Contrechamps Genève feiert das Hören

Ensemble Contrechamps Genève startete eine dichte Saison mit zahlreichen Highlights. Das Programm ist exemplarisch für die neue Ausrichtung des wichtigsten Genfer Ensemble für zeitgenössische Musik unter der künstlerischen Leitung des Perkussionisten Serge Vuille. Er übernahm Contrechamps vor fünf Jahren und hat die Ensemble-DNA seither radikal neu geprägt. Serge Vuille im Gespräch:

 

Portrait Serge Vuille © Serge Vuille

 

Gabrielle Weber
Contrechamps bespielt den grossen Konzertsaal der Victoria Hall in Genf, es eröffnet die Festivals Biennale Musica Venezia oder Sonic Matter Zürich oder es lädt ganz einfach – ohne Konzert – zu einem Vinyl- und neo.mx3.ch-Release-Hörwochenende in Genf ein. Die unterschiedlichen Veranstaltungen sind charakteristisch für die neue Ausrichtung des traditionsreichen Ensembles unter Serge Vuille.

„Contrechamps sucht ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Musik-Praktiken“, sagt Vuille. Da sind einerseits Konzerte mit Instrumentalmusik für grosses Ensemble, oft verbunden mit Komponistenpersönlichkeiten und der jungen Szene der Romandie, andererseits Projekte in Verbindung mit anderen Sparten und Musikgenres, in Kombination mit Visuellem und Performativem, Elektronik, Pop oder Jazz. Und immer geht es Vuille auch um ganz spezielle Hörerlebnisse.

Für Ersteres stand anfangs Saison beispielsweise ein Konzert zum 65. Geburtstag des Genfer Komponisten Michael Jarrell, ein „traditionelles“, dirigiertes Konzert für große Ensembles in der Victoria Hall. Contrechamps gab dazu sieben neue kurze Stücke an seine Studierenden in Auftrag. „Damit unterstützen und fördern wir die regionale Kreationsszene, das ist uns ein wichtiges Anliegen“, sagt Vuille.

Ende 2022 veranstaltete es bereits eine Hommage an Éric Gaudibert, vor zehn Jahren verstorbener Lausanner Komponist, der die Szene wesentlich prägte. Dabei führte es nebst Gaudibert 22 neue Stücke ehemaliger Studierender auf, Miniaturen von je nur zirka einer Minute Dauer, in ganz unterschiedlicher, frei gewählter Besetzung.

 


Éric Gaudibert, Skript, pour vibraphone et ensemble, Contrechamps, Bâtiment des Forces Motrices de Genève, Concours de Genève, 2009, Eigenproduktion SRG/SSR

 

In einem ganz anderen Kontext und Setting, zur Eröffnung der Biennale Musica Venezia, zeigte Contrechamps GLIA für Instrumente und Elektronik, ein Werk der 2009 verstorbenen US- Elektropionieren und Klangkünstlerin Maryanne Amacher aus dem Jahr 2005. An Amachers Schaffen interessiert Vuille auch der Aspekt spezieller gemeinsamer Hörerfahrung: Zur Festivaleröffnung in einer grossen leergeräumten und abgedunkelten Halle der umgenutzten Schiffswerft Arsenale, ging das zahlreiche Publikum (darunter auch die Autorin), umgeben von Lautsprechern, extremen Klangveränderungen umherwandernd nach: die Instrumentalist:innen spielten auf einem Podest, als vibrierende Klangskulptur, oder sie bewegten sich mit den Zuhörenden. „GLIA ist  fast eine Klanginstallation, ein Teil des Stücks spielt sich in den Innenschwingungen im Ohr ab, nicht im Raum und es basiert nicht auf einer Partitur, sondern auf mündlichen Schilderungen damals Beteiligter: das fordert einen hohen kreativen Anteil von jedem Einzelnen der Interpreten“, sagt Vuille.

 

Maryanne Amacher, ‘GLIA’ am Eröffnungskonzert der Biennale Musica Venezia, Contrechamps, Arsenale 16.10.2023 © Gabrielle Weber

 

Zurück zu den Gaudibert-Miniaturen: sie finden sich nun auf einer der eingangs erwähnten neuen Vinyl-Schallplatten und markieren den Beginn der neuen Vinyl-Reihe Contrechamps/Speckled-Toshe, zusammen mit dem Lausanner Label Speckled-Toshe. „Die 22 Kompositionsaufträge von je einer Minute, das war eine immense Arbeit und es entstanden so vielfältige Werke, dass wir die Hommage mit einem bleibenden Objekt dieser neuen Generation beschliessen wollten. Die Schallplatte ist dafür das passendste Format: es gibt kaum etwas Besseres sowohl in Bezug auf die Aufnahme- und Übertragungsqualität, als aufs Objekt“.

 


Daniel Zeas, «Eric – Cara de Tigre» für Ensemble und Tonband, eine der 22 Miniaturen auf der neuen Vinyl-Schallplatte, Contrechamps / Speckled-Toshe 2023: Der Hintergrund: Gaudibert sei Zea im Traum kurz nach dessen Tod als lachender Tiger erschienen: er habe danach lange geweint zwischen Trauer und Freude.

 

Zum Vinyl-launch lud Contrechamps wieder zu einem speziellen Hörerlebnis ein: im les 6 toits , einem angesagten Genfer Kulturzentrum auf einer ehemaligen Industriebrache, konnte man sich ein Wochenende lang in Hörlounges die neuen Vinyl-Releases und eigene Lieblings-Schallplatten zu Ohr führen. Und mit einer Vernissage wurde auch das frisch veröffentlichte Contrechamps-Audioarchiv auf neo.mx3.ch gefeiert. Dazu gab’s live-aufgenommene oder -ausgestrahlte Radiosendungen auf RTS und SRF2Kultur rund ums Hören und qualitatives Aufnehmen zeitgenössischer Musik.

Wie Vinyl stehe die SRG-online-Plattform neo.mx3.ch für eine Art des Hörens und eine Sorgfalt der Produktion: „Beide sind darin verbunden, dass sie der zeitgenössischen Musik Visibilität und Dauer verleihen – durch sorgfältige Neueditionen und die Pflege von historischen Archiven“.

Auf der Plattform für das Schweizer zeitgenössische Musikschaffen finden sich auch zahlreiche selten gespielte Werke in ungewöhnlicher Besetzung, wie Michael Jarrells «Droben schmettert ein greller Stein» von 2001 für Kontrabass, Ensemble und Elektronik.

