Grösstmögliche Freiheit – Ligetis Atmosphères neu interpretiert

«Tuns contemporans», Biennale für Neue Musik Graubünden, findet vom 29.3. bis zum 2.4. zum dritten Mal statt. Mit Motto «100 Jahre Ligeti» beleuchtet es den wegweisenden Komponisten auch aus heutiger Sicht. Atmosphères, Ligetis monumentales Orchesterwerk bekannt aus Kubriks «Space Odyssee 2001», kommt im Theater Chur als raumumspannende Klanginstallation zur Neuinterpretation. Ein Gespräch mit Martina Mutzner, Initiatorin und künstlerische Leiterin des Projekts.

 

28. Mai 2023: 100. Geburtstag György Ligeti

Gyoergy Ligeti, Februar 1992 Stadttheater Bern ©Alessandro della Valle

 

Gabrielle Weber
Wenn ein Schlüsselwerk der musikalischen Avantgarde unerwartet grosse Verbreitung fand, dann sicherlich Atmosphères von György Ligeti. Stanley Kubriks Weltraumepos «Space Odyssee 2001» von 1968 trug dazu bei, dass Ligetis eindrückliches Orchesterwerk, uraufgeführt an den Donaueschinger Musiktagen 1961, weltweit berühmt ist: im Film begleitet es eine fast zehnminütige Kamerafahrt durch abstrakt-verfliessende Weltraum-Farbfelder, die zum Fortschrittlichsten gehören, was 1968 an Kamera- und Tricktechnik möglich war. Oder war es umgekehrt: begleitet das Bild die Musik?

 

Klangfarbenflächenkomposition

 

Atmosphères, Ligetis mikropolyphones 87-stimmiges Orchesterwerk verschaffte ihm bereits davor in Fachkreisen den grossen Durchbruch. Sein neuer kompositorischer Ansatz, bei dem Klangfarben und -flächen strukturelle Elemente ablösen, wurde mit Begeisterung aufgenommen: bei der Uraufführung in Donaueschingen wurde es auf Wunsch des Publikums gleich zweimal gespielt. Mit Kubrik hingegen stand Ligeti jahrelang im Rechtsstreit, da dieser Atmosphèreszunächst ohne den Komponisten anzufragen und ohne ihn zu entgelten verwendete.

 


György Ligeti, Atmosphères, Sinfonieorchester Basel, 2015, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Das Churer Vermittlungsprojekt nimmt die Idee des Komponierens mit Klangfarbenflächen wie auch den Bekanntheitsgrad des Werks zum Ausgangspunkt. In einer immersiven partizipativen Konzert-klanginstallation ersteht Ligetis Atmosphères neu, interpretiert durch 81 Stimmgruppen: über ein halbes Jahr entwickelten Schulklassen, semiprofessionelle Musiker:innen und Laien, die Mitglieder zwischen 7 und 77 Jahren alt, ihre eigenen Klangflächen. In Workshops, begleitet von Musiker:innen des Churer ensemble ö! und der Kammerphilharmonie Graubünden, entstanden so die einzelnen Schichten eines grossen Gesamtklangs.

In diesen kann man nun während des ganzen Festivals im Innenbereich des Theaters Chur, übertragen über ein Lautsprechersystem und eingebettet in eine Lichtszenografie à la Kubrik, eintauchen.

 

Apparitions für Orchester (1958/59) ist eines der ersten Werke, in denen György Ligeti mit Klangflächen komponierte, Aufnahme mit der Basel Sinfonietta unter Johannes Kalitzke, 2003, Eigenproduktion SRG SSR

 

Ligetis Idee der grösstmöglichen kompositorischen Freiheit habe den Ausschlag zur Wahl dieses Vermittlungsprojekts gegeben, so Martina Mutzner, die Projektverantwortliche.

«György Ligeti hat mit Atmosphères ein Stück geschrieben, das sich gegen die damals gängigen Kompositionsdogmen wendete. Atmosphères steht stellvertretend für einen freigeistigen Umgang mit künstlerischem Material und im übertragenen Sinne auch mit dem Menschen“. Es gebe kein richtig oder falsch. Deshalb sei es so geeignet für ein partizipatives Projekt mit Laien-Musiker:innen.

