Eigenwilliger Avantgardist aus Zullwil: Der Komponist Hermann Meier

Hermann Meier (1906-2002) war Dorfschullehrer in Zullwil im Schwarzbubenland und hatte fünf Kinder zu ernähren. Trotzdem fand er immer die Zeit, um an seinen ungewöhnlichen Kompositionen zu arbeiten – wenn auch erstmal nur für die Schublade, weil größere Erfolge und Aufführungen zu seinen Lebzeiten ausblieben. Die Musikwissenschaftlerin Dr. Michelle Ziegler hat seinen Nachlass erforscht. Ein Gespräch mit Friederike Kenneweg.

 

Ausschnitt aus dem grafischen Plan von Hermann Meier für sein Stück für zwei Klaviere HMV44 aus dem Jahr 1958. Vergilbtes Papier mit Linien, darauf mit Buntstift in rot, schwarz und blau eingetragene Flächen-
Ein Ausschnitt des graphischen Plans zu einem Klavierstück von Hermann Meier aus dem Jahr 1958 (HMV44). “Mondriane” nannte Meier diese Pläne, die er seit den 1950er Jahren erstellte, bevor er die Werke in Notenschrift ausarbeitete. Der Nachlass des Komponisten ruht seit 2009 in der Paul Sacher Stiftung – und damit auch eine Vielzahl dieser Graphiken, eingerollt und in Kartons verstaut. © Paul Sacher Stiftung.

 

Friederike Kenneweg
“Angefangen hat es damit, dass ich 2011 erstmals Musik von Hermann Meier im Konzert gehört habe”, erinnert sich Michelle Ziegler, “und das hat mich gleich fasziniert.” Damals spielten Tamriko Kordzaia und Dominik Blum die Dreizehn Stücke für zwei Klaviere von Hermann Meier aus dem Jahr 1959. “Das sind dreizehn voneinander abgetrennte Abschnitte von sehr unterschiedlichem Charakter. Ich habe mich damals schon mit der Umsetzung von bildnerischen Vorstellungen in Musik beschäftigt, und das fand ich hier konsequent umgesetzt.”

 

 


In den Dreizehn Stücken für zwei Klaviere offenbart sich der Facettenreichtum von Hermann Meiers Musik, der laut und direkt, aber auch zart und manchmal humorvoll klingen kann. Tamriko Kordzaia, Dominik Blum, Konzert vom 19.Mai 2011, Museum für Gestaltung Zürich, Eigenproduktion SRG/SSR.

 

Als Michelle Ziegler hörte, der Nachlass dieses Komponisten läge noch weitgehend unerforscht in der Paul Sacher Stiftung und es gäbe dort allerhand graphische Pläne zu entdecken, hatte sie ihr Dissertationsprojekt gefunden. “Das war dann am Ende auch der Schwerpunkt meines Projekts: Meiers Klaviermusik und seine bildliche Notation.”

 

 Die Musikwissenschaftlerin Michelle Ziegler bei einer Führung durch die Ausstellung "Mondrian-Musik. Die graphischen Welten des Komponisten Hermann Meier". © Daniel Allenbach/HKB
Michelle Ziegler bei einer Führung durch die Ausstellung ‘Mondrian-Musik. Die graphischen Welten des Komponisten Hermann Meier’ (Kunstmuseum Solothurn, Oktober 2017 – Februar 2018) © Daniel Allenbach/HKB.

 

Aufzeichnungen in Schulheften

Um die Notizen von Hermann Meier lesen zu können, lernte Michelle Ziegler sogar eigens eine bestimmte Stenografie-Schrift. Denn in dieser Form hielt Meier, der als Primarschullehrer unbegrenzt Zugang zu Schulheften hatte, unentwegt seine Gedanken fest: zur Musik, zur zeitgenössischen Kunst und zum Fortgang seiner Arbeit. “Man kann ihn geradezu als graphoman bezeichnen”, sagt Michelle Ziegler. Mit der Vielzahl an Heften, Plänen und Noten, die heute in der Paul Sacher Stiftung ruhen, könne man sich noch ein ganzes Leben lang beschäftigen.

 

Quer zum Musikbetrieb seiner Zeit

Dass Hermann Meier trotz der stetigen Produktivität zu seinen Lebzeiten nur wenig Anerkennung erfuhr, hat mit seinem eigenwilligen kompositorischen Weg zu tun. Schon seit den 1930er Jahren beschäftigte er sich im Selbststudium mit der Zwölftonmusik und fand mit Wladimir Vogel nach dem Zweiten Weltkrieg auch zunächst einen wohlwollenden Lehrer. Doch er verabschiedete sich mehr und mehr davon, fand erst einen umso radikaleren Umgang mit dem seriellen Komponieren und ging schließlich, inspiriert von der Bildenden Kunst um Piet Mondrian und Hans Arp, zur Arbeit mit Klangflächen über. Seit 1955 arbeitete Meier mit graphischen Plänen, in denen er visuell die Struktur skizzierte, die er später in Notenschrift ausformulierte.

Mit seiner Art zu Komponieren stieß er damals auf Unverständnis. Obwohl er sich um Aufführungsmöglichkeiten bemühte, erhielt er nur Absagen. Er komponierte zwar unbeirrt weiter, aber für die Schublade.

 

Der Komponist Hermann Meier 1979 in Yverdon am Klavier.
Hermann Meier 1979 in Yverdon. © Privat

 

Klang als Leinwand

Eine zentrale Rolle im Werk Meiers, der selbst ein sehr guter Pianist war, spielen Tasteninstrumente. Das Klavierstück von Hermann Meier, das Michelle Ziegler besonders schätzt, ist das Stück für zwei Klaviere aus dem Jahr 1958 (Hermann-Meier-Verzeichnis HMV 44).

“Das ist für mich ein umwerfendes Stück. Ich kann es mir immer wieder anhören und höre immer wieder andere Dinge.”

 

 


Im Stück für zwei Klaviere HMV 44 aus dem Jahr 1958, hier gespielt von Tamriko Kordzaia und Dominik Blum, experimentiert Hermann Meier mit den drei Strukturelementen Punkte, Striche und Flächen. Diese werden gegeneinander gesetzt, überlagern sich, werden übereinander geschichtet.

