Übermacht der Natur

Eiger, die neue Oper von Fabian Müller, wird vom Theater Orchester Biel Solothurn am 17. Dezember uraufgeführt. Christian Fluri unterhielt sich mit dem Komponisten vor der Premiere über seinen Bezug zum Berg, der ihn bereits seit langem fasziniert.

Christian Fluri
„Die Geschichte des zweiten Versuchs, die Eigernordwand zu erklimmen, ist an Dramatik kaum zu überbieten“, sagt der von seinem Opernstoff begeisterte Komponist Fabian Müller. 1936 versuchten die beiden deutschen Bergsteiger Toni Kurz und Andreas Hinterstoisser mit zwei österreichischen Kollegen als erste die mächtige Nordwand des Eiger zu bezwingen. Sie scheiterten und alle Vier starben am Berg. Dieser Geschichte widmete sich bereits der Film- und Opernregisseur Philipp Stölzl in seinem Film Nordwand von 2008. Und nun tun es der Schriftsteller und Librettist Tim Krohn und Fabian Müller erneut. Die Frage, ob sie sich vom Film beeinflussen liessen, verneint Fabian Müller. „Wir erzählen das Drama ganz anders. Der historische Rahmen ist derselbe, daneben aber lässt die Geschichte viel erzählerische Freiheit zu.”

 

Portrait Fabian Müller bei den Proben zur Oper Eiger zVg SOBS 2021

 

Die Geschichte der Oper Eiger schildert den anfänglichen Enthusiasmus, mit dem die vier Bergsteiger ihre Klettertour beginnen, dann das sich abzeichnende Scheitern bis hin zum Kampf gegen den Tod, den als letzter sogar der herausragende Bergsteiger Toni Kurz verliert. „Die Oper erzählt von der Ohnmacht des Menschen gegenüber der Übermacht der Natur.“ Müller gibt dem Berg eine Stimme – eine Frauenstimme. „Es ist quasi der Gesang des Bergs, der sich gegen Ende der Oper in der Vogelschau über den Sturm, die ganze Dramatik der Situation und Wildheit des Wetters legt. Der Sterbende ist hin und hergerissen, zwischen den letzten verzweifelten Versuchen in der Realität sein Leben zu retten, wird aber gleichzeitig vom verführerischen Gesang des Berges umgarnt, der ihn immer mehr in eine surreale, jenseitige Welt hinüber gleiten lässt.“

 

 

Am Fuss des Eigers

Bereits 16 Jahre vor der Uraufführung der Oper hat sich Fabian Müller mit dem Eiger und seiner Nordwand auseinandergesetzt. 2004 schrieb er im Auftrag der Interlaken Musikfestwochen die Symphonische Skizze Eiger – und er tat dies gleichsam am Fuss des Eigers, in seinem Komponierhäuschen, einem Chalet in Grindelwald. Dort verbrachte er jeweils mit seinen Eltern als Kind und Jugendlicher seine Ferien.

 

Fabian Müller, Eiger – Eine symphonische Skizze, UA 2004, Latvian Symphony Orchestra, Dirigent Andris NelsonsMüller denkt in seinen Kompositionen Musikgeschichte mit. In seiner Symphonischen Skizze Eiger aus dem Jahr 2004 hat er teils auch Reihentechniken angewandt.

 
„Seit meiner Kindheit bin ich mit der Bergwelt um Grindelwald verbunden“ sagt Müller zu diesem Ort der Inspiration. Nach seiner Ausbildung ist das Chalet zu einem Rückzugsort geworden, wo sich seine Kreativität entfalten konnte. Als er 2004 seine symphonische Skizze schrieb, „schaute der Eiger auf mich herab, sah, wie ich meine Noten aufs Papier kritzelte“, meint er verschmitzt.
Damals schon dachte er, das Drama von 1936 wäre ein ausgezeichneter Opernstoff. „Ich habe nun ausgehend von der Skizze die Musik zur Oper weiterentwickelt und alles, was in der Skizze ist, irgendwie – wenn auch selten identisch – verwendet“, erklärt Müller.
„Vielen meiner Stücke begegne ich lange nach ihrer Entstehung wie ein Fremder. Es fällt mir oft schwer, in eine ältere Komposition von mir wieder einzutauchen. Die Symphonische Skizze Eiger hingegen ist in mir stets präsent geblieben. Vielleicht, weil die Oper eben noch geschrieben werden musste.“ Die Musik zur Oper habe er aber kaum mehr am Fuss des Eigers komponiert, sondern mehrheitlich zu Hause in Zürich.

