Vogel, flieg!

Der Synthesizer und ich – das könnte der Titel sein über Nicolas Buzzis Leben. Seit seiner Kindheit spielt der Schweizer Künstler elektronische Musikinstrumente. Heute erfindet er Klänge, die es – vielleicht – zuvor noch nicht gegeben hat.

 

Nicolas Buzzi im Klang-Rohr, Portrait ©zVg Nicolas Buzzi

 

Benjamin Herzog
Es gibt nicht einmal ein Wort dafür. Synthesizerist, Synthesizeristin? Elektromusiker*in? Nein. Aber es gibt Menschen, die ihr Leben dem Synthesizer widmen. Und mit ihm der elektronischen Musik. Bei Nicolas Buzzi hat diese Passion früh angefangen. An ungewöhnlichem Ort. Auf dem Dachstock eines Bauernhauses nämlich. Dort fand der Zwölfjährige einen alten Yamaha-Synthesizer. «Ein Glücksfall», sagt Buzzi. Für sein Leben, denn er ist heute ein viel gesuchter Musiker.

 

Nicolas Buzzi: US VII/VIII/IX, unison in seven parts, 2.12.2020:

 

Autodidaktisch habe er sich das Spiel beigebracht. Eine ganze Jugend lang. War’s Liebe auf den ersten Blick? Schon, aber im engen Sinne ist Nicolas Buzzi nicht treu. Der Yamaha ist Vergangenheit, verflossen. «Die Geräte sind gekommen und gegangen», sagt er, «nur die Art des Umgangs mit ihnen, das Musikdenken, das ist stets geblieben.» Das mit dem Musikdenken allerdings, das ist etwas verwickelter, als man auf den ersten Blick annehmen könnte. Holen wir also etwas aus.

 

Donald “Don” Buchla – neue Klänge erfinden

 

San Francisco, die 1960er Jahre. Wenn man sich Donald Buchla, eine Hauptfigur in der Entwicklung des Synthesizers, dort mit Blumenhemd, langem Haar und blau getönter Nickelbrille vorstellt, dürfte das nicht ganz falsch sein. Diesen Look jedenfalls hat «Don» Buchla bis zu seinem Tod kultiviert. Etwas Guruhaftes. Und bis zu seinem Tod hat Buchla zahlreiche Modellreihen von elektronischen Musikinstrumenten vorgestellt: die Buchla-Synthesizer.

 

Nicolas Buzzi am Buchla, Portrait ©zVg Nicolas Buzzi

 

Auf einem solchen spielt auch Nicola Buzzi hauptsächlich. Dem «Buchla 200e». Synthesizer zu sagen, ist vielleicht nicht korrekt. Denn Klänge, die es schon gibt, zu «synthetisieren», nachzuahmen, das war nicht Buchlas Anliegen.

Ihm ging es darum, neue Klänge zu erfinden. Eine neue Musik, passend zur Aufbruchsstimmung jener Jahre. John Cage etwa experimentierte in San Francisco am selben Institut mit verschiedenen Zufallstechniken. Für Musik allerdings, die von Menschen auf herkömmlichen Instrumenten gespielt wird. (Mehr oder weniger: Cage schrieb auch Musik für klingenden Kaktus.)

 

Don Buchla nun erfand einen entsprechenden Generator, einen Zufallsgenerator, für seine Geräte. Und damit können sie, die Buchla-Synthesizer, vom Menschen nicht vorhergesehene, nicht programmierte Abläufe generieren.

Der Synthesizer also «macht» Musik, richtig? Nicolas Buzzi relativiert. Er sagt, zwar bekomme er Impulse von seinem Instrument, das so konstruiert ist, dass es selbstständig Prozesse durchläuft. Zufällige, aber meist doch gesteuerte. Also das, was er will, wozu er dem Instrument die Bahn vorgibt. Aber das heisst wiederum auch: «Die meisten Instrumente und wir Spieler orientieren sich / uns an bestehender Musik.» Fraglich also, ob so etwas wirklich Neues entstehen kann.

 


Nicolas Buzzi, Negotiating the space between rhythm and timber, 2020

 

«Wenn ich als Nicolas Buzzi spiele, habe ich ja doch immer mein kulturelles Gedächtnis, das ich nicht so einfach auslöschen kann», sagt Buzzi. «Mein Körper, der Puls, der Atem – auch das spielt beim Musikmachen eine Rolle.»