 


Contrechamps nahm Jarrells Stück 2005 im Radiostudio Ansermet unter der Leitung von George Benjamin auf, Eigenproduktion SRG/SSR.

 

Contrechamps lädt sukzessive sein gesamtes umfangreiches Radioarchiv hoch, zurückgehend bis 1986, den frühsten Aufnahmen. Es sei wichtig, dass solche Plattformen existierten und  geschätzt  würden. „Viele der Stücke sind sonst nirgends hörbar: das ist einzigartig“, sagt Serge Vuille.

Entdecken lässt sich auch zum Beispiel Feux von Caroline Charrière. Die 1960 in Fribourg geborene Komponistin Charrière verstarb früh, bereits 2018, und Contrechamps setzt sich für ihr Werk ein. Vuille ist es auch ein Anliegen, dem Schaffen von Komponistinnen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen und zu einer ausgewogeneren Genderbalance in der zeitgenössischen Musik beizutragen.

 


Feux für Flöte, Klarinette, Marimba, und Streicher von Caroline Charrière, dirigiert von Kaziboni Vimbayi, führte Contrechamps 2019 in der Genfer Victoria Hall auf, Eigenproduktion SRG/SSR.

 

Am Eröffnungskonzert des diesjährigen Zürcher Festivals Sonic matter präsentiert Contrechamps neue Stücke von drei Komponistinnen aus dem Nahen Osten für kleines elektronisches Ensemble. Da kommen weitere Leidenschaften Vuilles zusammen: „Ich interessiere mich schon lange sehr für die Szene des Nahen Ostens. Sie ist in Bezug auf Kreation, insbesondere in allem, was mit Elektronik zu tun hat, sehr lebendig“, sagt Vuille. Dass Sonic Matter dieses Jahr mit dem Gastfestival Irtijal aus Bejrut kollaboriert, sei eine hervorragende Gelegenheit zur ersten Zusammenarbeit. Und sicherlich auch für einzigartige Hörerfahrungen.
Gabrielle Weber

 

Erwähnte Veranstaltungen:
Festival Sonic Matter: Becoming / Contrechamps 30.11.2023, 19h (Einführung 18h)
Biennale Musica Venezia, Maryanna Amacher, GLIA / Contrechamps, 16.10.2023
Genève, Les 6 toits: Contrechamps: Partage ton Vinyle!, 20-22.10.2023

Speckled-Toshe; Contrechamps/Speckled-Toshe:
1.Vinyl: 22 Miniatures en hommage à Éric Gaudibert
2.Vinyl: Benoit Moreau, Les mortes

Sonic matter, Nilufar Habibian, Irtijal, les 6 toits

Sendungen SRF Kultur:
Musik unserer Zeit, 18.10/21.10.23: Partage ton Vinyle! Ensemble Contrechamps Genève feiert das Hören, Redaktion Gabrielle Weber
neoblog, 7.12.22: Communiquer au-delà de la musique, Autorin Gabrielle Weber
neoblog, 19.6.2019: Ensemble Contrechamps Genève – Expérimentation et héritage, auteur Gabrielle Weber

Sendungen RTS:
L’écho des pavanes, 21.10.23: Aux 6 toits, enregistrer la musique contemporaine,  auteur: Benoît Perrier
Musique d‘avenir, 30.10.23, Partage ton Vinyle, ta cassette ou ta bande Revox!  auteur: Anne Gillot

Neo-Profile:
Contrechamps, Daniel Zea, Festival Sonic Matter, Benoit Moreau

 

 

Grösstmögliche Freiheit – Ligetis Atmosphères neu interpretiert

«Tuns contemporans», Biennale für Neue Musik Graubünden, findet vom 29.3. bis zum 2.4. zum dritten Mal statt. Mit Motto «100 Jahre Ligeti» beleuchtet es den wegweisenden Komponisten auch aus heutiger Sicht. Atmosphères, Ligetis monumentales Orchesterwerk bekannt aus Kubriks «Space Odyssee 2001», kommt im Theater Chur als raumumspannende Klanginstallation zur Neuinterpretation. Ein Gespräch mit Martina Mutzner, Initiatorin und künstlerische Leiterin des Projekts.

 

28. Mai 2023: 100. Geburtstag György Ligeti

Gyoergy Ligeti, Februar 1992 Stadttheater Bern ©Alessandro della Valle

 

Gabrielle Weber
Wenn ein Schlüsselwerk der musikalischen Avantgarde unerwartet grosse Verbreitung fand, dann sicherlich Atmosphères von György Ligeti. Stanley Kubriks Weltraumepos «Space Odyssee 2001» von 1968 trug dazu bei, dass Ligetis eindrückliches Orchesterwerk, uraufgeführt an den Donaueschinger Musiktagen 1961, weltweit berühmt ist: im Film begleitet es eine fast zehnminütige Kamerafahrt durch abstrakt-verfliessende Weltraum-Farbfelder, die zum Fortschrittlichsten gehören, was 1968 an Kamera- und Tricktechnik möglich war. Oder war es umgekehrt: begleitet das Bild die Musik?

 

Klangfarbenflächenkomposition

 

Atmosphères, Ligetis mikropolyphones 87-stimmiges Orchesterwerk verschaffte ihm bereits davor in Fachkreisen den grossen Durchbruch. Sein neuer kompositorischer Ansatz, bei dem Klangfarben und -flächen strukturelle Elemente ablösen, wurde mit Begeisterung aufgenommen: bei der Uraufführung in Donaueschingen wurde es auf Wunsch des Publikums gleich zweimal gespielt. Mit Kubrik hingegen stand Ligeti jahrelang im Rechtsstreit, da dieser Atmosphèreszunächst ohne den Komponisten anzufragen und ohne ihn zu entgelten verwendete.

 


György Ligeti, Atmosphères, Sinfonieorchester Basel, 2015, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Das Churer Vermittlungsprojekt nimmt die Idee des Komponierens mit Klangfarbenflächen wie auch den Bekanntheitsgrad des Werks zum Ausgangspunkt. In einer immersiven partizipativen Konzert-klanginstallation ersteht Ligetis Atmosphères neu, interpretiert durch 81 Stimmgruppen: über ein halbes Jahr entwickelten Schulklassen, semiprofessionelle Musiker:innen und Laien, die Mitglieder zwischen 7 und 77 Jahren alt, ihre eigenen Klangflächen. In Workshops, begleitet von Musiker:innen des Churer ensemble ö! und der Kammerphilharmonie Graubünden, entstanden so die einzelnen Schichten eines grossen Gesamtklangs.