 

 

Ausschnitt aus dem graphischen Plan zu dem Stück für zwei Klaviere HMV44 von Hermann Meier aus dem Jahr 1958. Auf vergilbten Karopapier sind schwarze, blaue und rote Flächen eingezeichnet, mit Bleistift Anmerkungen des Komponisten verzeichnet. © Paul-Sacher-Stiftung, Basel
Ausschnitt aus dem graphischen Plan zum Stück für zwei Klaviere HMV 44. In dem frühen Plan sind die drei Formelemente Punkte, Striche und Flächen in verschiedenen Farben ausgedrückt: Punkte rot, Striche blau und Flächen schwarz. © Paul-Sacher-Stiftung, Basel

 

Späte Anerkennung: ‘Klangschichten’

Dass Meiers Bemühungen um Aufführung seiner Werke nicht fruchten wollten, liegt auch daran, dass sie für die damaligen Instrumentalist:innen zu schwierig waren. So nimmt es nicht wunder, dass Meier sich der elektronischen Musik zuwandte. Und tatsächlich gelang es ihm, 1976 und damit im Alter von siebzig Jahren, im Experimentalstudio des SWF sein erstes Werk für Tonband Klangschichten zu realisieren – mit dem er im Dezember des gleichen Jahres einen Preis gewann.

 

Im Alter ein neuer Stil

Ab 1984 Jahren war es der Pianist und Komponist Urs Peter Schneider, der sich für Hermann Meiers Musik interessierte und einige seiner Werke im Rahmen der Konzertreihe “Neue Horizonte Bern” zur Uraufführung brachte.

 


Mit der späten Möglichkeit, seine Instrumentalstücke aufgeführt zu erleben, entwickelte Hermann Meier einmal mehr einen neuen Stil. Diesen entdeckt Michelle Ziegler zum Beispiel im Klavierstück für Urs Peter Schneider aus dem Jahr 1987, hier gespielt von Gilles Grimaître. Konzert HKB Bern 2017, Eigenproduktion SRG/SSR.

 

“Das Rhythmische und das Element der Dauer werden dann sehr wichtig. Da war er schon über achtzig und hat sein Komponieren noch einmal ziemlich verändert, einfach weil ihn etwas anderes noch mehr fasziniert hat.”

Unterdessen hat das Werk Hermann Meiers doch noch einiges an Aufmerksamkeit erfahren. Im Jahr 2018 gelangte beispielsweise Meiers Stück für großes Orchester und Klavier vierhändig aus dem Jahr 1965 bei den Donaueschinger Musiktagen zur Uraufführung. Solche Konzerte freuen Michelle Ziegler besonders.
“Mir ist wichtig, dass die Musik von Hermann Meier nicht nur Papier bleibt, sondern dass sie unbedingt auch gehört werden soll.”
Friederike Kenneweg

 

Die Paul Sacher Stiftung hat den Nachlass von Hermann Meier geordnet, zu einem großen Teil restauriert und ein Werkverzeichnis angelegt.

Der Komponist und Fagottist Marc Kilchenmann hat die Noten als Faksimile-Ausgabe im aart Verlag zugänglich gemacht.

Der Pianist Dominik Blum hat sämtliche Werke für Klavier Solo von Hermann Meier ab 1948 vollständig eingespielt.

Michelle Ziegler veröffentlichte den Band Musikalische Geometrie. Die bildlichen Modelle und Arbeitsmittel im Klavierwerk Hermann Meiers im Verlag Peter Lang, Bern und gab gemeinsam mit Heidy Zimmermann und Roman Brotbek den Katalog zur Ausstellung Mondrian-Musik. Die graphischen Welten des Komponisten Hermann Meier im Chronos Verlag, Zürich heraus.

Webseite Hermann Meier, Paul Sacher Stiftung, Aart Verlag, Michelle Ziegler

 

Sendung SRF Kultur:
Kontext, 10.1.2018: Hermann Meier, ein lang verkannter Musikpionier, Autor Moritz Weber

neo-profile:
Hermann Meier, Urs Peter Schneider, Gilles Grimaître, Tamriko Kordzaia, Dominik Blum, Marc Kilchenmann

20 Jahre Konus Quartett

Dem Saxophon jeden möglichen Ton entlocken – das ist das Metier des Konus Quartetts. Die vier Musiker sind spezialisiert auf zeitgenössische und experimentelle Musik und zeigen im Ensemble einen grossen Reichtum an neuen Saxophon-Klangwelten. Dieses Jahr feiert das Konus Quartett sein 20. Jubiläum mit einer Festivalwoche voller Kollaborationen – zum Beispiel mit dem Gori Frauenchor aus Georgien.

Florence Baeriswyl
Viele Saxophonquartetts wollen möglichst virtuos und voll klingen, am ehesten wie eine Orgel. Nicht das Konus Quartett: es spielt präzis und minimalistisch und erforscht dabei die Grenzen der Saxophonmusik. Christian Kobi, Fabio Oehrli, Stefan Rolli und Jonas Tschanz: das sind die Namen hinter dem Konus Quartett, welches dieses Jahr sein 20. Jubiläum feiert. Die vier Musiker sind breit gefächert und haben Hintergründe, die von freier Improvisation, über Tonmischung und Label-Führung bis zur Big Band- und Festivalleitung reichen. Alle vier teilen die Leidenschaft für das Saxophon und eine musikalische Experimentierfreudigkeit.

 

Konus Quartett: Von links nach rechts: Christian Kobi, Fabio Oehrli, Stefan Rolli, Jonas Tschanz © Livio Baumgartner

 

Minimalismus und Präzision

Christian Kobi beispielsweise hat auch schon mit der Stille des Saxophons Musik erzeugt. Dafür montierte er Mikrophone ganz dicht am Blasrohr und nahm die Resonanz im Inneren des Instruments auf, ohne hineinzublasen. Die so aufgenommene Stille verstärkte er, bis es zu einer Rückkopplung kam. Das Ergebnis ist ein anhaltender, unscheinbarer Ton, der sich einfach überhören lässt, wenn man sich nicht darauf achtet.

 


Christian Kobi lässt in rawlines 1 durch Rückkopplung von Resonanzen im Saxophoninneren Stille zu Klang werden.

 

Modular und zukunftsgewandt

Während ein traditionelles Saxophonquartett aus den vier Hauptinstrumenten der Saxophonfamilie besteht – Bariton, Tenor, Alt und Sopran – setzt sich das Konus Quartett modular zusammen und bleibt in der Besetzung flexibel. Je nach Stück spielen sie in der traditionellen Besetzung, aber manchmal auch mit zwei Altsaxophonen, einem Tenor- und einem Baritonsaxophon, oder sogar mit zwei Tenor- und zwei Baritonsaxophonen.