Es menschelt also im Reich der künstlichen Töne. Und dazu gehören auch wir, die Hörer*innen, die wir sofort einordnen, was wir hören. Vergleichen, Bekanntes herbeiziehen, Schubladen aufreissen, um das Unbekannte ordentlich zu verstauen.

 

Eigentlich müsste man das Ganze Maschinen überlassen…

Eigentlich müsste man das Ganze Maschinen überlassen.Tatsächlich gibt es Forschungsprojekte dazu mit selbstlernenden Computern, die eine nicht-menschliche, nicht an Erinnerungen geknüpfte Musik erschaffen sollen. «Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das klingt», meint Buzzi skeptisch. Zu Recht. Jedenfalls ist so etwas schwer vorstellbar. Aber eben: unsere Vorstellungen … Wenn Musik nicht in Beziehung zu unserer Welt steht, woran soll sie sich denn orientieren? «Vielleicht an der Wahrnehmung», sagt Buzzi. «An der Wahrnehmung von Zeit, von Klang, von Figuren.» Einer anderen Wahrnehmung somit, ist zu vermuten. Nur, kann ich wahrnehmen, was ich gar nicht kenne? Hier wird’s dunstig.

 

Eine Musik, die sich an der an der Wahrnehmung von Zeit, von Klang, von Figuren orientiert

 

Das Musikdenken, das Buzzi fast sein ganzes Leben lang mit seinen Synthesizern beschäftigt, könnte in Abgründe führen. Vielleicht ist es ganz gut, dass man da handfeste Partnerschaften eingeht. Mit anderen Musiker*innen. Mit seiner Ehefrau, der Künstlerin und Musikerin Martina Buzzi, und mit der Architektin und Musikerin Li Tavor spielt Buzzi im Trio. Drei Synthesizer verbinden sich hierbei in einem Projekt. «Pain» heisst es. Nicht unpassend, denn das Schmerzenskind ist im Coronajahr 2020 entstanden. «Da alle Orte, an denen wir hätten auftreten können, geschlossen waren, haben wir den gemeinsamen Klangraum ins Digitale verlegt», erklärt Buzzi.

 

Kopfhörermusik ist so entstanden. In und mit einem, beziehungsweise bis zu drei verschiedenen, digitalen Klangräumen. Da reagiere man ganz anders auf seine Partner, sagt Buzzi. Man sei unabhängiger, freier, das Hören sei unverbrauchter. Ideale Voraussetzungen eigentlich für Neues aus dem magischen Buchla-Apparat.

 


Nicolas Buzzi / pain mit Martina Buzzi und Li Tavor: places 2
Hören wir hin. Streckenweise sind in den «Pain»-Klängen gegenseitig sich zuschnarrende, zugrunzende Wesen zu hören. Es bellt, es zittert, es faucht. Unabhängiges Klangbestiarium. Und daran halte ich mich fest. Was würde passieren, wenn ich mich in diesen doch recht unbekannten Kosmos hineinfallen liesse?

 

Nicolas Buzzi am Buchla von hinten ©zVg Nicolas Buzzi

 

Loslassen – da funkt mir mein Hirn dazwischen, das bei dieser Musik offenbar lieber einen imaginären Zoo durchwandert. Die neue Musik auf Buzzis Buchla 200e, das «Musikdenken» dazu, das betrifft eben auch mich, den Hörer, der sich offenbar gerne an seinem Ast festklammert, wie ein Vogel im Baume. Flieg!
Benjamin Herzog

 

Im Projekt I sing the body electric traf Nicolas Buzzi auf das Ensemble Thélème. Es entstand die Verbindung von Synthesizer und Renaissancemusik:


Nicolas Buzzi und thélème: I sing the body electric, Buchla Synthesizer trifft Chansons von Josquin, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Vom 21. bis zum 23 September ist das Projekt Rohrwerk – Fabrique sonore nach Basel, Lausanne (SMC) und Zürich, nochmals in Lausanne zu hören. Diesmal im Rolex Learning Center der EPFL. Darin gibt es Klanginstallationen von Nicolas Buzzi, Germán Toro Pérez, Marianthi Papalexandri Alexandri etc.

