Lauren Newtons Stimmkunst

Sie ist eine Pionierin der Stimmkunst – die US-amerikanische Vokalistin Lauren Newton. Das volle Potential der Stimme zu entdecken, treibt ihr Schaffen in der Freien Improvisation, im Jazz und der Zeitgenössischen Musik voran. Mit der Schweizer experimentellen Musikszene eng verbunden, unterrichtete sie von 1993 bis 2019 an der Musikhochschule Luzern (HSLU)  Jazzgesang und Freie Improvisation.

Portrait Lauren Newton © Peter Purgar

 

Luca Koch
Die verschiedensten Formationen von langjährigen Duos, über Vokalensembles zum grossen Jazzorchester prägen ihre Karriere. Ihre Konzerte zeichnen sich durch einnehmende Tiefe und Dringlichkeit auf. Dieses Jahr feiert Lauren Newton ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum. Für die SRF Kultur-Sendung Living Past besuchte ich Lauren Newton in Tübingen in Deutschland, wo sie zuhause ist, und hörte mich mit ihr durch wegweisende Live-Aufnahmen.

 

Wink des Schicksal

Eigentlich wollte Lauren Newton in Oregon in den USA Kunst studieren, doch bekam sie dort keinen Studienplatz. Als Wink des Schicksals versuchte sie dann ihr Glück in der Musikabteilung. Schon zuhause waren sowohl Klassik wie auch Jazz präsent. Ihr Vater spielte Kontrabass und sang in Nachtclubs. Auch Lauren hatte eine solide Stimme und begann ein klassisches Gesangsstudium. In ihrem dritten Bachelorjahr durfte sie an einem Austauschjahr in Stuttgart teilnehmen. Das war unüblich für Bachelor-Studierende, doch ihr damaliger Lehrer bürgte für sie. Ein grosser Schritt, denn Deutschland wurde ihr neues Zuhause.

 


Lauren Newton, Sound Songs, Improviation solo 2006.

 

Klassik-Studentin by Day, Jazz-Rock Sängerin by Night

In Stuttgart trat Lauren Newton ihren Master in der Gesangsklasse der Opernsängerin Sylvia Geszty an und gleichzeitig tauchte sie in die junge Jazzszene der Stadt ein. An einer Jam-Session lernte sie den Trompeter Frederic Rabold kennen, der von Newtons Stimme begeistert war. Kurze Zeit später sang Lauren Newton in seiner Jazz-Rock Band der Frederic Rabold Crew. Der Mix aus einfach komponierten Themen und freier Improvisation, war ideal für sie. Konnte sie so die gelernte Technik des Studiums in der Freiheit der Improvisation ausarbeiten. Beide Tätigkeiten gingen nahtlos ineinander über, es fühlte sich nie wie ein Doppelleben an, erzählte sie mir im Interview.

 

Vienna Art Orchestra

Die Frederic Rabold Crew wurde 1979 in die Fernseh-Sendung Bourbon Street nach Wien eingeladen, was vom Schweizer Jazzmusiker Mathias Rüegg nicht unbemerkt blieb. Er selbst gründete zwei Jahre zuvor mit Wolfgang Puschnig das Vienna Art Orchestra. Nach dem TV-Auftritt fragte er Lauren Newton sofort an, ob sie ein Teil davon werden wolle. Zehn Jahre lang war Lauren Newton ein unersetzlicher Bestandteil das Vienna Art Orchestra, welches durch dutzende Album-Produktionen und grossen Tours zu einer Instanz des experimentellen Jazz wurde. Ihre Stimme sticht mit messerscharfer Präzision und verspielter Virtuosität aus dem Jazz-Orchester heraus. Eine Zeit, die Lauren Newton um nichts in der Welt missen wollte, auch wenn die ständigen Reisen im Tourbus als einzige Frau herausfordernd waren.

Vocal Summit

Persönlich lernte ich Lauren Newton in ihrer Unterrichtstätigkeit an der Hochschule Luzern kennen. Für mich war sie nicht nur als Vokalistin mit grosser stimmlicher Bandbreite eine wichtige Figur, sondern auch als Musikerin, die grosses Interesse für andere Stimmen mitbringt. Nicht nur als Dozentin half sie ihren Studierenden ihre eigene Stimme zu entdecken, auch auf der Bühne kollaborierte sie immer wieder mit anderen Sänger:innen. Gemeinsam mit Bobby McFerrin, Urszula Dudziak, Jeanne Lee und Jay Clayton bildete sie die Gesangs-Allstar-Band: das Vocal Summit. Fünf komplett unterschiedliche Stimmen kreieren zusammen Soundscapes, die atmen. Die Arbeit mit Stimmen in grösseren Formationen führte Lauren Newton mit der Vokalensemble Timbre fort.

 

Vom Vom Zum Zum

Lauren Newton machte sich als experimentelle Vokalistin einen Namen, die sich besonders durch Klänge ausdrückt. Aber auch die Arbeit mit Text nimmt eine wichtige Rolle in ihrer Musik ein. Die Zusammenarbeit mit dem österreichischen Dichter Ernst Jandl war besonders prägend. Seine Gedichte wurden dekonstruiert und neu zusammengesetzt, Worte wurden gedreht, gedehnt und rückwärts gesprochen. Das Album Vom Vom Zum Zum auf dem Ernst Jandl selber spricht und Lauren Newton seine Worte umspielt war eine besondere Entdeckung für mich.


Pi aus Vom Vom Zum Zum, Lauren Newton mit Wolfgang Puschnig, Mathias Rüegg und Uli Scherer, 1988.

 

Duos im Gespräch

Freie Improvisation ist wie ein musikalisches Gespräch. Die Mitspieler:innen gehen aufeinander ein, kommentieren, sind sich einig oder streiten miteinander. Am besten gelänge dies im Duo, erzählt mir Lauren Newton im SWR-Studio in Tübingen.


O How We, Lauren Newton und Phil Minton performten zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne am Festival A Voix Haute in Bagnères de Bigorre, France, am 13. August 2010.

 

Duo-Aufnahmen bilden denn auch einen grossen Teil ihres Gesamtwerks. Sie kollaboriert beispielsweise mit Anthony Braxton, Phil Minton, Aki Takase und Joëlle Léandre. Besonders die Kontrabassistin Joëlle Léandre begleitet sie bis heute. Ihre Tiefe musikalische Freundschaft spiegelt sich in ihrem Interplay wider. Der reiche kernige Klang von Léandres Kontrabass-Spiel ergänzt Newtons glasklare Stimme perfekt. Erst kürzlich erschien das neue Album des Duos: Great Star Theatre, San Francisco.
Luca Koch

 

Lauren Newton @ Sudhaus zVg. Lauren Newton

Frederic Rabold, Frederic Rabold Crew, Mathias Rüegg, Bobby McFerrin, Urszula Dudziak, Jeanne LeeJay Clayton, Wolfgang Puschnig, Vienna Art Orchestra, Ernst Jandl, Anthony Braxton, Phil Minton, Aki Takase, Joëlle Léandre.

Neoprofil:
Lauren Newton

Sendung SRF Kultur:
Living Past – Lauren Newton, Pionierin der Stimmkunst, 13.02.2024, made by Luca Koch.

Cathy van Eck: Die transzendierte Rolle eines Konzertstücks

Cathy van Eck, Komponistin und Medienkünstlerin, prägt die Schweizer und internationale zeitgenössische Musikszene mit ihren subtilen und hochästhetischen Klangperformances. Ihr Stück In the Woods of Golden Resonances für Schlagzeugsolo nahm innerhalb eines Konzertabends für Schlagzeugsolo eine spezielle Rolle ein. Ein Portrait von Alexandre Babel.

Alexandre Babel
Das Motto klingt wie eine Einladung: mit dem Titel Aufbau/Abbbau kuratierte der spanische Perkussionist Miguel Angel Garcia Martin in der Reihe Friendly Takeover der Gare du Nord in Basel einen Konzertabend der ganz dem Schlagzeugsolo gewidmet war. Sechs Uraufführungen sollten die logistische Realität des professionellen Schlagzeugers durchleuchten. Denn Auf- und Abbaus des Instrumentariums für ein Konzert nehmen in der Regel oft fast ebenso viel Raum und Bedeutung ein, wie der musikalische Moment selbst. Auch wenn das Thema des Abends auf den ersten Blick anekdotisch wirkt, war es in diesem Fall die Grundlage für eine verzweigte Fragestellung, die sich alle eingeladenen Mitwirkenden mit der Schaffung eines neuen Werkes zu eigen machten. Cathy van Ecks In the Woods of Golden Resonances ist dafür ein verbindendes Beispiel.

 

Portrait Cathy van Eck zVg. Cathy van Eck.

 

In the Woods of Golden Resonances zeigt den Schlagzeuger Miguel Angel Garcia Martin im Zentrum der Bühne, in relativer Dunkelheit mit einer roten Stirnlampe, so dass das Publikum nur seine verdunkelte Silhouette erkennt. Mit langsamen und kontrollierten Bewegungen geht er zu einem Becken, das in einer Ecke der Bühne auf dem Boden liegt, hebt es an und hält es dann auf Mundhöhe in horizontaler Position. Ein deutlicher, verstärkter Atemton zeigt, dass der Performer ein Mikrofon trägt und auf das Instrument bläst, als würde er versuchen, den Staub von ihm zu entfernen. Dieser Ton wird offensichtlich elektronisch verarbeitet, und die Wiedergabe über die Lautsprecher macht den Großteil der Klangumgebung aus. “Durch das Pusten wird das ‚Volume‘ der beiden Lautsprecher im Raum höher, und es entsteht ein akustischer Feedback -Klang. Das ganze Stück besteht aus solchen Feedback-Klängen, als würde Miguel den Raum ‚beatmen‘ meint dazu Cathy van Eck.