Diese Flexibilität suchen die vier Saxophonisten auch, wenn sie Kompositionen in Auftrag geben. Sie arbeiten vor allem mit Komponist:innen zusammen, die sich vertieft mit Klang auseinandersetzten und sich nicht von traditionellen Erwartungen an Saxophonquartette einschränken lassen. Unter den Stücken, die sie aufführen, finden sich Kompositionen von wichtigen Namen der internationalen Szene der zeitgenössischen Musik wie Chiyoko Szlavnics, Jürg Frey, Barry Guy, Makiko Nishikaze, Phill Niblock, Urs Peter Schneider, Martin Brandlmayr oder Klaus Lang.

 

FORWARD & REWIND: Ein Fest für neue Musik

Zur Feier seines 20. Jubiläums veranstaltet das Konus Quartett mit Titel Foward & Rewind in Bern ein Festivalwochenende. Forward & Rewind ist wörtlich gemeint: die vier Saxophonisten nehmen vergangene Kollaborationen erneut auf und streben neue an, sie zeigen sich zugleich reflektiert und zukunftsgewandt.

Eine dieser bereits vorhandenen Kollaborationen ist beispielsweise die mit dem Streichquartett Quatuor Bozzini. Im Jahr 2021 brachte das Konus Quartett mit ihnen das Stück Continuité, fragilité, resonance vom Schweizer Komponisten Jürg Frey zur Uraufführung. Am Eröffnungskonzert greifen die Musiker:innen des Konus Quartetts und des Quatuor Bozzini dieses Stück nochmal auf, zusammen mit einem Stück der Komponistin Chiyoko Szlavnics. Dabei lassen sich die Musiker:innen viel Zeit und Raum – und entfalten geduldig und präzise die verschiedenen Klangflächen, die in den Kompositionen verborgen sind.


During a Lifetime (Ausschnitt): Das Konus Quartett interpretiert ein Stück der kanadischen Komponistin Chiyoko Szlavnics.

 

Kraftvolle Stimmen aus Georgien

Eine neue Kollaboration erfolgt mit dem renommierten georgischen Gori Frauenchor, welcher seit 1970 den traditionellen georgischen Chorgesang auf Bühnen bringt. Diese polyphone Gesangstechnik ist hunderte von Jahren alt und entfernt verwandt mit dem uns bekannten Jodeln. Sie zeichnet sich besonders durch die fast physisch spürbare Kraft in der Stimme aus. Die Frauen singen teilweise einstimmig, teilweise mikrotonal aufgefächert, und vermischen dabei Harmonie und Dissonanz.

Seit 2013 wird der Chor von Teona Tsiramuna geleitet und hat sich gewissermassen neu erfunden. Der Leiterin ist es sehr wichtig, stets Neues zu entdecken und die gesangliche Tradition mit modernen und internationalen Musiken zu kombinieren. «1970 sang der Chor für eine bestimmte, ziemlich homogene Hörerschaft. Es wurde vor allem schwermütige und getragene georgische Musik aufgeführt. Jetzt hat sich das ausgeweitet. Wir singen auch mexikanische, türkische oder afrikanische Volksmusik», so Tsiramuna im Interview für SRF 2 Kultur.

Besonders nach einer Kollaboration mit der georgisch-britischen Pop- und Blues-Sängerin Katie Melua gewann der Gori Frauenchor über die Grenzen Georgiens hinaus an Bekanntheit und tritt nun auf europäischen Bühnen in verschiedenen Konstellationen an. Die Experimentierfreudigkeit zieht die Dirigentin auch zu Kollaborationen mit zeitgenössischen Musiker:innen, bspw. an den Stanser Musiktagen.

 

An den Stanser Musiktagen 2022 traten die Frauen zusammen mit vier jungen elektronischen Künstler:innen auf und verschmolzen Stimme mit Synthesizer-Klängen.

 

«Air Vibrations»

Air vibrations, die Kollaboration des Konus Quartetts mit dem Gori Frauenchor lässt sich einerseits als «Luftschwingungen» übersetzen, andererseits auch als «Liedschwingungen», vom italienischen «aria». Zum Schwingen bringt der Gori Frauenchor seine Stimmen zusammen mit zwei weiteren grossen Namen der zeitgenössischen Musik: die georgisch-schweizerische Pianistin Tamriko Kordzaia und der österreichische Komponist und Konzertorganist Klaus Lang.

 

Die neue Kollaboration knüpft an die erste Zusammenarbeit zwischen Klaus Lang und dem Konus Quartett, dem Stück Drei Allmenden, an.

 

Lang hat das Konzert konzipiert und komponiert und spielt auch an der Orgel mit. Seine Werke zeichnen sich durch die Weise aus, wie der den Klang erforscht. Musik ist «hörbar gemachte Zeit», so Lang. Auf seinem Instrument, der Konzertorgel, lässt sich diese Seite des Klangs besonders gut erkunden, da man die Töne beliebig lange halten kann.

Im Konzert Air Vibrations verwebt Lang dieses Orgelspiel mit den Saxophonen des Konus Quartetts und den Klaviertönen von Tamriko Kordzaia. Zusammen legen sie den Boden für den traditionelle Gesang des Gori Frauenchors. Dadurch entsteht Musik, die Altes und Neues vermischt, und somit voll und ganz im Sinne des Festivals steht: Forward & Rewind.
Florence Baeriswyl

 

Konus Quartett © Livio Baumgartner

 

FORWARD & REWIND Bern
3.5.23, 18:30: Konzert «Continuité, fragilité, resonance» von Jürg Frey, mit Quator Bozzini, les Concerts de musique Contemporaine (CMC) La Chaux-de-Fonds
5.5.-7.5.23: Fest für neue Musik , Bern
5.5. 19:30: Interlaced Resonances, Aula PROGR Bern
6.5. 19:30: Voltage Cracklings, Aula PROGR Bern
7.5. 19:30: Air Vibrations, Kirche St Peter & Paul Bern

Weiteres Konzert: Moods Zürich
8.5.23, 20:30:  «Air Vibrations»

Fabio Oehrli, Jonas TschanzChiyoko Szlavnics, Barry Guy, Makiko Nishikaze, Phill Niblock, Martin Brandlmayr, Klaus Lang, Quatuor Bozzini

Sendung SRF 2 Kultur:
Neue Musik im Konzert, 19.7.2023: Konzert Konus Quartett und Gori Women’s Choir, Bern: Air vibrations
Neue Musik im Konzert, 12.1.22: Jürg Frey: Stehende Schwärme
Musik unserer Zeit
, 13.11.13: «zoom in» – der Saxophonist und Veranstalter Christian Kobi
Online-Artikel, 13.11.13: Das Rauschen des Nichts: Der Saxophonist Christian Kobi
Musik unserer Zeit, 17.07.2019: Saxophonzauber mit dem Konus Quartett
Musikmagazin, 21.5.22: Chorleiterin Teona Tsiramua: «Wir singen nicht nur Wiegenlieder»


