„Zukunftsmusik – dem Zeitgeist entkommen“ heißt ein Projekt zum 100. Geburtstag SUISA. 40 Schweizer Musikerinnen und Musiker sollten ihre Ideen zu einer Musik notieren, die erst in hundert Jahren uraufgeführt werden soll: Ein Gruß aus der Gegenwart für das Jahr 2123 zum hoffentlich 200. Geburtstag der SUISA. Am 16. April 2024 wurde das Projekt im Yehudi Menuhin Forum in Bern vorgestellt. Bettina Mittelstraß hat sich unter beteiligten Musikerinnen und Musikern umgehört.
Elektronische Komposition, Performance, Klangkunst: die Zürcher Komponistin, Performerin, Medienkünstlerin und Flötistin Lara Stanic ist schwer zu labeln. In ihren Konzertperformances verbindet sie Medien, Instrumente, Objekte und Musikerkörper und bezieht sich dabei auf die jeweils konkreten Orte und Kontexte. Im Gespräch gibt sie Einblick in die Entstehung ihrer neusten Werke für das Zürcher Barockorchester.
Gabrielle Weber
Lara Stanic treffe ich an einem verschneiten Samstag anfangs Januar zum morgendlichen Kaffee an ihrem Küchentisch. Wir sprechen über ihre jüngste Komposition Du matin au soir: Sie entstand im Sommer 2023 für das Zürcher Barockorchester und besteht aus acht Sound-Interventionen, die zwischen einzelnen Symphoniesätzen von Haydn aufgeführt wurden. Die Konzerte fanden zu verschiedenen Tageszeiten an verschiedenen Orten in Zürich statt: im botanischen Garten, in einem Freibad und in der Kirche St. Peter.
Lara Stanic verwendet für ihre Stücke in der Regel elektronische Medien und integriert oft auch kontextbezogene Objekte. Die Auswahl der konkreten Medien sei ein Prozess, meint Stanic. «Ich lasse mich inspirieren vom Kontext, den Interpreten, den Instrumenten und deren möglicher Spielweisen. Dann höre ich Klänge in meinem Kopf und sehe Spielweisen.»
In Sonnenstand, der Sound-Intervention zur Haydn-Sinfonie Der Mittag, ‘spielen’ die Musikerinnen und Musiker mit runden Handspiegeln, die mittels Smartphones Klang erzeugen. Die Idee stammt aus einer Kindheitserinnerung. «Als Kind fing ich mit Handspiegeln das Sonnenlicht der Mittagssonne ein und erzeugte damit an einer nahen Wand Schatten und Lichtspiegelungen», sagt Stanic.
Auch in Sonnenstand fangen die Musiker:innen mit Handspiegeln Sonnenlicht ein, wobei diesmal daraus Musik entsteht. Auf der Rückseite der Spiegel sind Handys angebracht. Darin eingebaute Bewegungssensoren, Mikrofone und Lautsprecher erfassen die Bewegungen der Spiegel und setzen sie in Klänge um. So sei, erklärt Stanic, eine hybride Form aus zwei Medien, dem Handspiegel und dem Smartphone, entstanden.
Sonnenstand spiegelt damit auch ein Grundthema, das Stanics künstlerische Arbeit prägt: In der elektronischen Musik stört sie sich oft an der Schwerfälligkeit von grossen, fürs Publikum fast bedrohlichen Lautsprechern und Mischpulten. Mit dem Einsatz von mobilen Geräten sucht sie nach Leichtigkeit und Beweglichkeit. Stanic tritt auch oft als Performerin ihrer eigenen Werke auf. Was sie entwickelt, erprobt sie zunächst an sich selbst. «Ich war und bin mein bestes Versuchskaninchen», meint sie.
