Unendliche Spielwelten

Zeiträume Basel, die Basler Biennale für Neue Musik und Architektur, findet dieses Jahr bereits zum vierten Mal statt. Das Festival verschreibt sich der Verwebung von Musik und Raum und bespielt dabei immer wieder neue und ungewöhnliche Orte in der Stadt. Im Flipperclub Basel bringt nun der Luzerner Komponist Michel Roth sein neues Werk Spiel Hölle zur Uraufführung. Jaronas Scheurer unterhielt sich mit Michel Roth über das Stück und die Leidenschaft der Clubmitglieder für ihre klingenden Kästen.

 

Spiel Hölle-Portrait Michel Roth © Prismago zVG ZeitRäume Basel 2021

 

Jaronas Scheurer
Das Basler Festival Zeiträume bringt Neue Musik an ungewohnte Orte und ermöglicht dem Publikum sowohl musikalische als auch architektonische Neuentdeckungen. Dieses Jahr finden unter dem Motto «Verwandlung» circa 20 Produktionen unter anderem auf einem ausgedienten Feuerschiff im Basler Hafenareal und in einer ehemaligen Wasserfilteranlage auf dem Bruderholz statt; aber auch in der Kaserne Basel oder im Flipperclub Regio Basel. Letzterer befindet sich in einem schmucklosen Gewerbegebäude in Münchenstein. Betritt man die Räumlichkeiten des Flipperclubs, wird man von über 50 blinkenden und tönenden Flipperkästen aus den letzten 60 Jahren empfangen. Für diesen Flipperclub komponierte der Luzerner Komponist Michel Roth das Werk «Spiel Hölle», das vom Ensemble Soyuz21 am Zeiträume-Festival uraufgeführt wird.

Michel Roth interessiert sich primär dafür, wie dieser Raum von der Leidenschaft der Clubmitglieder und ihren klingenden Kästen belebt wird und nicht für die Architektur des Raumes. Was ihn fasziniert, ist der soziale Raum. Tritt man nun an einen der vielen Flipperkästen heran, eröffnet sich laut Michel Roth nochmals ein weiterer Raum: «Ein Raum hinter Glas, der mit wahnsinnig aufwendigen Konstruktionen auch dreidimensional angelegt ist. Ein narrativer Raum, in dem einem auch erzählt wird, was da nun bei Star Wars oder Star Trek gerade passiert. Und man tritt in einen Dialog, nicht nur mechanisch, sondern auch ganz konkret, da die neueren Flipperkästen auch tatsächlich zur Spieler*in sprechen und das Spielgeschehen kommentieren.»

 


Michel Roth: pod for two ensembles and live-electronics (2017), Ensemble Vortex und ensemble proton bern. In pod geht es um eine musikalische Anwendung von Spieltheorie.

 

Overkill Flipperkasten

Michel Roth erzählt im Interview hörbar begeistert von den Flipperkästen: Wie sie scheppern und blinken und tönen und einem lautstark aufs Neue zum Spiel auffordern. Die akustische Dimension dieser Spielmaschinen ist für seine Faszination massgeblich. Doch ist ein Raum, vollgestopft mit über 50 solcher Kästen, nicht schon so eine akustische Reizüberflutung? Klar, daher komme auch der Titel «Spiel Hölle», so Michel Roth. Denn der «Overkill», die Reizüberflutung sei sowohl ein Aspekt in den «echten» Spielhöllen, als auch Thema der Komposition. Und genau diese komplexe akustische Umgebung der Flipperkästen ist Ausgangspunkt des Stückes.

Es beginnt wie ein ganz normaler Flipperclub-Abend. Nach einer Begrüssung durch die Clubmitglieder darf das Publikum die Flipperkästen ausprobieren. Unmerklich beginnt sich die Musik von Michel Roth in diesen Spielabend «hineinzuschmuggeln» und fügt sich in die Klangatmosphäre ein. Die ganze Komposition ist von diesen Flipperkästen abgeleitet. Die Instrumente sind beispielsweise mit Bauteilen aus den Flipperkästen manipuliert: Das Rohr des Saxofons ist mit Flipperkugeln gefüllt, die Schlagzeugerin spielt auf Federn, die benutzt werden, um die Kugeln in den Flipperkasten hinein zu katapultieren. Auch spielen die Musiker*innen nicht streng nach einer fixen Partitur, sondern müssen auf das restliche Geschehen reagieren. Wie die Kugel im Flipperkasten kann die Komposition die eine oder andere Richtung einschlagen.

