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Das Lucerne Festival Forward nimmt “ein sauberes Ende”
Jaronas Scheurer
Vom 18. bis 20. November 2022 findet in Luzern das Lucerne Festival Forward statt. Neben grosse Namen der internationalen zeitgenössischen Musik-Szene wie Anna Thorvaldsdottir, Patricia Kopatchinskaja und Tito Muñoz steht auch die kollektive Intervention Ein sauberes Ende zum Schluss des Festivals auf dem Programm.
Der Luzerner Komponist und Musiker Urban Mäder bezeichnete sich im Interview als Experte für die verschiedensten Reinigungsmaschinen – und das hat gute Gründe. Denn für den Schlusspunkt des diesjährigen Lucerne Festival Forward (LFF) stehen für einmal nicht die Musiker:innen des Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LCFO) im Rampenlicht, sondern unter anderem das Reinigungspersonal des KKL mitsamt ihren verschiedenen Staubsaugertypen, Nasswischern und Reinigungsmaschinen.
Urban Mäder und Peter Allamand: Klanginstallation ‘Balgerei’ im Rahmen des Festivals Alpentöne, Altdorf 2015.
Recherchearbeit um 6 Uhr morgens
Nach der ersten Ausgabe des LFF letztes Jahr und der in diesem Rahmen stattfindenden Aufführung des Stücks Ricefall von Michael Pisaro durch 49 Lai:innen aus der Bevölkerung, findet auch dieses Jahr am LFF eine partizipative Aktion statt: Ein sauberes Ende. Eine kollektive Intervention nennt sich die Aktion und dahinter stecken Urban Mäder, Nora Vetter, Pia Matthes und Peter Allamand. Und diese kollektive Intervention findet als Schlusspunkt des letzten Konzerts des vom 18. bis am 20. November stattfindenden LFF statt. Nun, was gibt es am Ende eines Festivals oder eines Konzertes zu tun: Putzen, damit das Ganze auch ein sauberes Ende nimmt. Von dieser Prämisse gingen die vier Künstler:innen aus und beschäftigten sich intensiv mit dem ganzen Putzequipment, das dafür zum Einsatz kommt. Denn, nach jedem Konzert im Kultur- und Kongresszentrum Luzern trabt am nächsten Morgen um 6 Uhr das fünfzehnköpfige Reinigungspersonal der Firma Vebego an und bringt den Konzertsaal, das Foyer, die Toiletten und alle Räumlichkeiten wieder auf Hochglanz. Die Mitarbeitenden benutzen dafür jedoch nicht Eimer und Besen, sondern etliche topmoderne Reinigungsmaschinen. Das Team hinter der Intervention Ein sauberes Ende habe sich intensiv mit den verschiedenen Maschinen beschäftigt und genau untersucht, was für Klänge aus all dem unterschiedlichen Reinigungsequipment herauszuholen seien, wie Urban Mäder berichtete. Sie hätten sich auch um 6 Uhr morgens mal ins KKL begeben, um dem Vebego-Team bei der Arbeit zuzuschauen. Aus dieser Recherchearbeit entstand dann eine Art Komposition für eine Gruppe von Lai:innen, die sich auf einen Aufruf des LFF hin als Performer:innen gemeldet haben.
Das Team hinter Ein sauberes Ende
Hinter Ein sauberes Ende stecken neben dem Luzerner Komponist und Dozent für Improvisation Urban Mäder die Bratschistin, Komponistin und Performerin Nora Vetter, die Künstlerin und Szenografin Pia Matthes, die eine starken Affinität zur Klangkunst besitzt, und der langjährige Kollaborateur von Urban Mäder, Peter Allamand. Jede:r der vier Künstler:innen bringt eine andere Sichtweise mit hinein, so Nora Vetter im Gespräch. Urban Mäder besitze eine ganz eigene Klangsprache und einen unglaublichen Erfahrungsschatz in diesem Bereich, Pia Matthes habe ein sehr gutes Gefühl für Dramaturgie und, als ausgebildete Produktdesignerin, ein Auge für das Visuelle, Peter Allamand wisse wahnsinnig viel über das Funktionieren der Dinge und habe eine grosse Lust und Freude am Ausprobieren und Rumtüfteln. So habe er beispielsweise zu einer Sitzung der Vier einen Laubbläser mitgebracht, damit sie im Café, wo sie sich trafen, direkt ausprobieren konnten, wie so ein Ding klingt und funktioniert. Und für sie selbst, sagt Nora Vetter, sei, neben dem Fokus auf den klanglich-kompositorischen Aspekt, den sie mit Urban Mäder teile, die politische Dimension in dieser Arbeit von grosser Bedeutung. So sei es für sie wichtig gewesen, dass auch das tatsächliche Reinigungspersonal auftritt. Es haben sich daraufhin vierzehn der fünfzehn angestellten Reinigungskräfte gemeldet.
Während die Musiker:innen auf der Bühne aus aller Welt kommen und zu Recht für ihre Leistungen kräftig gefeiert werden, bleibt das häufig migrantisierte Reinigungspersonal im Verborgenen. Des Weiteren haftet dieser Tätigkeit das Klischee an, dass den Putzenden leider nichts anderes übrigbleibe. “Doch” so Nora Vetter “am Ende des Tages ist sowohl Musik machen als auch Putzen einfach Arbeit und beides ist gleichermassen notwendig dafür, damit ein Festival wie das LFF überhaupt durchgeführt werden kann.”
Nora Vetter: ‘Dream Paralysis’, latenz ensemble, Zürich 2021.
Ernst nehmen
Ernst nehmen – unter diesem Stichwort lassen sich vielleicht die verschiedenen Anliegen hinter der kollektiven Intervention Ein sauberes Ende versammeln: Ernst nehmen der Menschen, die die so wichtige, aber unsichtbare Arbeit des Putzens und Aufräumens übernehmen. Und ernst nehmen des klanglichen, ja gar musikalischen Potentials des Putzequipments.
Das Ziel der Aktion sei nicht, eine lustige Show abzuziehen, sondern die klanglichen Möglichkeiten der Reinigungstätigkeit und der Putzgeräte ernst zu nehmen, so Urban Mäder. Ihre Intervention basiere auf einer klaren musikalischen Vorstellung, das sei vergleichbar mit klassischen Kompositionen. “Wenn man ein Orchesterstück schreibt, kennt man sich mit der Zeit aus bei den Holzbläsern, den Blechbläsern, den Perkussionsinstrumenten usw. Wir kennen uns jetzt halt aus bei all den Putzmaschinen und wie die klingen.” Und vor allem – sieht das Publikum auch endlich mal die Menschen, die dafür sorgen, dass sich das KKL bei jedem Konzert von Neuem sauber, aufgeräumt und in tadellosem Zustand präsentiert, und kann sich dafür bei diesen meistens unsichtbaren Personen mit dem gebührenden Applaus bedanken.
Jaronas Scheurer
Trailer zur Intervention “Ein sauberes Ende” von Urban Mäder, Nora Vetter, Peter Allamand und Pia Matthes. Lucerne Festival Forward, 20. November 2022, KKL Luzern.
Das Lucerne Festival Forward fand vom 18. bis am 20. November in Luzern statt.
Die kollektive Intervention Ein sauberes Ende wurde im Rahmen des Abschlusskonzerts am 20. November im Konzertsaal des KKL uraufgeführt.
Neben Urban Mäder und Nora Vetter gehörten auch Pia Matthes und Peter Allamand zum Team hinter Ein sauberes Ende.
Neo-Profile:
Urban Mäder, Nora Vetter, Patricia Kopatchinskaja, Lucerne Festival Contemporary Orchestra