 

Musikalität des Textes


Müller begann mit seiner Komponierarbeit, als er das Libretto von Tim Krohn auf dem Tisch hatte. Gross ist sein Vertrauen in die Musikalität seines Librettisten, mit dem er bereits zum dritten Mal zusammenarbeitet: „Tim Krohn hat eine Affinität zur Musik und ein grosses Verständnis für die Musikalität, die ein Libretto haben muss. In seinem Text war nichts, für das nicht eine musikalische Lösung zu finden gewesen wäre.“  Auch knifflige Passagen wurden zur reizvollen Herausforderung. Natürlich habe er mit Tim Krohn einen intensiven Austausch gepflegt; aber „wir haben im Libretto schliesslich keinerlei Veränderungen vorgenommen.“

Sowohl die deutschen wie die österreichischen Alpinisten jener Zeit zeigten in ihrem Denken – oft nicht nur darin – eine Nähe zum Nationalsozialismus. Auch dies ist Gegenstand des Librettos von Tim Krohn. Es zeichne die Figuren in ihrer Ambivalenz, merkt Müller an. „Ihre politische Haltung schwingt in der Zeichnung ihrer Charaktere mit. Und sie wird auch zum Problem, wenn es um das Vertrauen zueinander geht, ein Vertrauen, das in der Kletterei essenziell ist. Auch in meiner Musik findet diese Ambivalenz der Figuren ihren Ausdruck.“

 

Portrait Tim Krohn zVg SOBS

 

Noch während Müller im Komponierprozess – für die Oper mit grossem Orchester – steckte, erhielt er vom Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS) einen Auftrag für Eiger. Deshalb schrieb er nach Fertigstellung der Partitur noch zusätzlich eine Fassung mit Kammerorchester. Diese gelangt nun in der Inszenierung von Barbara-David Brüesch und unter der musikalischen Leitung von Kaspar Zehnder in Biel zur Uraufführung.

 

 

Musik entstehen lassen

 

Und wie klingt Müllers Musik? Er gehört gewiss nicht zu den experimentellen Komponisten, will dies auch nicht. Er ist überzeugt, die klanglichen Möglichkeiten eines Symphonie-Orchesters seien heute ausgelotet. Neues könne aber in der Kombination, der Verbindung von Klängen und Klangfiguren entstehen.

In seinen Kompositionen denkt Müller Musikgeschichte immer mit: er scheut sich nicht, auch mal traditionelle Harmonien oder Klanggebilde zu verwenden. Orientierungspunkte für ihn sind Gustav Mahler, der junge Arnold Schönberg, Alban Berg, ebenso die französische Musik des frühen 20. Jahrhunderts, um nur einige zu nennen. Verwandt fühlt er sich den heutigen skandinavischen, osteuropäischen sowie anglo-amerikanischen Komponist:innen.

 


Fabian Müller, Munch’s Traum(a) für Violine Solo, UA 2010: Müller geht es in seiner Musik um den emotionalen Ausdruck. Als kompositorische Orientierungspunkte für seine Musik bezeichnet er Gustav Mahler, den jungen Arnold Schönberg oder Alban Berg, aber auch György Ligeti und Olivier Messiaen.

 

Natürlich hat er sich intensiv mit der deutschen und französischen Avantgarde der Nachkriegszeit und deren Geschichte auseinandergesetzt – so mit der seriellen Technik, die für ihn aber klar der Vergangenheit angehört. „Schon György Ligeti hat sie 1961 mit seinem grandiosen Werk Atmosphères überwunden, das gilt auch für andere seiner Zeitgenossen.” Ligeti und Olivier Messiaen sind für ihn ebenfalls wichtige Orientierungspunkte. Aber er schätzt auch sehr die Komponist:innen, „die in den 1970er Jahren neue Wege eingeschlagen haben“ – abseits experimenteller Pfade, wie zum Beispiel der Finne Einojuhani Rautavaara (1928-2016), mit dem ihn eine lange Brieffreundschaft verbunden hat.