In diesen kann man nun während des ganzen Festivals im Innenbereich des Theaters Chur, übertragen über ein Lautsprechersystem und eingebettet in eine Lichtszenografie à la Kubrik, eintauchen.

 

Apparitions für Orchester (1958/59) ist eines der ersten Werke, in denen György Ligeti mit Klangflächen komponierte, Aufnahme mit der Basel Sinfonietta unter Johannes Kalitzke, 2003, Eigenproduktion SRG SSR

 

Ligetis Idee der grösstmöglichen kompositorischen Freiheit habe den Ausschlag zur Wahl dieses Vermittlungsprojekts gegeben, so Martina Mutzner, die Projektverantwortliche.

«György Ligeti hat mit Atmosphères ein Stück geschrieben, das sich gegen die damals gängigen Kompositionsdogmen wendete. Atmosphères steht stellvertretend für einen freigeistigen Umgang mit künstlerischem Material und im übertragenen Sinne auch mit dem Menschen“. Es gebe kein richtig oder falsch. Deshalb sei es so geeignet für ein partizipatives Projekt mit Laien-Musiker:innen.

 

Inventarisieren und Botanisieren

Sie seien einen „umgekehrten Weg gegangen“. Zuerst hätten sie, inspiriert von Atmosphères, improvisiert, Klänge entwickelt und aufgezeichnet. «Wir sammelten die Klangflächen. Es war wie ein Inventarisieren oder Botanisieren“, meint Mutzner. David Sontòn Caflisch, künstlerischer Leiter der Biennale, erstellte dann aus den Einspielungen Partituren für Instrumentalparts. Flöten-, Harfen- und Streichergruppen ergänzen nun die vokalen und geräuschhaften Klangflächen zu den vorgegebenen 87-Stimmen Ligetis.

Entstanden ist eine kompositorische Assoziation zu Ligetis Klangflächenkomposition im weitesten Sinne, und damit etwas komplett Neues: dies passe zum Konzept der Biennale mit Ligeti im Zentrum, der mit Mentorinnen und Schülerinnen in Beziehung gesetzt werde. An den vier grossen Konzerten im Theater Chur stehen u.a. Werke von Béla Bartók und Sándor Veress, Komponisten die Ligeti prägten, aber auch von Detlef Müller-Siemens, Michael Jarrell oder Alberto Posadas, die er wiederum prägte, sowie Uraufführungen im Dialog mit Ligetis Oeuvre.

 

Michael Jarrell, music for a while pour orchestre 1995, ensemble contrechamps, Dirigent Jürg Henneberger, Eigenproduktion SRG SSR

 

Ihre Leidenschaft für Neue Musik und deren Vermittlung bringt Mutzner ins Projekt ein: „Atmosphères wählten wir auch, da es durch Stanley Kubricks Space Odyssey Eingang in die Populärkultur gefunden hat. Viele Leute haben es schon gehört, aber wissen nicht, was es ist.“ Von den Mitwirkenden und auch den Ensembleleitenden, hätten einige noch kaum mit zeitgenössischer Musik zu tun gehabt. „Die Aufnahmen klangen schlussendlich so, als würden sie regelmässig in einem Ensemble für zeitgenössische Musik proben. Die Musizierenden waren in diesem vielbeschworenen Flow, und das überträgt sich auf die Zuhörenden“, so Mutzner.

Konsequente Öffnung von Neuer Musik

Die konsequente Öffnung von Neuer Musik für ein breiteres Publikum ist generelles Anliegen der Churer Biennale. Fanden die Konzerte pandemiebedingt 2021 nur online statt, so wird auch diese Ausgabe gesamthaft online live-gestreamt. Zudem setzt sich die «tuns contemporans» auch nachhaltig für eine ausgewogenere Gendermischung im Klassikbetrieb und für eine Erneuerung des Orchesterrepertoires ein: 2021 fand erstmals ein «Call for Scores for ladies only!» statt, aus dem drei Uraufführungen von Komponistinnen hervorgingen. Auch diese Ausgabe kommen drei neue Stücke zur Uraufführung. Gewählt wurden aus 78 eingereichten Werken Los tiempos del alma für kleines Ensemble der kürzlich verstorbenen jungen argentinischen Komponistin Patricia Martinez (*1973-2022), von Areum Lee (*1989) aus Korea leer für grosses Ensemble und la via isoscele della sera für Streichorchester der Italienerin Caterina di Cecca (*1984).

 

Oscar Bianchi, Contingency für Ensemble (2017), aufgezeichnet mit dem Ensemble der Lucerne Festival Alumni, dirigiert von Baldur Brönnimann, 2020, Eigenproduktion SRG SSR.

 

Die Zusammenarbeit mit dem Orchestra della Svizzera Italiana im Konzert am Samstagabend – u.a. kommt von Oscar Bianchi Exordium von 2015 zur Aufführung – und die Verpflichtung von Mario Venzago als Gastdirigent oder das Abschlusskonzert mit dem Ensemble Vocal Origen, im roten Turm zuoberst auf dem Julierpass, garantieren dieser dritten Festivalausgabe Synergien und eine Öffnung der Neuen Musik über das Lokale hinaus.
Gabrielle Weber

 

Roter Turm auf dem Julierpass © Benjamin Hofer

 

Tuns contemporans – Biennale für Neue Musik Graubünden 2023
Atmosphères: partizipatives generationenübergreifendes Konzertprojekt: Teilnehmende –Profimusiker*innen, passionierte semiprofessionelle Musiker*innen, Musikschüler*innen und begeisterte Laien

 

György Ligeti, Detlev Müller-Siemens, Alberto Posadas, Béla Bartók, Sándor Veress, Origen Festival Cultural, Mario Venzago, Caterina di Cecca, Areum Lee, Patricia Martinez, Martina Mutzner: Musiksalon

Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, 24.5.2023: György Ligeti 100: Autor Michael Kunkel
neoblog, 7.4.2021: tuns contemporans 2021 – Graubünden trifft Welt, Autorin Gabrielle Weber

Neo-Profile:
György Ligeti, tuns contemporans, Ensemble ö!, Kammerphilharmonie Graubünden, David Sontòn Caflisch, Oscar Bianchi, Michael Jarrell, Ensemble Vocal Origen

Communiquer au-delà de la musique 

Eric Gaudibert, Genfer Pianist, Komponist und Dozent war eine Schlüsselfigur der zeitgenössischen-experimentellen Musikszene der Romandie. Verstorben vor zehn Jahren, prägte er als Pädagoge eine ganze Generation Musikschaffender und förderte wichtige Ensembles für zeitgenössische Musik. Vom 09. bis zum 17. Dezember veranstalten diese für ihn gemeinsam ein Festival mit Marathonkonzert in der Genfer Victoria Hall. Dabei kommen auch 22 Miniaturen seiner ehemaligen Studierenden zur Uraufführung.

