Alles was unser Menschengeschlecht ausmacht..

Der Basler Komponist Roland Moser erhielt einen der Schweizer Musikpreise des Bundesamts für Kultur. Sein ehemaliger Kompositionsstudent Burkhard Kinzler, mittlerweile selbst arrivierter Komponist und Theoriedozent in Zürich, gibt Einblick in Mosers in Denken und Schaffen.

 

Roland Moser ©Louis Moser zVg Roland Moser

 

Burkhard Kinzler
Als ich – ein junger, kirchenmusikalisch geprägter angehender Komponist – 1992 zum ersten Mal von Heidelberg nach Basel zu meinem Unterricht bei Roland Moser fuhr, konnte ich noch nicht ahnen, wie prägend, ja entscheidend für mein Leben diese Stunden für mich werden würden. Ich war gespannt, aber auch skeptisch: ich kannte meinen zukünftigen Lehrer bisher überhaupt nicht, hatte eigentlich zu Kelterborn gewollt, von dem ich ein paar Stücke gesungen hatte, bei diesem war aber kein Studienplatz frei. «Kannst es ja mal versuchen bei Moser», dachte ich mir, «und wenn’s nicht funkt, hörst du halt wieder auf».

Nach der ersten Lektion war dieser Gedanke wie weggewischt – es hatte gefunkt. Roland Moser hat mir die Augen geöffnet, sein Blick auf alte wie auf neue Musik war eine Offenbarung für mich. Dieser Mann kannte ALLES. Und ein derart eigenständiges, so kompromissloses wie konkret an der Partitur orientiertes musikalisches Denken war mir vorher noch nicht begegnet.

Seine Gabe, meine kompositorischen Versuche zu lesen, sich in sie hineinzudenken und dann Fragen zu stellen, habe ich je länger je mehr bewundert. Sie hat mich um Quantensprünge vorwärts gebracht. Seine Fragen entlarvten mehr als einmal das nicht zu Ende Gedachte auf liebevoll-diskrete Weise.

Das muss auch anderen so gegangen sein, und so ist es kein Wunder, dass der Löwenanteil meiner Theoriedozierenden-Kollegen nur schon an der ZHdK* aus Rolands Schule kommt.

 

Roland Moser ©Louis Moser zVg Roland Moser

 

Keine Note Musik hatte ich von Roland Moser gekannt, also begann ich bald einmal, Stücke von ihm aufzutreiben (das war damals deutlich schwieriger als heute), sie zu studieren und auch aufzuführen, zunächst mit meinem kleinen Ensemble für neue Musik und im Rahmen meiner Professur in Mannheim. Bspw. die so präzise formulierten wie hintergründig humorigen Stücke seines «Kabinetts mit Vierteltönen» für 2 Klaviere haben mich wie auch meine damaligen Studierenden bezaubert.

Roland hat mir später einmal im Spass vorgehalten, dass ich fast ausschliesslich seine «Gelegenheitswerke» zur Aufführung bringen würde. Um dann gleichzeitig anzudeuten, dass diese Stücke, scheinbar nur Randprodukte, auf verwickelte Weise eine durchaus wesentliche Rolle in seinem – inzwischen eindrücklich umfassenden – Oeuvre spielen.

Ein gutes Beispiel hierfür sind seine «Quatre cadres harmoniques» für Flöte, Klarinette, Violine, Cello und Klavier, deren erster Satz für Altflöte und Bassklarinette solo für mich so etwas wie ein heimliches Zentrum von Roland Mosers Schaffen darstellt.

Nicht umsonst verwendet er dieses sparsame, auf eine Partiturseite passende Zweieinhalbminutenstück auch in anderen Kompositionen, etwa in «Kleine Differenzen über einen Grund» für Bläserquintett (6. Satz). Auch hier erscheint es als Ausgangspunkt und gedankliche Mitte.

 


Roland Moser, Kleine Differenzen über einen Grund für Bläserquintett, Ensemble Contrechamps 2005, Eigenproduktion SRG

 

Wie komme ich zu dieser Einschätzung?
Nun, anhand dieser wenigen Töne lassen sich wesentliche Denk- und Klangrichtungen von Roland Mosers Musik aufzeigen: Da wäre zunächst die strenge, ungeschwätzige Sparsamkeit: kein Ton zu viel, keinerlei «Zierrat», jeder Klang präzise gehört und genau an dem Ort, wo es ihn braucht.

