Schmiedwerk der Improvisation am Jazz Festival Willisau 2023


Seit seiner Gründung im Jahr 1975 ist das Jazz Festival Willisau eine Schmiede der improvisierten Musik. Jedes Jahr pilgern im Spätsommer Improvisator:innen aus aller Welt ins Luzerner Hinterland: sie sind in intimen Konzerten oder in grossen Acts in der Festhalle zu erleben und werden alljährlich in verschiedenen Sendungen auf SRF 2 Kultur portraitiert. Roman Hošek und Luca Koch von der Musikredaktion SRF Kultur haben dieses Jahr auch Live-Video-Interviews mit verschiedenen Improvisations-Bands geführt.
Luca Koch stellt im neoblog zwei der portraitierten Bands vor: Der Verboten und How Noisy Are The Rooms? 

 

‘Der Verboten’: Antoine Chessex, Christian Wolfarth, Frantz Loriot, Cédric Piromalli

 

Luca Koch
Wer ihren Bandnamen im Programm entdeckt, denkt vielleicht sofort an ein weisses, rundes Schild mit rotem Rand oder hält den Namen gar für einen Tippfehler: Ist «das Verbot» oder «die Verbotenen» oder «Der Vorbote» gemeint? Was grammatikalisch falsch anmutet, ist ursprünglich aus einem Witz entstanden. Das Quartett mit Christian Wolfarth, Frantz Loriot, Antoine Chessex und Cédric Piromalli probt sowohl auf Deutsch wie auch Französisch, Übersetzungsfehler sind da inklusive. Entstanden und geblieben ist der Name, denn wer definiert schon was richtig und was falsch ist. Unsere Sprachen bestehen wie die Musik aus Regeln und Strukturen, die aufgebrochen werden können. Die Musik von Der Verboten ist frei von Regeln und ineinander verzahnt. Genau dieses Zusammenspiel treibt die Band an.

 

Der Verboten: Vertiefung statt Innovation

Das Erkunden neuer Klänge und das Erweitern des Klangs der einzelnen Instrumente steht nicht im Fokus der Band, viel mehr versucht sie, klanglich ineinander zu verschmelzen und ihren gemeinsamen Bandsound zu vertiefen. Christian Wolfarth betont im Interview immer wieder, wie wichtig es sei, die richtigen Bandkollegen zu finden. In diesem Quartett sei es so, wie in einer alten Freundschaft, auch wenn lange nicht geprobt oder Konzerte gespielt hätten, knüpften sie genau da an, wo sie das letzte Mal aufgehört hätten.

Zeit verschmilzt.

Damit Piano, Schlagzeug, Viola und Tenorsaxofon zu einem einzigen musikalischen Organismus verwachsen können, braucht die Band vor allem eines – Zeit. Erst in langen Improvisationen tritt die erwünschte Form von verwobenem Interplay ein. «Ich glaube behaupten zu dürfen, dass uns das bei jedem Konzert gelingt», meint Christian Wolfarth im Interview. Ganze zwei Stücke spielte das Ensemble am Jazz Festival Willisau in ihrem einstündigen Set und die Pause dazwischen diente – vor allem dem Publikum – als Verschnaufmöglichkeit. Langsame Entwicklungen, kaum merkliche Veränderungen führen dazu, dass sich das Publikum  im Konzertsaal immer wieder frägt, wie der Verboten musikalisch von A nach B gekommen ist.

 


Christian Wolfarth und Antoine Chessex vor ihrem Konzert im Live-Interview am Jazz Festival Willisau 2023.

 

Mit der gleichen Ruhe und Reflektiertheit wie im Gespräch standen Der Verboten auch auf der Bühne. Sie entführten so sehr in ihre Klangwelt, dass ich während des Konzerts nicht mehr wusste, ob schon zwanzig oder erst zwei Minuten vergangen waren.

Eine weitere Band, die mit dem Zeitempfinden ihres Publikums spielt, ist How Noisy Are The Rooms?. Im Gegensatz zu Der Verboten scheinen bei ihnen die Minuten aber zu rennen. Ein hohes Tempo und eine grosse Dichte an Sounds prägen ihre Klangästhetik.

 

‘How Noisy Are The Rooms?: Almut Kühne, Joke Lanz und Alfred Vogel

 

How Noisy Are The Rooms? stellt gerne Fragen..