Neo-profile:
Konus Quartett, Tamriko Kordzaia, Christian Kobi, Jürg FreyUrs Peter Schneider, Jonas Tschanz

Offen für Menschen und Musik

Friederike Kenneweg
„Es fällt gerade schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren“, sagt die Pianistin Tamriko Kordzaia, als ich sie Anfang März zu einem Zoom-Gespräch treffe. Wir sind beide erschüttert vom Krieg, der in der Ukraine begonnen hat. Aber für die Georgierin Kordzaia hat das Geschehen noch eine andere Bedeutung. „Ich bin hier natürlich auch gleich auf der Demo gewesen, und das hat gut getan, aber wenn danach alles wieder einfach so weiter geht, fühle ich mich hier auf einmal einsam…“

 

Die Pianistin Tamriko Kordzaia sitzt am Flügel und spielt konzentriert, vor ihr die aufgeschlagenen Noten.
Portrait Tamriko Kordzaia © Lorenzo Pusterla/ Kunstraum Walcheturm

 

Brücken zwischen Georgien und der Schweiz

Und dabei ist Tamriko Kordzaia schon lange als eine Art musikalische Botschafterin zwischen der Schweiz und Georgien unterwegs. Seit 2005 leitet sie das Festival Close Encounters, das sich zur Aufgabe gemacht hat, zeitgenössische Musik beider Länder gemeinsam zur Aufführung zu bringen. Alle zwei Jahre findet das Festival in der Schweiz und in Georgien statt. Dabei geht es Tamriko Kordzaia zum einen darum, die Musik zeitgenössischer Komponist:innen beider Länder gemeinsam zu präsentieren und so Begegnungen zu schaffen. In Georgien geht es aber auch darum, zeitgenössische Musik in ländliche Regionen weit abseits des hauptstädtischen Zentrums zu bringen. „Das ermöglicht allen Beteiligten – Musiker:innen wie Zuhörenden – immer wieder einmalige Erfahrungen“, betont Kordzaia.

In diesem Jahr werden zu Werken von Peter Conradin Zumthor und Cathy van Eck junge georgische Komponist:innen mit neuen Stücken vorgestellt. Und mit Alexandre Kordzaia (*1994) ist auch der Sohn der Pianistin beim Close Encounters Festival vertreten. Er kann selbst als vermittelnder Grenzgänger zwischen der Schweiz und Georgien gelten, aber auch zwischen klassischer und elektronischer Musik. Denn er komponiert nicht nur Kammermusikwerke, sondern ist unter dem Namen KORDZ auch als Clubmusiker bekannt.

 

Engagiert für einen vergessenen Komponisten

Es sind allerdings nicht nur die jungen georgischen Komponist:innen, die Tamriko Kordzaia bekannter machen will. In Zusammenarbeit mit zwei weiteren georgischen Pianistinnen hat sie sich auch der Wiederentdeckung des in Vergessenheit geratenen Komponisten Mikheil Shugliashvili (1941-1996) gewidmet. Im Jahr 2013 brachten die drei Pianistinnen die Grand Chromatic Fantasy (Symphony) von Shugliashvili zur Aufführung und veröffentlichten die erste Aufnahme des beeindruckenden Werks für drei Klaviere auf CD.

 

Ausschnitt einer Aufführung des Stückes Grand Chromatic Fantasy (Symphony) von Mikheil Shugliashvili beim Musikfestival Bern 2020

 

Brücken bauen zwischen Formationen, Epochen und Genres

Tamriko Kordzaia ist als Pianistin in ganz unterschiedlichen musikalischen Formationen aktiv. Sie spielt Soloauftritte, konzertiert im Duo mit Dominik Blum von Steamboat Switzerland oder mit der Cellistin Karolina Öhman, und ist seit 2008 Mitglied des Mondrian Ensembles, das selbst alle möglichen Kombinationen, die ein Klavierquartett ermöglicht, mit seinen Programmen abdeckt.

 

Die vier Musikerinnen des Mondrian Ensembles. Foto: Arturo Fuentes
Tamriko Kordzaia spielt schon seit 2008 im Mondrian Ensemble, zusammen mit Karolina Öhman, Ivana Pristašová und Petra Ackermann. Foto: Arturo Fuentes

 

Und schon lange ist Tamriko Kordzaia nicht nur eine Grenzgängerin zwischen den Ländern und Formationen, sondern auch zwischen den Epochen. Zu Beginn ihrer Karriere in Georgien hatte sie sich zunächst mit ihren Interpretationen von Mozart und Haydn einen Namen gemacht. Als sie aber an der Zürcher Hochschule der Künste ihre Studien fortsetzte, begann ihre Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik. Zum Beispiel mit den Werken des Schweizer Komponisten Christoph Delz (1950-1993), dessen sämtliche Klavierwerke Kordzaia im Jahr 2005 einspielte. Das Mondrian Ensemble, in dem Kordzaia Mitglied ist, hat es sich explizit zur Aufgabe gemacht, in seinen Programmen alte und neue Musik gemeinsam zu spielen und dadurch ungewöhnliche Zusammenhänge hörbar zu machen. Das Ensemble setzt in seinen Programmen auch Konzepte um, in denen Raum, Bühne oder Film eine Rolle spielen, und hat auch keine Berührungsängste bei der Zusammenarbeit mit Vertreter:innen des Jazz oder der Clubmusik.

 

Aufnahme des Mondrian Ensembles von Plod on von Martin Jaggi.

 

Über die lange Zeit, die Tamriko Kordzaia jetzt beim Mondrian Ensemble dabei ist, haben sich feste und regelmäßige Arbeitsbeziehungen ergeben, u.a. mit Komponisten wie Dieter Ammann, Felix Profos, Antoine Chessex, Martin Jaggi, Jannik Giger, Roland Moser und Thomas Wally.

 

sieben sonnengesichter

Ein besonderes Verhältnis hat Tamriko Kordzaia allerdings zur Musik von Klaus Lang, dessen Stücke schon in einige Programme des Mondrian Ensembles Eingang gefunden haben. Als die Corona-Pandemie das Konzertleben jäh zum Stillstand brachte, war es das Stück sieben sonnengesichter von Klaus Lang, mit dem sich Kordzaia, auf sich selbst zurückgeworfen, endlich einmal ausführlicher beschäftigen wollte. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung erschien 2021 auf CD.