Anschließend geht er zu einem Metallständer, auf den er sein Instrument legt. Diese einfache, aber sorgfältig choreografierte Handlung wird mit weiteren im Raum versteckten Becken mehrmals wiederholt. Es ermöglicht dem Publikum den schrittweisen und ritualisierten Aufbau einer Perkussionsinstallation auf der Bühne zu beobachten.

In Cathy van Ecks Werken steht der Musikerkörper oft im Zentrum. Die Holländerin Van Eck doktorierte an der Universität Leiden. Sie publiziert und forscht unter anderen über mögliche Verbindungen zwischen Gesten, Sensoren und Klängen und unterrichtet am Sound Arts Department der Hochschule der Künste in Bern. „Auch in In the Woods of Golden Resonances gibt es eine ziemlich starke Beziehung zwischen den Bewegungen des Performers und seinem Material. Seine Bewegungen sind nicht als eine Geste des ‚Nach aussen Zeigens‘ gemeint, mit der Bedeutung ‚ich kontrolliere den Klang‘, sondern eher als ein vorsichtiges Suchen und Wahrnehmen. Deswegen hat Miguel in dem Stück auch eine andere Haltung auf der Bühne als in den andern Stücken des Abends”, so van Eck.

 

Cathy van Eck, In the Woods of Golden Resonances, Miguel Angel Garcia Martin, UA gare du Nord Basel, 9.4.2024.

 

Die Stärke von In the Woods of Golden Resonances liegt in der repetitiven, schlichten formalen Anlage. Das Stück dient dazu, von einem Zustand A zu einem Zustand B zu gelangen und endet, sobald die Installation fertiggestellt ist. Die Partitur von Cathy van Eck sieht nicht vor, dass auf den Becken gespielt wird, wenn sie einmal aufgebaut sind. Stattdessen dienen sie als Aufbau für ein weiteres Stück des Programms, Cymbals von Barblina Meierhans. Van Ecks Stück übersetzt damit nicht nur das Thema des Konzerts genau, sondern knüpft in sich auch eine konkrete Verbindung zum nächsten Element des Abends.

Der Moment der Installation, der Bühnenumbau, bildet das eigentliche Stück. Und während man normalerweise versucht, Dauer und Bedeutung des Umbaus zu reduzieren, um den musikalischen Fluss zu gewährleisten, macht In the Woods of Golden Resonances genau das Gegenteil: es nutzt diesen Zwischenraum zwischen zwei Zuständen für einen Moment der Introspektion in die Intimsphäre des Musikers. Van Ecks ästhetische Entscheidungen, wie die verträumte Atmosphäre, die durch das Halbdunkel erzeugt wird, oder der sinnliche Eindruck, den die Verstärkung der Atemgeräusche des Musikers hinterlässt, unterstreichen diese Introspektion.

Die Wirkung des Werks liegt darin, die technische Realität des Schlagzeugers mit seinem Instrumentarium auf poetische Weise heraufzubeschwören und sie gleichzeitig mit seiner Umweltrealität zu verbinden. Dabei wird auch die räumliche Dimension des Konzertraums betont. Dazu Cathy van Eck: “Die Klängen entstehen aus einem Zusammenspiel zwischen der genauen Position im Raum von Miguel, von den Becken und von den Lautsprechern, und dann natürlich auch mit der Raumakustik.”

Van Eck geht jedoch noch einen Schritt weiter: sie lädt das Publikum ein, sich als Teil des Prozesses zu fühlen: Klangeffekte wie die elektronische Bearbeitung mit hoher Lautstärke schaffen einen immersiven Eindruck, und das eigentliche ‚Ballett‘ des Schlagzeugers vermittelt dem Publikum die Illusion, es sei Teil des Prozesses. Und schließlich ‚neutralisiert‘ sie die Figur des Schlagzeugers durch den Lichteffekt auf eine einfache Silhouette, mit der sich jede:r im Publikum identifizieren kann. Van Eck erklärt dazu: “In diesem Fall war das Licht eine Entscheidung des Schlagzeugers Miguel, der mit mir und der Regie zusammengearbeitet hat. Ich kann mir dieses Stück auch gut in einer helleren Umgebung vorstellen. Für mich hängt es sehr vom Raum ab, wie das Licht gestaltet wird.

In the Woods of Golden Resonances ist Teil einer Reihe von aufeinanderfolgenden und differenzierten Werken Es unterwandert innerhalb der Reihe die üblichen Erwartungen an ein Konzertstück, während es gleichzeitig seinen primären Code respektiert. Die Klangbehandlung ist so interessant, dass es sich auch gut einfach nur ‚hören‘ lässt.

In Frage gestellt wird aber die Rolle des einzelnen Werks resp. seiner Schöpferin oder seines Schöpfers zugunsten einer Einheit, die eine Verbindung zwischen den Elementen schafft. Mir stellt sich die Frage, ob die Notwendigkeit der Kreation nicht darin liegt, dass sie von einem Zustand in einen anderen überführt?
Alexandre Babel

 

Alexandre Babel stammt aus Genf und lebt in Berlin. Komponist, Perkussionist, Kurator und Publizist, schliesst er sich mit diesem Text dem Team der neoblogger:innen an.

Neo-profiles :
Cathy van Eck, Gare du Nord, Alexandre Babel, Barblina Meierhans

Sendungen SRF Kultur:
Musik unserer Zeit, 29.01.2014: Grünes Rauschen – Klangkunst mit Cathy van Eck, Redaktion Cécile Olshausen.
Onlinetext, 28.01.2014Bei Cathy van Eck klingt Gewöhnliches ungewöhnlich, Autorin Cécile Olshausen.
Musik unserer Zeit, 16.6.2021: Alexandre Babel: Perkussionist, Komponist, Kurator, Redaktion Gabrielle Weber.
neoblog, 10.09.2021un projet est avant tout une rencontre.., Autorin Gabrielle Weber.

Uraufführung in 100 Jahren?

„Zukunftsmusik – dem Zeitgeist entkommen“ heißt ein Projekt zum 100. Geburtstag SUISA. 40 Schweizer Musikerinnen und Musiker sollten ihre Ideen zu einer Musik notieren, die erst in hundert Jahren uraufgeführt werden soll: Ein Gruß aus der Gegenwart für das Jahr 2123 zum hoffentlich 200. Geburtstag der SUISA. Am 16. April 2024 wurde das Projekt im Yehudi Menuhin Forum in Bern vorgestellt. Bettina Mittelstraß hat sich unter beteiligten Musikerinnen und Musikern umgehört.

Die Komposition des HYPER DUOs trägt als Titel die Anzahl Sekunden die von Jetzt aus bis 2123 vergehen – 3 406 699 560, hier eine Aufnahme des HYPER DUOs an einer Vinylséance am 21.11.2020 © 2020 Pablo Fernandez.

 

Bettina Mittelstrass
Helena Winkelman, das HYPER DUO, Joke Lanz, Martina Berther, Patrick Frank, Annette Schmucki, Fritz Hauser, Leo Hofmann oder Nik Bärtsch – das sind nur sieben von insgesamt 40 Schweizer Musikerinnen und Musikern, deren „Zukunftsmusik“ im April 2024 in einer Archivbox landete, ohne zuvor zu Gehör zu kommen. Hermetisch verschlossen wird dieses Archiv für 100 Jahre von der eidgenössischen Nationalphonothek in Lugano beaufsichtigt und im Eingangsbereich der «Città della Musica» ausgestellt. Erst 2123 wird das Archiv hoffentlich wieder geöffnet, die Musik aus dem Dornröschenschlaf geweckt und für ein Publikum gespielt, das heute noch nicht einmal geboren ist.

Leo Hofmann beschreibt seine Zukunftsmusik in grafisch gestaltetem Text.

 

 

Wie klingt die Schweiz in 100 Jahren?

Wie klingt die Schweiz in 100 Jahren? Eine erste Antwort könnte in der Archivbox schlummern. Leicht fielen die Antworten den 40 Befragten nicht. Skepsis herrschte vor. Welche Instrumente stehen in 100 Jahren überhaupt zur Verfügung? Gibt es noch westliche Notenschrift? Holzinstrumente? Oder hat der Klimawandel die Bäume dahingerafft? Man könne nicht wissen, ob man vor dem Hintergrund schwindender Ressourcen auf diesem Planeten „schlussendlich die Geige verbrennen muss, um nicht zu erfrieren, oder ob man dann die Darmseiten aufkochen muss, um nicht zu verhungern“, sagt der Schlagzeuger Fritz Hauser. Daher hat er seine Komposition in Morsezeichen hinterlegt – in der Hoffnung, dass diese archaischen Zeichen die Menschen der Zukunft zum rhythmischen Musizieren inspirieren, mit welcher Instrumentierung dann auch immer.

Fritz Hauser notiert seine Zukunftsmusik in reinem Morsecode. Hier sein Schraffur für Gong und Orchester, Basel Sinfonietta 2010, Eigenproduktion SRG/SSR.

 

Musik als Botschafterin des Zusammenspiels?