 

Keine  “Just-Intonation-Sauce” – kein spektralistisches Spektakel

Dann die Beschäftigung mit der Obertonreihe, die bei Roland Moser nicht einfach zu einer “Just-Intonation-Sauce” oder einem “spektralistischen Spektakel” führt; Mosers Nachdenken über die Konflikte zwischen (natürlicher) Physik und (temperierter) Kultur erzeugt Klänge, in denen dieser Konflikt zum Erlebnis wird. Die Kontrapunktik der beiden Instrumente in diesem Satz ist derart angelegt, dass buchstäblich jeder Zusammenklang in einem Teiltonverhältnis steht; gleichzeitig sind die Interpret*Innen dazu angehalten, ihre Intonation eben nicht anzupassen, sondern in der gleichstufigen Temperatur zu verbleiben. So erscheint die Natur-Klanglichkeit als Chimäre, die wie mit den Händen (bzw. den Ohren) zu greifen scheint und sich doch nur als Fata Morgana herausstellt.

Damit das alles im Ohr der Zuhörenden passieren kann, braucht es die Geduld und die Fähigkeit zur Langsamkeit des Komponisten. Beides hat Roland Moser zur Genüge.

Unbedingt zu erwähnen ist auch die rhythmisch ungebundene, aber gestisch immer eindeutige Art der Dauern-Notation, die Roland Moser bei seinem Freund György Kurtag gelernt hat.

All die genannten Grund-Bedingungen führen zu einem – nur zweistimmigen – Stück von ungeheurer Konzentriertheit und einer unmittelbar aus der Klangkonzeption entstehenden Ausdruckskraft, die ihresgleichen sucht.

 

Partiturseite «Quatre cadres harmoniques», erster Satz für Flöte, Klarinette, Violine, Cello und Klavier: für Burkhard Kinzler ‘ein heimliches Zentrum von Roland Mosers Schaffen’

 

Das “Romantik-Projekt”

Nun wäre es absolut ungerechtfertigt, Roland Mosers weitgespanntes Oeuvre auf dieses «Stücklein», wie er selbst es wohl nennen würde, zu reduzieren. Es gibt grosse, sein gesamtes kompositorisches Leben bestimmende Projekte wie etwa das «Romantik-Projekt». Zu einer Zeit, als die romantische Dichtung gegenüber spät- und post-expressionistischen Ausdrucksweisen bei den meisten seiner Zeitgenossen als vorgestrig galt, beschäftigte Roland Moser sich unbeirrt mit Dichtern wie Heine und vor allem Brentano. Er schaffte es, dieser scheinbar so lieblichen Sprache ihr anarchisches Potenzial abzulauschen und eine eigene, neuartige Klanglichkeit dafür zu finden.

In diesen Zusammenhang gehört auch die permanente Auseinandersetzung mit der Musik Franz Liszts und vor allem Franz Schuberts, zu der Roland Tiefgründiges zu sagen weiss und auf die er in seinem eigenen Werk immer wieder reagiert hat. Etwa in den «Echoräumen» nach Schuberts Trauermusik oder in der Bearbeitung des Andante h-moll für fragmentarisches Orchester.

 


Roland Moser,  Echoraum nach Schuberts Trauermusik (Nonett D79) für Kammerorchester, Kammerorchester Basel, 2018, Eigenproduktion SRG

 

Hier zeigt sich auch Mosers Verhältnis zum Orchester, das er selbst als «gebrochen» bezeichnet hat – und doch war es ihm möglich, so gewichtige Werke wie «WAL – für schweres Orchester» zu schreiben.

 


Roland Moser,  WAL für schweres Orchester mit 5 Saxophonen (1980/83), Basel Sinfonietta und Xasax Saxophonquartett, Eigenproduktion SRG

 

Auch seine grosse Oper «Avatar» kreist ums Romantisch-Phantastische, wie auch auf ganz andere Weise sein zweites Bühnenwerk «Rahel und Pauline», welches das Kunststück fertigbringt, einen Briefwechsel (zwischen Rahel Varnhagen und Pauline Wiesel) zur Szene zu bringen, also lebendig zu machen.

