York, machte sich Yello bis 2016 rar: zum Album toy gab’s dann erst wieder Live-Gross-Auftritte im Berliner Kraftwerk zusammen mit einem Bläserensemble. Sie wurden zum ausverkauften Grosserfolg.

Dass Yello, auch durchs neue Medium, das Label Schweizer Export-Pop-Band erhält, wird dem Duo kaum gerecht. Denn Yello ist genauso sehr Kunstprojekt, das sich allen gängigen Kategorisierungen entzieht. Blank und Meier bewegen sich davor einzeln in experimentelleren Szenen. Meier in der Performancekunst: Mit absurden Aktionen zieht er in den siebziger Jahren in Zürich und New York oder 1972 an der Documenta in Kassel Aufmerksamkeit auf sich und vertritt die Schweiz 1971 im New Yorker Museum of Modern art an der Show Swiss Avantgarde. Die Subversion nimmt er ins Musikprojekt Yello mit. Blank, Elektronikpionier und Samplevirtuose, bewegt sich vor Yello im experimentellen Zürcher und Londoner Elektro-Underground und orientiert sich an Jazz-und Neue Musiklegenden wie John Coltrane, Pierre Boulez und György Ligeti. Den Innovationsgeist transportiert er in seine Yello-Klanggemälde, in die Meier sich mit seiner tiefen Stimme einklinkt.

 

Preise aus unterschiedlichen Ecken

Die Preise, die das Duo über die Jahre erhält, kommen folgerichtig aus unterschiedlichen Ecken, 1997 der Kunstpreis der Stadt Zürich, 2010 der Swiss music award für das Album touch yello, 2014 der Echopreis zu 35Jahren Yello, um nur ein paar zu nennen. Und im dicken Jubliäums-Printband „Oh Yeah!“, herausgegeben 2021 mit einfachem schwarz-weissen Cover in der Edition Patrick Frey, blickt Yello kunstvoll auf die gemeinsame 40jährige, musikalisch wie visuell durchkonzipierte Geschichte zurück.

In den Musikprojekten, die Blank und Meier parallel zu Yello verfolgen, leben die beiden weitere Seiten von sich aus. Meier setzt die Stimme in seiner 2012 gegründeten Band Out of chaos anders ein und entwickelt Stücke auch selbst, Blank integriert in seine eigenen Projekte weitere Stimmen und gräbt mit anderem Fokus in seiner reichen Soundlibrary. 2014 bspw. arbeitete er fürs Album Convergence eng mit der Sängerin Malia zusammen. Oder für Electrified im selben Jahr rezyklierte und digitalisierte er alte analoge Stücke aus der Prä-Yello-Ära für eine limitierte Special edition mit allen über die Jahre bespielten Formaten – Vinyl, DVD, CD, Kassette, in Kombination mit z.T. eigenen Videos. Mit den heutigen digitalen Tools experimentiert er genauso gern optisch wie auch akustisch.

Ausgeklügelte, eingängige Rhythmen und Soundscapes, verbunden mit knackigem Text und farbenfrohen, unaufwändig daherkommenden Visuals, zusammengemischt mit subversiver Ironie und leichter Eleganz. Diesen Ton, dieses Bild behalten Yello während 14 gemeinsamen Alben bei. Und sukzessive macht sich das Duo neue technische tools zu eigen und spielt mit den Mitteln der Digitalisierung.

 


Yello, Wabaduba, point, Video 2020

 

2020: In Wabaduba auf dem bislang letzten, dem 14. Album point, tanzen Meier und Blank synchron: nunmehr beide um die siebzig Jahre alt, in einfacher computeranimierter, an ihnen vorbeiziehender schwarz-weisser Sci-Fi-Grossstadtkulisse, Meier im Anzug und Blank im James Bond-schwarzen Rollkragenlook mit Sonnenbrille. Die Welt zieht vorbei – Meier und Blank bleiben – und überraschen uns immer wieder.