 

Kommentar und Konfrontation

Michel Roths «Spiel Hölle» ist also ganz von der «echten» Spielhölle im Flipperclub abgeleitet. Doch mit der Zeit emanzipiert sich das musikalische Geschehen immer mehr vom Klingen und Bimmeln der Flipperkästen, beginnt ironisch zu kommentieren und geht auf Konfrontationskurs.

 


Michel Roth, Die Zunge des Gletschers für Stimme mit Kontrabass (UA 2017), Aleksander Gabrys : auch in diesem Stück befasst sich Michel Roth bereits mit dem Einfluss von Spiel und Zufall auf musikalisches Geschehen.

 

 

Michel Roths Hoffnung ist, durch seine kompositorische Manipulation, «die oft sehr düstere Narration der einzelnen Kästen und das kollektive Vibrieren dieser Spielhölle aufzukochen.» Auch wenn bei der Komposition von «Spiel Hölle» das diesjährige Festivalthema «Verwandlung» für Michel Roth nicht so sehr im Fokus stand, so hofft er auf eine Transformation beim Publikum, so dass der Effekt entstehen könne, dass «wir uns alle eigentlich im Inneren eines grossen Flipperkasten befinden.»

In «Spiel Hölle» macht sich Michel Roth mit seinen Musiker*innen Sascha Armbruster (Saxofon), Mats Scheidegger (E-Gitarre), Philipp Meier (Keyboard und Synthesizer), Jeanne Larrouturou (Schlagzeug) und Isaï Angst (Elektronik) auf eine humorvolle und faszinierende Erkundung dessen, was sich im schmucklosen Gewerberaum am Rande von Basel versteckt: jeder der über 50 blinkenden, tönenden und scheppernden Kästen beinhaltet nämlich eine eigene Spielwelt voller unendlicher Möglichkeiten. Michel Roths «Spiel Hölle» passt also sehr gut zum Festival Zeiträume: Sie eröffnet ein komplexes Netzwerk akustischer und narrativer Räume, in denen sich das Publikum verlieren kann, bis es heisst «Game over».
Jaronas Scheurer

 

 

ZeitRäume Basel – Biennale für Neue Musik und Architektur, findet vom  9. Bis 19. September 2021 an diversen Orten und im öffentlichen Raum in der Stadt Basel statt, mit zahlreichen Uraufführungen u.a. von Barblina Meierhans Skript im Lesesaal der Basler Universitätsbibliothek (17.9.), Niemandsland, ein Immersionsraum von Dimitri de Perrot in der Kaserne Basel (10.-12.9.), oder die Oper Poppaea von Michael Hersch und Stephanie Fleischmann im Don Bosco (Kooperation mit WienModern 10./12.9.).

Michel Roths „Spiel Hölle“ wird am 18. und am 19. September im Flipperclub Basel vier Mal aufgeführt, Premiere ist am 18.9. um 16h.

Im ZeitRäume Basel Festivalpavillon an der Mittleren Brücke gibt es bereits ab dem 4. September Liveperformances, Klanginstallationen, Coctails und SUISA-Talks oder Mitmachaktionen zur Einstimmung aufs Festival.

Drei Installationen öffnen ihre Tore bereits vor Festivalstart: 7.9., 18h, Jannik Giger Blind audition, 8.9., 19h, Cathy van Eck Der Klang von Birsfelden und auf dem Feuerschiff Gannet, am 9.9. um 11h Phase 4, ein multidisziplinär-kollektiv entwickelter begehbarer Klangraum im Schiffsbauch.

 

Dimitri de Perrot, Stephanie FleischmannMichael HerschSascha ArmbrusterIsaï Angst

Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, 29.9.2021, Reportage Barblina Meierhans: Skript, Redaktion Benjamin Herzog

Neo-profiles: Michel Roth, soyuz21, Zeiträume Basel, Barblina Meierhans, Cathy van Eck, , Philipp MeierJeanne LarrouturouMats Scheidegger, Aleksander Gabrys, Ensemble Vortex, ensemble proton bern