Müller selbst bezeichnet sich als intuitiven Komponisten, dem es stets um den emotionalen Ausdruck geht. „Ich lasse mich dann, wenn der Kompositionsvorgang ins Rollen gekommen ist, von der Musik selbst führen. Warum meine Musik so klingt wie sie klingt, dazu kann ich eigentlich nur sagen, es ist die Musik, die ich innerlich wahrnehme, wenn ich das tue, was mich am meisten interessiert, nämlich komponieren.“
Christian Fluri

 


Im Video des SOBS führt der Komponist Fabian Müller selbst in seine Oper Eiger ein.

 

Theater Orchester Biel Solothurn, Uraufführung Oper Eiger ab 17.12.21 Biel / weitere Vorstellungen Saison 21/22, Biel und Solothurn

 

Toni Kurz, Andreas Hinterstoisser, Philipp Stölzl, Tim Krohn, Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Alban Berg, György Ligeti, Olivier Messiaen, Einojuhani Rautavaara

 

neo-Profile:
Fabian Müller, Sinfonie Orchester Biel Solothurn

Mit experimenteller Musik in die Zukunft

Wie klingt die Stadt unter der Erde? Hört sich Musik anders, an wenn sie für eine einzelne Person gespielt wird? Und kann sie dabei helfen, in einem beschädigten Ökosystem zu überleben? Vom 2. bis 5. Dezember 2021 suchen Künstler:innen und Festivalmacher:innen des SONIC MATTER Festivals in Zürich Antworten auf diese und andere Fragen unserer Zeit.

 

George Lewis Soundlines Skirball © Digitice Media Team

 

Friederike Kenneweg
Das Motto des Festivals in diesem Jahr lautet TURN, also in etwa Umbruch, Umwälzung, Richtungsänderung, Kehre oder Wende. Unterschiedliche Formate, vom Konzert über die Ausstellung bis hin zur Diskussionsveranstaltung, thematisieren solche Veränderungsmomente in der Musik, aber auch in der Umwelt und der Gesellschaft.

Der Kunstraum Walcheturm beispielsweise verwandelt sich während des Festivals unter dem Titel „weichekissenheisseohren“ in eine 48 Stunden lang geöffnete Hör- und Video-Lounge.

 

Tanzbare Musik in Erwartung der Katastrophe

 

Am gleichen Ort erkundet Andreas Eduardo Frank in der „border line club culture“ das Verhältnis von „Musik&Katastrophen“. Unter Strom stehend, in Erwartung des Unausweichlichen, angespannt und kurz vor der Entladung – dieses Lebensgefühl der Pandemiezeit setzt Frank mit seinem Synthesizer in elektronische Musik um. Auch das angespannte Publikum kann hier tanzend ein Ventil finden. Zum Festivalabschluss ist es das Duo GLENN, das es im Kunstraum Walcheturm  laut werden lässt und zum Tanzen einlädt.

 

Prozessorientiert und nachhaltig

Prozessorientiert und nachhaltig solle das Festival sein, so formulierte es die die künstlerische Leiterin Katharina Rosenberger im Mai 2021 in einem Interview mit SRF 2 Kultur. Die Komponistin hat für die Leitung des Festivals mit der Künstlerin und Regisseurin Julie Beauvais und der Kulturmanagerin und Musikjournalistin Lisa Nolte ein Kollektiv gegründet. Die drei Frauen legen Wert auf längerfristige Zusammenarbeit mit Künstler:innen und einen kontinuierlichen Aufbau des Kontakts zum Publikum. Deshalb gibt es unter dem Namen SONIC MATTER auch eine Webseite, die als Plattform für künstlerischen Austausch, für Forschung und Begegnungen dient. Im Rahmen des Festivals werden einige Ergebnisse dieser Zusammenarbeit präsentiert.