Stanic studierte zunächst Querflöte, dann Musik und Medienkunst in Zürich und Bern. Die Querflöte spielt und unterrichtet sie weiterhin und sieht sie als ihr musikalisches Zuhause. «Die Ausbildung zur Interpretin und Pädagogin lieferte mir einen Boden und ein Wissen über kompositorische Denkweisen. Das Kreieren von Klängen interessiert mich gleichermassen auf akustischen Instrumenten wie in der Elektronik.» Den ersten Zugang zu Musik hat sie in ihrer Kindheit im damaligen Jugoslawien über Radio und Fernsehen erfahren. Schon da sei sie fasziniert gewesen, wieviel an Emotionen Schallwellen auslösten. Die Verbindung von Musik und Elektronik sei deshalb naheliegend gewesen, ergänzt sie lachend: «Natürlich wusste ich damals nicht, dass es sich um Schallwellen handelte.»
In Kafi geht es um Verwandlung: Klang und Duft des Kaffes werden in Musik verwandelt. Hinzu kommt die elektronische Erweiterung der klassischen Instrumente: die Geigenbögen der Konzertmeisterinnen sind mit Bewegungssensoren versehen. Mit ihnen berühren sie die Kaffeemaschine wie mit Zauberstäben, die sie anschliessend durch die Luft schwingen. Dadurch verstärkt sich der Klang des Brodelns, verteilt sich im Raum und mischt sich mit dem Beginn der Sinfonie. «Die Geigenbögen werden zu Zauberstäben, die den Duft des Kaffees wiederum in Musik verwandeln» so Stanic.
Der Prozess dahinter sei aber ganz einfach. Zuerst gebe es die Idee, dann einen Klang, hier das Brodeln des Kaffees, und dann suche sie nach einer Lösung, wie dieser mit dem Klang der Instrumente in Verbindung gebracht werden könne. Die performativen Aktionen der Konzertmeisterinnen bilden für das Publikum eine Brücke zwischen dem klingenden Alltagsgegenstand und den Instrumenten. Aus diesem einfachen Grundprinzip verzaubert Stanic Alltagsobjekte in Musik und hinterlässt auch bei mir bleibende Spuren beim morgendlichen Kaffee. Gabrielle Weber
Lara Stanic ist Mitbegründerin und Mitglied des Trios „Funkloch“ mit Petra Ronner und Sebastian Hofmann, das jährlich sechs Komponist:innen zum experimentellen Studiokonzert mit Direktübertragung on air einlädt, oder des GingerEnsemble, einem in Bern basierten Composer-Performer-Kollektiv. Sie komponiert für Soli, Ensemble oder Orchester, sowie für eigene Performances, und ist damit regelmässig an den internationalen Festivals präsent, und sie ist seit 2011 Dozentin für Performing New Technologies an der Hochschule der Künste Bern.
FunkLoch feierte am Samstag, 20.1.24, 17h im Kunstraum Walcheturm sein sechsjähriges Jubiläum mit Stücken von Annette Schmucki, Daniel Weissberg, Svetlana Maraš, Dorothea Rust und Joke Lanz.
Seit seiner Gründung im Jahr 1975 ist das Jazz Festival Willisau eine Schmiede der improvisierten Musik. Jedes Jahr pilgern im Spätsommer Improvisator:innen aus aller Welt ins Luzerner Hinterland: sie sind in intimen Konzerten oder in grossen Acts in der Festhalle zu erleben und werden alljährlich in verschiedenen Sendungen auf SRF 2 Kultur portraitiert. Roman Hošek und Luca Koch von der Musikredaktion SRF Kultur haben dieses Jahr auch Live-Video-Interviews mit verschiedenen Improvisations-Bands geführt. Luca Koch stellt im neoblog zwei der portraitierten Bands vor: Der Verboten und How Noisy Are The Rooms?