Zu der von Blank selbst entwickelten und erst vor ein paar Jahren lancierten App, Yellofire, mit der jeder und jede Yello-ähnliche Sounds generieren kann, meint Meier: «Damit gibt’s nun vielleicht Liveauftritte – wir haben ja noch zirka weitere 30 Jahre vor uns».

Sie sind cool und sie bleiben sich treu, die beiden Herren. Eine Marke, die sich sanft mit der Zeit verändert, alle medialen Entwicklungen gekonnt ausschöpft und dennoch immer unverkennbar bleibt: das macht Yello gegen alle Zeitströmungen bis heute zum Trendsetter und zum Gesamt-Kunstprojekt.
Gabrielle Weber

 

Portrait Yello zVg. Yello ©Helen Sobiralski

 

Auf den neo-Profilen von Yello und Boris Blank findet sich z.T. noch unveröffentlichtes Videomaterial, u.a. das Video The pick up zu Boris Blank: da wird Autobiografisches mit Sound- und Bildexperiment zur persönlichen Erzählung verwoben.

40Jahre Yello – Oh Yeah!: Ed. Patrick Frey; Boris Blank: Electrified 2014; Boris Blank&Malia: Convergence 2014; Malia; Dieter Meier: Out of chaos; Label Suisse, Carlos Perón

Grand Prix Musik: Yello
Weitere Schweizer Musikpreise:
L’Orchestre Tout Puissant Marcel Duchamp
Fritz Hauser; Arthur Hnatek; Simone Keller; Daniel Ott; Ripperton; Marina Viotti
Spezialpreise Musik:
AMR Genève; Daniel “Duex” Fontana; Volksmusiksammlung Hanny Christen

Die Preisverleihung findet am 16. September in Lausanne im Rahmen des Festivals Label Suisse statt.

Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, 27.7.22., 20h: Yello – Gesamt-Kunstprojekt erhält Grand Prix Musik 2022, Redaktion Gabrielle Weber / Wiederholung: Passage 28.8.22, 15h.
MusikMagazin, 14./15.5.22: Yello – Das Schweizer Elektropop-Duo bekommt den Grand Prix Musik, Redaktion Annelis Berger

Neo-Profile:

Yello, Boris Blank, Swiss Music Prize

Von Schwärmen, Glocken und Insekten

Michael Pelzel ist Composer in Residence beim diesjährigen Musikfestival Bern. Zahlreiche Uraufführungen zeigen die Bandbreite seines kompositorischen Schaffens. Zudem ist er als Interpret an der Orgel und im Gespräch zu erleben. Ein Portrait von Friederike Kenneweg.

 

Portrait Michael Pelzel zVg Michael Pelzel

 

Friederike Kenneweg
Als ich mit Michael Pelzel Mitte Juli 2021 einen Telefontermin für ein Interview ausmachen möchte, ist er gar nicht so ohne Weiteres zu erreichen. Und das hat einen guten Grund: auf seinem Schreibtisch stapeln sich die Stücke, die von ihm als Composer in Residence beim Musikfestival Bern zur Uraufführung gelangen sollen. „Das geht gerade Schlag auf Schlag“, erzählt er mir, als es dann doch endlich mit einem Gespräch klappt. Das Stück, das gerade vor ihm liegt, als wir miteinander telefonieren, heißt Aus 133 Fenstern. Obwohl „Composer in Residence“ in Bern nicht bedeutet, dass man tatsächlich für eine längere Zeit vor Ort sein muss, haben die Gegebenheiten am Festivalort Michael Pelzel zu einer besonderen Raumkomposition inspiriert.

Aus der Vielzahl der Fenster, die vom Kulturzentrum PROGR auf den dortigen Innenhof hinausgehen, wird das Publikum mit Glocken, Triangeln, Lotosflöten und Okarinas beschallt. Die Ausführenden: Kinder und Jugendliche. Auch wenn die angestrebte stolze Zahl von 133 Musizierenden nicht ganz erreicht werden sollte: zweifellos erwartet die Zuhörenden hier ein einzigartiges Raum- und Klangereignis.