 

Inventarisieren und Botanisieren

Sie seien einen „umgekehrten Weg gegangen“. Zuerst hätten sie, inspiriert von Atmosphères, improvisiert, Klänge entwickelt und aufgezeichnet. «Wir sammelten die Klangflächen. Es war wie ein Inventarisieren oder Botanisieren“, meint Mutzner. David Sontòn Caflisch, künstlerischer Leiter der Biennale, erstellte dann aus den Einspielungen Partituren für Instrumentalparts. Flöten-, Harfen- und Streichergruppen ergänzen nun die vokalen und geräuschhaften Klangflächen zu den vorgegebenen 87-Stimmen Ligetis.

Entstanden ist eine kompositorische Assoziation zu Ligetis Klangflächenkomposition im weitesten Sinne, und damit etwas komplett Neues: dies passe zum Konzept der Biennale mit Ligeti im Zentrum, der mit Mentorinnen und Schülerinnen in Beziehung gesetzt werde. An den vier grossen Konzerten im Theater Chur stehen u.a. Werke von Béla Bartók und Sándor Veress, Komponisten die Ligeti prägten, aber auch von Detlef Müller-Siemens, Michael Jarrell oder Alberto Posadas, die er wiederum prägte, sowie Uraufführungen im Dialog mit Ligetis Oeuvre.

 

Michael Jarrell, music for a while pour orchestre 1995, ensemble contrechamps, Dirigent Jürg Henneberger, Eigenproduktion SRG SSR

 

Ihre Leidenschaft für Neue Musik und deren Vermittlung bringt Mutzner ins Projekt ein: „Atmosphères wählten wir auch, da es durch Stanley Kubricks Space Odyssey Eingang in die Populärkultur gefunden hat. Viele Leute haben es schon gehört, aber wissen nicht, was es ist.“ Von den Mitwirkenden und auch den Ensembleleitenden, hätten einige noch kaum mit zeitgenössischer Musik zu tun gehabt. „Die Aufnahmen klangen schlussendlich so, als würden sie regelmässig in einem Ensemble für zeitgenössische Musik proben. Die Musizierenden waren in diesem vielbeschworenen Flow, und das überträgt sich auf die Zuhörenden“, so Mutzner.

Konsequente Öffnung von Neuer Musik

Die konsequente Öffnung von Neuer Musik für ein breiteres Publikum ist generelles Anliegen der Churer Biennale. Fanden die Konzerte pandemiebedingt 2021 nur online statt, so wird auch diese Ausgabe gesamthaft online live-gestreamt. Zudem setzt sich die «tuns contemporans» auch nachhaltig für eine ausgewogenere Gendermischung im Klassikbetrieb und für eine Erneuerung des Orchesterrepertoires ein: 2021 fand erstmals ein «Call for Scores for ladies only!» statt, aus dem drei Uraufführungen von Komponistinnen hervorgingen. Auch diese Ausgabe kommen drei neue Stücke zur Uraufführung. Gewählt wurden aus 78 eingereichten Werken Los tiempos del alma für kleines Ensemble der kürzlich verstorbenen jungen argentinischen Komponistin Patricia Martinez (*1973-2022), von Areum Lee (*1989) aus Korea leer für grosses Ensemble und la via isoscele della sera für Streichorchester der Italienerin Caterina di Cecca (*1984).

 

Oscar Bianchi, Contingency für Ensemble (2017), aufgezeichnet mit dem Ensemble der Lucerne Festival Alumni, dirigiert von Baldur Brönnimann, 2020, Eigenproduktion SRG SSR.

 

Die Zusammenarbeit mit dem Orchestra della Svizzera Italiana im Konzert am Samstagabend – u.a. kommt von Oscar Bianchi Exordium von 2015 zur Aufführung – und die Verpflichtung von Mario Venzago als Gastdirigent oder das Abschlusskonzert mit dem Ensemble Vocal Origen, im roten Turm zuoberst auf dem Julierpass, garantieren dieser dritten Festivalausgabe Synergien und eine Öffnung der Neuen Musik über das Lokale hinaus.
Gabrielle Weber

 

Roter Turm auf dem Julierpass © Benjamin Hofer

 

Tuns contemporans – Biennale für Neue Musik Graubünden 2023
Atmosphères: partizipatives generationenübergreifendes Konzertprojekt: Teilnehmende –Profimusiker*innen, passionierte semiprofessionelle Musiker*innen, Musikschüler*innen und begeisterte Laien

 