‘Der Verboten’: Antoine Chessex, Christian Wolfarth, Frantz Loriot, Cédric Piromalli
Luca Koch
Wer ihren Bandnamen im Programm entdeckt, denkt vielleicht sofort an ein weisses, rundes Schild mit rotem Rand oder hält den Namen gar für einen Tippfehler: Ist «das Verbot» oder «die Verbotenen» oder «Der Vorbote» gemeint? Was grammatikalisch falsch anmutet, ist ursprünglich aus einem Witz entstanden. Das Quartett mit Christian Wolfarth, Frantz Loriot, Antoine Chessex und Cédric Piromalli probt sowohl auf Deutsch wie auch Französisch, Übersetzungsfehler sind da inklusive. Entstanden und geblieben ist der Name, denn wer definiert schon was richtig und was falsch ist. Unsere Sprachen bestehen wie die Musik aus Regeln und Strukturen, die aufgebrochen werden können. Die Musik von Der Verboten ist frei von Regeln und ineinander verzahnt. Genau dieses Zusammenspiel treibt die Band an.
Der Verboten: Vertiefung statt Innovation
Das Erkunden neuer Klänge und das Erweitern des Klangs der einzelnen Instrumente steht nicht im Fokus der Band, viel mehr versucht sie, klanglich ineinander zu verschmelzen und ihren gemeinsamen Bandsound zu vertiefen. Christian Wolfarth betont im Interview immer wieder, wie wichtig es sei, die richtigen Bandkollegen zu finden. In diesem Quartett sei es so, wie in einer alten Freundschaft, auch wenn lange nicht geprobt oder Konzerte gespielt hätten, knüpften sie genau da an, wo sie das letzte Mal aufgehört hätten.
Zeit verschmilzt.
Damit Piano, Schlagzeug, Viola und Tenorsaxofon zu einem einzigen musikalischen Organismus verwachsen können, braucht die Band vor allem eines – Zeit. Erst in langen Improvisationen tritt die erwünschte Form von verwobenem Interplay ein. «Ich glaube behaupten zu dürfen, dass uns das bei jedem Konzert gelingt», meint Christian Wolfarth im Interview. Ganze zwei Stücke spielte das Ensemble am Jazz Festival Willisau in ihrem einstündigen Set und die Pause dazwischen diente – vor allem dem Publikum – als Verschnaufmöglichkeit. Langsame Entwicklungen, kaum merkliche Veränderungen führen dazu, dass sich das Publikum im Konzertsaal immer wieder frägt, wie der Verboten musikalisch von A nach B gekommen ist.
Christian Wolfarth und Antoine Chessex vor ihrem Konzert im Live-Interview am Jazz Festival Willisau 2023.
Mit der gleichen Ruhe und Reflektiertheit wie im Gespräch standen Der Verboten auch auf der Bühne. Sie entführten so sehr in ihre Klangwelt, dass ich während des Konzerts nicht mehr wusste, ob schon zwanzig oder erst zwei Minuten vergangen waren.
Eine weitere Band, die mit dem Zeitempfinden ihres Publikums spielt, ist How Noisy Are The Rooms?. Im Gegensatz zu Der Verboten scheinen bei ihnen die Minuten aber zu rennen. Ein hohes Tempo und eine grosse Dichte an Sounds prägen ihre Klangästhetik.
‘How Noisy Are The Rooms?: Almut Kühne, Joke Lanz und Alfred Vogel
How Noisy Are The Rooms? stellt gerne Fragen..
Das Trio mit Alfred Vogel, Joke Lanz und Almut Kühne stellt gerne Fragen: Wieviel Noise erträgt ein Raum oder auch: kann Musik ein Schleudertrauma auslösen? Improvisation mit viel Energie, punkiger Ästhetik und schneller Interaktion vermittelt den Zuhörenden an Konzerten von How noisy are the rooms? das Gefühl, Kugeln in Flipperkästen zu sein, die hin und her geschleudert werden. Die kreative musikalische Anarchie des Trios auf der Bühne fordert ihr Publikum heraus, manchmal überfordert sie sogar. Alfred Vogel betont: «Ich will die Leute eigentlich nicht überfordern. Verstehen folgt auf Zuhören. Man muss einfach die Ohren aufmachen und im besten Fall macht’s was mit dir.»