 

Probe zur Uraufführung von Aus 133 Fenstern für 133 Musizierende, UA im Progr am Musikfestival Bern ©Martin Bichsel / zVg Musikfestival Bern

 

Das Stück ist genau auskomponiert. Dass die Laienmusiker*innen es unter den besonderen räumlichen Umständen schaffen werden, auch wirklich immer synchron miteinander zu spielen, erwartet Michael Pelzel aber nicht. „Das schaffen auch Profis nicht, immer genau gleichzeitig auf die Schlaginstrumente zu treffen“, sagt Pelzel. Doch es ist genau dieser klangliche Effekt der Unschärfe, der den Komponisten besonders interessiert. „Komponisten sind ja immer auf der Suche nach neuen, unerhörten Klängen. Und diese gewissermaßen chorisch eingesetzten Metallschlaginstrumente, die sind in der Musik meiner Meinung nach absolut noch nicht ausgereizt.“

 

“Mikro-Arpeggien”

 

Pelzels Faszination für Metallschlaginstrumente kommt im Rahmen des Festivals an mehreren Stellen zur Geltung. Zum Beispiel in der Komposition Glissomaniac für zwei Klaviere und zwei Perkussionisten. Hier sind es Röhrenglocken, die solche Unschärfen hervorbringen, wenn die beiden Schlagzeuger und die Klaviere unisono miteinander spielen. „Mikro-Arpeggien“ nennt Michael Pelzel das, was dabei entsteht. „Das ist ein bisschen wie bei einem Fluss-Delta. Es bilden sich viele kleine Nebenarme, die jeweils einen etwas anderen Verlauf nehmen, aber alle haben eine gemeinsame Richtung. Alle strömen zum Meer.“

 


Vokalensemble und Perkussion kombinierte Michael Pelzel bereits 2019 im Stück  Hagzusa zum Galsterei, uraufgeführt vom SWR-Vokalensemble am Festival Eclat Stuttgart 2019

 

Auch in der Vokalkomposition La Luna für acht Sänger und Schlagzeug setzt Michael Pelzel auf diesen Effekt. Nicht nur der Schlagzeuger nutzt hier Perkussionsinstrumente, sondern auch die acht Sänger*innen bringen verschieden große Triangeln zum Einsatz. Durch die minimale zeitliche Verschiebung beim Anschlag entstehen immer wieder  unterschiedlich dimensionierte Metallklangwolken, die nie ganz vorhersehbar sind.

La Luna ist ein Auftragswerk für das KlangForum Heidelberg, das im Rahmen der Werkreihe „Sternbild: Mensch“ des Ensembles entstand und eigentlich schon an anderer Stelle zur Uraufführung gelangen sollte. Doch wie so häufig stand die Corona-Pandemie dem entgegen.

Uraufgeführt wurde das Werk zwar schon, aber bislang nur in digitaler Form. Die „analoge“ Uraufführung vor körperlich anwesendem Publikum wird nun in Bern stattfinden können: eine besondere Sternstunde im Rahmen des Konzertes mit dem Titel Ferne Lichterschwärme.

 


Michael Pelzel, La Luna, KlangForum Heidelberg, ‘Uraufnahme’ online Juni 2021

 

In Kombination mit Pelzels Stück La Luna stehen auch Orchesterwerke von Georg Friedrich Haas (geboren 1953) und György Ligeti (1923-2006) auf dem Programm. Pelzels Kompositionen werden auch bei den anderen Konzerten gemeinsam mit Werken von Haas und Ligeti präsentiert. Wohl weil eine gewisse Verwandtschaft zwischen den drei Komponisten besteht. Ähnlich wie Ligeti schätzt Pelzel vertrackte Mikrorhythmen. Mit Georg Friedrich Haas teilt Pelzel die Leidenschaft für Mikrotöne. Dementsprechend kommt ihm die Kombination seiner Werke mit diesen beiden Größen durchaus entgegen: „Zwischen Georg Friedrich Haas, der mein geschätzter Lehrer war, und György Ligeti, der für mich in vielerlei Hinsicht eine wichtige musikalischen Bezugsgröße ist, fühle ich mich sehr wohl.“