Bei aller Skepsis gegenüber dem, was in 100 Jahren Musik noch ausmacht oder überhaupt möglich macht – zwei gesellschaftliche Funktionen werden ihr wohl bleiben, meint die schweizerisch-niederländische Komponistin und Violinistin Helena Winkelmann: Musik als Botschafterin des Zusammenspiels und als Vermittlerin einer integrierenden guten Energie. Noch eine andere Sache bleibe menschlichen Gesellschaften wahrscheinlich erhalten, nämlich „dass die Menschen auch zukünftig Probleme mit Ihrem Zusammenleben haben werden.“

Helena Winkelmann hat daher die Anleitung zu einem „Musikrat“ der Zukunft in die Archivbox gelegt. Es ist die musikalische Variante eines tausende Jahre alten Konzepts, dem „Council of Chiefs“ indigener amerikanischer Gesellschaften. In einem Kreis übernehmen Musizierende unterschiedliche Funktionen – musikalisch wie gesellschaftlich. Es gibt zum Beispiel eine hinterfragende, eine erfinderische, eine bewahrende, eine warnende, eine erzählerische und eine entwickelnde Stimme. „Das ist dann auch die Magie von diesem ganzen Kreis, dass das, was uns wirklich weiterbringt, der Austausch von Perspektiven ist.“


Helena Winkelmann trägt zur Archivbox die Anleitung zu einem Musikrat der Zukunft bei. Auch in Geisterlieder, einem Zyklus über Gedichte in 18 europäischen Originalsprachen mit Begleitung verschiedener Instrumentalgruppen, befasst sich Helena Winkelmann mit der Überwindung von zeitlichen und regionalen Grenzen, UA 5.8.2023, Kirche Ernen, Eigenproduktion SRG/SSR.

 

Ein Raumschiff voller Perspektiven und Gegenwartskritik

„In diesem kleinen Raumschiff befindet sich im Grunde ein Querschnitt durch das momentane Schweizer Musikschaffen“, so beschreibt es der Musikethnologe und Kurator Johannes Rühl, Erfinder der Projekts. Neue Musik, elektronische Musik, Jazz, Pop und Volksmusik sind unter den 40 Kompositionsvorschlägen vertreten, aber auch Klanginstallationen und so verrückte Ideen wie eine Musik mit Pilzen, deren Aminosäuren man heute schon in Klänge umwandeln kann. Ein anderer Vorschlag nimmt das Geräusch von schmelzenden Gletschern auf und transportiert es in Form von DNA in eine Zukunft, in der es in den Schweizer Alpen vermutlich kein ewiges Eis mehr geben wird.

Das Geräusch von schmelzenden Gletschern transportiert Pablo Diserens in listening to glacial thaw in der Form von DNA in die Zukunft. © Clément Coudeyre.

 

Die meisten der eingereichten Vorschläge für die Archivbox wurden von einem skeptischen und gesellschaftskritischen Zeitgeist geprägt, bestätigt Johannes Rühl. Der Versuch, dem Zeitgeist zu entkommen, müsse verständlicherweise scheitern. „Wir kommen aus dem Jetzt offensichtlich nicht raus. Man hat zudem das Gefühl, dass heutzutage eine Dynamik in der Entwicklung ist, die es in der Vergangenheit so nicht gegeben hat.“ Ob das so stimmt? Wir werden 2123 nicht mehr da sein, um das zu überprüfen. Mögen die nach uns „unsere“ Zukunftsmusik spielen oder nicht.
Bettina Mittelstrass

 

Zukunftsmusik – dem Zeitgeist entkommen: 100 Jahre SUISA.
Die Idee stammt von Johannes Rühl, dem Ethnologen und Kurator von Musikprogrammen.
Città della Musica 

Sendung SRF Kultur:
Zukunftsmusik, Passage, 12.4.2014: Redaktorin Bettina Mittelstrass

Neoprofile:
Helena Winkelman, HYPER DUO, Joke Lanz, Martina Berther, Patrick Frank, Annette Schmucki, Fritz Hauser, Leo Hofmann, Nik Bärtsch, u.a.

Komponieren für Streichquartett mit dem Arditti Quartett

Es gilt als Synonym für zeitgenössische Musik für Streichquartett: das Londoner Arditti Quartett. Seit 1974 widmet sich das Quartett rund um den Violinisten Irvine Arditti ganz dem neuen und neusten Repertoire, sowohl in Konzerten und Einspielungen als auch im Arbeiten mit jungen Komponistinnen und Komponisten. Ende Februar begleitete ich die vier Musiker an einem öffentlichen Workshop an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Da machte das Quartett Halt auf seiner Konzerttournee zum 50-Jahr-Jubiläum.

 

Das Arditti Quartett an der Lecture Performance zusammen mit Isabel Mundry in der ZHdK am 28.2.2024 Foto zVg. ZHdK

 

Gabrielle Weber
«Gut ist ein Stück, wenn es Zeit und Raum gut füllt», erklärt mir Irvine Arditti im Gespräch am Vorabend des Workshops, nach einer Lecture Performance. Der quirlige Stargeiger mit dem charakteristischen grauen Lockenschopf äussert sich stets etwas doppeldeutig und humorvoll. Die Musik müsse «funktionieren», unabhängig vom Stil oder der Art. Auf Qualitätskriterien lässt er sich nicht ein: «Wir spielten viele gute und auch viele schlechte Stücke. Neue Stücke müssen zuerst einmal die Chance erhalten, gespielt zu werden. Erst dann zeigt sich ob sie gut oder schlecht sind».

 

«Gut ist ein Stück, wenn es Zeit und Raum gut füllt»

Und solche Chancen bietet das Arditti Quartett. Irvine Arditti, erster Geiger und Gründer des Quartetts, Lucas Fels, Cello, Ashot Sarkissjan, zweite Geige, und Ralf Ehlers, Bratsche, sind neugierig auf das junge Musikschaffen und fördern es gezielt. Sie unterrichten begeistert, sei es an internationalen Festivals wie den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik oder an Musikhochschulen wie der ZHdK.

An der Lecture Performance erläuterten sie zunächst generelle Herausforderungen der Notation und Einstudierung neuer Stücke für Streichquartett: dies anhand von Stücken von Komponisten, die für ihre komplexe Kompositionsweise berüchtigt sind, Iannis Xenakis und Helmut Lachenmann, und die sie gemeinsam uraufgeführt hatten.


An Tetras (1983) von Iannis Xenakis exemplifizierte das Arditti Quartett in der Lecture Performance Herausforderungen des Komponierens für Streichquartett, Eigenproduktion SRG/SSR 2023.

 

Mit neun Kompositionsstudierenden probten sie am Folgetag deren neue Stücke fürs Schlusskonzert. Fast alles sind Uraufführungen. Geprobt wird im grossen Konzertsaal mit Publikum.

Schmerzquartett heisst die Komposition von Franziska Eva Wilhelm. Wilhelm stammt aus München und studiert seit Herbst 2021 in Zürich Komposition bei Isabel Mundry. Mit Jahrgang 2003 ist sie eine der jüngsten Teilnehmerinnen am Workshop.

Portrait Franziska Eva Wilhelm © Franziska Eva Wilhelm


«Schmerz hat für mich viel mit Reibung zu tun und auch der Ton der Streichinstrumente entsteht durch eine Art Reibung», meint Wilhelm. «Schmerz ist ein schwieriges Thema und ich wollte es nicht romantisieren. Es geht mir um die Wahrnehmung von Schmerz und wie er sich in Musik verkörpern lässt: um die Textur, nicht um eine Geschichte».

Humor muss sein..

Es wird konzentriert gearbeitet und auch viel gelacht: An einer Stelle verlieren die Musiker die Orientierung in der Partitur und Lucas Fels lockert mit einer Episode auf: «New York, Carnegie Hall!», das sei die laute Antwort Sergej Rachmaninoffs mitten in einem von ihm dirigierten Konzert gewesen, auf die Frage eines Musikers, wo sie im Stück seien. Der Humor baut Spannung ab und integriert die Komponierenden.


In Schmerzquartett von Franziska Wilhelm geht es um die Textur des Schmerzes, UA Konzert Arditti Quartett ZHdK, 1.3.2024.

 

“That’s all? How’s that?” fragt Irvine Arditti zum Ende der Probe von Schmerzquartett, wieder lachend. Wilhelm ist zwar zufrieden, möchte aber noch Weiteres ausprobieren. Das wird fraglos ausgeführt.

Ihr Fazit nach den Proben: «Ich habe viel über spezifische Notationen gelernt. Sie überlassen nichts dem Zufall und wenn es etwas zu entscheiden gibt, entscheidet die Person, die komponiert hat. Ich muss als Komponistin genau wissen, was ich will. Und das muss ich auch kommunizieren können.».

Das Arditti Quartett am Konzert im grossen Saal der ZHdK vom 1.3.2024 Foto zVg. ZHdK

 

Die notierte Idee so exakt wie möglich in Klang umsetzen

Bei Uraufführungen geht es dem Quartett stets darum, die notierte Idee so exakt wie möglich in Klang umzusetzen. Das gelte genauso für grosse Namen wie auch für junge, noch unbekannte Musikschaffende, sagt Irvine Arditti. Mehrere hundert Streichquartette sind dem Quartett über die 50 Jahre gewidmet worden. Die meisten erarbeiteten sie zusammen mit den Komponistinnen und Komponisten.

 «I really want to play the piece the way you want it to be played», lässt er in den Proben immer wieder verlauten, zum Beispiel bei Andrzej Ojczenasz.

Ojczenasz klärt letzte Notations-Fehler gleich vorab. Das wird geschätzt. Zum Beispiel soll das Cello, gleich im ersten Takt, eine Oktave tiefer spielen. «Das beginnt ja mal schon gut», kommentieren die Musiker lachend.

Sein Quartett Maris Stella ist inspiriert von Gregorianischem Choral. «Die Struktur basiert auf dem Kontrapunkt des Chorals. Ich verbinde dadurch Tradition und Gegenwart», erläutert er.

 

Portrait Andrzej Ojczenasz zVg. Andrzej Ojczenasz

 

Andrzej Ojczenasz stammt aus Polen. Er studierte zunächst an der Krysztof Penderecki Musikhochschule in Krakau, bildete sich dann an der University of Louisville in den USA weiter und absolviert nun den Master in Komposition bei Isabel Mundry.

Gröbere Notationsfehler kommen vor..

Ashot Sarkissjan deckt etwas später einen gröberen Notationsfehler auf: Was man hören wolle, müsse man auch genauso schreiben, sagt er. Gleichzeitig spürt man, dass das Stück die Musiker überzeugt. Das Probenklima ist vertrauensvoll und Ojczenasz nimmt die Korrektur gerne an.