Gabrielle Weber
Sie heissen Contrechamps, Ensemble Vortex, Eklekto Geneva Percussion Center oder Nouvel Ensemble Contemporain (NEC) und gemeinsam ist ihnen nicht nur, dass sie in der zeitgenössischen Musikszene der Romandie sehr aktiv sind, sondern auch, dass alle einen starken Bezug zu Eric Gaudibert haben.

Daniel Zea, Serge Vuille und Antoine François, die künstlerischen Leiter von Vortex, Contrechamps und NEC, initiierten das Festival als kollaboratives Projekt: «die Idee entstand spontan als wir uns über Eric unterhielten und es ergab sich ganz von selbst, dass wir es gemeinsam angehen wollten», meint Daniel Zea, denn Gaudibert sei für die Entwicklung der ganzen Szene wichtig gewesen. In der Haute école de musique Genève (HEMG) finden nun eine Tagung, ein Filmscreening mit table ronde, sowie ein Konzert von Vortex statt. In der Victoria Hall gibt es zum Schluss ein Marathonkonzert der Ensembles zusammen mit dem Orchester der HEMG.

 

Portrait Eric Gaudibert ©DR zVg. Contrechamps

 

Als «communiquer au-delà de la musique», ein Kommunizieren über die Musik hinaus, bezeichnete Gaudibert, was ihn zum Unterrichten antreibe. Dieses Kommunizieren erprobte er zunächst in Frankreich, wo er nach dem Klavierstudium in Lausanne und dem Kompositionsstudium in Paris ab 1962 im Bereich der «Animation», der Musikvermittlung, in ländlichen Regionen tätig war. Anschliessend, zurück in der Schweiz, unterrichtete er viele Jahre Komposition am Conservatoire Populaire de Genève, bevor er an die HEMG wechselte. Bereits Michael Jarrell oder Xavier Dayer, beides heute namhafte Komponisten und Dozenten mit Wurzeln in Genf, waren seine Schüler. Viele weitere nationale und internationale Laufbahnen begleitete er als künstlerische Leitfigur, Förderer und Netzwerker.

Serge Vuille, Leiter von Contrechamps, selbst kein direkter Schüler von Gaudibert, beindrucke am «Phänomen Gaudibert» dessen nachhaltige Präsenz in der Szene, die sich auch daran gezeigt habe, wie rasch weitere Partner fürs Festival zugesagt hätten. Contrechamps arbeite laufend mit ehemaligen Schüler:innen zusammen, seien es Interpret:innen oder Komponist:innen. «Am Festival wollte ich deshalb diesen Lehrer-Schüleraspekt in zweierlei Richtungen abbilden», sagt Vuille.

Da ist einerseits Nadia Boulanger, Gaudiberts Theorielehrerin in Paris: von ihr bringt Contrechamps ein Orchesterwerk zur Aufführung. Boulanger unterrichtete ihrerseits zahlreiche, heute weltweit gespielte Komponierende. Ihr eigenes Werk wird hingegen selten aufgeführt. Sie sei als Komponistin verkannt, da sie selbst hauptsächlich als Pädagogin wahrgenommen werde, so Vuille.

Andererseits gab Contrechamps im Kreis von Gaudiberts ehemaligen Studierenden Kurzkompositionen in Auftrag. Angesichts der hohen Zahl von 45 Absolvent:innen fragte man «nur» einen regional überschaubaren Kreis von weiterhin in der Romandie tätigen oder mit der Romandie verbundenen an. Von diesen sagten mit zwei Ausnahmen alle zu. «Dieses klare Bekenntnis seiner Schüler:innen war beeindruckend», sagt Serge Vuille.

Mit Vorgabe einer Dauer von nur einer Minute und offener Besetzung, vom grossen Ensemble bis zum Solo und ggf. Tonband, werden nun 22 Miniaturen aufgeführt, darunter Stücke von Arturo Corrales, Fernando Garnero, Dragos Tara oder Daniel Zea.

Daniel Zea hebt noch einen anderen Aspekt der Lehrer-Schüler-Kommunikation hervor: «Wir alle sind sehr dankbar dafür, was er uns mitgegeben und ermöglicht hat. Zugleich war es ein Hin und Her: Eric war offen und neugierig – ihn interessierte was uns interessierte. Wir beeinflussten ihn zum Beispiel mit unserem Interesse an unserer traditionellen Musik». Zea stammt wie einige Absolvent:innen von Gaudiberts Kompositionsklasse aus Südamerika. Sein Ensemble Vortex fand in Gaudiberts Unterricht zusammen und wurde von ihm bis zuletzt begleitet und gefördert.

 


Hekayât, pour rubâb, hautbois, hautbois baryton, alto et percussion, 2013 Eigenproduktion SRG/SSR, interpretiert von Khaled Arman an der Rubâb, einer arabischen Laute, ist eines der späten Werke Gaudiberts, in denen er Instrumente, deren Interpret:innen und Spielweisen aus anderen Kulturräumen zu integrieren sucht.

 

Elektroakustik und Diversität

 

Gaudibert, geboren 1936 in Vevey, studierte in Paris bei Nadia Boulanger und bei Henry Dutilleux, und ist vor allem für seine poetischen klangmalerischen Instrumentalwerke bekannt. Es gibt aber auch andere, weniger bekannte Seiten:Zurück in der Schweiz, forschte er in den frühen siebziger Jahren in seiner selbstbezeichneten «experimentellen» Phase im Experimentalstudio des Radios in Lausanne an elektronischen Klängen.

 

Portrait Eric Gaudibert zVg. Contrechamps

 

Vortex widmet ein Konzert am 10. Dezember ganz seinen elektroakustischen Werken, was der multimedialen Ausrichtung des Ensembles entspricht: «es ist eine wichtige, viel zu selten gezeigte Phase seines Schaffens», sagt Daniel Zea. Zusammen mit John Menoud, Komponist und Multiinstrumentalist, besuchte er Gaudiberts Witwe Jacqueline, wobei sie Videos, Tonkassetten und Partituren durchforstet hätten. Zur Aufführung kommen nun Stücke für Instrumente und Tonband oder Live-Elektronik, die oft nur ein-zwei Mal aufgeführt wurden, interpretiert von Musiker:innen, die eng mit Gaudibert zusammen gearbeitet haben. Benoît Moreau spielt bspw. En filigrane für Epinette (Spinett) und Tonband, das nur einmal, durch Gaudibert selbst an der Uraufführung 20018 gespielt wurde – Moreau war damals dabei.