Das Trio mit Alfred Vogel, Joke Lanz und Almut Kühne stellt gerne Fragen: Wieviel Noise erträgt ein Raum oder auch: kann Musik ein Schleudertrauma auslösen? Improvisation mit viel Energie, punkiger Ästhetik und schneller Interaktion vermittelt  den Zuhörenden an Konzerten von How noisy are the rooms?  das Gefühl, Kugeln in Flipperkästen zu sein, die hin und her geschleudert werden. Die kreative musikalische Anarchie des Trios auf der Bühne fordert ihr Publikum heraus, manchmal überfordert sie sogar. Alfred Vogel betont: «Ich will die Leute eigentlich nicht überfordern. Verstehen folgt auf Zuhören. Man muss einfach die Ohren aufmachen und im besten Fall macht’s was mit dir.»

 

Turntables und Whistle Notes

Die treibenden Rhythmen von Alfred Vogel am Schlagzeug und die Stimmakrobatik von Almut Kühne verleihen der Musik von How Noisy Are The Rooms? archaischen Charakter — Perkussion und Stimme sind wohl die ältesten Instrumente der Menschheit. Joke Lanz, der mit seinen Turntables Soundsamples loopt und verzerrt, bringt eine performative, elektro-analoge und auch humoristische Komponente ins Spiel.

 


Alfred Vogel vor dem Konzert von How Noisy Are The Rooms? im Live-Interview am Jazz Festival Willisau 2023.

 

Alfred Vogel wollte früher Rockstar werden, diese Energie steckt heute noch in How Noisy Are The Rooms?. Er sei aber froh, habe er einen anderen Weg eingeschlagen: sein jetziges Musikschaffen sei divers und reichhaltig.

 

Postmusikalisches Wimmelbild

Wie ein Wimmelbild setzt sich die Musik des Trios aus eklektischen Klängen und kurzen, pointierten Phrasen zusammen. Klare Strukturen, Harmonien und greifbare Melodien gibt es nicht in ihrem Klangmosaik. Trotzdem wecken die musikalischen Streitgespräche der drei Musiker:innen Bilder in den Köpfen: Ich fühle mich in eine dröhnende Grossstadt versetzt oder als Teil einer Game-Animation.

 


How Noisy Are The Rooms? Video ©Denis Laner / Alfred Vogel 2021

 

Durch ihre Dichte und Fülle an musikalischen Einzelteilen treffen How Noisy Are TheRooms? den heutigen Zeitgeist einer unruhigen Welt.  Alfred Vogel erzählt im Interview: «Musik oder Kunst soll immer auch die Welt spiegeln in der wir leben. Was ist überwältigend? Die Geschehnisse heutzutage in dieser Welt sind auch alle überwältigend. Alles passiert gleichzeitig. Everything, everywhere, all at once. So ist das auch in unserem Sound». How Noisy Are the Rooms? ist  die grösste Entdeckung für mich an der diesjährigen Ausgabe des Jazz Festival Willisau.
Luca Koch

 

Cédric Piromalli, Christian Wolfarth, Frantz LoriotAlmut Kühne, Alfred VogelSudden infant

Sendung SRF Kultur:
Neue Musik im Konzert, 25.10.2023: Anarchie und Energie am Jazzfestival Willisau, Redaktion Benjamin Herzog.

Neo-Profiles:
How Noisy Are The Rooms?, Joke LanzDer Verboten, Antoine Chessex

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf dem Weg zu Neuem


Neuerdings – Faszination Sound: Launch SRF-Videoreihe

Neuerdings – eine Videoserie in Zusammenarbeit von SRF 3 Sounds! und SRF Kultur präsentiert experimentelles Musikschaffen hautnah. In vier Portraits spürt sie den Arbeitsprozessen im Klanglabor von Noémi Büchi, Julian Sartorius, Martina Berther und Janiv Oron nach.

Roman Hošek stellt die die Reihe und die Portraitierten vor – zum Launch am Festival Bad Bonn Kilbi am 2.6.2023.

 

Roman Hošek
Sie sind gestandene Musikerpersönlichkeiten, die teils schon wichtige Preise gewonnen haben und die regelmässig in renommierten Projekten anzutreffen sind. Sie alle verfolgen auch einen radikal eigenen Schaffensweg – auf dem die Perspektive des grossen Erfolgs eine untergeordnete Rolle spielt. Es geht ihnen ums Machen. Diese vier Musiker:innen erzählen in einer neuen Dokuserie von ihrem kompromisslosen Gestaltungswillen.

 

Sound ist Materie

Noémi Büchi nimmt Alltagsgegenstände, wie Papier oder Schrauben, holt Klänge aus ihnen heraus und macht daraus Musik. Sie zerreisst beispielsweise das Papier, nimmt den Klang mit einem Mikrofon auf und verfremdet diesen mit Effekten und Computer-Software.