 


Maris Stella von Andrzej Ojczenasz basiert auf Gregorianischem Choral, Aufnahme UA Konzert Arditti Quartett ZHdK, 1.3.2024.

Gegen Schluss der Probe fragt Irvine Arditti auch ihn, ob es ihm gefallen habe: «Ja, aber..» — auch er möchte noch ein paar Stellen korrigieren.

Ojczenaszs fasst seine Learnings folgendermassen: «Präzise notieren, dann wird es auch so gespielt! Und: unbedingt sich selbst und seiner Message gegenüber ehrlich bleiben und niemand anderen darstellen wollen.»
Gabrielle Weber

Das Arditti Quartett im Konzert im grossen Saal der ZHdK am 1.3.2024 Foto zVg. ZHdK

 

Am Schlusskonzert vom 1.3.2024 im grossen Konzertsaal der ZHdK waren zu hören:
Wojciech Chalpuka: Wohin jetzt? (UA)
Luis Escobar Cifuentes: Ewige Leben (UA)
Wenjie Hu: The Rift (UA)
Amir Liberson: Emptiness (UA)
Franziska Eva Wilhelm: Schmerzquartett (UA)
Nuño Fernández Ezquerra: Lienzo de Luz (2021)
Fabienne Jeannine Müller: Incertain (UA)
Pengyi Li: … Echo … (UA)
Andrzej Ojczenasz: Maris Stella (UA)
Isabel Mundry: Linien, Zeichnungen (2004)

Sendungen SRF Kultur:
Musik unserer Zeit, 3.4.&14.8.2024: Streichquartett heute, Das Arditti Quartett und der NachwuchsRedaktion Gabrielle Weber
Neue Musik im Konzert, 3.4.&14.8.2024: Das Arditti Quartett im Konzert mit jungen Komponierenden, Redaktion Gabrielle Weber

neo-profiles:
Arditti QuartetIsabel Mundry, Franziska Eva Wilhelm, Andrzej OjczenaszWojciech ChalpukaLuis Escobar CifuentesWenjie HuAmir LibersonNuño Fernández EzquerraFabienne Jeannine MüllerPengyi Li

 

Thomas Kessler – Klangutopist und Elektronikpionier ist verstorben

 

Er hat die elektronische Musik in der Schweiz weiterentwickelt wie nur wenige, und er überraschte immer wieder mit frischen Ideen: Thomas Kessler.

Wie heute Mittag bekannt wurde, ist der Schweizer Komponist im Alter von 86 Jahren gestorben. Der Nachruf von Thomas Meyer.

 

Thomas Meyer
Ein Rapper und ein Streichquartett – eine ziemlich ungewöhnliche Kombination. 2007 trat der kalifornische Slam Poet Saul Williams zusammen mit dem Arditti Quartet bei den Tagen für Neue Musik Zürich auf, um das Stück NGH-WHT zu performen. Es war nicht seine erste Begegnung in einem klassischen Rahmen. Zwei Jahre zuvor hatte er schon in Basel mit einem Orchester seine Texte rezitiert, in ‘said the shotgun to the head. Beide Stücke stammten von Thomas Kessler.

 

Thomas Kessler, Basel 29.11.2018 ©Copyright: Thomas Kessler / Priska Ketterer

 

Der Schweizer hatte sich 2001, frisch pensioniert, in Toronto auf die Suche nach dem ungewöhnlichen Sound gemacht. „Ich suchte Poetry, mit Rap, aber nicht mit einem aggressiven Bumm-Bumm-Rhythmus, sondern etwas Offeneres oder Experimentelles. Und ich suchte lange, aber plötzlich hörte ich etwas; da sprach ein Poet mit einem Cellosolo, das war phantastisch. Das hatte Rhythmus, Puls, aber nicht so, wie kommerzielle Musik klingt. Ich dachte, den Mann möchte ich kennenlernen.“ Kurz darauf stand er bei Saul Williams vor der Tür, der rappte ihm bei der ersten Begegnung gleich sein jüngstes Buch vor und meinte: Willst Du das nicht verwenden? So kam es zur Zusammenarbeit.

 


Thomas Kesslers NGH WHT für Sprecher und Streichquartett aus dem Jahr 2006/07, hier interpretiert vom Mivos Quartet und Saul Williams am Lucerne Festival, KKL Luzern 17.8.2019, Eigenproduktion SRG/SSR.

 

Diese Suche nach dem Unverbrauchten, diese Neugierde zeichnete Thomas Kessler zeitlebens aus. Geboren 1937 in Zürich, hatte er sich von jeher eigenständig in – und neben der Avantgarde bewegt. In den 60er Jahren gründete er in Berlin ein eigenes Studio. Bald gingen in diesem Electronic Beat Studio die jungen Rockmusiker ein und aus, entdeckten neue Geräte und entwickelten einen neuen Sound. Von da her war es kaum erstaunlich, dass sich Kessler später dem Rap zuwandte.

 

Thomas Kessler und Saul Williams © Werner Schnetz

 

Ab 1973 baute er in Basel das Elektronische Studio der Musik-Akademie auf und führte es zu internationalem Renommee. Aber auch da suchte er nach unkonventionellen Lösungen. Eine bedeutende Schiene seines Schaffens waren etwa jene live-elektronischen Stücke, bei denen die Solomusiker selber die Kontrolle über den Sound übernehmen und das Klangergebnis somit nicht mehr von einem zentral gesteuerten Mischpult beherrscht wird. Was 1974 mit dem Solo „Piano Control“ begann, kulminierte im neuen Jahrtausend in einer Serie von Orchesterstücken, Utopia genannt.“

 


Thomas Kessler, Utopia II, für Orchester und Elektronik, 2010/11, Basel Sinfonietta, Leitung Jonathan Stockhammer, Stadtcasino Basel 30.3.2014,  Eigenproduktion SRG/SSR.

 

„Ich wollte das ultimative Live-Elektronik-Stück zu machen, eine Utopie. Ich brauche dafür achtzig Steckdosen auf der Bühne, mehr nicht. Jeder Orchestermusiker kommt mit seinem eigenen Setup, mit einem kleinen Köfferchen, in dem der Synthesizer oder ein Laptop liegt. Er steckt die Kabel ein; neben dem Stuhl steht ein Lautsprecher und fertig. Keiner mischt im Saal den Sound zusammen; keine Lautsprecher rundherum.  Der Klang kommt vom Podium, aus den Musikern heraus.“ Die Orchester hatten tatsächlich Spass daran, diesen neuartigen Mischsound selber entstehen zu lassen, einen Klang, so Kessler, „wie er so noch nie gehört wurde“.

 


Thomas Kessler, Utopia III für Orchester (in fünf Gruppen) und multiple Live-Elektronik, Tonhalle-Orchester Zürich, Leitung Pierre-André Valade, Tonhalle Zürich 18.10.2016, Eigenproduktion SRG/SSR.

 

Er war ein quer- und eigenständig denkender Komponist, und doch wäre es falsch, Thomas Kessler auf den Technikfreak oder den genreübergreifenden Innovator zu beschränken. All das wurde nie zum Selbstzweck, sondern mündete jeweils in ein erfrischendes, sensibel ausformuliertes und durchaus mitreissendes musikalisches Endergebnis.
Thomas Meyer

 

Thomas Kessler, Basel, den 29.11.2018  © Thomas Kessler / Priska Ketterer

 

Saul WilliamsElektronische Studio der Musik-Akademie Basel

Sendungen SRF Kultur:
Neue Musik im Konzert, Oratorium von Thomas Kessler und Lukas Bärfuss, 5.1.2022, Redaktion Florian Hauser.
Musik unserer Zeit, My lady Soul I, 28.10.2020, Redaktion Florian Hauser.
neoblog, 8.8.2019: „Ein Mischklang, den man noch nie gehört hat: Thomas Kessler – composer in residence am Lucerne Festival, Autor Thomas Meyer

Neo-Profil:
Thomas Kessler

Simone Keller – vergessene Klaviermusik wiederentdeckt

Schwarz, schwul und provokant: Julius Eastman (1940–1990) zerfetzte die Oberfläche gepflegter minimal music. Mit seiner Bekenntnismusik platzte er in die Blase der weissen Avantgarde New Yorks. Die Schweizer Pianistin Simone Keller trug mit dem Kukuruz Quartett massgeblich zur Wiederentdeckung bei und setzt sich auch für weitere «vergessene» Klaviermusik ein.

Portrait Simone Keller © Doris Kessler

 

Corinne Holtz
Als Julius Eastman in der Aula Rämibühl in Zürich über eine Stunde improvisiert, ist Simone Keller drei Jahre alt. Der Maler Dieter Hall hat den unbekannten Pianisten, Komponisten, Sänger und Performer 1983 für ein Debüt in die Schweiz eingeladen, bevor er selbst für Jahrzehnte in die brodelnde Metropole eintauchen sollte.

Eastman hinterlässt in Zürich ein «verstörtes» Publikum und schenkt seinem Gastgeber eine mit fugue no 7 überschriebene Skizze, die das Kukuruz Quartett Jahre später zusammen mit anderen Transkripten sowie Fotos und Aufnahmen auswerten wird. Die «Eastman-Leidenschaft» setzte ein. Sie beförderte Einrichtungen und Ausdeutungen von Stücken, «die auch Insidern noch nicht bekannt waren», sagt Simone Keller.

Dazu zählt Buddha (1983), das den Interpretierenden gleichzeitig zu realisierende 20 Einzelstimmen auferlegt, ohne bestimmte Instrumente oder deren Anzahl festzulegen. Das Kukuruz Quartett hat sich für Präparationen entschieden, die Klangflächen im Pianissimo an der Schwelle der Hörbarkeit ermöglichen.

