Kuration als Meta-Kompositon: Das Glück des Ja-Sagens

Patrick Frank und Moritz Müllenbach äussern sich zur kommenden Saison des Ensemble Tzara

Ensemble Tzara: “Das Glück des Ja-Sagens”, Probenbild Saison 2019/20 

Drei sich überlagernde Teilkonzerte einer “Meta-Komposition” bilden die kommende Saison des Zürcher Ensemble Tzara. Sie verschränken Musik mit der Philosophie Friedrich Nietzsches. Als kollaboratives Projekt sind die Ensemblemitglieder, der Performer Malte Scholz, aber auch das Publikum am Verlauf der Konzerte beteiligt.
Patrick Frank, Komponist, Kulturtheoretiker und Kurator der Saison, und Moritz Müllenbach (Ensemble Tzara) beschreiben in ihrem Beitrag das Projekt.

 

Ensemble Tzara, The man who couldn’t stop laughing, 2016 ©Dominique Meienberg

Das erneute Erstarken von feindlich gesinnten Gegensätzen, sichtbar am allseits präsenten Populismus, stellt ‚Nein-Sager’ ins Rampenlicht. Durch geschickt gesetzte Tabubrüche wissen sie genau, wie die öffentliche Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen ist. In einer solchen – populistischen – Phase stecken wir aktuell fest, im Nachgang der globalen Neuordnung nach dem Mauerfall 89’ und der digitalen Revolution.

Grund genug, Nietzsche neu zu lesen. Die ‚Nein-Sager’, analysierte Nietzsche, prägten seit jeher die westliche Kultur. Sie ‚erfanden’ das Ressentiment. Was wir heute erleben, ist also nichts Neues. Nietzsche kämpfte dagegen für das Recht der ‚Ja-Sager’, aus deren JA eine Kultur der Schaffenden und Selbst-Erschaffenden würde, ohne das Fremde und Andere ablehnen zu müssen.


Ensemble Tzara, Stephen Takasugi: The man who couldn’t stop laughing 2016

Ausgangspunkt für das Saisonprogramm 19/20 des Ensembles Tzara wurde das Buch ‚Nietzsche und die Philosophie’ des französischen Philosophen Gilles Deleuze (1925-95), insbesondere das Kapitel „Religion, Moral und Erkenntnis“.

“Konzert in drei getrennt voneinander aufgeführten Teilen”

Die kuratorische Aufgabenstellung wurde als Komposition, genauer, als „Meta-Komposition“, angegangen. Deshalb ist das Saisonprogramm als ein Konzert in drei getrennt voneinander aufgeführten Teilen konzipiert. Die drei Teile der Saison widmen sich dem deleuzschen Kapitel „Religion, Moral und Erkenntnis“, das wir auf den Zustand der Avantgardemusik bezogen: aus Religion wurde das Wahrheitsgebot, aus Moral das Kritikgebot und aus Erkenntnis das Strukturgebot. Dies führte zu folgenden Entscheidungen:

Die drei Teile werden in den drei ‚Sphären’ Natur, Privatheit und Öffentlichkeit aufgeführt: im Zürcher Stadtwald Käferberg, in einem privaten Wohnzimmer und schliesslich im Theaterhaus Gessnerallee.

Die aufgeführten Musikwerke werden nur teilweise vollständig gespielt, sondern mehrheitlich auf die gesamte Meta-Komposition (das Saisonprogramm) aufgeteilt.

Tonbeispiel Patrick Frank:

“Siegel&Idee”: Festival Wien Modern 2016 unter dem Motto: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und wo sind wir hier überhaupt?

Zum Ablauf: Gespielt werden im ersten Teil Werke von Franz Schubert, Galina Ustwolskaia, Olivier Messiaen, Trond Reinholdtsen (UA) und Arvo Pärt. Was hingegen in den Teilen zwei und drei auf die Bühne bzw das Wohnzimmer kommt, entscheidet sich in Teil eins. Die Entwicklung der Meta-Komposition kann auf der Tzara-Homepage und dem neo-Profil verfolgt werden (Videoausschnitte, Texte, Publikumsentscheidungen, Daten, Zeiten und Orte).

Teile eins und zwei werden per Video aufgezeichnet, und die Aufnahmen teilweise in den jeweils nächsten Teil integriert:  Ab Teil zwei wird zwischen ‚live’ gespielter Musik und Videoaufnahmen (aus Teil eins) changiert. Das Publikum wird dabei mit einbezogen in die Gestaltung der kommenden Teile.

So entstand und entsteht eine plurale Meta-Komposition, die der Pluralität in Nietzsches Denken zu entsprechen versucht.

Patrick Frank / Moritz Müllenbach

Patrick Frank, composer & curator in residence Ensemble Tzara Saison 2019/20

Daten:
Metakomposition Teil eins: 7. September 2019, Stadtwald Käferberg 18h
(genauer Ort &Treffpunkt siehe Neo-profil Tzara / Homepage Tzara)

Weitere Teile zu verfolgen auf:
Ensemble Tzara

neo-profiles:
Patrick Frank, Ensemble Tzara, Moritz Müllenbach, Simone Keller

Out of the box

Oscar Bianchi, künstlerischer Leiter der International Young Composers Academy am Festival Ticino Musica im Gespräch

Out of the box: Oscar Bianchi@Musica viva, München, 2.7.17 © Astrid Ackermann

Gabrielle Weber
Klassische Kompositionen und transdisziplinäre Formate in Verbindung mit Tanz bilden die Eckpfeiler der dritten International Young Composers Academy des Festival Ticino Musica. Für internationale Ausstrahlung sorgen Dmitri Kourliandski und das Ensemble Modern Frankfurt.
Im Interview berichtet Oscar Bianchi über die Ausrichtung der kommenden Edition.