György Ligeti, Detlev Müller-Siemens, Alberto Posadas, Béla Bartók, Sándor Veress, Origen Festival Cultural, Mario Venzago, Caterina di Cecca, Areum Lee, Patricia Martinez, Martina Mutzner: Musiksalon

Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, 24.5.2023: György Ligeti 100: Autor Michael Kunkel
neoblog, 7.4.2021: tuns contemporans 2021 – Graubünden trifft Welt, Autorin Gabrielle Weber

Neo-Profile:
György Ligeti, tuns contemporans, Ensemble ö!, Kammerphilharmonie Graubünden, David Sontòn Caflisch, Oscar Bianchi, Michael Jarrell, Ensemble Vocal Origen

Maria Kalesnikava das Gesicht von Belarus

IN CASE YOU MISSED IT: ECLAT AGAIN ONLINE FROM 17.2. till 21.2.!

Gabrielle Weber
Eclat Stuttgart, das Festival für Neue Musik, findet online statt. Ein umfangreicher Schwerpunkt ist der Demokratiebewegung in Belarus gewidmet.

Durch Maria Kalesnikava, seit September 2020 inhaftierte Ikone der friedlichen Demokratiebewegung, hat der Konflikt einen starken Bezug zur Stuttgarter Kulturszene. Als Musikerin, Pädagogin, Vermittlerin und Organisatorin war sie hier während vieler Jahre aktiv. Kalesnikava wird im Rahmen des Festivals mit dem Menschenrechtspreis 2021 der Gerhart und Renate Baum Stiftung ausgezeichnet.

Maria Kalesnikava ©zVg Eclat / Musik der Jahrhunderte Stuttgart


Im Project Echoes – Voices from Belarus finden belarusische und internationale Kunst- und Musikschaffende in kurzen künstlerischen Statements zum Konflikt zusammen.

Mit von der Partie in Echoes – Voices from Belarus sind zwei Komponisten aus der Schweiz, Andreas Eduardo Frank und Oscar Bianchi. Mit Frank und Bianchi unterhielt ich mich zu ihren Arbeiten für Eclat.

Oscar Bianchi traf ich per Zoom in seinem Atelier in Berlin an. Der gefragte, international tätige Schweizer Komponist mit Tessiner Wurzeln ist dem Festival Eclat schon seit langem verbunden und präsentierte in Stuttgart immer wieder neue Stücke.

Sein Projekt zu Belarus habe eine Vorgeschichte, sagt Bianchi. Der tragische Tod von George Floyd durch Polizeigewalt und die mediale Berichterstattung darüber habe ihn traumatisiert. Seine Betroffenheit verarbeitete er im Sommer 2020 zu einem kurzen Stück. Darin ging es Bianchi nicht nur um Rassendiskriminierung, sondern generell um Unterdrückung und Brutalität.

Oscar Bianchi ©Philippe Stirnweiss

Und als Christine Fischer, Intendantin von Eclat Stuttgart, ihn auf ihr Belarus-Vorhaben ansprach, schlug er vor, das Stück nochmals anders zu beleuchten. “Ich will einen Akzent setzen und einen Beitrag dazu leisten, Gehör zu verschaffen, dass jede Form von Brutalität und Unterdrückung nicht toleriert werden dürfen”, sagt Bianchi.


Oscar Bianchi, With you, UA Murten Classics 2020

Auch Fischer initiierte das Belarus-Projekt aus persönlicher Betroffenheit. Denn eine der Hauptanführerinnen der Belarusischen Demokratiebewegung, Maria Kalesnikava, war viele Jahre in der Stuttgarter Kulturszene aktiv, als Musikerin, Pädagogin und Projektleiterin, u.a. an der Musikhochschule oder am Festival Eclat.

Zuletzt leitete Kalesnikava die Social Media-Aktivitäten des Festivals, bevor sie für eine andere Aufgabe nach Belarus zurückkehrte, sich dort sofort der Demokratiebewegung anschloss und in kürzester Zeit zu einer der Leitfiguren avancierte. Zusammen mit Swetlana Tichanowskaja, der Oppositionsführerin, und Veronika Zepkalo, enge Mitarbeiterin, ist sie von diversen Auftritten auf Podien der Demokratiebewegung in lebhafter Erinnerung. Sie wurde am 8. September 2020 verschleppt und ist seither inhaftiert.