So wird alles, was klingt, zu einem Instrument für Noémi Büchi. Früher hat sie klassisches Klavier gespielt. Heute sind es Keyboards, Klangregler und Computerpads, welche die Zürcherin bedient und mit denen sie ihre selbst generierten Klangquellen ansteuert. So entstehen Collagen, die auf eine atemberaubende Klangreise einladen und das Publikum auch zum Sich-Bewegen animieren.

Denn etwas zu bewegen, ist wichtig für Noémi Büchi. Ihre sinfonisch anmutende Musik sei kein Kommentar und habe keine Botschaft. Sondern Klang sichtbar und erlebbar zu machen, das sei ihre Absicht. Das merke sie vor allem live, wenn Schallwellen körperlich werden.

 


Video-Portrait Noémi Büchi: Neuerdings – Faszination Sound, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Sound ist Handwerk

Julian Sartorius bewegt sich gerne im Freien oder beispielsweise durch Fabrikhallen und trommelt mit seinen Schlagzeug-Sticks auf Objekten. Dabei ist es erstaunlich, welch breite Palette von Klängen er scheinbar gewöhnlichen Gegenständen entlockt, wie Deckeln, Rohren oder Drähten und wie er es schafft, damit attraktiv klingende Beats zu fabrizieren.

Der Berner Schlagzeuger ist stark von der elektronischen Musik inspiriert. Selbst erzeugt er seine Sounds aber ausschliesslich mit seinen Händen und auf akustischen Instrumenten und Objekten. Es ist diese Übersetzungsarbeit, die ihn reizt: Mit etwas Natürlichem etwas zu erschaffen, das fast künstlich klingt.

Eine weitere Facette von Sartorius’ künstlerischem Schaffen ist das Produzieren von Beats und auch da geht er eigene Wege. Er arbeitet beispielsweise gerne mit einem altmodischen Kassettengerät, das ihn – im Vergleich zu einem digitalen Sequenzerprogramm – von den technischen Möglichkeiten her zwar limitiert, aber dafür zu sofortigen, künstlerischen Entscheidungen zwingt.

 


Video-Portrait Julian Sartorius: Neuerdings – Faszination Sound, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Sound ist Suche

Martina Berther holt aus ihrem elektrischen Bass sehr viel mehr heraus, als einfach Basstöne. Heftige Stürme oder weite Klanglandschaften tun sich vor dem geistigen Auge auf, wenn sie mit ihren Effektgeräten und Präparations-Werkzeugen – wie Stahlwolle, Schleifblock, Flaschenhals oder Geigenbogen – ihr Instrument in Schwingung versetzt.

Die Bündner Soloperformerin sagt, sie mache experimentelle Musik, weil sie sich dann selbst überraschen könne und so viel Freiheit habe. Gleichzeitig sei der Umgang mit dieser Freiheit nicht immer einfach. Ein Widerspruch? Nein! Es ist diese Spannung – zwischen Gelingen und Absturz – die für Martina Berther den Reiz ausmacht.

Genauso wie eine Soloperformance könne auch die Suche nach Sounds zum Balanceakt werden. Denn auch da gibt es viele Ungewissheiten und sogar Zweifel. Hinter jedem Sound muss für Martina Berther eine Absicht stecken, bevor sie ihn in ihr Repertoire aufnimmt. Platz für Beliebigkeit gibt es dabei nicht.

 


Video-Portrait Martina Berther: Neuerdings – Faszination Sound, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Sound ist Reaktion

Janiv Oron wirkt wie ein Erfinder in einem Musiklabor. Wenn der frühere DJ seine Sounds kreiert, dann steht zwar nach wie vor der Plattenspieler oft im Zentrum, diesen erweitert er aber auf experimentelle Weise mit anderen Klangquellen, wie beispielsweise mit einem rotierenden Lautsprecher oder einer Murmelbahn.

Der Basler Klangperformer dirigiert seine Klangmaschinen aber nicht nur, sondern er reagiert auch auf zufällige Impulse, die er zurückbekommt. Janiv Oron sieht das als «Quelle des Ungewissen» und lässt sich bewusst darauf ein, um Improvisation zum Teil seines Schaffens zu machen.

Von der digitalen Klangwelt wendet sich Janiv Oron zwar nicht ab, aber er verspürt eine stärkere Faszination zu analogen und physisch-funktionierenden Klangquellen. Diese bieten im Vergleich zwar nur eine beschränkte Anzahl von Möglichkeiten, dafür sind sie haptisch und können von Hand bedient werden, statt auf einem Bildschirm.