Zum Beispiel beim SONIC MATTER_OPENLAB, das Arbeiten von Künstler:innen, Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen aus Bolivien, Kanada, Ecuador, den USA, Brasilien und der Schweiz in einer gemeinsamen Performance vorstellt. Von ganz unterschiedlichen Orten der Welt aus machen all diese Akteur:innen mit ihren jeweiligen Mitteln auf die Bedrohungen aufmerksam, der unsere Welt ausgesetzt ist. In einem Deep-Listening-Experiment werden diese verschiedenen Stimmen, Ansätze und Perspektiven dem Publikum zugänglich gemacht.

Das SONIC MATTER_village erforscht gemeinsam mit den Bewohner:innen den Klang von Zürcher Stadtquartieren. Im Rahmen von Workshops mit Bewohner:innen sind Hörstücke entstanden, die ebenfalls im Festivalprogramm präsentiert werden.

 

Beim Eröffnungskonzert im Schauspielhaus Zürich ist unter dem Titel CONNECTIVITY das International Contemporary Ensemble aus New York zu Gast. Auf dem Programm stehen hier Kompositionen von George Lewis, Nicole Mitchell, Helga Arias und Murat Çolak. Auch ein Werk des Schweizer Komponisten Jessie Cox aus Biel, der momentan in New York studiert und gerade eben mit einer Uraufführung beim Lucerne Festival Forward zu erleben war, kommt hier zur Aufführung.

 


Jessie Cox’ Black as a Hack for Cyborgification, UA 2020 online (hier in der Konzertaufnahme vom 7.10.21 mit dem International Contemporary Ensemble, im Target Margin Theatre in Brooklyn) wird am Konzert CONNECTIVITY aufgeführt.

 

 

Sinnlichkeit des Orchesters

Ganz dem Festivalmotto verpflichtet wird beim Orchesterkonzert in der Tonhalle Zürich das Stück TURN von Dieter Ammann aus dem Jahr 2010 gespielt, das das Umschlagen von einem Zustand in den anderen mit den Mitteln des Orchesters nachvollzieht. „Genau dort, wo die Musik für den Hörer ganz eindeutig, leicht fasslich wird, passiert der Turn, ein Wendepunkt, an dem die vorherige Klanglichkeit völlig implodiert und abrupt in ein anderes Klangbild umschlägt“, sagt Dieter Ammann über sein Werk. „Das ist vergleichbar mit einer Szenerie auf einer Bühne, wo Beleuchtung und Technik schlagartig eine neue Atmosphäre schaffen.“

 

Dieter Ammann, Glut für Orchester, UA 1.9.2019 Lucerne Festival Academy, Dirigent George Benjamin, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Das Stück für großes Orchester dropped.drowned von Sarah Nemtsov aus dem Jahr 2017 spielt auf feinsinnige Art mit den Klangfarben des Orchesters und macht im Gegensatz dazu Wandlungsprozesse erfahrbar, die sich eher allmählich vollziehen.

 

Dem Stadtklang auf der Spur

Wer seine Ohren anhand vom Stadtklang auf diese Art der Sinnlichkeit einstimmen will, kann das am Freitagnachmittag bei einem Hörspaziergang mit dem Klangkünstler Andres Bosshard tun, der sich vom Viadukt an der Markthalle aus auf die Suche nach besonderen Klang- oder Ruheorten macht und unter anderem dem Wasserrauschen der Limmat nachhorcht.

Beim Klangparcours Unter der Klopstockwiese des Klangkünstlers Kaspar König wird der Sound von Zürich aus einer ganz anderen Perspektive vorgestellt: von unten. Die „begehbare Hörlandschaft unter der Erde“ macht eine verzerrte Hörwelt zugänglich, die gewohnte Geräusche zu etwas Fremdem macht: entrückt und geisterhaft.
Friederike Kenneweg

 

Kaspar König macht den Sound der Stadt Zürich unter der Erde hörbar..