 

Die Stückauswahl fürs Schlusskonzert zeigt die Vielseitigkeit Gaudiberts. «wir entschieden uns für eine Kombination von Schlüsselwerken wie Gong – sein letztes grosses Ensemblewerk – mit selten gespielte Stücken, um die Diversität seines Schaffens zu zeigen», so Vuille. Gong ist dem Pianisten Antoine Françoise gewidmet, der es auch am Festival interpretiert, zusammen mit Contrechamps. François, heute international gefragter Solo-Pianist und Leiter des NEC, hatte gleichfalls eine enge Beziehung zu Gaudibert. Selbst Pianist, begleitete und unterstützte Gaudibert die Entwicklung von François seit der ersten Begegnung als er 16 Jahre alt war und setzte auf sein Können für die anspruchsvolle Partie in Gong mit erst 24  Jahren.

 


Gong &Lémanic moderne ensemble, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Nebst Instrumentalwerken ist auch in der Victoria Hall Gaudiberts elektroakustische Phase vertreten: Vortex bringt Ecritures von 1975 für eine Stimme und Tonband, entstanden im Experimentalstudio in Lausanne, in einer neuen Version für vier im Raum verteilte Stimmen zur Aufführung. «Das Stück lebt weiter mit neuen technischen Möglichkeiten. Das wäre in Gaudiberts Sinn gewesen», sagt Zea. Dass seine ehemaligen Studierenden weiterhin kollaborativ zusammenarbeiten, das hätte Eric Gaudibert sicherlich gleichfalls begrüsst – als Kommunizieren über die Musik hinaus.
Gabrielle Weber

Nadia Boulanger, Henri Dutilleux

 

 Im Filmportrait: Eric Gaudibert, pianiste, compositeur, enseignant (Plans fixes, 48min, Suisse, 2005) äussert sich Gaudibert zu seinen grossen Themen, bspw. seine Vorliebe für Literatur und Malerei, die Zeit in Paris, das Unterrichten und die Einflüsse anderer Kulturen in sein Musikschaffen: der Film steht im Zentrum einer Roundtable am Genfer Festival Gaudibert am 10. Dezember.

 

Festival Gaudibert:
9./10. Dezember 2022, HEMG: Tagung / Konzerte: An der Tagung an der HEMG diskutieren u.a. die Komponisten und Dozenten Xavier Dayer, Nicolas Bolens oder der Musikethnologe und Interpret Khaled Arman.
17.Dezember 2022, Victoria Hall Genève, 18:30h: Marathonkonzert Contrechamps, Eklekto, le NEC, Vortex, orchestre de la HEMG, Dirigent: Vimbayi Kaziboni, Gaudibert, Boulanger, UA 22 Miniaturen:

Sendung RTS:
musique d’avenir, 6.2.23: Festival Gaudibert 2022, Redaktorin/Autorin Anne Gillot

Neo-Profile
Eric Gaudibert, Daniel Zea, Antoine Françoise, Arturo Corrales, Fernando Garnero, Dragos Tara, Ensemble Vortex, Contrechamps, Nouvel Ensemble Contemporain, Eklekto Geneva Percussion Center, John Menoud, Benoit MoreauEnsemble Batida, Xavier Dayer, Michael Jarrell

Ein Wettbewerb lässt aufhorchen

Die drei Preisträger stehen fest!
1. Preis: Yiquing Zhu
(Shanghai) für sein Werk Deep Grey mit der Basel Sinfonietta unter Peter Rundel
2. Preis: Arthur Akshelyan
(Yerevan) für sein Werk Three pieces for Orchestra mit dem Sinfonieorchester Basel unter Francesc Prat
3. Preis: Miguel Morate
(Valladolid) für sein Werk Comme s’en va cette onde mit dem Kammerorchester Basel unter Frank Ollu

Gabrielle Weber
Bereits zum dritten Mal findet die Basel Composition Competition (BCC) statt. Eine Woche lang wird Basel zum Zentrum der Neuen Orchestermusik. Zwölf internationale Kandidaten treten zum Wettstreit mit Ihren neuen Stücken an, uraufgeführt durch die drei grossen Basler Klangkörper, dem Sinfonieorchester Basel, der Basel Sinfonietta und dem Kammerorchester Basel. Pandemiebedingt finden die Konzerte ohne Live-Publikum statt, werden aber live gespielt und online gestreamt. Am Finalkonzert am Sonntag kommen drei bis fünf aus den Vorrunden bestimmte Werke nochmals zur Aufführung. Und die Jury vergibt die finalen Preise live, vor Ort.

Portrait Michael Jarrell, Juryvorsitz ©zVg Basel Composition Competition

 

Der internationale biennale Wettbewerb soll neue Werke für Orchester aus der Taufe heben. Und er knüpft damit an die Tradition der Förderung gewichtiger Orchesterwerke durch Paul Sacher an. Die Paul Sacher -Stiftung ist denn auch am Wettbewerb mit in der Jury vertreten und bringt ihr Knowhow ein.

Dass ein solches Grossprojekt in Basel Realität werden konnte, ist dem Initianten und Leiter Christoph Müller zu verdanken, der auch das Kammerorchester Basel managt. Er ist überzeugt, dass Neue Musik so spannend ist, dass sie nicht nur einen Platz als Zugabe neben Klassikern der Orchesterliteratur verdient. Ihm schwebt vor, dass der Wettbewerb möglich macht, dass die Stücke ins Standartrepertoire der drei oder auch weiterer grosser Klangkörper Eingang finden.

Zum Wettbewerb wurden 12 Kandidaten eingeladen. An drei Konzerten werden ihre neuen Stücke durch die drei Orchester uraufgeführt. Sieben für Sinfonieorchester, fünf für Kammerorchester. Das ist erstaunlich zu Pandemiezeiten.

Müller ist deshalb speziell glücklich über den Austragungsort Don Bosco, das neue Basler Kulturzentrum. Hier finden sich ideale Bedingungen. Es können bspw. pandemiebedingte Abstände zwischen den Musiker*innen eingehalten werden und es gibt genügend räumliche Distanz zwischen Jury und Orchester.

Sakiko Kosaka, Micro roots, Kandidatin BCC 2019

Der Basler Wettbewerb auferlegt -ungleich anderen- kaum Ausschlusskriterien oder Einschränkungen, weder eine Alterslimite, noch Diplome. Einzige Bedingungen: die eingereichten Stücke dürfen noch nicht aufgeführt oder prämiert worden sein.