Ganz anders Gay Guerrilla (1979) und sein wilder Mix aus Jazzharmonik und Luther-Choral, eine Niederlegung von Eastmans Lebensfragen. «Ich habe lange mit Gott gekämpft», sagte er in einem Interview, und hoffte, dereinst Frieden mit ihm schliessen zu können. Seine panreligiöse Spiritualität fand auch auf die Bühne. 1984 etwa führte er das Solo The Lord give it and the Lord take it away auf, ein 15 Minuten langes Gebet in tiefem Ernst.


Das Kukuruz Quartett spielt Gay Guerilla von Julius Eastman 2019 an der Brown University, Providence, Rhode Island, USA.

 

Überschreiten von Grenzen, Stilen und Konventionen

Eastman überschreitet Grenzen von Stilen, Genres und Konventionen und hinterlässt Musik, die klanggewordener Protest ist. Das gilt insbesondere für die Trilogie Evil Nigger, deren Titel 1980 afroamerikanische Studierende auf dem Campus der Northwestern University in Evanston (Illinois) protestieren liess. Sie forderten, das «N.»-Wort müsse aus dem Programm gestrichen werden. Eastman wandte sich vor dem Konzert ans Publikum und begründete seinen sprachlichen Rassismus historisch. Das beleidigende Wort verwende er, um die Rolle der Afroamerikaner in der US-amerikanischen Geschichte sichtbar zu machen. «Die Grundlage des ökonomischen Aufstiegs des Landes baut auf der Arbeitskraft der Afroamerikaner, insbesondere der Field-Niggers.» 250 Jahre lang hatten Sklaven und Sklavinnen Reichtum für Weisse erwirtschaftet, während ihnen selbst Eigentum und Bildung in der Regel untersagt waren.

Eastman sagt, was ist, und wird dafür von der eigenen Community abgestraft. Ist hier ein Mechanismus im Gang, dem wir heute im Cancelling unerwünschter Meinungen begegnen? «Nein», findet Simone Keller. «Eastman wollte provozieren und damit zeigen können, warum es wichtig ist, über diese Titel und ihre Sprengkraft nachzudenken.» Es sei richtig, dass wir im Zuge «des kulturellen Wandels sensibler» mit dem tradierten Rassismus auch in der Sprache umgehen würden.

Heruntergewirtschaftete Klaviere machen schmerzhafte Schönheit hörbar..

Das Kukuruz Quartett hat Eastman für Europa entdeckt und seine Musik zuerst in Clubs, Bars und Bierbrauereien gespielt – auf vier «heruntergewirtschafteten» Klavieren, die bereits viele Präparationen überlebt haben und mit ihren «geschundenen Resonanzkörpern genügend Widerstand bieten», um die «Repetitionswut» bei gleichzeitig schmerzhafter «Schönheit» zeigen zu können.

Damit wird das Quartett einer von Drogenexzessen getriebenen Musik gerecht, die im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung während Demonstrationen durch die Strassen schallte und heute in etablierten Konzertsälen erklingt. MaerzMusik in Berlin gab 2017 den Auftakt, kürzlich zog das Lucerne Festival Forwardnach.

Was der visionäre Eklektiker zur Anerkennung durch das Establishment sagen würde, wissen wir nicht. Er selbst verbrachte seine letzten Lebensjahre im Obdachlosenlager im Tompkins Square Park in New York und starb 1990 vergessen in einem Spital in Buffalo.

St. Gallen – Portrait der Pianistin Simone Keller anlässlich der Verleihung des IBK-Preises für Musikvermittlung © Lisa Jenny

 

«Ich bin als weisse Musikerin verpflichtet, auch Musik von Menschen anderer Hautfarbe zu spielen», sagt Simone Keller. Im Studium habe sie ausschliesslich Musik von weissen Männern gespielt und das noch in den 2000er-Jahren, als bereits die eine und andere weisse Komponistin wiederentdeckt wurde, etwa Clara Schumann, Fanny Mendelssohn und Lili Boulanger.

Höchste Zeit, auch an afroamerikanische Komponistinnen wie etwa Irene Higginbotham und ihre berühmteste Komposition Good Morning Heartache (1945) zu erinnern und «Ungleichheits- und Machtverhältnisse» sichtbar zu machen, findet Simone Keller und titelt ihre neuste CD mitsamt Buch Hidden Heartache.

Irene Higginbotham (1918-1988), Good Morning Heartache, interpretiert von Simone Keller, Klavier, und Michael Flury, Posaune, 2024.

 

Anders als Julius Eastman ist Julia Amanda Perry (1924–1979) vergessen. Die afroamerikanische Pianistin, Komponistin und Dirigentin feiert am 25. März ihren 100. Geburtstag. Nach ihrer Grundausbildung am Westminster Choir College Princeton studierte sie in Europa bei Luigi Dallapiccola und Nadia Boulanger, war Guggenheim-Stipendiatin in Florenz und dirigierte zwischen 1952 und 1957 so berühmte Orchester wie das BBC Philharmonic und die Wiener Philharmoniker. Dennoch standen Perry zurück in den USA kaum Türen offen. Mit Hidden Heartache verweist Simone Keller auf Strukturen dieses Vergessens und bringt Klaviermusik von Ausgesperrten der Musikgeschichte ans Licht.
Corinne Holtz

Julius Eastman (1940-1990), Irene Higginbotham (1918-1988), Olga Diener (1890-1963), Lucerne Festival ForwardFestival MärzMusik.

An Julia Amanda Perrys Geburtstag (25.3.2024), erscheinen Buch und Doppel-CD mit 100 Minuten Klaviermusik der letzten 100 Jahre, mit Werken von u.a. Julius Eastman, Julia Amanda Perry, OIga Diener, Jessie Cox u.a., Intakt records.
CD: Kukuruz Quartet, Julius Eastman, Piano interpretations, Intakt records 2018.

Simone Keller: Hidden Tour, 19.–27. März 2024.

Julia Perry Centenary Celebration & Festival, New York City, 13.–16. März 2024.

Sendung SRF Kultur:
Musik unserer Zeit, 17.1.2024: Erst vergessen, heute ein Hype: Julius Eastman (1940–1990), Redaktion Corinne Holtz.

neo-profiles:
Simone Keller, Kukuruz Quartett, Jessie Cox.

Musik ist immer politisch! Luigi Nono 100

Luigi Nono (1924-1990) gilt als zentrale Figur der internationalen Musikavantgarde: Ein Portrait von Florian Hauser zu seinem 100. Geburtstag am 29. Januar.

Florian Hauser
Alle sind sie gekommen. Mehrere Tausend Arbeiter versammeln sich in ihrer Betriebspause und wollen hören, was Nono aus den Geräuschen gemacht hat. Das brüllend laute Dröhnen und Zischen des Hochofens in ihrer Stahlfabrik hatte er aufgenommen, und jetzt stellt er ihnen seine Tonbandcollage vor. Und anschliessend diskutieren die Arbeiter darüber, beginnen sie nachzudenken über ihre Arbeitsbedingungen. ‘La fabbrica illuminata’ heisst das Stück, das Luigi Nono Mitte der 60er Jahre den Stahlarbeitern in Genua widmet. Ein Paradebeispiel von Partizipation, würde man heute sagen. Hochmodern, bis heute. Und darum war es ihm immer gegangen: Luigi Nono machte Musik, um ein politisches Bewusstsein zu schaffen.

Luigi Nono, am 12. November 1976 in der Roten Fabrik in Zürich. Nono führt elektronisch bearbeitete Originalgeräusche aus einer Fabrik vor und diskutiert mit den Zuhörern über seine Werke © Keystone.

 

Luigi Nono stammt aus einem Venezianischen Bildungsbürgerhaushalt. Als er ein Jahr alt ist, wird Benito Mussolini zum faschistischen Diktator Italiens. Das prägt Nonos gesamte Entwicklung, ja sein ganzes Leben. Gegen Unterdrückung, Krieg und soziale Missstände will er kämpfen. Dass er das als Komponist tut, ist nur ein Zufall, sagt er: denn er findet Anschluss an die musikalische Avantgarde nach dem 2. Weltkrieg.

Es ist die Zeit des grossen Aufbruchs. Eine junge Komponistengeneration will auch musikalisch eine neue Welt errichten, die alten Expressionen haben ausgedient, klare Strukturen müssen her, neue Komponier-Techniken, auch neue Hilfsmittel wie Elektronik.
Ein wichtiges Zentrum der neuen Avantgarde, die sich formiert, ist das deutsche Darmstadt.


Luigi Nono, Incontri für 24 Instrumente, UA 1955, Eigenproduktion SRG/SSR: 1955 – Nono ist bereits fest eingebunden in die Darmstädter Ferienkurse – schreibt er eine musikalische Liebeserklärung an seine zukünftige Frau, Nuria, die Tochter Arnold Schönbergs: Incontri für 24 Instrumente, die Begegnung selbstständiger musikalischer Strukturen. „So wie zwei Wesen, verschieden voneinander und selbstständig in sich, sich begegnen und aus ihrer Begegnung zwar keine Einheit werden kann, aber ein Sich-Entsprechen, ein Zusammensein, eine Symbiose”. Nach der Uraufführung in Darmstadt verloben sich Nuria Schönberg und Luigi Nono, kurze Zeit später heiraten sie.

 

Drei Komponisten werden bei den sogenannten ‘Internationalen Ferienkurse für neue Musik’ Darmstadt zu den zentralen Figuren: der Franzose Pierre Boulez, der Deutsche Karlheinz Stockhausen und der Italiener Luigi Nono.

Was zunächst als wunderbare und intensive Künstlerfreundschaft beginnt, ändert sich bald, Differenzen werden deutlich. Nono ist derjenige, der nicht l’art pour l’art machen will, wie die Kollegen. Er will raus aus dem Elfenbeinturm, auf die Strasse, zu den Menschen. Und vertont zum Beispiel Abschiedsbriefe zum Tode verurteilter Widerstandskämpfer….