 


Video von den CD-Aufnahmen der sieben sonnengesichter von Klaus Lang mit Tamriko Kordzaia am Klavier.

 

Arbeit mit der jungen Generation

Etwas, das Tamriko Kordzaia schon seit ihren Anfängen in der Schweiz begleitet, ist die Arbeit mit jungen Musiker:innen – eine Tätigkeit, die sie heutzutage richtig glücklich macht. An der Zürcher Hochschule der Künste gibt sie Klavierunterricht und hilft den Studierenden, den Weg zur eigenen Stimme bei der Interpretation nicht nur klassischer, sondern auch zeitgenössischer Werke zu finden. Und dort kommt sie auch mit jungen Komponist:innen in Kontakt, denen sie bei der Entwicklung ihrer Stücke beratend zur Seite steht. „Das ist so toll zu sehen, was diese jungen Leute für Ideen haben und wie sie weiter kommen. Das gibt mir immer Sinn und hilft mir weiter zu machen, auch wenn drumherum alles schwierig ist.“
Friederike Kenneweg

Erwähnte Veranstaltungen:
Festival Close Encounters:
Dienstag, 26.4.22 Kunstraum Walcheturm – Favourite Pieces
Donnerstag, 28.4.22 Stanser Musiktage – Georgische Musik mit dem Gori Frauenkammerchor
Freitag, 29.4.22 Feilenhauer Winterthur – Georgische Musik mit dem Gori Frauenkammerchor
Samstag, 30.4.22 GDS.FM Club Sender Zürich – Tbilisi Madness

10 PIECES TO DESTROY ANY PARTY:
Im nächsten Programm des Mondrian Ensembles kommt das gleichnamige Stück von Alexandre Kordzaia zur Uraufführung, eine „Oper ohne Libretto in 6 Sätzen“ für Klavierquartett und Elektronik. Das Stück erzählt die Geschichte von drei Prinzessinnen, die angesichts ihrer Hochzeit anfangen zu zweifeln und schließlich ihr eigenes Fest sabotieren. Dazu kombiniert: Werke von Mauricio Kagel, Cathy van Eck und Bernd Alois Zimmermann.
Dienstag, 3.5.22 Gare du Nord, Basel
Mittwoch, 4.5.22 Kunstraum Walcheturm, Zürich
Donnerstag, 5.5.22 Cinema Sil Plaz, Ilanz

Erwähnte CD-Einspielungen:
Klaus Lang / Tamriko Kordzaia, sieben sonnengesichter: CD domizil records 2021.
Mikheil Shugliashvili/Tamriko Kordzaia, Tamara Chitadze, Nutsa Kasradze, Grand Chromatic Fantasy (Symphony) For Three Pianos: CD, Edition Wandelweiser Records, 2016.
Christoph Delz: Sils „Reliquie“ – 3 Auszüge aus „Istanbul“, CD, guildmusic, 2005.

Klaus Lang, Mikheil Shugliashvili, KORDZ, Christoph Delz

neo-Profile:
Tamriko Kordzaia, Festival Close Encounters, Mondrian Ensemble, Karolina Öhman, Petra Ackermann, Alexandre Kordzaia, Cathy van Eck, Peter Conradin Zumthor, Jannik Giger, Dieter Ammann, Martin Jaggi, Roland Moser, Felix Profos, Antoine Chessex, Zürcher Hochschule der Künste, Musikfestival Bern

Zeitbrücken über Epochengrenzen

20 Jahre lang gibt es sie schon: das Basler Klavierquartett Mondrian feiert Jubiläum. Wie gut, dass einige der zu diesem Anlass geplanten Konzerte nun tatsächlich stattfinden können.

Ensemble Mondrian ©zVg Ensemble Mondrian


Friederike Kenneweg
Durchwachsen, das war die diesjährige Konzertsaison nicht nur für das Mondrian Ensemble: allzuviele Veranstaltungen wurden abgesagt, verschoben oder mussten als Live-Stream online stattfinden. Doch für die vier Musikerinnen Tamriko Kordzaia (Klavier), Ivana Pristašová (Violine), Petra Ackermann (Viola) und Karolina Öhmann (Violoncello) war das noch mal extra bitter. Denn ausgerechnet 2020 und 2021 wollten sie das 20jährige Bestehen ihres Ensembles begehen. Das Jubiläumskonzert im Herbst 2020 konnte noch mit wenig anwesendem Publikum stattfinden. Die Veranstaltung aus dem Walcheturm in Zürich musste dann aber doch gestreamt werden. Der Vorteil: dadurch ist das Ereignis noch immer für alle online zugänglich.

 

Verbindungslinien zwischen den Epochen

Klassisch-Romantisches und Zeitgenössisches zusammenzubringen, das ist seit 20 Jahren charakteristisch für das Mondrian Ensemble. Dies zeigte sich auch im Jubiläumsprogramm. Ein Streichtrio von Schubert und vier Fantasiestücke von Schumann wurden mit Werken von Martin Jaggi (*1978), Jannik Giger (*1985) und Madli Marje Gildemann (*1994)  kombiniert. Auf diese Weise werden Verbindungslinien zwischen den Epochen wahrnehmbar,  aber auch Kontaste und Weiterentwicklungen treten umso klarer hervor. Dadurch, dass sich die vier Musikerinnen nicht auf eine Epoche festlegen, sondern die gesamte Musikgeschichte bis hin zur Jetztzeit als Material für ihre Konzertprogramme betrachten, fördern sie immer wieder Erstaunliches zutage – zum Beispiel Parallelen zwischen der melancholischen Schönheit englischer Renaissancemusik und dem langsamen Pulsieren eines Stücks des Österreichers Klaus Lang. Oder sie ermöglichen dem Publikum eine ganz eigene Art der Zeiterfahrung, wenn sie ein Klaviertrio von Schubert und ein Klavierquartett von Morton Feldman unmittelbar hintereinander zu Gehör bringen.

Wichtig ist dem Ensemble außerdem, zeitgenössische Kompositionen ins Repertoire aufzunehmen. Da das Ensemble sie über Jahre hinweg bei verschiedenen Gelegenheiten spielt, entwickeln und entfalten sich diese Stücke wie Interpretationen von klassischen Werken. Das ist im mehrheitlich auf Uraufführungen fokussierten Neue-Musikbetrieb sonst kaum möglich.