Kandidat*innen aus der ganzen Welt

Dass die Basel Composition Competition damit ein Desiderat erfüllt, zeige auch die hohe Zahl an Anmeldungen, meint Müller. Denn nicht alle Komponierenden absolvieren einen ‘geraden Weg’ und sind im genau richtigen Alter ‘reif’ für einen Wettbewerb.

355 Bewerbungen waren es insgesamt, aus allen Alterssgruppen – es gab Kandidat*innen zwischen 14 und 87 Jahren-, mit unterschiedlichstem musikalischem Hintergrund. Und sie stammten aus der ganzen Welt. Allerdings war der Anteil an Frauen mit nur 8% sehr bescheiden.

Natürlich sind auch die Dirigenten Peter Rundel, Franck Ollu und Francesc Prat, die höchstes musikalisches Niveau versprechen, die online-Verbreitung der Stücke und die hohe Gesamtpreissumme von 100’000.- CHF, die ansehnliche Preise verspricht, attraktiv.

Anonymes Verfahren

Das Verfahren der Vorausscheidung verlief anonym. Bewertet wurden einzig die eingereichten Partituren, ohne die zugehörigen CVs.

Für die Auswahl war eine hochkarätige internationale Jury zuständig, die unter dem Vorsitz des Komponisten Michael Jarrell aus Genf tagte. Die Vorauswahl fand an einem intensiven Wochenende im November 2020 statt.

Der Jury gehören die in Berlin lebende koreanische Komponistin Unsuk Chin, die Schweizer Komponisten Beat Furrer und Andrea Lorenzo Scartazzini und Dr. Felix Meyer, der Direktor der Paul Sacher Stiftung an. Mit dabei sind auch drei Vertreter*innen der mitwirkenden Orchester.

 

Unsuk Chin, Komponistin / Jurymitglied 2021 ©zVg Basel Composition Competition

Zum Wettbewerb sind -ausser zwei Kandidaten, die pandemiebedingt per Zoom dabei sind- alle Eingeladenen angereist. Und das von weit her, aus Japan, Korea, China, Spanien, Deutschland oder den Vereinigten Staaten. Üblicherweise wohnen die Komponierenden den Proben der Konkurrent*innen bei. Diesmal begleiten sie -pandemiebedingt- nur die Entstehung ihres eigenen Stücks.

Das Schweizer Musikschaffen ist diesmal untervertreten. Mit Artur Ashkelyan aus Armenien ist ein Tonschöpfer aus der Schweizer Szene vertreten, er studierte Komposition an der Haute école de musique de Genève. Für ihn hat der Wettbewerb eine besondere Bedeutung, denn ungleich den meisten anderen Kandidaten komponierte er bislang vor allem kammermusikalische Werke. Sein neues Stück ‘Three pieces for orchestra‘ wird nun vom Sinfonieorchester Basel uraufgeführt.

Artur Akshelyan, Kandidat 2021: Sinouos for Piano Trio 2015

Die letzte, die zweite Ausgabe von 2019 des hochdotierten Basler Preises wurde in der Szene konträr diskutiert. Denn trotz allmählich grösserer Gender-Balance in den einschlägigen Neue Musik-Institutionen gelang es dem jungen Wettbewerb offenbar nicht, Komponistinnen in die Jurorenrunde zu integrieren.

Man habe sich bemüht, geeignete Frauen für die Jury zu gewinnen, sagt Müller. Verschiedene seien angefragt worden, aber aus diversen Gründen kam es zu Absagen.

Das sieht nun etwas anders aus. Mit Unsuk Chin ist eine international renommierte Komponistin dabei.

Hingegen schaffte es diesmal, entgegen den Ausgaben 2017 und 2019, keine einzige Frau in den Final-Wettbewerb. Das ist alarmierend, aber nicht erstaunlich angesichts der geringen Zahl eingereichter Werke von Frauen. Müller möchte deshalb Frauen speziell ermutigen sich zu bewerben.

Die Basel Composition Competition setzt ein Zeichen dafür, dass grosse Klangkörper zusammenstehen und sich fürs heutige Musikschaffen einsetzen können. Das ist wichtig, gerade in einer Zeit, in der es kaum Auftrittsmöglichkeiten gibt und Orchester hohe Auflagen zu bewältigen haben.

Rückmeldungen der Komponisten, die es in den Wettbewerb schafften, bestätigen das. Dass sein neues Stück durch ein tolles Orchester live gespielt und einem weltweiten Publikum zugänglich gemacht werde, gerade jetzt, sei eine unschätzbare Chance, meint der Kandidat aus Deutschland, Oliver Mattern. Und der Japaner Hiroshi Nakamura, angereist aus Tokyo, kann es kaum fassen, dass sein Stück von Peter Rundel dirigiert wird. Denn er bewundere den Dirigenten schon seit jungen Jahren, seitdem er in Japan einer von ihm geleiteten Aufführung von Luigi Nonos Prometeo beiwohnte.

Zu hören gibt es diesmal auf jeden Fall Spannendes: 12 Stücke aus der ganzen Welt, 12 völlig verschiedene Zugänge auf die Gattung Orchesterwerk. Viele Stücke nehmen Bezug auf andere Sparten und Medien, auf Visuelle Kunst, auf Philosophie, Nô-Theater, oder Physik und Astronomie. Zudem geht es um die Gegenwart, die aktuelle Pandemie-situation oder um Spiritualität oder Religion.

Und spannend bleibt es bis zum Schluss, wenn die drei Preise vergeben werden.

Zu wünschen fürs nächste Mal wären weitere Jurorinnen, und vor allem auch mehr Frauen, die sich bewerben und wieder weibliche Preisträgerinnen.
Gabrielle Weber

Die drei Wettbewerbskonzerte werden live gestreamt und sind später online nachzuhören, auf youtube und auf neo.mx3.ch.
Die Wettbewerbsbeiträge der letzten Ausgabe 2019 sind gleichfalls dort zu finden.