“Das Menschliche, das Politische lässt sich nicht trennen von Musik” 

Das Menschliche, das Politische lässt sich nicht trennen von der Musik, sagt Luigi Nono. Er versucht immer dringlicher, den Finger auf soziale Missstände zu legen. Mit allen musikalischen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, macht er das: wilden Orchesterimpulsen, Klängen an der Grenze zum Verstummen, mit Collagen, Elektronik oder Musik, die sich im ganzen Raum verteilt.

„Das Ohr aufwecken, die Augen, das menschliche Denken, die Intelligenz, die grösstmögliche entäusserte Innerlichkeit”, mit diesen Worten umschrieb Nono 1983 sein ewiges Ziel, „als Musiker wie als Mensch Zeugnis abzulegen”.


Luigi Nono, No hay caminos, hay que caminar, UA 1987, Eigenproduktion SRG/SSR: Den Satz „Caminantes, no hay caminos, hay que caminar« (Wanderer, es gibt keinen Weg, du musst einfach gehen) hatte Nono auf der Wand eines Klosters in Toledo gelesen. Daraus wurde sein letztes Orchesterwerk, der Titel könnte geradezu als Motto für Nonos gesamte kompositorische Arbeit stehen. No hay caminos, hay que caminar. Dynamik und Tempo sind extrem zurückgenommen, nur für kurze Augenblicke entstehen dramatische Klangrisse. Nono verwendet nur einen Ton, das g mit vierteltönigen Erhöhungen und Erniedrigungen, also sieben Töne im Vierteltonabstand in allen Oktavlagen. Die Unterschiede zwischen Tonhöhen und Klangfarben verschwinden, es ist ein magisches Spiel, das die Beziehungen zwischen den Parametern radikal überdenkt.

 

Sein Leben, sein Musik-Machen ist anstrengend, und letztlich zerbricht Nono vielleicht an seinem eigenen Anspruch. ‘Ich habe eine Selbstzerstörung an mir vorgenommen,’ wird er am Ende sagen, und als er mit Mitte 60 stirbt, hat er einsehen müssen, dass auch Musik keine Revolutionen auslösen kann.

Was von ihm bleibt? Seine kompromisslose Haltung. Sein Motto. Ascolta! Hör doch zu!
Florian Hauser

Luigi Nono (1924 – 1990) conducting his piece ‘Canti di vita e d’amore: sul ponte di Hiroshima’ in rehearsal at the Royal College of Music, London, 7th September 1963. © Erich Auerbach/Hulton Archive/Getty Images.

 

Sendungen SRF Kultur:
Luigi Nono zum 100: Helmut Lachenmann und seine Erinnerungen an Luigi Nono, Musik unserer Zeit, 31.01.2024, Redaktion Florian Hauser.
Er vertonte die Abschiedsbriefe von Widerstandskämpfern, online-Text srf.ch, 29.01.2024: Autor Florian Hauser.
Zum 100. Geburtstag: Luigi Nono: Fragmente – Stille. An Diotima, Diskothek, 29.01.2024, Redaktion Annelis Berger

neo-profil:
Luigi Nono

Komponieren mit mobiler Technologie: Lara Stanic – Medienkünstlerin

 

Elektronische Komposition, Performance, Klangkunst: die Zürcher Komponistin, Performerin, Medienkünstlerin und Flötistin Lara Stanic ist schwer zu labeln. In ihren Konzertperformances verbindet sie Medien, Instrumente, Objekte und Musikerkörper und bezieht sich dabei auf die jeweils konkreten Orte und Kontexte. Im Gespräch gibt sie Einblick in die Entstehung ihrer neusten Werke für das Zürcher Barockorchester.

 

Lara Stanic in ‘waves’, Festival Rümlingen 2020 © Kathrin Schulthess

 

Gabrielle Weber
Lara Stanic treffe ich an einem verschneiten Samstag anfangs Januar zum morgendlichen Kaffee an ihrem Küchentisch. Wir sprechen über ihre jüngste Komposition Du matin au soir: Sie entstand im Sommer 2023 für das Zürcher Barockorchester und besteht aus acht Sound-Interventionen, die zwischen einzelnen Symphoniesätzen von Haydn aufgeführt wurden. Die Konzerte fanden zu verschiedenen Tageszeiten an verschiedenen Orten in Zürich statt: im botanischen Garten, in einem Freibad und in der Kirche St. Peter.

Lara Stanic verwendet für ihre Stücke in der Regel elektronische Medien und integriert oft auch kontextbezogene Objekte. Die Auswahl der konkreten Medien sei ein Prozess, meint Stanic. «Ich lasse mich inspirieren vom Kontext, den Interpreten, den Instrumenten und deren möglicher Spielweisen. Dann höre ich Klänge in meinem Kopf und sehe Spielweisen.»
In Sonnenstand, der Sound-Intervention zur Haydn-Sinfonie Der Mittag, ‘spielen’ die Musikerinnen und Musiker mit runden Handspiegeln, die mittels Smartphones Klang erzeugen. Die Idee stammt aus einer Kindheitserinnerung. «Als Kind fing ich mit Handspiegeln das Sonnenlicht der Mittagssonne ein und erzeugte damit an einer nahen Wand Schatten und Lichtspiegelungen», sagt Stanic.

 

Sonnenstand von Lara Stanic aus Du matin au soir, komponiert für das Zürcher Barockorchester, Uraufführung Zürich 2023. Botanischer Garten und Kirche St. Peter Zürich, Videos © Andreas Pfister und Philip Bartels.

 

Auch in Sonnenstand fangen die Musiker:innen mit Handspiegeln Sonnenlicht ein, wobei diesmal daraus Musik entsteht. Auf der Rückseite der Spiegel sind Handys angebracht. Darin eingebaute Bewegungssensoren, Mikrofone und Lautsprecher erfassen die Bewegungen der Spiegel und setzen sie in Klänge um. So sei, erklärt Stanic, eine hybride Form aus zwei Medien, dem Handspiegel und dem Smartphone, entstanden.

Sonnenstand spiegelt damit auch ein Grundthema, das Stanics künstlerische Arbeit prägt: In der elektronischen Musik stört sie sich oft an der Schwerfälligkeit von grossen, fürs Publikum fast bedrohlichen Lautsprechern und Mischpulten. Mit dem Einsatz von mobilen Geräten sucht sie nach Leichtigkeit und Beweglichkeit. Stanic tritt auch oft als Performerin ihrer eigenen Werke auf. Was sie entwickelt, erprobt sie zunächst an sich selbst. «Ich war und bin mein bestes Versuchskaninchen», meint sie.

Stanic studierte zunächst Querflöte, dann Musik und Medienkunst in Zürich und Bern. Die Querflöte spielt und unterrichtet sie weiterhin und sieht sie als ihr musikalisches Zuhause. «Die Ausbildung zur Interpretin und Pädagogin lieferte mir einen Boden und ein Wissen über kompositorische Denkweisen. Das Kreieren von Klängen interessiert mich gleichermassen auf akustischen Instrumenten wie in der Elektronik.» Den ersten Zugang zu Musik hat sie in ihrer Kindheit im damaligen Jugoslawien über Radio und Fernsehen erfahren. Schon da sei sie fasziniert gewesen, wieviel an Emotionen Schallwellen auslösten. Die Verbindung von Musik und Elektronik sei deshalb naheliegend gewesen, ergänzt sie lachend: «Natürlich wusste ich damals nicht, dass es sich um Schallwellen handelte.»

 

Lara Stanic Performance ‘Spielfeld Feedback’ 2003 © EDITION DUMPF – Florian Japp

 

Humor und spielerische Leichtigkeit prägen auch ihre Arbeiten mit Alltagsgegenständen. In Kafi, einer weiteren Sound-Intervention, diesmal zur Haydn-Sinfonie Der Morgen, wird zum Beispiel eine überdimensionale Bialletti-Espressomaschine zum Instrument: die zwei Konzertmeisterinnen brühen auf der Bühne Kaffee und ‘spielen’ mit den Klängen des Blubberns. «Wenn ich am Morgen aufstehe, koche ich mir den Kaffee und in einer Bialetti-Maschine. Das klingt sehr schön und ich verbinde den Kaffeeduft immer mit diesem Klang. Ich erinnere mich an die Klänge und Düfte seit meiner Kindheit. Und dann muss ja auch ein Orchester in den Probenpausen immer Kaffee trinken. Das ist also ganz praktisch gedacht…»
Kafi, eine weitere Sound-Intervention von Lara Stanic aus Du matin au soir, komponiert zur Hayn-Sinfonie Der Morgen, Zürcher Barockorchester, UA Zürich 2023, Kirche St. Peter, Video © Andreas Pfister, Renate Steinmann.

 

In Kafi geht es um Verwandlung: Klang und Duft des Kaffes werden in Musik verwandelt. Hinzu kommt die elektronische Erweiterung der klassischen Instrumente: die Geigenbögen der Konzertmeisterinnen sind mit Bewegungssensoren versehen. Mit ihnen berühren sie die Kaffeemaschine wie mit Zauberstäben, die sie anschliessend durch die Luft schwingen. Dadurch verstärkt sich der Klang des Brodelns, verteilt sich im Raum und mischt sich mit dem Beginn der Sinfonie. «Die Geigenbögen werden zu Zauberstäben, die den Duft des Kaffees wiederum in Musik verwandeln» so Stanic.