Die vier Musikerinnen legen außerdem Wert darauf, eng mit den Komponist*innen zusammen zu arbeiten – teilweise über lange Zeiträume hinweg. Mit Dieter Ammann zum Beispiel ist das Mondrian Ensemble schon seit der unmittelbaren Anfangszeit verbunden. Die Arbeit an der Uraufführung seines Streichtrios Gehörte Form aus dem Jahr 1998 führte überhaupt erst dazu, dass sich die Gründungsmitglieder Daniela Müller an der Violine, Christian Zgraggen an der Bratsche und Martin Jaggi am Cello schließlich im Jahr 2000 zu einem Ensemble zusammen fanden.

 


Dieter Ammann, Gehörte Form – Hommages für Streichtrio 1998, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Mit Walter Zoller am Klavier wurde es ihnen möglich, sowohl Streich- und Klaviertrios als auch Klavierquartette aus allen Epochen miteinander aufzuführen. Die Flexibilität, die diese Art der Besetzung mit sich bringt, nutzt das Ensemble bis heute weidlich bei der Programmgestaltung aus. So finden sich darin auch Soli oder Duette in den unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten.

 

Unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten

Ein weiterer Komponist, der das Ensemble schon lange begleitet, ist Jannik Giger aus Basel. Die erste gemeinsame Arbeit war das Stück „Intime Skizzen“. Jannik Giger begleitete die Musikerinnen beim Einstudieren von kompositorischen Skizzen von Leoš Janáček mit der Kamera. Das fertige Werk bietet über eine Videoleinwand Einblicke in die Probenräume der Musikerinnen, die vom Aneignungsprozess des Stückes erzählten. Dazu spielt das Ensemble live die Janáček-Fragmente und Ergänzungen, die Jannik Giger dazu komponiert hatte. Inzwischen gehört auch das Klaviertrio Caprice aus dem Jahr 2013 sowie das Streichtrio Vertige von Jannik Giger zum festen Repertoire des Ensembles.

Jannik Giger, Vertige für Streichtrio 2020

 

Mit dem östereichischen Komponisten Thomas Wally hat das Ensemble nicht nur eine Portrait-CD  aufgenommen, (Jusqu’à l’aurore, col legno 2020), sondern es wird auch im Mai gemeinsam mit ihm auf der Bühne stehen. Denn Wally komponiert nicht nur, sondern ist auch Violinist. Bei den anstehenden Konzerten ergänzt er Ivana Pristašová, Petra Ackermann und Karolina Öhmann zum Streichquartett. Im Programm BLACK ANGELS bringen sie das gleichnamige Stück von George Crumb aus dem Jahr 1970 zu Gehör, das Bezug auf den Vietnamkrieg nimmt. Die Streichinstrumente werden hier elektronisch verstärkt. Klänge vom Tonband kommen zum Streichquartett in Steve Reichs Komposition Different trains aus dem Jahr 1988 dazu. Different trains nimmt ebenfalls das Thema Krieg in den Blick – reflektiert anhand der Bedeutung, die Züge zur Zeit um den zweiten Weltkrieg hatten.

 

50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz – zum Einsatz kommt ein bespielbarer Backofen

 

Um 50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz kreist ein Programm, das für den Herbst 2021 geplant ist. Einen ersten Einblick gibt es schon am 4. Juni, wenn das Stück Garzeit des Künstlerduos LAUTESkollektiv zur Uraufführung kommt.

LAUTESkollektiv 2x Haensler ©zVg Stefanie Haensler

LAUTESkollektiv, dahinter verbergen sich die Komponistin Stephanie Haensler (*1986) und die Designerin Laura Haensler. Garzeit ist ein mehrteiliges Klavierquartett, in dem nicht nur die gewohnten Instrumente des Mondrian Ensembles  zum Einsatz kommen, sondern auch ein bespielbarer Backofen. Dieser transportiert einen Teil der Ästhetik und Lebensrealität der Frauen um 1971. Schalter, Hebel und Knöpfe werden während der Komposition von den Musikerinnen bedient und nehmen auf das Klanggeschehen Einfluss.

 


Stephanie Haensler: Ein Schnitt für Streichquintett 2019, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Im vollständigen Programm werden darüber hinaus Stücke von Komponistinnen verschiedener Epochen und Generationen zu hören sein – von Clara Schumann (1819-1896) über Elfrida Andrée (1841-1929) und die fast vergessene St. Galler Komponistin und Dichterin Olga Diener (1890-1963) bis hin zu Rebecca Saunders (*1967) und Katharina Rosenberger (*1971).

Auf 2022 verlegt wurde das Programm des Mondrian Ensembles, in dem das Stück the ocarina chapter von Christoph Gallio uraufgeführt werden sollte – ein Auftrag des Mondrian Ensembles an den Schweizer Komponisten. Geplant war das Konzert als Begegnung des Ensembles mit dem Stimmkünstler Theo Bleckmann aus New York – ein künstlerisches Zusammentreffen, wie es die Situation momentan leider nicht erlaubt.
Friederike Kenneweg

 

Ensemble Mondrian ©zVg Ensemble Mondrian

 

BLACK ANGELS, das Jubiläumsprogramm mit Thomas Wally kommt nochmals am 7. Und 8. Mai zur Aufführung (Gare du Nord Basel, Kunstraum Walcheturm Zürich).

Die Uraufführung von Garzeit findet am 4. Juni im Historische Museum in Baden statt. Die Uraufführungstournee (Zürich, St. Gallen, Chur, Basel) dauert bis zum 1. November 2021.

Die Tournee mit einer Uraufführung von Christoph Gallio wurde auf 2022 verschoben.

 

Thomas WallyIvana PristašováGeorge Crumb, Steve Reich, Madli Marje Gildemann, Klaus Lang, Morton Feldman, Daniela MüllerWalter Zoller, Leoš Janáček, col legno, Laura HaenslerOlga Diener, Clara Schumann, Rebecca Saunders, Elfrida Andrée, Theo Bleckmann

 

Sendung SRF 2 Kultur:
Blick in die Feuilletons, 8.12.20, 20 Jahre mutige Kammermusik – das Mondrian Ensemble hat etwas zu feiern (ab Min 24): Ein Portrait von Gabrielle Weber

 

Neo-Profiles:
Mondrian Ensemble, Tamriko Kordzaia, Karolina Öhman, Petra Ackermann, George Crumb, Klaus LangMartin Jaggi, Jannik Giger, Dieter Ammann, Stephanie Haensler, Katharina Rosenberger, Christoph Gallio, Gare du Nord, Kunstraum Walcheturm

 

“Kunst ist eine soziale Tätigkeit”

Das Geheimnis ist gelüftet: der diesjährige Schweizer Grand Prix Musique geht an Erika Stucky, Sängerin, Musikerin und Performerin im Bereich der neuen Volksmusik.