Maria Kalesnikava mit Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo an Protesten in Minsk ©zVg Eclat / Musik der Jahrhunderte Stuttgart

Als Maria Kalesnikava, die Bianchi vom Eclat-Festival gut kannte, inhaftiert wurde, sei rasch klar gewesen, dass die Belarusische Regierung auf den Faktor Zeit setze und darauf zähle, dass das mediale Interesse schwinde, so Bianchi.  Umso wichtiger seien solch kulturelle Aktionen, um den Diskurs wachzuhalten und die Menschen zu sensibilisieren.

‘Die Sturmhaube – Symbol für institutionalisierte Macht und Unterdrückung’

Bianchi schloss sich mit der Belarusischen Videokünstlerin Vasilisa Palianina zusammen. In der gemeinsamen Arbeit gingen sie dem Bild von Polizeitruppen in voller Kampfmontur und ‘Balaclava’ (Sturmhaube) nach, stellvertretend für die allgegenwärtige, gewaltbereite Bedrohung in Belarus und in vergleichbaren Konflikten. Die Anonymität durch die Sturmhaube sei ein Symbol für den Verlust von Transparenz, Rechenschaftspflicht und für institutionalisierte Macht und Unterdrückung. Und alles geschehe im Verborgenen.

“Die Bilder und der Klang erzählen zusammen eine eigene Geschichte “, sagt Bianchi zur gemeinsamen Arbeit.

In Voices from Belarus ist auch Andreas Eduardo Frank, Komponist aus Basel, dabei. Franks Musik beinhaltet oft Video und Multimedia oder ist musiktheatralisch angelegt. Für das Belarus-Projekt vertonte er ein Video.

Er ist der Stuttgarter Kulturszene gleichfalls lange verbunden und initiierte im ersten Lockdown das online Coronaprojekt – SuperSafeSociety. Da ging es ums Ausloten neuer digitaler partizipativer Konzertformate. Das Resultat war ein online Musiktheater, das für jeden Zuschauer individuell stattfand. Deswegen sprach ihn auch die Intendantin Christine Fischer fürs Projekt Belarus an. Beim Belarus-Projekt gehe es gerade in Zeiten von Corona auch darum, Künstler in Belarus, die selbst unter der Unterdrückung leiden, zu fördern und zu unterstützen, meint Frank, und war deshalb sofort dabei.

Andreas Eduardo Frank ©Andreas Eduardo Frank

Mit Maria Kalesnikava hatte Frank in diesem Umfeld zu tun. Und es habe ihn nicht erstaunt, sie so plötzlich an vorderster Front der Belarusischen Demokratiebewegung zu sehen. Denn Maria habe eine unglaubliche Ausstrahlung und Anziehungskraft, die begeistere und auch medienwirksam sei.

Frank fand für seinen Beitrag mit dem Belarusischen Videokünstler Mikhail Gulin zusammen. Gulins Video Sisiphus ergänzte er mit einem Soundtrack, bestehend aus genau acht selbstgesprochenen Worten: “exploit / hurt / fought / suppressed / punished / choked / repeat / proceed”.

Frank destillierte diese Worte aus Gesprächen mit Gulin: “Es gibt den Komplex Sisiphus, und es gibt den Komplex Belarus und das Engagement dafür. Beide finden im künstlerischen Kommentar zusammen” meint Frank dazu. Die Parallelen zwischen Sisiphus und dem Künstlerdasein seien natürlich evident, wie das permanente Sich-Abmühen oder das Ausgeliefertsein der Kunstschaffenden gegenüber der mächtigen Staatsmaschinerie.

“exploit / hurt / fought / suppressed / punished / choked / repeat / proceed”

Mit den Worten fütterte Frank einen Sampler und improvisierte dann zum Video mit kleinem elektronischem Setup. Er verfremdete die Worte, spielte sie schneller oder langsamer ab, filterte sie: “Daraus entstanden Klänge wie ‘getriebene Schweine’ oder ersticktes Atmen neben den erkennbaren Wörtern. Und es ist auch eine Spur von bitterer Ironie dabei: die heftigen Wörter erhalten eine andere Semantik, gemeinsam mit dem Bild von herumgeschobenen Heuballen..” sagt Frank.