Der Prozess dahinter sei aber ganz einfach. Zuerst gebe es die Idee, dann einen Klang, hier das Brodeln des Kaffees, und dann suche sie nach einer Lösung, wie dieser mit dem Klang der Instrumente in Verbindung gebracht werden könne. Die performativen Aktionen der Konzertmeisterinnen bilden für das Publikum eine Brücke zwischen dem klingenden Alltagsgegenstand und den Instrumenten. Aus diesem einfachen Grundprinzip verzaubert Stanic Alltagsobjekte in Musik und hinterlässt auch bei mir bleibende Spuren beim morgendlichen Kaffee.
Gabrielle Weber

 


Lara Stanic, Du matin au soir, Videocollage der acht Sound-Interventionen für das Zürcher Barockorchester zu Haydn-Symphonien, UA Zürich 2023, Video © Andreas Pfister, Renate Steinmann, Philipp Bartels.

 

Lara Stanic ist Mitbegründerin und Mitglied des Trios „Funkloch“ mit Petra Ronner und Sebastian Hofmann, das jährlich sechs Komponist:innen zum experimentellen Studiokonzert mit Direktübertragung on air einlädt, oder des GingerEnsemble, einem in Bern basierten Composer-Performer-Kollektiv. Sie komponiert für Soli, Ensemble oder Orchester, sowie für eigene Performances, und ist damit regelmässig an den internationalen Festivals präsent, und sie ist seit 2011 Dozentin für Performing New Technologies an der Hochschule der Künste Bern.

FunkLoch feierte am Samstag, 20.1.24, 17h im Kunstraum Walcheturm sein sechsjähriges Jubiläum mit Stücken von Annette Schmucki, Daniel Weissberg, Svetlana Maraš, Dorothea Rust und Joke Lanz.

 

Sendungen SRF Kultur:
MusikMagazin, 10.2.2024: Cafégespräch mit Lara Stanic von Gabrielle Weber, Redaktion Benjamin Herzog.
Zämestah, 21.12.2020: TV-Portrait Lara Stanic
Musik unserer Zeit, 21.09.2013: Spiel mit urzeitlicher Elektronik: Das Ginger Ensemble, Redaktion Lislot Frey

neo-profiles:
Lara StanicFunkloch OnAir, Kunstraum Walcheturm, Sebastian Hofmann, petra ronner, Annette SchmuckiDaniel WeissbergSvetlana Maraš, Joke Lanz, Neue Musik Rümlingen.

 

Schmiedwerk der Improvisation am Jazz Festival Willisau 2023


Seit seiner Gründung im Jahr 1975 ist das Jazz Festival Willisau eine Schmiede der improvisierten Musik. Jedes Jahr pilgern im Spätsommer Improvisator:innen aus aller Welt ins Luzerner Hinterland: sie sind in intimen Konzerten oder in grossen Acts in der Festhalle zu erleben und werden alljährlich in verschiedenen Sendungen auf SRF 2 Kultur portraitiert. Roman Hošek und Luca Koch von der Musikredaktion SRF Kultur haben dieses Jahr auch Live-Video-Interviews mit verschiedenen Improvisations-Bands geführt.
Luca Koch stellt im neoblog zwei der portraitierten Bands vor: Der Verboten und How Noisy Are The Rooms? 

 

‘Der Verboten’: Antoine Chessex, Christian Wolfarth, Frantz Loriot, Cédric Piromalli

 

Luca Koch
Wer ihren Bandnamen im Programm entdeckt, denkt vielleicht sofort an ein weisses, rundes Schild mit rotem Rand oder hält den Namen gar für einen Tippfehler: Ist «das Verbot» oder «die Verbotenen» oder «Der Vorbote» gemeint? Was grammatikalisch falsch anmutet, ist ursprünglich aus einem Witz entstanden. Das Quartett mit Christian Wolfarth, Frantz Loriot, Antoine Chessex und Cédric Piromalli probt sowohl auf Deutsch wie auch Französisch, Übersetzungsfehler sind da inklusive. Entstanden und geblieben ist der Name, denn wer definiert schon was richtig und was falsch ist. Unsere Sprachen bestehen wie die Musik aus Regeln und Strukturen, die aufgebrochen werden können. Die Musik von Der Verboten ist frei von Regeln und ineinander verzahnt. Genau dieses Zusammenspiel treibt die Band an.

 

Der Verboten: Vertiefung statt Innovation

Das Erkunden neuer Klänge und das Erweitern des Klangs der einzelnen Instrumente steht nicht im Fokus der Band, viel mehr versucht sie, klanglich ineinander zu verschmelzen und ihren gemeinsamen Bandsound zu vertiefen. Christian Wolfarth betont im Interview immer wieder, wie wichtig es sei, die richtigen Bandkollegen zu finden. In diesem Quartett sei es so, wie in einer alten Freundschaft, auch wenn lange nicht geprobt oder Konzerte gespielt hätten, knüpften sie genau da an, wo sie das letzte Mal aufgehört hätten.

Zeit verschmilzt.

Damit Piano, Schlagzeug, Viola und Tenorsaxofon zu einem einzigen musikalischen Organismus verwachsen können, braucht die Band vor allem eines – Zeit. Erst in langen Improvisationen tritt die erwünschte Form von verwobenem Interplay ein. «Ich glaube behaupten zu dürfen, dass uns das bei jedem Konzert gelingt», meint Christian Wolfarth im Interview. Ganze zwei Stücke spielte das Ensemble am Jazz Festival Willisau in ihrem einstündigen Set und die Pause dazwischen diente – vor allem dem Publikum – als Verschnaufmöglichkeit. Langsame Entwicklungen, kaum merkliche Veränderungen führen dazu, dass sich das Publikum  im Konzertsaal immer wieder frägt, wie der Verboten musikalisch von A nach B gekommen ist.

 


Christian Wolfarth und Antoine Chessex vor ihrem Konzert im Live-Interview am Jazz Festival Willisau 2023.

 

Mit der gleichen Ruhe und Reflektiertheit wie im Gespräch standen Der Verboten auch auf der Bühne. Sie entführten so sehr in ihre Klangwelt, dass ich während des Konzerts nicht mehr wusste, ob schon zwanzig oder erst zwei Minuten vergangen waren.

Eine weitere Band, die mit dem Zeitempfinden ihres Publikums spielt, ist How Noisy Are The Rooms?. Im Gegensatz zu Der Verboten scheinen bei ihnen die Minuten aber zu rennen. Ein hohes Tempo und eine grosse Dichte an Sounds prägen ihre Klangästhetik.

 

‘How Noisy Are The Rooms?: Almut Kühne, Joke Lanz und Alfred Vogel

 

How Noisy Are The Rooms? stellt gerne Fragen..

Das Trio mit Alfred Vogel, Joke Lanz und Almut Kühne stellt gerne Fragen: Wieviel Noise erträgt ein Raum oder auch: kann Musik ein Schleudertrauma auslösen? Improvisation mit viel Energie, punkiger Ästhetik und schneller Interaktion vermittelt  den Zuhörenden an Konzerten von How noisy are the rooms?  das Gefühl, Kugeln in Flipperkästen zu sein, die hin und her geschleudert werden. Die kreative musikalische Anarchie des Trios auf der Bühne fordert ihr Publikum heraus, manchmal überfordert sie sogar. Alfred Vogel betont: «Ich will die Leute eigentlich nicht überfordern. Verstehen folgt auf Zuhören. Man muss einfach die Ohren aufmachen und im besten Fall macht’s was mit dir.»

 

Turntables und Whistle Notes

Die treibenden Rhythmen von Alfred Vogel am Schlagzeug und die Stimmakrobatik von Almut Kühne verleihen der Musik von How Noisy Are The Rooms? archaischen Charakter — Perkussion und Stimme sind wohl die ältesten Instrumente der Menschheit. Joke Lanz, der mit seinen Turntables Soundsamples loopt und verzerrt, bringt eine performative, elektro-analoge und auch humoristische Komponente ins Spiel.

 


Alfred Vogel vor dem Konzert von How Noisy Are The Rooms? im Live-Interview am Jazz Festival Willisau 2023.

 

Alfred Vogel wollte früher Rockstar werden, diese Energie steckt heute noch in How Noisy Are The Rooms?. Er sei aber froh, habe er einen anderen Weg eingeschlagen: sein jetziges Musikschaffen sei divers und reichhaltig.

 

Postmusikalisches Wimmelbild

Wie ein Wimmelbild setzt sich die Musik des Trios aus eklektischen Klängen und kurzen, pointierten Phrasen zusammen. Klare Strukturen, Harmonien und greifbare Melodien gibt es nicht in ihrem Klangmosaik. Trotzdem wecken die musikalischen Streitgespräche der drei Musiker:innen Bilder in den Köpfen: Ich fühle mich in eine dröhnende Grossstadt versetzt oder als Teil einer Game-Animation.

 


How Noisy Are The Rooms? Video ©Denis Laner / Alfred Vogel 2021

 

Durch ihre Dichte und Fülle an musikalischen Einzelteilen treffen How Noisy Are TheRooms? den heutigen Zeitgeist einer unruhigen Welt.  Alfred Vogel erzählt im Interview: «Musik oder Kunst soll immer auch die Welt spiegeln in der wir leben. Was ist überwältigend? Die Geschehnisse heutzutage in dieser Welt sind auch alle überwältigend. Alles passiert gleichzeitig. Everything, everywhere, all at once. So ist das auch in unserem Sound». How Noisy Are the Rooms? ist  die grösste Entdeckung für mich an der diesjährigen Ausgabe des Jazz Festival Willisau.
Luca Koch

 

Cédric Piromalli, Christian Wolfarth, Frantz LoriotAlmut Kühne, Alfred VogelSudden infant

Sendung SRF Kultur:
Neue Musik im Konzert, 25.10.2023: Anarchie und Energie am Jazzfestival Willisau, Redaktion Benjamin Herzog.