 


Michael Pelzel, in memoriam György Ligeti, für Ensemble 2018: vertrackte Mikrorhythmen verbindet das Schaffen von György Ligeti und Michael Pelzel, Eigenproduktion SRG

 

György Ligeti spielt für Michael Pelzel auch in seiner Funktion als Organist eine wichtige Rolle. Bei dem Orgelkonzert mit Michael Pelzel im Rahmen des Festivals steht dementsprechend das Orgelwerk Harmonies von György Ligeti aus dem Jahr 1967 auf dem Programm. Die Komposition ...stream of debris… von Michael Pelzel, die er hier selbst uraufführen wird, sieht er  in derselben Traditionslinie. „Ein bisschen ist das auch wie eine Hommage an Ligeti. Ligeti hat in seiner Orgelmusik viel mit Clustern gearbeitet. Wenn ich selber auf der Orgel improvisiere, gehe ich auch von solchen Clustern aus, versuche dabei aber, das nicht einfach zu wiederholen, sondern Ligetis Ansatz für die heutige Zeit weiter zu entwickeln.“

Zum Festivalmotto „schwärme“ passend als „schwärmerisches Stück“ im Programm angekündigt ist Streamed Polyphonyfür Streicher, das von der CAMERATA BERN uraufgeführt werden wird. „Schwärmerisch stimmt eigentlich nicht“, sagt Pelzel, als ich ihn danach frage. Vielmehr habe er beim Komponieren an drei Insekten gedacht, die um eine Lichtquelle herumschwirren.

Darum spielt bei diesem Stück die Verteilung der Musiker*innen im Raum eine wichtige Rolle. Diese ermöglicht, dass auch der Streicherklang im Raum umherschwirrt. Auch wenn der Titel der Komposition die Assoziation mit Insekten nicht mehr nahelegt: vielleicht ist beim Konzert der CAMERATA BERN dieses Schwärmen und Schwirren für die Zuhörer*innen trotzdem noch erkennbar.
Friederike Kenneweg

 

Michael Pelzel © Manuela Theobald / zVg Musikfestival Bern

 

Das diesjährige Musikfestival Bern findet vom 1. bis zum 5. September unter dem Motto “schwärme” statt. Zu hören sind Werke und Uraufführungen von u.a. Salvatore Sciarrino, Fritz Hauser, Jürg Frey, Johanna Schwarzl, Hans Eugen Frischknecht, Pierre-André Bovey, Thomas Kessler oder Jean-Luc Darbellay.

Donnerstag, 26. August, 19 Uhr: Michael Pelzel zu Gast in „Sprechstunden für neue Musik“, einer Reihe von Zoom-Veranstaltungen des Musikfestival Bern. Hier geht es um ein informelles Kennenlernen und ins Gespräch kommen mit dem Komponisten, mit Hörbeispielen. Teilnahme kostenlos, Anmeldung erwünscht an Tobias Reber.
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Uraufführungen von Michael Pelzel:
Aus 133 Fenstern, Mittwoch, 1.9. 17h
Streamed Polyphony, in Konzert: Open the Spaces, Mittwoch, .1.9. 19h
Glissomania, in Konzert: Durch unausdenkliche Wälder, Freitag, 3.9. 21h
La Luna, in Konzert: Ferne Lichterschwärme, Samstag, 4.9. 19h
Harmonies / ...stream of debris… in Konzert: Con Passione, Sonntag, 5.9. 17h

Neo-Profiles:
Musikfestival Bern, Michael Pelzel, Camerata BernGyörgy Ligeti, Georg Friedrich Haas, Thomas Kessler, Jürg Frey, Jean-Luc Darbellay, Fritz Hauser, Pierre-André Bovey