 

Don Buchla, Li Tavor

Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, 3.3.21, Nicolas Buzzi und sein Synthesizer, Redaktion Benjamin Herzog / verlinken:

Neue Musik im Konzert, 31.3.21, 21h, I sing the body electric, Redaktion Florian Hauser

Neoblogpost, 2.9.2019Reibung erzeugt Wärme: Marianthi Papalexandri Alexandri @ Rohrwerk – Fabrique sonore/Zeiträume Basel, Text Theresa Beyer

 

Neo-profiles:
Nicolas Buzzi, thélème, Germán Toro Pérez, Marianthi Papalexandri Alexandri,  Musikpodium der Stadt Zürich, Beat Gysin, Société de musique contemporaine – SMC Lausanne

 

..Inspiriert vom Fussball.. – Klanglieferservice Gare du Nord Basel

Das Team des Gare du Nord – Bahnhof für Neue Musik Basel, dachte sich ein spezielles Programm für die Zeit des Zuhause Bleibens aus: der Klanglieferservice.

Das Motto: Reisen in der Phantasie sind gerade in diesen Tagen nicht der schlechteste Weg, um beweglich zu bleiben und die Seele zu wärmen.

Gare du Nord: Klanglieferservice ©Alexa Früh

Wie alle Veranstaltungsorte ist auch der Gare du Nord – Bahnhof für Neue Musik Basel seit Mitte März stillgelegt. Als einer der wichtigsten Musikbetriebe der zeitgenössischen Musik in der deutschen Schweiz bietet der Gare du Nord ein einzigartiges Ganzjahresprogramm. Désirée Meiser, künstlerische Leiterin, erzählt im Gespräch mit Gabrielle Weber wie der Gare du Nord die aktuelle Corona-Ausnahmesituation überbrückt. 

Désirée Meiser, die Homepage des Gare du Nord empfängt uns mit den Worten: “Wir arbeiten zu Hause”: Wie sieht ihr Tag gerade aus?

Wir staunen, dass diese Tage sehr gefüllt sind. Wir kümmern uns natürlich um die Absagen und Verschiebungen, aber auch die Planung muss weitergehen. Wir haben dafür verschiedene Chatrooms. Qualitativ funktioniert es gut. Aber quantitativ ist es manchmal anstrengend.

Sie steckten mitten in zwei grossen Saisonschwerpunkten, ‘Later Born’ und ‘Musiktheaterformen’. Nun sind alle Veranstaltungen vorerst abgesagt: Wie sieht die nahe Zukunft aus?

Im schlimmsten Fall können wir diese Spielzeit nichts mehr anbieten – sicher ist dies aber noch nicht. Am 8.Mai wäre im Rahmen von ‘Later born’ bspw. ein grosses Kooperationsprojekt angesetzt: der Stummfilm: “Die Stadt ohne Juden” (1924, Karl Breslauer) mit einer Neukomposition von Olga Neuwirth (UA WienModern, 2018), gespielt vom Sinfonieorchester Basel. Das ist ein hoch politisches Projekt und wäre uns sehr wichtig gewesen. Aber wir planen inzwischen gemeinsam mit dem Sinfonieorchester, eine Verschiebung.

Olga Neuwirth, Die Stadt ohne Juden, UA Festival WienModern, Wiener Konzerthaus 7.11.2018

Was bedeutet die aktuelle Situation für Sie, für das Team, für die an den Projekten Beteiligten?

Es ist eine große Herausforderung. Für Teile des Teams haben wir nun Kurzarbeit beantragt. Im Moment können wir die Situation noch halbwegs stemmen, aber wie es langfristig aussieht, ist offen. Wir versuchen, so solidarisch wie möglich damit umzugehen, auch in Bezug auf die Musiker und die Ensembles, die sich in einer schwierigen Lage befinden.

Der Gare du Nord rief zu Solidarität auf mit der Aktion #ichwillkeingeldzurück / #solidaritätmitfreienkünstlerinnen: das ist eine tolle und wichtige Initiative – wie entstand sie?

Die Idee haben wir von bestehenden Aktionen übernommen und finden sie wichtig und sinnvoll. Wir sind mit Ensembles im Gespräch, um gewisse Konzerte vielleicht zu verschieben, aber Vieles ist noch offen. Insbesondere von Seiten des Publikums erfahren wir großes Verständnis und große Anteilnahme für alle Kulturschaffenden.