So vieles gäbe es noch zu sagen über Roland Mosers Werk und Wirken. Roland Mosers Kosmos hat Berührungs- und Anregungspunkte in der gesamten menschlichen Geschichte – hierin manifestiert sich seine zutiefst humane, menschenfreundliche Haltung. Sein Werk ist Ausdruck einer tiefen, gleichzeitig kritischen wie von Zuneigung geprägten Auseinandersetzung und Kommunikation mit dem Menschen und allem, was unser Menschengeschlecht ausmacht.
Burkhard Kinzler

 

Roland Moser am Komponieren ©Louis Moser zVg Roland Moser

 

*Theorie-Dozierende ZHdK u.a.: Felix Baumann, Kaspar Ewald, Mathias Steinauer, Felix Profos, Bruno Karrer, Lars Heusser

Das Romantik-Projekt wird dieses Jahr fortgeführt mit einer Uraufführung zu den letzten symphonischen Dichtungen Schuberts, aufgeführt durch das KOB unter der Leitung von Heinz Holliger.

24. Juli 2021, Lübeck, Schleswig-Holstein Musikfestival: Uraufführung dreisätzige Fassung der letzten symphonischen Skizzen von Franz Schubert (D 936A) von Roland Moser. 
Kammerorchester Basel, Leitung Heinz Holliger.
Weitere Daten/Orte:
15.8. Stadtcasino Basel

21. August, Festival Les Jardins musicaux, Rondchâtel Villiers bei Biel/Bienne:  Uraufführung «Die Europäerin», Musiktheater von Roland Moser, nach dem Mikrogrammm 400 von Robert Walser; mit Leila Pfister, Niklaus Kost, Jürg Kienberger, Conrad Steinmann (BAK-Preisträger 2021), Alessandro d’Amico, Helena Winkelman

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Weitere Daten/Orte:
18. September: Festival Rümlingen 2021, Musiktheater#3
29./30. Januar 2022: Basel Gare du Nord

Im Sommer 2021 erscheint eine neue CD mit Cello-Soli und Duos mit Klavier, Violine, Oboe d’amore, Blockflöte mit: Katharina Gohl Moser, Anton Kernjak, Helena Winkelman, Matthias Arter und Conrad Steinmann.

Detlev Müller-Siemens, György Kurtág, Felix Baumann, Bruno Karrer, Lars Heusser, Leila Pfister, Katharina Gohl Moser, Jürg Kienberger

 

Neo Profile
Roland Moser, Burkhard Kinzler, Kammerorchester Basel, Festival Les jardins musicauxHeinz Holliger, Kaspar, Neue Musik Rümlingen, Mathias Steinauer, Felix Profos, Matthias Arter, Helena Winkelman, Basel Sinfonietta, Anton Kernjak,  Xasax Saxophonquartett

 

Leidenschaft für Klang in der Natur

“A l’ur da l’En” – INNLAND – AUsLAND

Interview mit Daniel Ott, Co-Initiator und Mitglied des künstlerischen Komitees Festival Neue Musik Rümlingen

Neue Musik Rümlingen 2016 © Schulthess Foto

Gabrielle Weber
Das kleine Basellandschaftliche Festival Neue Musik Rümlingen ist dieses Jahr zu Gast im Unterengadin. Pionier der Inszenierung von Klang in der Natur ist es seit bald dreissig Jahren ein begehrter Geheimtipp. Das Gespräch mit Daniel Ott, Co-Initiator und Mitglied des künstlerischen Komitees, dreht sich um die Inszenierung von Musik im öffentlichen Raum, um den Umgang mit Unvorhersehbarem und um individuellen Zugang zu Musik.

Daniel Ott, mit der kommenden Festival tragen Sie den Rümlinger Gedanken vom Baselbiet ins Engadin: Wie kommt es zu diesem Besuch?

Rümlinger “Ausflüge” haben eine gewisse Tradition; wir besuchten bereits früh Basel oder angrenzende Gemeinden. 2013 führten wir dann das Festival ganz an einem anderen Ort durch. Wir wanderten zu Fuss von Chiasso nach Basel, spielten unterwegs mit lokalen Bandas und kooperierten mit befreundeten Festivals wie dem nahe am Unterengadin gelegenen Festival Klangspuren Schwaz im Tirol. Damals entstand die Idee einer grösseren Zusammenarbeit mit Schwaz die wir dieses Jahr verwirklichen. Gemeinsam bieten wir zwei Klangwege an, die jeder an einem Tag begangen werden können, einen im Unterengadin, kuratiert von Rümlingen, einen zweiten vom Tirol ins Engadin, kuratiert von Schwaz. Als Partner gewannen wir ausserdem die Fundaziun Nairs in Scuol, die visuelle Installationen beisteuert, sowie das Theater Chur, das seine Saisoneröffnung diesmal im Engadin abhält. Als Höhepunkt der beiden Klangwege treffen wir uns in der Mitte am Abend zum gemeinsamen Konzert und Fest in Scuol.

