Sol Gabetta erhält den Grand Prix Suisse de musique 2024

Sol Gabetta, Cellistin, Weltbürgerin und Wahlschweizerin, bekam den Grand Prix suisse de musique 2024 verliehen.

Florian Hauser
Was braucht es für eine Weltkarriere in der klassischen Musik? Talent, Glück, eine starke Persönlichkeit und nicht zuletzt die Bereitschaft, sich auf Teamwork einzulassen, also auf die Zusammenarbeit mit Künstleragentur, Presseagentur und Plattenlabel. Sol Gabetta hat all das.

 

Sol Gabetta © Julia Wesely

 

Damals, vor dreissig Jahren, als ihre Karriere begann, hätte sie sich das nicht im Traum vorstellen können. “Ich war eine romantische Musikerin, eine junge Frau mit viel Hoffnung, alles an Kunst und Musik kennenzulernen – es war alles offen für mich.” Nach dem Glück einer behüteten Kindheit in Argentinien, in der Sol Gabetta nach Kräften gefördert wird, sich nach Herzenslust entfalten und in geschütztem Raum zu einer starken, selbstbewussten Person werden kann, startet sie durch. 1998 gewinnt sie beim renommierten ARD Musikwettbewerb den 3. Preis, da ist sie 17 Jahre alt. 2004 zündet so etwas wie der Turbo: der Credit Suisse Young Artist Award beschert ihr ein Maximum an Aufmerksamkeit. Sie gründet ihr eigenes Festival, räumt einen Preis nach dem anderen ab und bald stehen die grossen Orchester an: die Wiener Philharmoniker, das London Philharmonic Orchestra und viele andere. Festspiele laden sie ein, ab 2010 kommt noch das Magazin KlickKlack im Bayerischen Fernsehen dazu und spätestens seit diesem Zeitpunkt ist Sol Gabetta medial omnipräsent.

 

Teamwork ist alles

Eins kommt zum anderen. Es bietet sich ein CD-Label an, eine Assistentin, eine Agentur, Sol Gabetta beginnt, ein Team um sich herum aufzubauen und hat dabei ein gutes Händchen: “Man entwickelt feine und sensible Antennen, um zu spüren, was man wirklich ist, was man wirklich will.” Sie lässt sich in Basel von dem Cellisten Ivan Monighetti ausbilden, der heute noch ein Coach für sie ist, wenn sie ihn braucht. Sie trifft Christoph Müller, der vom Cellisten mehr und mehr zum Musikmanager mutierte, zeitweise ihr Lebensgefährte war und  heute ihr Schweizer Management inklusive ihr Solsberg Festival betreut. Sie trifft ihren heutigen Partner, den Geigenbauer und Restaurator Balthazar Soulier, der sich um all die kleineren und grösseren Wehwehchen ihres fast 300 Jahre alten Goffriller-Cellos oder des Stradivari-Cellos von 1717 kümmern kann.

Sie lernt Dirigenten wie Giovanni Antonini, Simon Rattle, Christian Thielemann kennen und kann sie von sich überzeugen. Und ist heute nach Jacqueline du Pré erst der zweite Superstar, der eine Cello-Männerdomäne erobert hat. Denn es ist ja schon frappant: Da behaupten sich in der oberen Liga zwar Frauen wie Alisa Weilerstein in den USA oder dann die ganz junge Julia Hagen hierzulande – das aber war’s dann auch schon. Denn jetzt kommen viele Männer: Gautier Capucon, Jean-Guihen Qeyras, Nicolas Altstaedt, Truls Mörk, Daniel Müller-Schott, Bruno Philippe, Johannes Moser, YoYo Ma…. Warum ist das so? Sol Gabetta hat eine Erklärung: “Das ist eine ganz einfache Frage: die Familiensituation. Ein Reise-Leben mit Kindern ist machbar, aber schwierig. Man braucht einen unglaublichen Partner, man braucht eine unglaubliche Organisation und eine unterstützende Familie.”

Nicht zuletzt dank ihres grossen Netzwerks im Hintergrund ist Sol Gabetta auch in der Zusammenstellung der Tourneen so frei und kompromisslos wie in der Wahl des Repertoires: das erstreckt sich über aller Epochen bis hin zu allerneuesten Werken wie etwa dem Concerto en Sol, das Grossmeister Wolfgang Rihm vor vier Jahren für sie geschrieben hat.

 


Wolfgang Rihm, Concerto en Sol, Cellokonzert für Sol Gabetta (2018-19), Kammerorchester Basel, Leitung Sylvain Cambreling, Konzertaufnahme und UA: Victoria Hall Genève 2020.