Oscar, vor drei Jahren übernahmst Du vom Gründer Mathias Steinauer die künstlerische Leitung der international Young Composers Academywas sind die Neuerungen die Du einbrachtest?
Seit 2018 laden wir ein arriviertes Spitzenensemble der zeitgenössischen Musik ein. Zudem steht jedes Jahr ein anderes Format im Zentrum. Dieses Jahr ist das Ensemble Modern Frankfurt zu Gast.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern?
Ich kenne die Energie und das Comittment des Ensembles durch frühere Zusammenarbeiten, wie bspw. dem Projekt Connect in Frankfurt 2016, das die Beziehung zwischen Komponist, Ensemble und Publikum thematisierte.

“Ich benutze meine eigene Erfahrung als Filter um die richtigen Partner zu engagieren.”

Die Mitglieder des Ensembles haben eine klare musikalische Vision verbunden mit stilistischer Offenheit. Und vor allem: sie sind neugierig darauf, wonach junge Komponierende suchen.

Oscar Bianchi Orango, Projekt Connect ©Ensemble Modern Frankfurt 2016

Was ist das diesjährige Format?
Wir schrieben zwei Kategorien aus: klassische Instrumentalstücke und multidisziplinär Projekte. Es gibt zwei entsprechende Konzerte. Eingegangen sind über 100 Bewerbungen. Zusammen mit Olga Neuwirth, der Juryvorsitzenden, wurden 14 Komponierende aus der ganzen Welt, aus Taiwan, Iran, Süd- und Nordamerika, Europa oder Südafrika ausgewählt. Durch eine Kollaboration mit dem Festival TicinoInDanza erhalten sie die Gelegenheit mit Tänzern und Choreografen zusammen zu arbeiten. Solche Erfahrungen eröffnen neue Perspektiven.

“Es ist wichtig, dass Komponierende “out of the box” denken.”

14 Komponistinnen und Komponisten sind eine grosse Anzahl. Wie muss man sich das gemeinsame Arbeiten vorstellen?
lacht: Dazu kommen noch zehn passive Beobachter. Uns geht es explizit um das Arbeiten als Gruppe. Das kommt der Musik und dem Austausch zu Gute. Elitäres Wettbewerbsdenken mit einem winner ist nicht gefragt.

“Es geht um ein Collective project. Gruppe anstelle Elite”

Es gibt diverse Conferences und Lectures, u.a. mit Dmitri Kourliandski und Gästen wie Katharina Rosenberger oder Michael Wertmüller. Davon profitieren alle. Dennoch: ein besonders gutes Werk bleibt in Erinnerung.

Ensemble Modern &Oscar Bianchi ©Walter Vorjohann

Was für Säle wurden für die zwei Konzertformate gewählt?
Das Klassische Konzert findet im Foyer des LAC (Lugano Arte e Cultura) statt, ein Ort der verschiedene Kunstsparten beherbergt und Begegnungen von Einheimischen und Touristen ermöglicht, das multidisziplinäre Konzert in Mendrisio im Chiostro dei Serviti, in einem Innenhof im Freien.

Bedeutet die Wahl eines Offspaces in Mendrisio nicht auch ein Risiko in Bezug auf das Publikum? Die zeitgenössische Musik-Community im Tessin ist ja eher klein..
Das Konzert ist in das Festival Musica nel Mendrisiotto eingebunden, eine Reihe mit interessiertem Stammpublikum. Die Musik hat eine visuelle Komponente, profitiert vom Zusammenwirken mit anderen Kunstsparten und spricht ein breites Publikum an.

“Neue Musik sollte ein Level playing field werden – das wäre mein Traum.”

Konzert Int. Composers Academy 2018, Mendrisio Museo Vela ©Ticino Musica

Hast Du eine weitere Vision für die Composers Academy – wo siehst Du ein Entwicklungspotenzial?
Dank der Unterstützung der Art Mentor Foundation Lucerne konnten wir ein Spitzenensemble einladen und Scholarships vergeben. Meine Vision wäre, die Akademie inklusive Reise und Unterkunft kostenfrei anzubieten, damit die Teilnahme gleichberechtigt allen offen stünde. Die Neue Musik ist Teil eines Systems das Ausschluss schafft. Ich möchte solche Diskriminierung unterbrechen.
Interview Gabrielle Weber

Festival Ticino musica, erwähnte Konzerte:
27 Luglio 2019, 18:00, Ticino Musica, Mendriso, Chiostro dei Serviti
28 Luglio 2019,  21:00, Ticino Musica, Lugano, LAC

Kooperation mit:
Musica nel Mendrisiotto, TicinoInDanza

neo-profilesOscar BianchiEnsemble Modern, Ticino Musica, Mathias Steinauer, Katharina Rosenberger