 

Julie Beauvais / Lisa Nolte / Katharina Rosenberger, Andres Bosshard, George Lewis, Nicole Mitchell, Helga Arias, Sarah NemtsovInternational Contemporary EnsembleKaspar König

FESTIVAL SONIC MATTER, 2.-5.12.21:
SONIC MATTER_OPENLAB
SONIC MATTER_village

Erwähnte Konzerte:
2.12.21, 20h, Schauspielhaus Zürich Schiffbau-Box: CONNECTIVITY,
3.12.21, 19:30h, Tonhalle Zürich: TURN
5.12.21, 19h, Alte Kaserne: DIĜITA

Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, 8.12.21, 20h: Sonic matter – ein neues Festival in Zürich, Redaktion Moritz Weber
neoblog, 11.11.21: neue Hörsituationen für neue Musik – Lucerne Festival Forward / u.a. zur UA von Jessie Cox, Autorin Gabrielle Weber
neoblog, 17.11.20: musique de création – Geheimtipp aus Genf im GdN Basel: Gabrielle Weber: Interview mit Jeanne Larrouturou zum Projekt Diĝita

neo-Profile:
Festival Sonic Matter, Katharina Rosenberger, Jessie Cox, Dieter AmmannAndreas Eduardo Frank, Ensemble Batida, Kaspar König

 

neue Hörsituationen für neue Musik

Gabrielle Weber
Lucerne Festival Forward
– der Name des Festivals klingt nach Zukunft und genau dafür steht auch das neue Luzerner Festival für zeitgenössische Musik. Vom 19. bis zum 21. November findet es zum ersten Mal statt. Das Lucerne Festival bekennt sich damit einmal mehr zur neuen und neusten Musik und schafft eine weitere Plattform für das Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO), das erst im Sommer gegründet wurde.

Zukunft – das heisst für das neue Festival: Diversität, Achtsamkeit im Umgang miteinander und mit der Umwelt, ein enger Dialog mit dem Publikum und die Auseinandersetzung mit wesentlichen Fragen unserer Zeit. Hinter dem Festival steht nicht ein einzelner Kopf, sondern ein 18köpfiges Kollektiv. Damit setzt das Festival neue Massstäbe: die Verantwortung für ein ganzes Festival gehört einem Kollektiv aus jungen Musiker:innen, Komponist:innen und Performer:innen.

Vor Beginn habe ich mit Stephen Menotti, Posaunist und Co-Kurator aus Basel, und mit dem Schweizer Komponisten Jessie Cox gesprochen. Von ihm kommt das neue Stück „Alongside a Chorus of Voices for ensemble” zur Uraufführung.

 

Portrait Jessie Cox ©Adrien-H.-Tillmann / zVg. Lucerne Festival Forward. Cox’ Musik befasst sich mit dem Universum und unserer Zukunft darin.

 

Hinter dem Festivalprogramm steckt ein aufwendiger kuratorischer Prozess. Im April 2021 hat es Ausschreibungen im mittlerweile auf 1300 Musiker:innen angewachsenen Academy-Netzwerk gegeben. Dieses besteht aus Musikerinnen und Musikern aus der ganzen Welt, die irgendeinmal die Festival Academy besucht, und im damaligen Academy- und später im Alumni-Orchester mitgespielt haben. Von ihnen wirken viele nun auch im LFCO  mit. Einerseits konnte man sich für ein ‘Leadership-Programm’, andererseits auf einen ‘Call for proposals’ mit eigenen Konzertprogrammen bewerben. Die vielen qualitätsvollen, sich ergänzenden Bewerbungen haben zur hohen Zahl von 18 Kurator:innen geführt, meint Menotti. Dass er nun als Co-Kurator und Contemporary Leader im Kurator:innenkollektiv dabei sein könne, darüber freue er sich sehr.

Das frisch gewählte Kollektiv hat als erstes gemeinsam die Konzertproposals begutachtet. Bestimmte ‘Leitmotive’ seien immer wieder aufgetaucht, erklärt Menotti. Die Zukunft unseres Planeten, unser Zusammenleben und unser Umgang mit der Natur, aber auch das Experimentieren mit Konzertformen und Hörsituationen. Diese Themen wurden zum roten Faden des Festivals und haben die Auswahl der finalen Konzertprogramme geprägt.

Einzigartig an der Arbeit im ungewöhnlich grossen Kurator:innenkollektiv sei gewesen, dass die Mitwirkenden aus ganz unterschiedlichen Ecken der Welt stammten, zum Beispiel aus den USA, aus Asien oder Kanada, und ganz unterschiedliche Perspektiven einbrachten. So hätten alle voneinander profitiert und es sei ein richtig “demokratisches Team” entstanden, sagt Menotti.