Andreas Eduardo Frank& Mikhail Gulin: Sisiphos, UA Eclat Stuttgart 2021

Das Projekt hat auch Franks eigene Sensibilisierung für den Konflikt massgeblich verstärkt. “Wir sitzen hier und uns geht’s eigentlich gut – und die Leute dort werden verschleppt und gefoltert, sie verschwinden einfach”. Unvergesslich sei ihm eine Begegnung direkt vor der Fertigstellung des Projekts: Frank habe seinen Teil beendet, Gulin hingegen noch nicht. Worauf Gulin ihm erklärte: “Today, a close friend, was taken to the police. People are imprisoned, abducted, beaten. The judicial system does not work.”
Gabrielle Weber

Frauenpower und mediale Aufmerksamkeit in Belarus, September 2020 ©zVg Eclat/Musik der Jahrhunderte Stuttgart

Mehrere Formate thematisieren am Eclat den Belarusischen Konflikt:
Freitag, 5.2. Echoes – Voices from Belarus: Koproduktionen Belarusischer mit internationalen Kunst- und Musikschaffenden.

Sonntag, 7.2., 17h: Verleihung des Menschenrechtspreises 2021 der Gerhart und Renate Baum Stiftung an Maria Kalesnikava / Konzert Trio vis à vis. Der Preis wird übergeben von Bundesminister a.D. Gerhard Baum, entgegengenommen von der Schwester Kalesnikavas, Tatsiana Khomich.

3.-7.2.: digitale Ausstellung, Belarus – der Weg zu sich selbst: während des ganzen Festivals online zu begehen.

An der 41. Ausgabe von ECLAT gibt es 13 meist live gestreamte Konzerte mit ausschliesslich digitalen Werken und zahlreichen Uraufführungen. Interviews, Chats, Diskussionen, Games u.v.a.m. begleiten durch die fünf Festivaltage.

—————————–

Belarus – Zur Erinnerung: Im August 2020 bestätigte sich der autoritär regierende Staatschef Lukashenko nach demokratischen Wahlen selbst erneut im Präsidentenamt, obwohl die Bürgerrechtlerin und Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja die Mehrheit in den Wahlen erlangte. Das Wahlresultat wurde seitens EU nicht anerkannt. Tichanowskaja lebt nun im Exil in Litauen, ihre Mitspielerin Veronika Zepkalo im Exil in Polen. Maria Kalesnikava wurde am 8. September in Minsk inhaftiert als sie sich einer Ausschaffung widersetzte. Sie ist nach wie vor in Untersuchungshaft.

Am 27. Januar 2021 prangerte Amnesty International die Folter in Belarus an.
Musik der Jahrhunderte / Eclat bemüht sich zusammen mit Menschenrechtsorganisationen und unterstützt durch Politiker*innen seit September 2020 um die Freilassung von Maria Kalesnikava.

——————————————

Eclat / Musik der Jahrhunderte, Trio vis à vis, Mikhail Gulin, Vasilisa Palianina

Sendungen SRF 2 Kultur:
Kultur aktuell / Kultur kompakt Podcast, 4.2.21: Redaktion Theresa Beyer, Kritik Konzert Voice Affairs / Festival Eclat

Kultur aktuell / Kultur kompakt Podcast, 5.2.21: Redaktion Gabrielle Weber, Portrait Maria Kalesnikava / Festival Eclat

in Musik Magazin, 6.2./7.2.12: Redaktion Moritz Weber, Beitrag Gabrielle Weber, Portrait Maria Kalesnikava / Festival Eclat

Neo-Profiles: Andreas Eduardo Frank, Oscar Bianchi

Out of the box

Oscar Bianchi, künstlerischer Leiter der International Young Composers Academy am Festival Ticino Musica im Gespräch

Out of the box: Oscar Bianchi@Musica viva, München, 2.7.17 © Astrid Ackermann

Gabrielle Weber
Klassische Kompositionen und transdisziplinäre Formate in Verbindung mit Tanz bilden die Eckpfeiler der dritten International Young Composers Academy des Festival Ticino Musica. Für internationale Ausstrahlung sorgen Dmitri Kourliandski und das Ensemble Modern Frankfurt.
Im Interview berichtet Oscar Bianchi über die Ausrichtung der kommenden Edition.

Oscar, vor drei Jahren übernahmst Du vom Gründer Mathias Steinauer die künstlerische Leitung der international Young Composers Academywas sind die Neuerungen die Du einbrachtest?
Seit 2018 laden wir ein arriviertes Spitzenensemble der zeitgenössischen Musik ein. Zudem steht jedes Jahr ein anderes Format im Zentrum. Dieses Jahr ist das Ensemble Modern Frankfurt zu Gast.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern?
Ich kenne die Energie und das Comittment des Ensembles durch frühere Zusammenarbeiten, wie bspw. dem Projekt Connect in Frankfurt 2016, das die Beziehung zwischen Komponist, Ensemble und Publikum thematisierte.