14 weitere Preisträgerinnen und Preisträger gibt es, davon mehrere im weit gefassten Genre der zeitgenössischen experimentellen Musik.
Der Neo-Blog portraitiert einzelne in loser Folge. Den Auftakt macht Antoine Chessex, Saxophonist, Komponist, Klangkünstler und Klangtheoretiker.

Portrait Antoine Chessex ©Pierre Chinellato

Antoine Chessex, 1980 in Vevey geboren, gehört zu den innovativsten jungen Musikschaffenden der Schweiz. Nach Aufenthalten in New York, London und Berlin lebt er nun in Zürich. Chessex kennt keine Scheu vor Genregrenzen. Er bewegt sich fliessend zwischen komponierter und improvisierter Musik, Noise und Klangkunst. Zudem ist er als Autor, Dozent und Kurator international tätig und sensibilisiert für gesellschaftspolitische Themen wie Ungleichheitsverhältnisse oder das Prekariat im Kunstschaffen. Mit Gabrielle Weber spricht er über Klang und Hören.

Ich gratuliere zum Erhalt des Musikpreises! Waren Sie überrascht?

Ich freue mich sehr und war auch überrascht. Insbesondere, da meine Arbeit sich eher am Rand der kommerziellen Musikszene abspielt und sich keinem Genre zuordnen lässt.

Was bedeutet für Sie dieser Preis?

Der Preis ist ein Zeichen der Anerkennung, dass meine berufliche Praxis, die sich nun schon über zwanzig Jahre erstreckt, wahrgenommen wird. Meinen Beruf erlernte ich nicht in einer Institution, sondern auf dem Feld, im Tun. Dass ich als Einzelkünstler den Preis bekomme, hat aber auch etwas Ambivalentes: Meine Musik entwickelt sich immer wieder in einer kollektiven Praxis, da sind oft Mehrere beteiligt.


Antoine Chessex / Eklekto: écho/cide, Ausschnitt

Hat der Preis gerade jetzt eine besondere Bedeutung? In Zeiten der Coronapandemie ist das Thema Prekariat im Musikschaffen für viele zentral. Sie machen darauf in Ihrer Zeitschrift “Multiple” aufmerksam…

Die Situation zeigt, wie fragil das ganze System ist und wie prekär viele freischaffende Künstler*innen in der Schweiz arbeiten. Viele Musikschaffende leben beruflich in einem Zustand der Bricolage. Sie kommen nur durch die Kombination verschiedener (Kultur-)Arbeiten über die Runden. Fällt ein Teilchen weg, kollabiert rasch das Ganze. Die Situation ist ausserdem deswegen komplex, weil Kunstschaffende viel Zeit brauchen, um zu experimentieren und zu recherchieren. Der Imperativ, immer „produktiv“ sein zu müssen, ist deshalb problematisch. Kunst ist meines Erachtens keine Dienstleistung, sondern vor allem eine soziale Tätigkeit. Im Grossen und Ganzen stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen Kunst- und Musikschaffen als Beruf heute noch existieren kann.

«Das ist wie eine Sonic Fiction, die Imaginationen entfalten lässt»

Sie hinterfragen das romantisierende Klangbild der Natur in der Musik. Einige Ihrer Werke wurde auch schon mit “Urgewalt”, mit Erdbeben, Tsunami oder Vulkanausbrüchen verglichen.

In meiner Musik geht es vielleicht eher metaphorisch um Natur. Ich möchte Klischees der Repräsentation von Natur als schön, ruhig und harmonisch dekonstruieren. Natur ist auch chaotisch, gewaltvoll und laut. In Stücken wie The experience of limit klingt das Klavier wie ein Sturm im Meer. Das ist wie eine Sonic Fiction, die Imaginationen entfalten lässt. Phänomene wie seismische Aktivitäten, Tornados, Schneelawinen oder Starkregen interessieren mich klanglich.


Antoine Chessex / Tamriko Kordzaia, The experience of limit

‘Klang und Hören’ konnotieren Sie mit Macht und plädieren für ein ‘kritisches Hören’: Worum geht es dabei?

Musik ist kulturell konstruiert und eingebettet in verschiedene historische Traditionen. Im Grunde geht es mir aber meistens um die Verhältnisse von Klang und Hören. Hören ist nie neutral, sondern immer situiert. Da sind komplexe Mechanismen im Spiel und es geht um Machtverhältnisse: Die Tradition der europäischen Avantgarde schloss beispielweise viele Stimmen aus. Es braucht Diskurse, um aufzudecken, wo die Grenzen des Hörbaren sind. Der Begriff “kritisches Hören” fordert dazu auf, Machtverhältnisse und soziale Dimensionen mit zu hören und zu hinterfragen.

“Die Musikszenen und -institutionen agieren oft homogen, während die Realität der musikalischen Welt stark heterogen ist.”

Ihre Stücke siedeln sich zwischen improvisierter und notierter Musik, Noise und Klangkunst an – sie haben keine Berührungsängste zwischen musikalischen Genres: Wie funktioniert das in der Praxis der Institutionen?

Wenn es um Klang und Hören geht, werden Musikgenres obsolet. Kulturinstitutionen sind aber meist nach diesen organisiert. In der freien Szene funktioniert die Musik anders als im institutionellen zeitgenössischen Rahmen und Klangkunst braucht wiederum andere Räume. Die Musikszenen und -institutionen agieren oft homogen, während die Realität der musikalischen Welt stark heterogen ist. Je mehr sich Kunstschaffende zwischen den verschiedenen Szenen bewegen, desto mehr strukturelle Veränderungen können auch stattfinden.

Sie sind nicht “nur” als Komponist und Musiker, sondern auch als Kurator tätig, z.B. kuratieren Sie das Festival “Textures” im legendären Café OTO in London: Beeinflussen sich Komponieren und Kuratieren gegenseitig?

Beim Kuratieren geht es mir vor allem um andere Künstler*innen und Künstlerpersönlichkeiten und darum, Menschen zusammenzubringen. Komponieren, Kuratieren, aber auch Improvisieren und künstlerische Forschung sind mannigfaltig miteinander verbunden und repräsentieren verschiedene Aspekte meiner Praxis.