 


Video-Portrait Janiv Oron: Neuerdings – Faszination Sound, Eigenproduktion SRG/SSR

 

«Neuerdings – Faszination Sound»

«Neuerdings» ist eine Videoporträt-Serie über diese vier Schweizer Musiker:innen. Sie sind Vorboten der Musik von morgen, die sich in ihrem Schaffen an der Schnittstelle zwischen kontemporärer Elektroakustik, Experimentalmusik und Pop bewegen und damit auch international auf Anklang stossen.

In diesen Zwischenbereichen ist die Schweiz besonders stark, nicht zuletzt wegen der zahlreichen Studiengänge, die auf transdisziplinäre und progressive musikalische Praxis setzen. Andererseits entstehen dafür auch immer mehr Veranstaltungen und wachsendes Interesse beim Publikum.

Durch die Porträtserie, die eine Zusammenarbeit von SRF 3 Sounds! und SRF 2 Kultur ist, wird ein Besuch in die Klangtüftlerstuben dieser vier Musiker:innen möglich, die mit ihrem Schaffen neue Wege gehen und deshalb schwer zu verorten sind. Sie reden in den Videos über ihre radikale Herangehensweisen und beschreiben ihre Zugänge zum Unzugänglichen und das Innovationspotenzial von neuen Klängen.
Roman Hošek

Der Launch fand statt am Festival: Bad Bonn Kilbi, Freitag 2.6.2023

Sendungen SRF Kultur:
Musik unserer Zeit, 7.6.2023, 20h: “Neuerdings”: Schweizer Musik mit Pioniergeist, Redakteur Roman Hošek
in: MusikMagazin, 3./4.6.2023: Swisscorner, Vier Schweizer Soundartists (ab Min 46:59), Redaktion Lea Hagmann
srf online-Text: Sie schrauben am Sound der Zukunft, Autor: Claudio Landolt

Sendung SRF 3:

Sounds!, 7.6.2023, 20h: “Neuerdings”: Schweizer Musik mit Pioniergeist, Redaktion Claudio Landolt

Neuerdings
auf playsuisse

Neo-profiles:
Noémi Büchi, Julian Sartorius, Martina Berther, Janiv Oron

 

 

 

Concerts à l’aube: Nichts für Morgenmuffel

 

Ensemble Batida @ Les aubes musicales Genève ©zVg Batida

 

Gabrielle Weber
Den Sonnenaufgang, direkt am Genfersee erleben, dazu Live-Musik open air: was gibt es Schöneres? Die ‘Musiques à l’aube‘ in Lausanne und ‘les aubes musicales‘ in Genf, zwei open air-Konzertreihen laden Frühaufsteher und Frühaufsteherinnen zum frühmorgendlichen Konzertgenuss. ‘Vivre la musique’ – das könnte als Motto über dem Sommer in der Romandie stehen.

Die Lausanner ‘musiques à aubes’ gibt es seit 2017. Jeweils samstags, frühmorgens um 6h, treffen sich da am zentralen Stadthafen ‘jetée de la Compagnie’ Kenner, Liebhaberinnen und Neugierige zum einzigartigen Tagesbeginn mit Live-Musik.

Die Reihe wurde von vier Jazzliebhaberinnen gegründet und fokussierte in den ersten Jahren mit zunächst fünf Konzerten ganz auf Jazz. Dieses Jahr ist das Programm breiter gefasst und es stehen zehn Konzerte an: “Der Live-Moment ohne Zwang und ohne Grenzen, für ein Publikum mit neugierigen Gourmet-Ohren” soll im Zentrum stehen, meinen dazu die Kuratorinnen. Das Programm variiert diese Saison zwischen Jazz, Improvisation, experimenteller Moderne, Elektroakustik und Rock. Ganz selbstverständlich stehen da Solo-Konzerte der Pianisten Nik Bärtsch oder Cédric Pescia neben Auftritten von Louis Jucker oder Evelinn Trouble.

Am 10. Juli ist bspw. der Zürcher Pianist Nik Bärtsch zu hören. Allein am Konzertflügel spielt er Stücke aus seiner neuen CD ‚Entendre‘. Sie kam im März 2021* heraus und versammelt von Bärtsch so bezeichnete “Module”, solo interpretiert von ihm am Klavier. Die “Module” sind über die Jahre entstandene, variabel zu interpretierende, repetitive minimale Stückvorgaben – Bärtsch spielt sie auch immer wieder mit seiner Band Ronin. Zwischen Komposition und Improvisation erstehen sie mit jeder Live-Performance neu und anders.