Germán Toro-Peréz / Reise nach Comala, Hörspielfassung Juan Rulfo, GdN / IGNM Basel

“Es ist jetzt von allen eine große Flexibilität -auch im Kopf- gefordert..”

Für Ihr Publikum haben Sie ein Programm entworfen, das in die Bresche springt: den Klanglieferservice: Wie kam es dazu?

Als der Ruf nach Streamingangeboten laut wurde, kam die Idee auf, dieser Schnelllebigkeit, und dem permanent Neues bieten zu wollen, etwas entgegenzusetzen. Wir wollten Zeitfenster öffnen, um in ausgewählten Archivaufnahmen zu schmökern. Es gibt so wundervolle Sendungen, Gespräche und Konzertmitschnitte, gerade von SRF 2 Kultur.

Neue Stücke aufzuführen ist wichtig und toll. Aber viel gute bestehende Musik wird zu selten wieder in die Programme aufgenommen. Dass wir nun alle zu Hause bleiben müssen, bietet eine schöne Gelegenheit, um sich Werken zuzuwenden, die in Vergessenheit geraten sind.

Und wir waren auch inspiriert vom Fußball: weil die Spiele nicht mehr stattfinden können, begannen die Fußballfans sich gemeinsam legendäre Spiele von früher anzuschauen.. (lacht)

Was ist das Besondere am Klanglieferservice – Weshalb sollte man ihn anhören?

Wir haben Fachfrauen und Fachmänner aus der Musikszene gebeten, uns ihre persönlichen Highlights zukommen zu lassen. Da kommen nun laufend schöne Fundstücke zusammen, die immer wieder überraschen und auch für uns eine Freude sind anzuhören.

aus: Klanglieferservice GdN, Tipp: Anja Wernicke, 9.4.20

Die Begriffe ‘Physical distancing’ oder ‘social distancing’ sind omnipräsent: Spüren Sie soziale Nähe trotz der physischen Distanz – mit dem Publikum, mit dem Team..? Der Klanglieferservie steht ja auch symbolisch für das Verbindende der Musik…

Das Publikum wollen wir in der Pause nicht mit einer Mailflut überhäufen. Der Klanglieferservice soll eine Art virtuelle Verbindung darstellen, indem wir uns gemeinsam in einen virtuellen Raum begeben und uns zusammen etwas anhören. Das gibt einen gewissen Trost. Aber gemeinsam etwas in einem realen Raum zu erleben und Klang live zu hören, ist etwas Einzigartiges. Das kann nicht ersetzt werden.

Und gerade jetzt ist unser Team unglaublich kostbar. Auch über die zum Teil großen geografischen Distanzen sind wir alle hoch motiviert und haben einen starken Zusammenhalt.

Der Ausnahmezustand – eine Art ,Wachmacher’

Bietet die Corona-Zeit auch Chancen oder Potenziale?

Ein Phänomen dieses seltsamen Ausnahmezustands: er ist auch eine Art ,Wachmacher’ –  wir schätzen mit einem neuen Bewusstsein was wir hatten und haben…
Interview: Gabrielle Weber

Der Klanglieferservice startete am 30. März und stellt täglich ein persönliches Highlight auf die Homepage des GdN. Die ausgewählten Fundstücke stammen u.a. von Mark Sattler, Dramaturg Lucerne Festival, Bernhard Günther, künstlerischer Leiter der Festivals WienModern und Zeiträume Basel, Anja Wernicke, Geschäftsführung und zentrale Produktionsleitung ZeitRäume Basel, Uli Fussenegger, Leiter Neue Musik FHNW oder Désirée Meiser, künstlerische Leiterin GdN, sowie von Musikredakteurinnen und -redakteuren von SRF 2 Kultur.

Klanglieferservice / GdN

Vorgestellte Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit: Heinz Holliger und die Literatur
Klassiker der Moderne: Concorde Sonata von Charles Ives
Neue Musik im Konzert: Wassermusik, darin UA Katharina Rosenberger: Rein
neo.mx3: Antoine Chessex, écho/cide

Neo-profiles:
Gare du Nord, Antoine Chessex, Eklekto Geneva Percussion Center, Lucerne Festival, Lucerne Festival Academy, Lucerne Festival Alumni, Germán Toro-Peréz, Katharina Rosenberger