Turntables und Whistle Notes
Die treibenden Rhythmen von Alfred Vogel am Schlagzeug und die Stimmakrobatik von Almut Kühne verleihen der Musik von How Noisy Are The Rooms? archaischen Charakter — Perkussion und Stimme sind wohl die ältesten Instrumente der Menschheit. Joke Lanz, der mit seinen Turntables Soundsamples loopt und verzerrt, bringt eine performative, elektro-analoge und auch humoristische Komponente ins Spiel.
Alfred Vogel vor dem Konzert von How Noisy Are The Rooms? im Live-Interview am Jazz Festival Willisau 2023.
Alfred Vogel wollte früher Rockstar werden, diese Energie steckt heute noch in How Noisy Are The Rooms?. Er sei aber froh, habe er einen anderen Weg eingeschlagen: sein jetziges Musikschaffen sei divers und reichhaltig.
Postmusikalisches Wimmelbild
Wie ein Wimmelbild setzt sich die Musik des Trios aus eklektischen Klängen und kurzen, pointierten Phrasen zusammen. Klare Strukturen, Harmonien und greifbare Melodien gibt es nicht in ihrem Klangmosaik. Trotzdem wecken die musikalischen Streitgespräche der drei Musiker:innen Bilder in den Köpfen: Ich fühle mich in eine dröhnende Grossstadt versetzt oder als Teil einer Game-Animation.
Durch ihre Dichte und Fülle an musikalischen Einzelteilen treffen How Noisy Are TheRooms? den heutigen Zeitgeist einer unruhigen Welt. Alfred Vogel erzählt im Interview: «Musik oder Kunst soll immer auch die Welt spiegeln in der wir leben. Was ist überwältigend? Die Geschehnisse heutzutage in dieser Welt sind auch alle überwältigend. Alles passiert gleichzeitig. Everything, everywhere, all at once. So ist das auch in unserem Sound». How Noisy Are the Rooms? ist die grösste Entdeckung für mich an der diesjährigen Ausgabe des Jazz Festival Willisau. Luca Koch
Der Genfer Komponist, Interpret und Kurator Alexandre Babel erhielt einen der Schweizer Musikpreise des Bundesamts für Kultur 2021. Am 17. September findet die feierliche Preisübergabe in Lugano statt. Im Gespräch erzählt Babel was er unter Komposition und Kuration versteht und wie er diese Tätigkeiten verwebt.
Gabrielle Weber
Alexandre Babel, Perkussionist, Komponist und Kurator, bewegt sich auf Avantgarde-Konzertbühnen, an Jazzfestivals, in Galerien und an Kunstbiennalen. Zwischen Berlin und Genf verbindet er klassische Avantgardemusik, Klangkunst, experimentelle Improvisation und Performance.
Es gebe so viele Arten zu komponieren, wie es Komponierende gebe, sagt Alexandre Babel. Komponieren umschreibt er deshalb lieber mit “Organisation von Klängen in Zeit und Raum”. Diesem Kompositionsverständnis sei auch das Kuratieren nahe. “Auch hier geht es darum, dass man existierende Klangobjekte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit in Bewegung bringt und diese Objekte dann mit anderen Objekten in Verbindung setzt”.
Komponieren und Kuratieren: das sind für Babel verschiedene Seiten ein und derselben Tätigkeit. Babel kreiert, konzipiert, inszeniert, vernetzt und interpretiert.
Alexandre Babel, 1980 in Genf geboren, fand durch seinen ersten Schlagzeuglehrer in Genf zunächst zum Jazz. Anschliessend spezialisierte er sich in New York bei Jazzlegenden wie Joey Baron oder Jeff Hirshfield weiter und spielte in verschiedenen Formationen. „Am Jazz faszinierte mich nicht nur die Ästhetik, sondern vielmehr wie Musiker miteinander umgingen, um Musik zu kreieren. Das Mischen von Repertoire und Improvisation: das war für mich die Basis des Musikmachens“.