 

Der Vulkan

“Ich bin fast wie ein Vulkan, aber ein ruhiger. Es gibt tatsächlich diese Klarheit bei mir, was ich suche und welchen Weg ich gehen will. Dabei gibt es natürlich auch Unsicherheiten, logisch. Und deswegen versuche ich einfach, wichtige Menschen zu um mich herum zu haben.” Wichtig dabei auch: Disziplin und Routine. “Nach dem Aufwachen mache ich tatsächlich gleich das Wichtigste: Üben. Der Lernprozess im Gehirns braucht eine Frische, die wenigen Stunden, die mir am Morgen bleiben, sind Gold wert.”

Sol Gabetta ist ein glückliches Beispiel, wie eine Solistin durch den Markt schwebt. Die es versteht, mit dem richtigen Riecher, positiver Ausstrahlung und einem einnehmenden Wesen auf und jenseits der Bühne zu agieren und dabei den nötigen Schwung und Enthusiasmus zu haben, um das Publikum zu begeistern.
Florian Hauser

 

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Sendungen SRF Kultur
Passage, SRF Kultur, 13.9.2024: Teamwork ist alles. Cellistin Sol Gabetta und das Musikbusiness, Redaktion Florian Hauser.
Musikmagazin, Grand Prix suisse de musique für Sol Gabetta, SRF Kultur, 25.5.24 (ab Min 06:00): Talk: Sol Gabetta im Gespräch mit Florian Hauser.
neoblog, 10.1.2020: Melancholische Eleganz – Wolfgang Rihm schreibt für Sol Gabetta, Autorin Gabrielle Weber.

 

neo-profile
Sol Gabetta, Wolfgang Rihm

Melancholische Eleganz – Wolfgang Rihm schreibt für Sol Gabetta

Concerto en Sol – so heisst das neue Cellokonzert des Grossmeisters Wolfgang Rihm. Ab dem 20. Januar ist es auf Uraufführungstournee mit dem Kammerorchester Basel zu erleben. ‘Sol‘ steht dabei nicht nur für die Tonart, sondern ist zugleich Inbegriff für die Widmungsträgerin, die Ausnahmecellistin Sol Gabetta.
Im Gespräch mit Gabrielle Weber gibt Wolfgang Rihm Auskunft zum Hintergrund, zum speziellen Lebensabschnitt, in dem das Stück entstand, aber auch zu Inspiration und Interpretation seiner Werke.

 

Wolfgang Rihm Portrait ©Wolfgang Rihm

 

Gabrielle Weber
Herr Rihm, anfangs 2019 erhielten Sie den Autorenpreis für Ihr ‘Lebenswerk’. Ihr Schaffensrausch hält an. Sie sind (heute) ein sehr gefragter Komponist, werden mit Preisen überhäuft und können sich vor Aufträgen und Anfragen kaum retten: Was braucht es, um Sie für einen Kompositionsauftrag zu gewinnen, wie kam es zum neuen Werk für das Kammerorchester Basel?
Vor über fünf Jahren liess Sol Gabetta bei mir anfragen, ob ich ein Konzertwerk für sie schreiben wolle. Ich freute mich sehr darüber und machte mich an die Arbeit. Meine schwere Erkrankung kam dazwischen und die Skizzen blieben liegen. Als ich 2017 wieder auftauchte, versuchte ich alsbald an dem Stück weiter zu arbeiten. Das gelang relativ gut und ich hatte grosse Freude an der Arbeit, die ich noch im Jahr 2017 abschliessen konnte.

Was ist die Grundidee des Stücks?
Das Stück ist ganz auf die Widmungsträgerin bezogen, deren melancholische Eleganz und kraftvolle Linienführung ich sehr schätze. Ich wollte von Anfang an kein schweres Geschütz auffahren, sondern im Bereich von Durchsichtigkeit und nicht nach aussen gekehrter Beweglichkeit mich aufhalten. Am liebsten war mir der Gedanke, dass sich alles aus einer Gesanglichkeit heraus entwickelt – aber das ist ja ein Gedanke, dem fast alle meine Konzertwerke verpflichtet sind.

 

Inspiration – eine Art des Begeistertseins

Von Ihnen stammt die Aussage: ‘Inspiration ist das Einzige, was ein Künstler besitzt – es geht darum, die Inspiration in die Tat umzusetzen’: Was bedeutet für Sie ‘Inspiration’?
Inspiration? Vielleicht ist das eine Art des Begeistertseins? Ich spüre das dann daran, dass von allen beteiligten Entscheidungen immer viele andere Wege ausgehen können, die dorthin führen, wo ich mit meinen Gedanken noch gar nicht hinwollte. Mein Rat: wenn ein Künstler “konsequent” sein will, sollte er nicht inspiriert sein wollen – das würde nur verwirren. Aber da ich begabt für Verwirrung bin…

 


Wolfgang Rihm, Sub-Kontur. Für Orchester (1975), Lucerne Festival Contemporary Orchestra, Leiter Sylvain Cambreling, Lucerne Festival, KKL, 3.September 2022.