Basel Composition Competition, 3. Durchführung: 4.-7.März 2021
Live-Stream 1. Wettbewerbskonzert, Donnerstag, 4.3.21., 19h: Basler Sinfonieorchester, Leitung Francesc Prat
2. Wettbewerbskonzert, Freitag, 5.3.21., 19h: Basel Sinfonietta, Leitung Peter Rundel
3. Wettbewerbskonzert, Samstag, 6.3.21., 19h: Kammerorchester Basel, Leitung Franck Ollu
Abschlusskonzert udn Preisbekanntgabe, Sonntag, 7.3.21., 20h: auf Idagio

Sendungen SRF 2 Kultur:
in Musikmagazin, 6./7.3.21 (anfangs): Annelis Berger im Gespräch mit Gabrielle Weber zur BCC, Redaktion Annelis Berger
Kultur Aktuell / Kultur kompakt, 8.3.21: Besprechung Finalkonzert, Redaktion Benjamin Herzog
Musik unserer Zeit, 21.4.21: Basel composition competition 2021 – drei grosse Klangkörper blicken in die Zukunft, Redaktion Gabrielle Weber

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Basel Composition CompetitionMichael Jarrell, Beat Furrer, Andrea Lorenzo ScartazziniArtur Akshelyan

Von der Geige zum Schlagzeug

Der legendäre Concours de Genève feiert seinen 80ten Geburtstag mit den Disziplinen Komposition und Perkussion. 1939 gegründet, setzt der Wettbewerb damit ein Fanal für das zeitgenössische Musikschaffen.

Live-Stream Finalkonzert Perkussion 21. November 2019, 20h:

Gabrielle Weber
34 junge internationale Perkussionistinnen und Perkussionisten wurden aufgrund eingereichter Videos eingeladen um ihr Können unter Beweis zu stellen. Nur drei davon werden es ins Schlusskonzert am 21. November schaffen. Der solistische Auftritt mit dem Orchestre de la Suisse Romande in der Genfer Victoria Hall, könnte für sie die Pforte zur internationalen Musikwelt weit öffnen.

Wie fühlt es sich an, bevor man sich einer hoch dotierten Jury präsentiert? Was sind Kriterien für die Wahl der Stücke und wie steht es mit der zeitgenössischen Musik und dem Schlagzeug? Der 25-jährige Till Lingenberg, gebürtiger Wallisers, gehört zu den Glücklichen und gibt Auskunft.

Der Concours de Genève habe ein hohes internationales Renommee und bereits die Einladung sei eine Auszeichnung. Zudem sei die Erarbeitung des Repertoire sehr bereichernd. ‘Die Vorbereitung auf einen Concours zwingt einem dazu, viele neue Stücke konzertreif einzustudieren – man bringt immerhin zweieinhalb Stunden Musik zur Aufführung’ so Lingenberg. Die Teilnahme am Schlusskonzert wäre die Krönung und eröffnete berufliche Perspektiven. ‘Es würde mir erlauben, mich in die richtige professionelle Welt zu stürzen. Für eine solistische Karriere bedeutet dieser Wettbewerb sehr viel’.

Portrait Till Lingenberg

Durch die Geige fand Lingenberg zur Perkussion – als er mit fünf Jahren den ersten Geigenunterricht erhielt, hämmerte er lieber auf die Geige als schöne Klänge zu produzieren. So kam eines zum anderen. Den Wechsel hat er nie bereut. Denn das Schlagzeug ist so vielfältig. ‘Man spielt nicht nur ein, sondern zahlreiche Instrumente’.

Gab es Vorbilder? ‘Es waren nie primär die Leute die Schlagzeug spielten die mich faszinierten, sondern das Instrumentarium selbst. Ich bewunderte die Instrumente: es faszinierte mich, sie zu berühren, ja manchmal etwas auszuprobieren, sofern ich durfte’.

Lingenberg liebt das zeitgenössische Repertoire – und schätzt sich glücklich. Denn: ‘wir haben fast keine andere Wahl, als diese Musik zu spielen, angesichts des Repertoires das maximal ein Jahrhundert alt ist’. Für den Concours entschied sich Lingenberg für ‘Moi, jeu..‘ für Marimba (1990) von Bruno Mantovani, ein komplexes Stück, in dem Mantovani -so Lingenberg- ‘mit den Codes des Instruments bricht’. In ‘Assonance VII‘ von Michael Jarrell (1992), dem zweiten gewählten Stück, befindet sich der Interpret inmitten eines regelrechten Parks an Perkussionsinstrumenten. Vibraphon, Tamtam, Gong, Becken, Bongos, Wood-blocks und Triangel etc. ‘Es ist ein fabelhaftes Stück, das alle Möglichkeiten der Multiperkussion darstellt und radikal verschiedene Spielweisen zeigt, es spielt mit Resonanzen, geht manchmal fast bis zum Nicht-Hörbaren’.
Interview: Benjamin Herzog / Gabrielle Weber


Michael Jarrell, Assonance VII (1992), Interpret: Till Lingenberg

Die drei FinalistInnen des Kompositionswettbewerbs wurden per Vorausscheidung bestimmt. Das Lemanic Modern Ensemble unter der Leitung von Pierre Bleuse präsentiert ihre Stücke zusammen mit dem Oboisten Matthias Arter am 8. 11 im Studio Ansermet Genf.

Zwei Special Events flankieren den Concours: am 14. November führen Philippe Spiesser und das Ensemble Flashback im Cern Musik, Video, Elektronik und Wissenschaft zusammen. Am 20. November zeigt Eklekto Geneva Percussion Center in der Alhambra Genf Werke von Alexandre Babel, Wojtek Blecharz und Ryoji Ikeda.

Eklekto Geneva Percussion Center ©Nicolas Masson

Die Ausscheidungen finden vom 8. Bis zum 11. November statt und sind öffentlich zugänglich.
Die Finalkonzerte beider Wettbewerbe werden am 8. 11 (Komposition) und am 21.11. (Perkussion) per Live-Stream (Video) auf neo.mx3 und auf RTS espace deux (Audio) übertragen.

Live-Stream Finalkonzert Komposition 8. November 2019, 20h:

Émissions RTS Espace 2:
En direct:
8 novembre, finale concours Composition au studio Anserme:
Présentation par Anne Gillot + Julian Sykes / Prise d’antenne 18h30 – 22h30

21 novembre: finale concours Percussions au Victoria hall:
Présentation par Julian Sykes / Prise d’antenne 18h – 22h30

Magnétique:
-13 novembre, 17h, , Interview avec Philippe Spiesser, président du jury de percussion: Présentation par Anya Leveillé
-11 – 17 novembre: reportage sur les candidates, présenté par Sylvie Lambelet
RTS Culture: article avec video avant la finale percussion

Sendung SRF 2 Kultur:
16. / 17. November: Musikmagazin aktuell, Redaktion: Benjamin Herzog

Concours de Genève, RTS Culture, SRF 2 Kultur

neo-profiles: Concours de Genève, Lemanic Modern Ensemble, Eklekto Geneva Percussion Center, Till Lingenberg, Michael Jarrell, Alexandre Babel

Reibung erzeugt Wärme – Marianthi Papalexandri-Alexandri am Festival “ZeitRäume Basel”, 13.-22. September 2019

Marianthi Papalexandri-Alexandri

Theresa Beyer
Im Hof des Basler Kunstmuseums zeigt das Festival «ZeitRäume» eine begeh- und bespielbare Klangskulptur. Mit ihrem geheimnisvollen Röhren-Instrument «Untitled VII» leistet die Komponistin und Klangkünstlerin Marianthi Papalexandri-Alexandri ihren Beitrag zur grossen Gemeinschaftsarbeit. Ein Besuch in ihrem Atelier in Wald im Zürcher Oberland.