Gleichzeitig angezogen von der klassischen musikalischen Avantgarde, wechselte er bald zum klassischen Schlagzeug und fand, zurück in Europa, zur Komposition. John Cage, Morton Feldman, Alvin Lucier, Heiner Goebbels oder Helmut Lachenmann waren dann für Babels kompositorischen Weg wegweisend.
Bereits in ersten Stücken wie music for small audiences für kleine Trommel solo, setzt er sich dabei insbesondere auch mit der Rolle des Interpreten auseinander. “Mit Music for small audiences begann eine eigentliche Liebesgeschichte mit der kleinen Trommel”, meint Babel.
In einem seiner ersten Stücke, ‘music for small audiences’ erkundet Alexandre Babel neue Klänge für kleine Trommel solo und rückt die Rolle der Perkussion im Musikbetrieb in den Fokus.
Interpret – Improvisator – Komponist
Als Schlagzeuger ist Babel heute vielgleisig unterwegs: als feiner leiser Improvisator, als lauter experimenteller Drummer bspw. mit der Band „Sudden infant“ im Duo mit Joke Lanz oder als Interpret zeitgenössischen Schlagzeugrepertoires in diversen Formationen.
Gleichzeitig komponiert und kuratiert er und entwickelt Projekte für eigene Formationen wie bspw. das Berliner Kollektiv Radial, zusammen mit der Videokünstlerin Mio Chareteau.
„Musikmachen sehe ich als mehrere Prozesse. Der erste ist das ‚Denken‘ von Musik, also das Komponieren, dann die Übermittlung an jemanden, der die Musik realisiert, und zuletzt das Aufführen für ein Publikum: mich faszinieren alle diese Prozesse“, meint Babel.
Alle seine Tätigkeiten verbindet das Zusammendenken von Kreation und Interpretation und auch ein Interesse am Visuellen, am Raum und am Performativen.
“Was möchte ich sehen und was möchte ich hören..”
Komponieren beginnt für Babel immer mit einer Begegnung oder ist gar eine Begegnung. So entstehen Babels Kompositionen meistens konkret für Musikschaffende.
Die InterpretInnen hat er dabei immer vor Augen und lässt sich -nicht zuletzt- auch durch ihre Bewegungen, ihre Gesten beim Spiel inspirieren. Im Stück The way down für das Duo Orion bspw. ging Babel vom gemeinsamen Musizierens des Duos aus und inszenierte dieses akustisch und auch performativ.
Alexandre Babel, The way down pour violoncelle et piano, Duo Orion (Gilles Grimaître, piano, Elas Dorbath, Cello) 2020
«Am Anfang eines Projekts stelle ich mir die Frage: ‘Was möchte ich sehen und was möchte ich hören’: Das Visuelle ist für mich genauso wichtig wie das Klangliche. Das Duo Orion hat bspw. eine besondere Körperlichkeit beim Musizieren. Ich entwickelte für das Duo ein Stück, in dem die Gesten fast sportlich sind. Es entstand fast ein Tanz oder eine Choreografie», sagt Babel.
Kuratieren als permanenter Dialog
In idealer Weise seien seine drei Tätigkeiten, Komposition, Interpretation und Kuration in der künstlerischen Leitung des Festival les amplitudes (La-Chaux-de-Fonds, Herbst 2020) zusammengekommen, sagt Babel. „Ich hatte hier die Chance alle meine Aspekte innerhalb eines Objekts -das Festival und gleichzeitig die Stadt La Chaux-de-Fonds – zu verbinden: Ich dachte das Festival als eine Riesen-Komposition aus einzelnen Teilen – einer Kunstausstellung, Liveperformances, Drum Sets und Kompositionen für den Raum. Daraus bildete sich eine neue Einheit“.