 

 

Den Solopart schreiben Sie der Argentinisch-Schweizerischen Cellistin Sol Gabetta auf den Leib. Gabettas Spielweise zeichnet Temperament und Innigkeit aus. Sie meint selbst dazu, dass sie fast auf dem Cello tanze, und innerlich beim Spielen singe: (Wie) lassen Sie sich von einer charakteristischen Interpretin wie Sol Gabetta inspirieren?
Ich versuche mir vorzustellen, wie die Interpretin oder der Interpret wohl mit meinen Noten umgeht – ansonsten schreibe ich, was ich mir als Musik vorstelle.

 

 


Wolfgang Rihm Marsyas, Rhapsodie für Trompete mit Schlagzeug und Orchester (1998-99), Lucerne Festival Academy, Reinhold Friedrich, Trompete, Robyn Schulkowsky, Schlagzeug, Leitung: George Benjamin, Lucerne Festival, KKL, 1.September 2019.

 

Von ihren Interpreten verlangen Sie meist ‘das Äusserste’, wodurch Dinge gewagt werden, die vor der gemeinsamen Arbeit unvorstellbar waren- wie holen Sie ein solch ‘verstecktes’ Potential aus den Interpreten heraus?
Das müssen Sie die Interpreten fragen… Ich denke: das Wichtigste ist, dass es überhaupt etwas zu interpretieren gibt, dass also eine Fülle von Möglichkeiten sich auftut, mit denen selbst der Komponist nicht gerechnet hat. Interpretation ist das Gegenteil von ‘Execution’. Die beste Interpretation ist wohl die, die viel Unabsehbares offenlässt und die uns, die Hörer, nicht zustopft mit scheinbaren Gewissheiten.

 

 


Wolfgang Rihm, Dis-Kontur für grosses Orchester (1974/1984), UA Lucerne Festival, Lucerne Festival Contemporary Orchestra, Leitung Riccardo Chailly, KKL, 8.September 2019.

 

Melancholie – ja. Aber eben nicht allzu viel Schwärze

Jedes neue Werk bringt also auch für Sie etwas Unerwartetes mit sich: wurden Sie beim Komponieren von ‘Concerto en Sol’ selbst überrascht?
Ich hoffe, dass das Stück wie ein natürlicher Fluss sich entwickelt. Als würde ein Ereignis wie von selbst aus dem Zusammenhang sich ergeben und ein nächstes Ereignis hervorrufen.
Was mich überraschte: dass ich nach der langen Krankheitserfahrung vor drei Jahren das Stück in einer relativen Leichtigkeit halten konnte. Melancholie – ja. Aber eben nicht allzu viel Schwärze.

 

Sol Gabetta © Julia Wesely

 

Was dürfen wir klanglich erwarten, worauf dürfen wir uns speziell freuen?
Dass eine Art des ungezwungenen – unspektakulären Gelingens möglich sein kann…
Interview Gabrielle Weber

Das Programm stellt Igor Strawinskys 1947 für Paul Sacher komponiertes Concerto in Re, ein Auftragswerk des KOB zum 20Jahr-Jubiläum des Orchesters, Wolfgang Rihms Concerto en Sol gegenüber. Dazu kommt Felix Mendelssohns ‘schottische’ Sinfonie.

Das Konzert in Genf wird von RTS aufgezeichnet, Concerto en Sol für Sol Gabetta steht auf neo.mx3 in ganzer Länge zeitlich unbeschränkt zum Nachhören zur Verfügung.

Vollständiges Konzertprogramm:
Concerto für Sol, Kammerorchester Basel, Leitung Sylvain Cambreling
Igor Strawinsky, Concerto in Re für Paul Sacher, UA KOB 1947
Wolfgang Rihm, Concerto en Sol für Sol Gabetta, Auftragswerk KOB, UA
Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 3 a-moll Op. 56 (‘Schottische‘)

Konzerte
Montag, 20.Januar 2020, 20h: Genf, Victoria Hall
Dienstag, 21.Januar 2020, 19:30h: Zürich, Tonhalle Maag
Mittwoch, 22.Januar 2020, 19:30h: Bern, Kultur Casino
Donnerstag, 23.Januar 2020, 19:30h: Basel, Martinskirche
Freitag, 24.Januar 2020, 20:30h: Grenoble | F, MC2: Auditorium
Sonntag, 26.Januar 2020, 20h: Freiburg | D, Konzerthaus

Sendungen SRG:
21.1.2020: Kritik UA Genf in Kultur kompakt
22.1.2020, 22h: SRF Kulturplatz
25.1.2020, 10h / 26.1., 20h: Musikmagazin, Café mit Sol Gabetta
30.1.2020, 20h: RTS Espace deux: Le concert du jeudi
20.2.2020, 20h: SRF 2 Kultur: Im Konzertsaal

neo-profiles:
Kammerorchester Basel, Lucerne Festival Academy, Lucerne Festival Alumni, Sol Gabetta, Wolfgang Rihm