Daniel Zea komponiert für Kartonschachteln und Avatare

Der kolumbianisch-schweizerische Komponist Daniel Zea versteht Klang als plastische Materie. Er verbindet in seinem Werk Klänge, Bewegung, Elektronik und Video mit digitalen Setups. Ein Portrait von Jaronas Scheurer.

Jaronas Scheurer
«Ich komponiere Musik eher als Designer denn als Komponist», meint Daniel Zea im Laufe unseres Interviews. «Mich beschäftigen Dinge wie Symmetrie bzw. Asymmetrie, Ergonomie und Balance und ich verstehe Klang als plastische Materie.» Und Industriedesign hat er auch studiert in Kolumbien, bevor er in Bogotá bei Harold Vasquez-Castañeda ein Kompositionsstudium aufnahm, bevor er nach Genf kam, um bei Eric Gaudibert an der haute école de musique (HEM) fertig zu studieren. Bevor er in Den Hague zwei Jahre am Institut für Sonologie studierte, bevor er das Ensemble Vortex mitgründete und bevor er in Genf an der HEM interaktives Design zu unterrichten begann: Daniel Zeas CV ist lange und vielseitig – Industriedesigner, Komponist, Audiodesigner, Medienkünstler, Programmierer.

 

Daniel Zea als Avatar in seinem Stück “Autorretrato”. © Daniel Zea

 

Daniel Zea schreibt meistens Musik für ein komplexes Netzwerk: Interpret:innen, selbst entwickelte und herkömmliche Instrumente, Elektronik, Videoprojektionen und Computerprogramme werden miteinander verbunden. «Wenn ich mit interaktiven Systemen arbeite, ist es eigentlich jeweils ein Design Projekt: Ich entwickle ein Setup, das Hardware, Software und menschliche Interaktion so verbindet, dass Klang, dass Musik entsteht.» Seine Werke verbinden Bewegung und Klang und resultieren in selbst entwickelten Instrumenten oder in sich in Echtzeit generierenden Partituren – wie z.B. im Stück Box Tsunami von 2021.

 

Daniel Zea hat Box Tsunami 2021 während der Corona-Pandemie für die vier Musiker:innen des Concept Store Quartets komponiert.

 

Box Tsunami

Die Unmenge an verschickten Paketen als Symbol für den Konsumwahn war Ausgangspunkt für Zea: «Ein Mensch vor einer leeren Schachtel – das ist schon sehr poetisch. Was bedeutet das? Wieso sitzt der Mensch da? Wieso ist die Schachtel leer?» Und so beginnt Box Tsunami denn auch: Die vier Musiker:innen sitzen mit ihren Instrumenten und einem Laptop vor grossen Kartonschachteln. Diese sind oben offen und weisses Licht scheint heraus. Es klopft, raschelt und knarzt in den Schachteln. Die Musiker:innen schauen konzentriert auf ihre Laptops und legen zarte, filigrane Klänge über das Rumpeln aus den Schachteln – alle für sich, ohne gross aufeinander zu achten.

Zea hat für Box Tsunami zuerst die klingenden Schachteln entwickelt. Er stattete die Schachteln mit kleinen elektrischen Hämmern und sogenannten Transducern aus, die als eine Art Lautsprecher Signale übertragen. So wird die Kartonschachtel zu einem Instrument, das er elektronisch ansteuert. Die Signale sind jedoch eher leise, weshalb auch die vier Musiker:innen nur leise und zart spielen können. Um die Musiker:innen und die Schachteln kompositorisch zu verknüpfen, werden die elektrischen Hämmer von der Perkussionist:in mittels einem Midi-Drumpad angesteuert. Ein interaktiver Loop verknüpft Musiker:innen und Kartonschachteln und die Partitur wird daraus in Echtzeit generiert. Ähnlich wie während den Corona-Lockdowns sitzen alle gebannt vor ihren Bildschirmen. Sie sind von den Handlungen der anderen und vor allem von den technologischen Kommunikationsmitteln abhängig, aber begegnen sich gar nie dabei. Und darum herum türmen sich die Kartonschachteln aus den Online-Käufen – Box Tsunami.

 

In In Daniel Zeas Selbstporträt und der Soloshow Autorretrato von 2023 sieht man ihn vor einer Kamera sitzen und auf der Leinwand einen überlebensgrossen Avatar von ihm.

 

Autorretrato

Das Setting für Zeas Komposition Autorretrato (Selbstporträt) ist simpler: Zea selbst sitzt vor einer Kamera und auf der Leinwand hinter ihm sieht man einen Avatar, der dieselben Gesichtsbewegungen ausführt. Ein digitaler Doppelgänger. Mit seinen Gesichtsbewegungen kann Zea Klänge ansteuern und manipulieren. Mit der Zeit wird die Leinwand von unterschiedlichen Objekten wie einer Cola-Dose, High Heels, einer Handgranate oder einem Kruzifix bevölkert. Gemacht ist das mittels einer App für Facetracking, die Zea mit dem Audioprogramm verknüpft. Für Autorretrato ist Zea Komponist, Audiodesigner, Softwareentwickler und Interpret in eins. «Das Schwierigste daran war sicherlich das Performen», meinte Zea. «Ich bin es nicht gewohnt, alleine in der Mitte der Bühne zu stehen, und vor der Premiere war ich dementsprechend nervös. Es ist auch ein sehr persönliches Stück. Das ist einerseits riskant, aber es erlaubt mir auch Dinge zu sagen und zu tun, die ich sonst nicht machen würde.»

Autorretrato ist neu und Zea bezeichnet es als «Work in progress»: «Ich würde das Stück gerne noch ausarbeiten und einige Teile ausbauen. Wir arbeiten jeden Tag irgendwie an unserem Selbstporträt weiter», so Daniel Zea. Und so baut Zea weiter: Verbindet Klang und Bewegung, untersucht kompositorisch die subtilsten Regungen des Gesichts, entwickelt Instrumente und bettet dies alles in seinen gesellschaftspolitischen Überlegungen ein.
Jaronas Scheurer

 

Portrait Daniel Zea © Vincent Capes

 

Vom 30. April bis am 5. Mai 2024 widmet sich das Festival les Amplitudes in La Chaux-de-Fonds dem Werk von Daniel Zea. Unter anderem spielt das von Zea mitgegründete Ensemble Vortex Werke von ihm, es wird sein neues Werk für Orchester uraufgeführt und während der ganzen Zeit findet eine Klanginstallation von Daniel Zea und Alexandre Joly statt.

Nejc Grm, Alicja Pilarczyk, Pablo González Balaguer

Sendungen SRF Kultur:
neoblog, 14.10.2020: la ville – une composition géante, auteur Anya Leveillé
neoblog, 23.01.2022 : Portrait unserer Zeit, Autorin Gabrielle Weber

Neo-Profile: Daniel Zea, Concept Store Quartet, Ensemble Vortex, Eric Gaudibert, Jeanne Larrouturou