Portrait Antoine Chessex @Londres © A.Lukoszevieze

Ein neues Stück von Antoine Chessex kommt am Festival Label Suisse im September zur Uraufführung, interpretiert von Simone Keller an der Kirchenorgel und Dominik Blum an der Hammondorgel.
Interview: Gabrielle Weber

Antoine Chessex / Schweizer Kulturpreise BAK / Festival Label Suisse / Café OTO London

Sendung SRG: RSI/NEO, Redaktion Valentina Bensi, 28.7.20, 20h: incontro con Antoine Chessex

Neo-Profiles: Antoine Chessex, Swiss Music Prize, Simone Keller, Dominik Blum, Tamriko Kordzaia, Eklekto Geneva Percussion Center

“Wir verstehen Raum und Klang als Einheit”

Am 4. Und 5. Juli wird die stillgelegte Chemische Fabrik in Uetikon am See Schauplatz des Al(t)chemiefestivals. Das kleine liebevoll programmierte Musikfestival zeigt ein musikalisches Spektrum von Klassik über zeitgenössische Musik, zu Performance und Klangkunst. Das brachliegende Fabrikareal hat dabei eine ganz besondere Bedeutung.

Die Chemische @Uetikon am See

“Die Chemische” wurde sie liebevoll genannt. Die 200 Jahre alte chemische Fabrik in Uetikon am See – heute ist sie Monument und zugleich Ruine der Industriekultur, direkt an bester Lage am Zürichsee gelegen.

Bis 2028 soll dort ein neues Viertel entstehen, mit einem Schulkomplex, Büros, Wohnungen und Gewerberäumen. Das grosse Areal wird bis zum Umbau kulturell zwischengenutzt. Kunst- und Musikschaffende haben sich mit Ateliers und Werkstätten eingenistet.

Bereits seit einiger Zeit betreiben Marcel Babazadeh, Tonmeister, und Sophie Krayer, Bühnenbildnerin, in der “Chemischen”, das Atelier Klang und Raum. Dort bieten die beiden Klang-Beratungen für öffentliche Räume an. Oder sie hecken künstlerische Projekte aus, die Musik und Raum verbinden. Während des Lockdowns machte das Atelier mit seinen Digital Concerts, die live gestreamt wurde Furore. Und dabei  fand sich jeden Montagabend eine begeisterte Social Media Community von weit über 1000 Personen ein.

Daraus entstand dann auch die Idee des Al(t)chemiefestivals.

Die Pianistin Tamriko Kordzaia arbeitet schon lange mit dem Duo zusammen und glänzte in den Digital Concerts mit einem zeitgenössischen Solo-Recital. Sie ergänzt als Dritte im Bund das Kuratoren-IntendantInnenteam.


Tamriko Kordzaia, Karolina Öhman, Iannis Xenakis (Artarea 2020)

Schon länger hätte die Idee bestanden, den Ort mit seinem Musikschaffen durch ein Festival breiter bekannt zu machen, so Kordzaia. Corona habe den Plan zunächst zunichte gemacht. Als aber die Lockerungen konkreter wurden, seien diese eine Inspiration gewesen, die Idee spontan wieder aufzunehmen. Und -insbesondere durch zahlreiche Mitmach-anfragen « ausgehungerter » Künstler – habe das Projekt voll Fahrt aufgenommen und sich zum zweitägigen Festival ausgeweitet.

Portrait Tamriko Kordzaia

Und für die Umsetzung der Coronavorgaben bietet das Areal den perfekten Spielraum. Denn so Kordzaia: “man kann verschiedene Räume bespielen, und die Orte wechseln, drinnen und draussen Musik machen, aber auch zwischendrin am See spazieren gehen und einfach verweilen”. Ein Konzert findet zum Beispiel in einer Vintage-Möbelhalle statt, anderes wiederum spielt sich im Freien ab.

“wir möchten die künstlerischen Synergien des ganzen Areals nutzen” (Kordzaia)

Der Ort bilde nicht blosse Kulisse für das Festival, sondern werde vereinnahmt. “Wir führen einen Dialog mit den Räumlichkeiten, mit dem Ort und auch mit der Geschichte”, meint Babazadeh.

Mit dem Al(t)chemiefestival will das Intendantentrio ein Zeichen setzen. “Durch Corona und die Lahmlegung aller künstlerischer Aktivitäten ist es uns wichtig, möglichst viele Musiker aus der Gegend einzubinden und ihnen eine Möglichkeit zu geben, zu spielen”, so Kordzaia.

Der musikalische Leitgedanke des Festivals ist ein Persönlicher – Musikschaffende zeigen selbstgewählte Stücke die sie während des Lockdowns intensiv beschäftigten, frisch entstandene Kompositionen oder Projekte, die durch die Pause verschoben wurden. Posaunist Nils Wogram zum Beispiel stellt neue Stücke vor, die im Herbst auf CD erscheinen.


Nils Wogram: Sneak Preview, Soloprogramm 2020

Neben Neuem steht auch Bewährtes im Line-up: Da tritt der Komponist Stefan Wirth selbst an den Tasten auf, mit Eigenem aber auch mit Beethoven, oder da ist Dominique Girod im Freien am Kontrabass zu hören.

Daneben gibt’s auch Elektroakustik, bspw. von Nicolas Buzzi. Oder es ist eine Klanginstallation, eine Klangkugel, von Krayer und Babazadeh zu sehen.


Nicolas Buzzi: ssssscccccaaaaallllleeeee, 2019

«Al(t)chemie» oder «Alchemie» – das (t) steht im Titel in Klammer: Der mehrdeutige Titel verweist auf  die musikalische Spannweite und gleichzeitig auf einen magischen Ort. “Das Areal ist der Hammer – und wenn sich das mit Klang und Liveperformance vermischt, dann ist das einzigartig”, meint Babazadeh.
Gabrielle Weber

Die Chemische

Das Al(t)chemiefestival findet am 4. und 5.Juli in der stillgelegten chemischen Fabrik in Uetikon am See statt.

An beiden Tagen gibt es je drei Konzertblöcke ab jeweils 15h. Eine Anmeldung ist Coronabedingt erwünscht.

Die Digital Concerts finden aufgrund der grossen Nachfrage bis sicherlich Ende August weiterhin statt.

Al(t)chemiefestival, Digital ConcertsStefan Wirth, Dominique Girod, Nils Wogram, Kappeler-Zumthor, Karolina Öhman, Isa Wiss, Sophie Krayer, Tobias Gerber/Ensemble Werktag, Philipp Schaufelberger

Neo-Profiles: Al(t)chemiefestival, Tamriko Kordzaia, Stefan WirthNicolas Buzzi, Karolina Öhman, Peter Conradin Zumthor