Seit 2013 leitet Babel das Perkussionsensemble Eklekto Geneva Percussion Center. Es besteht aus zirka 20 MusikerInnen in loser Zusammensetzung. “Eklekto bietet für mich eine Gelegenheit, ungewöhnliche Perkussionssituationen zu entwickeln”. Alle Projekte entstehen in engem Austausch und Zusammenarbeit mit den Komponierenden und den MusikerInnen. “Kuratieren ist ein permanenter Dialog mit den beteiligten Musikschaffenden”.
Aufmerksames Hören
Pauline Olivero’s Stück Earth ears, ein sog ‘Sonic Ritual‘ von 1989 für freie Besetzung, sei charakteristisch für sein Verständnis von Kuratieren, meint Babel: „Die Musiker spielen nach dem Gehör. Es gibt keine geschriebene Partitur. Man muss sich selbst und auch dem ganzen Ensemble zuhören und darauf reagieren. Im Stück geht’s um Klang, um Raum und ums aufmerksame Zuhören: das ist für mich die Basis des Musikmachens”, sagt Babel.
Pauline Oliveros’ ‘Earth ears’, ein ‘Sonic Ritual’ und offen zu interpretierendes Stück von 1989, ist charakteristisch für Babels Ansatz des Kuratierens.
Wichtig ist für Babel zudem sein grosses Perkussionsensemble mit 15 Schlagzeugern aus dem Eklekto-Pool. „Wir haben klare Regeln: wir spielen auswendig und es wird nicht dirigiert: das Spielen ohne Leader schafft eine enorme Energie und Präsenz und eröffnet gleichzeitig neue Kommunikationswege, fast schon auf radikale Weise“.
‘Choeur mixte’reflektiert das klassische Setting von Kammermusik und rückt zugleicht das oft unterschätzte klassische Orchester-instrument ‘kleine Trommel’ in ein neues solistisches Licht. Eine weitere Liebeserklärung an die kleine Trommel.
Im Stück ‘choeur mixte’ für 15 kleine Trommeln, spielen die Perkussionisten ihre Instrumente stehend, zu einem Keil formiert, im Lichtspot auf leerer Bühne. Sie agieren stark aufeinander bezogen: das Stück strahlt eine Kraft als Gruppe und gleichzeitig Eigenverantwortung der einzelnen InterpretInnen aus.
Musik ohne Klang
Aktuell arbeitet Babel u.a. an einem Kompositionsauftrag für die Kunstbiennale Venedig 2022. Zusammen mit der Schweiz-basierten franco-marokkanische Bildenden Künstlerin Latifa Echakhch gestaltet er den Schweizer Pavillon. Babel sieht sich dabei mit einer speziellen Herausforderung konfrontiert: Echakhch wünschte sich von Babel eine Komposition ohne realen Klang. „Das ist für mich eine wichtige und besondere Aufgabe: durch den gemeinsamen Kreationsprozess nähern wir uns Lösungen an, wie Musik ohne Klang klingen kann“, sagt Babel. Momentan entstehen dafür kurze Musikstücke, die die Basis bilden für die finale Musik der Stille. Gabrielle Weber
Am Freitag, 17. September 2021, findet die feierliche Preisverleihung im Lugano Arte e Cultura (LAC) in Lugano statt. Am Wochenende treten einige der PreisträgerInnen im Rahmen des Longlake Festival Lugano auf.
Der diesjährige Grand Prix musique ging an Stephan Eicher. Die weiteren PreisträgerInnen: Alexandre Babel, Chiara Banchini, Yilian Canizares, Viviane Chassot, Tom Gabriel Fischer, Jürg Frey, Lionel Friedli, Louis Jucker, Christine Lauterburg, Roland Moser, Roli Mosimann, Conrad Steinmann, Manuel Troller, Nils Wogram.