Neo-Profiles:
How Noisy Are The Rooms?, Joke LanzDer Verboten, Antoine Chessex

 

 

 

 

 

 

 

 

Contrechamps Genève feiert das Hören

Ensemble Contrechamps Genève startete eine dichte Saison mit zahlreichen Highlights. Das Programm ist exemplarisch für die neue Ausrichtung des wichtigsten Genfer Ensemble für zeitgenössische Musik unter der künstlerischen Leitung des Perkussionisten Serge Vuille. Er übernahm Contrechamps vor fünf Jahren und hat die Ensemble-DNA seither radikal neu geprägt. Serge Vuille im Gespräch:

 

Portrait Serge Vuille © Serge Vuille

 

Gabrielle Weber
Contrechamps bespielt den grossen Konzertsaal der Victoria Hall in Genf, es eröffnet die Festivals Biennale Musica Venezia oder Sonic Matter Zürich oder es lädt ganz einfach – ohne Konzert – zu einem Vinyl- und neo.mx3.ch-Release-Hörwochenende in Genf ein. Die unterschiedlichen Veranstaltungen sind charakteristisch für die neue Ausrichtung des traditionsreichen Ensembles unter Serge Vuille.

„Contrechamps sucht ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Musik-Praktiken“, sagt Vuille. Da sind einerseits Konzerte mit Instrumentalmusik für grosses Ensemble, oft verbunden mit Komponistenpersönlichkeiten und der jungen Szene der Romandie, andererseits Projekte in Verbindung mit anderen Sparten und Musikgenres, in Kombination mit Visuellem und Performativem, Elektronik, Pop oder Jazz. Und immer geht es Vuille auch um ganz spezielle Hörerlebnisse.

Für Ersteres stand anfangs Saison beispielsweise ein Konzert zum 65. Geburtstag des Genfer Komponisten Michael Jarrell, ein „traditionelles“, dirigiertes Konzert für große Ensembles in der Victoria Hall. Contrechamps gab dazu sieben neue kurze Stücke an seine Studierenden in Auftrag. „Damit unterstützen und fördern wir die regionale Kreationsszene, das ist uns ein wichtiges Anliegen“, sagt Vuille.

Ende 2022 veranstaltete es bereits eine Hommage an Éric Gaudibert, vor zehn Jahren verstorbener Lausanner Komponist, der die Szene wesentlich prägte. Dabei führte es nebst Gaudibert 22 neue Stücke ehemaliger Studierender auf, Miniaturen von je nur zirka einer Minute Dauer, in ganz unterschiedlicher, frei gewählter Besetzung.

 


Éric Gaudibert, Skript, pour vibraphone et ensemble, Contrechamps, Bâtiment des Forces Motrices de Genève, Concours de Genève, 2009, Eigenproduktion SRG/SSR

 

In einem ganz anderen Kontext und Setting, zur Eröffnung der Biennale Musica Venezia, zeigte Contrechamps GLIA für Instrumente und Elektronik, ein Werk der 2009 verstorbenen US- Elektropionieren und Klangkünstlerin Maryanne Amacher aus dem Jahr 2005. An Amachers Schaffen interessiert Vuille auch der Aspekt spezieller gemeinsamer Hörerfahrung: Zur Festivaleröffnung in einer grossen leergeräumten und abgedunkelten Halle der umgenutzten Schiffswerft Arsenale, ging das zahlreiche Publikum (darunter auch die Autorin), umgeben von Lautsprechern, extremen Klangveränderungen umherwandernd nach: die Instrumentalist:innen spielten auf einem Podest, als vibrierende Klangskulptur, oder sie bewegten sich mit den Zuhörenden. „GLIA ist  fast eine Klanginstallation, ein Teil des Stücks spielt sich in den Innenschwingungen im Ohr ab, nicht im Raum und es basiert nicht auf einer Partitur, sondern auf mündlichen Schilderungen damals Beteiligter: das fordert einen hohen kreativen Anteil von jedem Einzelnen der Interpreten“, sagt Vuille.

 

Maryanne Amacher, ‘GLIA’ am Eröffnungskonzert der Biennale Musica Venezia, Contrechamps, Arsenale 16.10.2023 © Gabrielle Weber

 

Zurück zu den Gaudibert-Miniaturen: sie finden sich nun auf einer der eingangs erwähnten neuen Vinyl-Schallplatten und markieren den Beginn der neuen Vinyl-Reihe Contrechamps/Speckled-Toshe, zusammen mit dem Lausanner Label Speckled-Toshe. „Die 22 Kompositionsaufträge von je einer Minute, das war eine immense Arbeit und es entstanden so vielfältige Werke, dass wir die Hommage mit einem bleibenden Objekt dieser neuen Generation beschliessen wollten. Die Schallplatte ist dafür das passendste Format: es gibt kaum etwas Besseres sowohl in Bezug auf die Aufnahme- und Übertragungsqualität, als aufs Objekt“.

 


Daniel Zeas, «Eric – Cara de Tigre» für Ensemble und Tonband, eine der 22 Miniaturen auf der neuen Vinyl-Schallplatte, Contrechamps / Speckled-Toshe 2023: Der Hintergrund: Gaudibert sei Zea im Traum kurz nach dessen Tod als lachender Tiger erschienen: er habe danach lange geweint zwischen Trauer und Freude.

 

Zum Vinyl-launch lud Contrechamps wieder zu einem speziellen Hörerlebnis ein: im les 6 toits , einem angesagten Genfer Kulturzentrum auf einer ehemaligen Industriebrache, konnte man sich ein Wochenende lang in Hörlounges die neuen Vinyl-Releases und eigene Lieblings-Schallplatten zu Ohr führen. Und mit einer Vernissage wurde auch das frisch veröffentlichte Contrechamps-Audioarchiv auf neo.mx3.ch gefeiert. Dazu gab’s live-aufgenommene oder -ausgestrahlte Radiosendungen auf RTS und SRF2Kultur rund ums Hören und qualitatives Aufnehmen zeitgenössischer Musik.

Wie Vinyl stehe die SRG-online-Plattform neo.mx3.ch für eine Art des Hörens und eine Sorgfalt der Produktion: „Beide sind darin verbunden, dass sie der zeitgenössischen Musik Visibilität und Dauer verleihen – durch sorgfältige Neueditionen und die Pflege von historischen Archiven“.

Auf der Plattform für das Schweizer zeitgenössische Musikschaffen finden sich auch zahlreiche selten gespielte Werke in ungewöhnlicher Besetzung, wie Michael Jarrells «Droben schmettert ein greller Stein» von 2001 für Kontrabass, Ensemble und Elektronik.

 


Contrechamps nahm Jarrells Stück 2005 im Radiostudio Ansermet unter der Leitung von George Benjamin auf, Eigenproduktion SRG/SSR.

 

Contrechamps lädt sukzessive sein gesamtes umfangreiches Radioarchiv hoch, zurückgehend bis 1986, den frühsten Aufnahmen. Es sei wichtig, dass solche Plattformen existierten und  geschätzt  würden. „Viele der Stücke sind sonst nirgends hörbar: das ist einzigartig“, sagt Serge Vuille.

Entdecken lässt sich auch zum Beispiel Feux von Caroline Charrière. Die 1960 in Fribourg geborene Komponistin Charrière verstarb früh, bereits 2018, und Contrechamps setzt sich für ihr Werk ein. Vuille ist es auch ein Anliegen, dem Schaffen von Komponistinnen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen und zu einer ausgewogeneren Genderbalance in der zeitgenössischen Musik beizutragen.

 


Feux für Flöte, Klarinette, Marimba, und Streicher von Caroline Charrière, dirigiert von Kaziboni Vimbayi, führte Contrechamps 2019 in der Genfer Victoria Hall auf, Eigenproduktion SRG/SSR.

 

Am Eröffnungskonzert des diesjährigen Zürcher Festivals Sonic matter präsentiert Contrechamps neue Stücke von drei Komponistinnen aus dem Nahen Osten für kleines elektronisches Ensemble. Da kommen weitere Leidenschaften Vuilles zusammen: „Ich interessiere mich schon lange sehr für die Szene des Nahen Ostens. Sie ist in Bezug auf Kreation, insbesondere in allem, was mit Elektronik zu tun hat, sehr lebendig“, sagt Vuille. Dass Sonic Matter dieses Jahr mit dem Gastfestival Irtijal aus Bejrut kollaboriert, sei eine hervorragende Gelegenheit zur ersten Zusammenarbeit. Und sicherlich auch für einzigartige Hörerfahrungen.
Gabrielle Weber

 

Erwähnte Veranstaltungen:
Festival Sonic Matter: Becoming / Contrechamps 30.11.2023, 19h (Einführung 18h)
Biennale Musica Venezia, Maryanna Amacher, GLIA / Contrechamps, 16.10.2023
Genève, Les 6 toits: Contrechamps: Partage ton Vinyle!, 20-22.10.2023

Speckled-Toshe; Contrechamps/Speckled-Toshe:
1.Vinyl: 22 Miniatures en hommage à Éric Gaudibert
2.Vinyl: Benoit Moreau, Les mortes

Sonic matter, Nilufar Habibian, Irtijal, les 6 toits

Sendungen SRF Kultur:
Musik unserer Zeit, 18.10/21.10.23: Partage ton Vinyle! Ensemble Contrechamps Genève feiert das Hören, Redaktion Gabrielle Weber
neoblog, 7.12.22: Communiquer au-delà de la musique, Autorin Gabrielle Weber
neoblog, 19.6.2019: Ensemble Contrechamps Genève – Expérimentation et héritage, auteur Gabrielle Weber

Sendungen RTS:
L’écho des pavanes, 21.10.23: Aux 6 toits, enregistrer la musique contemporaine,  auteur: Benoît Perrier
Musique d‘avenir, 30.10.23, Partage ton Vinyle, ta cassette ou ta bande Revox!  auteur: Anne Gillot

Neo-Profile:
Contrechamps, Daniel Zea, Festival Sonic Matter, Benoit Moreau