Früher wurden in diesen grossen, hellen Fabrikräumen Textilien gewebt. Heute wohnen und arbeiten hier Marianthi Papalexandri-Alexandri und der kinetische Künstler Pe Lang. Ihr Loft ist ein Laboratorium voller Maschinen, Elektronik und mechanischen Objekten.

Hinten auf einer Werkbank legt Pe Lang einen Kippschalter um: auf einer schwarzen Pappe beginnt sich eine Scheibe zu drehen, Marianthi holt verschieden grosse Stricknadeln hervor und steckt sie in die Pappe. Mit dieser Geste wird das Objekt zum Instrument: Immer wenn die kleinen Schläuche, die von der Scheibe abstehen, die Nadeln streifen, erklingen feine Glockentöne. Zum Werk «Resonators» wächst das Ganze an, wenn mehrere Performer*innen an mehreren Maschinen nach einem bestimmten Muster Nadeln in die Pappe stecken. Die Konzeption solcher Klang-Settings ist der Kern von Marianthis und Pe Langs Arbeit.


Marianthi Papalexandri-Alexandri und Pe Lang: Modular No.3

Langwierige Materialforschung

Hinter jedem Detail dieser Klangobjekte stecken unzählige Materialtests – auch bei «Untitled VII», das am Zeiträume Festival von der grossen Klangskulptur «Rohrwerk/Fabrique Sonore» einverleibt wird. Im Atelier zeigt Pe Lang den Prototyp: «Die 24 Röhren des Klangkörpers sind aus durchsichtigem Acryl, ein Material, das einen warmen Klang ermöglicht. Jede Röhre ist mit einer TPE Folie überzogen, durch die wir eine Nylonschnur gespannt haben. Und die Rädchen aus Baumwollhartgewebe vorne an den kleinen Elektromotoren sind mit einer Art Kolophonium bestrichen. Durch die erhöhte Reibung wird der Ton erzeugt».

Visualisierung Rohrwerk Fabrique sonore© Made in

Pe Lang knipst die kleinen Motoren des Röhren-Instruments an und ein durchgehender Ton entsteht: komplex, organisch und schön – eine eigenständige Klangskulptur mit Potenzial zu einer Komposition. Um diese zu entfalten, schlüpft Pe Lang in die Rolle des Performers: langsam verändert er die Geschwindigkeiten der Motoren, die Spannung der Nylonschnur und die Position der Klammern, die daran befestigt sind. Der Klang reagiert sofort – mal erinnert er an einen modularen Synthesizer, mal an eine obertonreiche Orgel, mal an die mäandernden Drones von Eliane Radigue oder La Monte Young.

Die Behutsamkeit, mit der dieses Instrument gespielt werden muss, vergleicht Marianthi mit einer japanischen Teezeremonie: «Obwohl hinter jeder Geste grösste Berechnung steckt, wirkt es nach aussen mühelos und leicht. Alle Bewegung folgen einem natürlichen Flow.»

Marianthi Papalexandri-Alexandri: Untitled II (Vorläufer von Untitled VII)

Der Charme des Unperfekten

Im Klangflow von „Untitled II“ mischt noch etwas mit: das Material an sich. „Die Spannung der Membran lässt mit der Zeit nach, das Kolophonium reibt sich ab und die Motoren eiern leicht“, sagt Pe Lang, «Diese Ungenauigkeiten haben wir bewusst eingebaut.» Das Röhren-Instrument, das vorgibt clean, minimalistisch und kontrollierbar zu sein, ist eben gerade keine perfekte Maschine.

Auch deswegen bewegen sich die Klangskulpturen und Kompositionen von Marianthi und Pe Lang immer in einem Zwischenraum. Zwischen genau und ungenau. Zwischen Objekt und Performance. Zwischen mechanisch und elektronisch. Und wenn sie das Atelier in Wald verlassen, landen sie irgendwo zwischen Galerie und Konzertsaal.

Aber wer komponiert hier eigentlich: Die Komponistin, der Performer, oder das Instrument selbst? Genau diese Kategorien versucht Marianthi mit ihren Klangskulpturen aufzulösen. «Ich will Komponist*in, Performer*in und Instrument auf Augenhöhe bringen und so auch Autorschaft hinterfragen». Wer da also genau am Werk ist, hängt immer von der Perspektive ab.
Theresa Beyer

Marianthi Paplexandri-Alexandri: Untitled VI

Die diesjährige Festivalausgabe von «Zeiträume – Biennale für neue Musik und Architektur» in Basel ist mit 30 Projekten die bisher grösste. Vom 15. bis 21. September ist im Innenhof des Kunstmuseum der 45 Meter hohe Klangturm «Rohrwerk/Fabrique sonore» zu erleben. Marianthi Papalexandri-Alexandri ist eine von sechs Komponist*innen und vier Musiker*innen, die diese Mischung aus Pavillon und Musikinstrument zum Klingen bringt.

Am 20. September findet am Festival Zeiträume zudem die Übergabe des diesjährigen Schweizer Musikpreises an u.a. Cod.act, Michael Jarrell, Pierre Favre, Laurent Peter (d’incise) oder das Kammerorchester Basel statt.

Zeiträume – Biennale für neue Musik und Architektur, Marianthi Papalexandri-Alexandri, Pe Lang

neo-profiles: ZeitRäume BaselMarianthi Papalexandri-Alexandri, Pe Lang, Kammerorchester Basel, Michael Jarrell, Pierre Favre, d’incise / tresque

Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, Marianthi Papalexandri-Alexandri, Pe Lang: 11.September, 20h, Wiederholung 14.September, 20h;
Passage: Cod.act -Maschinenmusik aus La Chaux-de-Fonds: 20. September, 20h; Kontext, 20. September