 


Nik Bärtsch & Ronin, Modul 58, Eigenproduktion SRG/SSR 2018

 

Zu hören ist auch der Lausanner Pianist Cédric Pescia. Er spielt am 31. Juli auf einem präpariertem Klavier die ‘Sonatas and Interludes’ von John Cage (1946-48). Bestückt mit Objekten aus Holz, Metall oder Plastik zwischen den Saiten wird das Klavier hier zum kleinen Perkussionsemble.

 

Cédric Pescia ©zVg Musiques à l’aube Lausanne 

 

Eine akustische Oase inmitten von Lärm und Asphalt – im heissesten Monat August

 

Auch in der Stadt Genf gibt es eine eigene Reihe für Frühaufsteher, Les Aubes musicales, jeweils sonntags um 6h früh. Mitten in der Stadt, im Stadtbad ‚jetée des paquis‘ seit 2007, präsentiert sie sich als frühmorgendliches Fenster zur Welt. Sie ist eine akustische Oase inmitten von Lärm und Asphalt, im heissesten Monat August.

Auch hier ist die stilistische Offenheit charakteristisch. Auch hier geht es ums gemeinsame Erleben. “Die Reihe ist etwas Einzigartiges, mit nichts zu Vergleichendes. Da geht es um den magischen Moment zwischen Dunkelheit und Licht”, sagt Marie Jeanson, Co-Leiterin der Reihe und nun auch Intendantin des Neue Musik-Festival Archipel Genève.

Das Genfer Neue Musik-Ensemble Contrechamps eröffnet mit seinem Auftritt an ‚Les Aubes musicales‘ jeweils die Saison. Auch für Serge Vuille, den künstlerischen Leiter von Contrechamps, ist das immer “ein magisches Ereignis”. Dieses Jahr spielt Contrechamps am 22. August Gérard Griseys ‚Prologue‘ von 1976, dazu das Stück ‚Mantiq-al-Tayr‘ von Geneviève Calame, entstanden 1973, sowie Claude Debussys ‘Sonate’ von 1915.

 

Seong-Whan Lee, Là où les eaux se mêlent, Contrechamps, création 2021, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Geneviève Calame, die 1993 verstorbene Genfer Komponistin, widmete sich insbesondere der Kombination von Elektronik mit akustischen Instrumenten oder der elektroakustischen Musik. Nach Studien in den USA, Paris und Stockholm begründete sie in Genf das ‚Studio de musique électronique, Vidéo et d’informatique‘ mit, und komponierte zahlreiche -immer noch wenig bekannte Stücke – für klassisches Orchester, Synthesizer oder audiovisuelle Installationen.

Beide Reihen verschreiben sich lokalen, aber international ausstrahlenden Musikschaffenden. Und beide verstehen zeitgenössisches Musikschaffen umfassend und offen.

Bewundernswert unkompliziert ist in der Romandie der Umgang mit Musikgenres – Barrieren sind kaum zu spüren, weder bei den Veranstaltern noch beim Publikum.

Das gemeinsame Erleben und die Offenheit für Unbekanntes stehen im Vordergrund.

Musik ist Leben und Lebensgenuss, Sinnlichkeit und Poesie: Dafür steht man in Lausanne und Genf auch gerne früh auf.
Gabrielle Weber

 

Nik Bärtsch ©zVg Musiques à l’aube Lausanne

Nik Bärtsch: Entendre, ECM, März 2021

 

Musiques à l’aube, Lausanne, Konzerte samstags um 6h, 26. Juni – 28. August, Ort: ‘La Jetée de la Compagnie & Le Minimum’. Bei schlechtem Wetter: Verschiebedatum jeweils folgender Sonntag, Entscheid am Vorabend.

Les Aubes musicales, Genève, Konzerte sonntags um 6h, 1. – 29.August, Ort: bain des Paquis. Bei schlechtem Wetter inhouse im: l’Abri

Festival de la Cité de Lausanne, 6.-11.7., Konzerte ganze Stadt, rund um die Uhr

 

Sendungen SRF 2 Kultur
Klangfenster, 20.6.21: Nik Bärtsch, Entendre, Redaktion Cécile Olshausen

Jazz & World aktuell, 16.3.21: Mehr als die Summe, Nik Bärtsch im Interview, Redaktion Roman Hošek

Blick in die Feuilletons, musique à l’aube, 13.7.21 (min 00:18), autor Gabrielle Weber

neo-profiles:
Nik Bärtsch, Contrechamps, Ensemble Batida, Festival Archipel