Neue Musik Rümlingen 2016, Daniel Ott: “CLOPOT – ZAMPUOGN”

2016 übernahmen sie zusammen mit Manos Tsangaris die künstlerische Leitung der Biennale für Neues Musiktheater München und überführten damit ihren Ansatz ins städtische Umfeld: Woher stammt Ihre Leidenschaft für die Verbindung von Klang und Natur oder öffentlichem Raum?

Dazu gibt es eine kleine Vorgeschichte: Vor 20 Jahren lud mich Peter Zumthor ein, Musik für seinen „Klangkörper Schweiz“, den Schweizer Pavillon bei der Expo 2000 in Hannover zu entwickeln, und reagierte seinereits architektonisch auf die Resultate unserer gemeinsamen Klangversuche.  Es ist aber weder realistisch noch nachhaltig, für jede musikalische Idee einen neuen Raum bauen zu lassen. Deshalb begann ich mich mit Klang in vorgegebenen Situationen zu beschäftigen, wo ich nicht alle Parametern beeinflussen kann. Die entstehenden Unwägbarkeiten lernte ich als Bereicherung zu schätzen. Ich beziehe mich damit unter anderen auf John Cage, der Zufälle in sein kompositorisches Denken mit aufgenommen hat, um eine grössere Klang- und Musikvielfalt zu ermöglichen.


Festival Neue Musik Rümlingen, excerpts 2017

Wo befindet sich das Publikum im Kontext Klang und öffentlicher Raum?

Musik wird immer von einem einzelnen Menschen rezipiert. Ich möchte individuelle Zugänge ermöglichen und orientiere mich eher an der Bildenden Kunst, wo das Publikum seit jeher selber entscheidet in welchem Rhythmus Werke rezipiert werden. Jeder gehörte Teil ist repräsentativ, jeder Blickwinkel ist gültig.

“Ein Stück ist vollständig, auch wenn nicht alles gehört oder gesehen wird.”

Landschaften tragen Geschichten in sich, Menschen geben Geschichten über Generationen weiter. Jedes einzelne Leben ist ein Roman. Dies in Kunst umzusetzen ist wichtig. Kunst ist Kommunikation.

Daniel Ott © Manu Theobald

Worauf dürfen wir im Engadin speziell gespannt sein?

Als grosses Eingangsfenster in Lavin hüllt Peter Conradin Zumthor in Con Sordino, ein Remake einer Rümlinger Arbeit, die Glocken der Laviner Kirche in Schaffell ein. Es entsteht ein verfremdeter Klang, der eher an elektronische Musik als an Kirchglocken erinnert. Wir konnten Beat Furrer gewinnen, einen Gedichtzyklus von Leta Semadeni, Schriftstellerin aus Lavin, die seit Jahrzehnten in Valader, dem Unterengadiner Romanisch, schreibt, zu vertonen. Die Uraufführung findet in einer wunderschönen schmucklosen kleinen Kapelle in Sur En d’Ardez statt. Peter Conradin Zumthor taucht die alte Holzbrücke von Lavin in Nebel ein – die Holzbrücke wird zur Nebelbrücke.


Peter Conradin Zumthor, Grünschall7 (Rüttler) Solo Drums, 2019

Am Inn wird Christian Wolff in seinem legendären Stück Stones aus dem Jahr 1968 in einer neuen Engadiner Version mit Steinen aus dem Inn zu erleben sein. Daneben tritt Jürg Kienberger in Innehalten, einem theatralen Stück, selbst auf. Viele Stationen werden mehrfach für jeweils eine kleine Gruppe von Zuhörern aufgeführt. Es entstehen sehr persönliche und unterschiedliche Darbietungen.
Interview Gabrielle Weber

Neue Musik Rümlingen, Klangspuren Schwaz, Fundaziun NairsTheater Chur

Festival Neue Musik Rümlingen:
14./15. September 2019 Unterengadin; 16. November 2019, Epilog Kirche Rümlingen:

neo-profiles:
Neue Musik Rümlingen, Daniel Ott, Beat Furrer, Peter Conradin Zumthor