“Ich benutze meine eigene Erfahrung als Filter um die richtigen Partner zu engagieren.”

Die Mitglieder des Ensembles haben eine klare musikalische Vision verbunden mit stilistischer Offenheit. Und vor allem: sie sind neugierig darauf, wonach junge Komponierende suchen.

Oscar Bianchi Orango, Projekt Connect ©Ensemble Modern Frankfurt 2016

Was ist das diesjährige Format?
Wir schrieben zwei Kategorien aus: klassische Instrumentalstücke und multidisziplinär Projekte. Es gibt zwei entsprechende Konzerte. Eingegangen sind über 100 Bewerbungen. Zusammen mit Olga Neuwirth, der Juryvorsitzenden, wurden 14 Komponierende aus der ganzen Welt, aus Taiwan, Iran, Süd- und Nordamerika, Europa oder Südafrika ausgewählt. Durch eine Kollaboration mit dem Festival TicinoInDanza erhalten sie die Gelegenheit mit Tänzern und Choreografen zusammen zu arbeiten. Solche Erfahrungen eröffnen neue Perspektiven.

“Es ist wichtig, dass Komponierende “out of the box” denken.”

14 Komponistinnen und Komponisten sind eine grosse Anzahl. Wie muss man sich das gemeinsame Arbeiten vorstellen?
lacht: Dazu kommen noch zehn passive Beobachter. Uns geht es explizit um das Arbeiten als Gruppe. Das kommt der Musik und dem Austausch zu Gute. Elitäres Wettbewerbsdenken mit einem winner ist nicht gefragt.

“Es geht um ein Collective project. Gruppe anstelle Elite”

Es gibt diverse Conferences und Lectures, u.a. mit Dmitri Kourliandski und Gästen wie Katharina Rosenberger oder Michael Wertmüller. Davon profitieren alle. Dennoch: ein besonders gutes Werk bleibt in Erinnerung.

Ensemble Modern &Oscar Bianchi ©Walter Vorjohann

Was für Säle wurden für die zwei Konzertformate gewählt?
Das Klassische Konzert findet im Foyer des LAC (Lugano Arte e Cultura) statt, ein Ort der verschiedene Kunstsparten beherbergt und Begegnungen von Einheimischen und Touristen ermöglicht, das multidisziplinäre Konzert in Mendrisio im Chiostro dei Serviti, in einem Innenhof im Freien.

Bedeutet die Wahl eines Offspaces in Mendrisio nicht auch ein Risiko in Bezug auf das Publikum? Die zeitgenössische Musik-Community im Tessin ist ja eher klein..
Das Konzert ist in das Festival Musica nel Mendrisiotto eingebunden, eine Reihe mit interessiertem Stammpublikum. Die Musik hat eine visuelle Komponente, profitiert vom Zusammenwirken mit anderen Kunstsparten und spricht ein breites Publikum an.

“Neue Musik sollte ein Level playing field werden – das wäre mein Traum.”

Konzert Int. Composers Academy 2018, Mendrisio Museo Vela ©Ticino Musica

Hast Du eine weitere Vision für die Composers Academy – wo siehst Du ein Entwicklungspotenzial?
Dank der Unterstützung der Art Mentor Foundation Lucerne konnten wir ein Spitzenensemble einladen und Scholarships vergeben. Meine Vision wäre, die Akademie inklusive Reise und Unterkunft kostenfrei anzubieten, damit die Teilnahme gleichberechtigt allen offen stünde. Die Neue Musik ist Teil eines Systems das Ausschluss schafft. Ich möchte solche Diskriminierung unterbrechen.
Interview Gabrielle Weber

Festival Ticino musica, erwähnte Konzerte:
27 Luglio 2019, 18:00, Ticino Musica, Mendriso, Chiostro dei Serviti
28 Luglio 2019,  21:00, Ticino Musica, Lugano, LAC

Kooperation mit:
Musica nel Mendrisiotto, TicinoInDanza

neo-profilesOscar BianchiEnsemble Modern, Ticino Musica, Mathias Steinauer, Katharina Rosenberger