Das Festival startet am Freitagabend mit einem ‘Opening/Happening’ im KKL und auf dem Europaplatz mit „Workers Union”, ein offen zu interpretierendes Stück des vor kurzem verstorbenen niederländischen Komponisten Louis Andriessen von 1975 – eine Art politisch engagierte, rhythmische und explizit laute Strassenmusik zwischen Klassik und Jazz. Dass sich das Publikums davon körperlich mitreissen lässt, ist hier ungleich zum klassischen Konzertritual willkommen.

Leisere Töne schlagen die Musiker:innen des LFCO im Kunstmuseum im KKL an: dort improvisieren sie zu Arbeiten der Künstlerin Viviane Suter. Dabei interpretieren sie Suters mitten in den Raum gehängte Werke als visuelle Partituren. Dass es dem Forward-Festival wichtig ist, neue Hörsituationen zu schaffen, zeigt sich auch hier: das Publikum sitzt nicht auf Stühlen, sondern bewegt sich mit den Musiker:innen frei durch den Raum.

Intime Hörsituationen bilden die sogenannten one-to-one Performances der Geigerin, Performerin und Kuratorin Winnie Huang. In kurzen Soloauftritten für nur je eine Person passt sie ihre Performance, ihre Mimik und Körpersprache, ganz individuell ihrem Gegenüber an.

 

Konzerte mit dem Lucerne Festival Contemporary Orchestra

 

Kirsten Milenko, Traho for orchestra, ein Kompositionsauftrag der Roche Young Composer Commission, wurde am Lucerne Festival 2021 durch das LFCO unter der Dirigentin Lin Liao im KKL Luzern uraufgeführt .

 

Vier Konzerte im Konzertsaal des KKL werden vom Ensemble des LFCO gegeben, unter der Leitung von Mariano Chiachiarini und Elena Schwarz. Die Konzerte tragen Titel wie „Water/Nature“, „From darkness to light“ oder “Rainfall“. Zu hören ist da eine Mischung von Werken junger und arrivierter Komponierender: gemeinsam ist den Stücken, dass sie den Raum einbeziehen, dass sich die Musiker:innen im Saal bewegen, oder das Publikum eingebunden wird. Ein Stück spielt gar im Dunkeln.

Für ein Lernen von der Natur steht “Water and Memory” von Annea Lockwood. Das Stück der neuseeländisch-amerikanischen Elektronikpionierin entwickelt sich aus einem mehrstimmigen Summen, lässt die im Raum verteilten Performer:innen mit persönlichen Erinnerungen zu Wort kommen – und bezieht am Ende auch das Publikum ins gemeinsame Summen mit ein.

 

Portrait Annea Lockwood © Nicole Tavenner / zVg. Lucerne Festival Forward. Lockwoods Musik sich in ihrem Musikschaffen mit der Balance zwischen Natur und Mensch, im Stück “Water and Memory” trägt Wasser persönliche Erinnerungen.

 

 

Space travelling

 

Zukunftsorientierung prägt das neue Stück von Jessie Cox. Der in Biel aufgewachsene Komponist und Perkussionist, studiert zur Zeit in New York und gilt als Geheimtipp. In seiner Musik befasst er sich mit nichts weniger als dem Universum und unserer Zukunft darin. Er bezeichnet seinen Ansatz als „Space-travelling“ und lehnt sich dabei an die Ästhetik des  Afrofuturismus an, wo es darum geht, visionäre Zukunftsräume zu schaffen, in denen Black lives dezidiert willkommen sind.

„Meine Musik lebt vom Austausch zwischen verschiedenen geographischen, kulturellen und zeitlichen Räumen“, sagt Cox. In seinem neuen Stück „Alongside a Chorus of Voices for ensemble”, verwendet Cox kleine Glocken. Sie repräsentierten einerseits einen stereotypen Klang der Schweiz und stehen andererseits für die afroamerikanische Geschichte: sie seien in den USA zu Zeiten der Sklaverei als Kontrollmechanismus zur Ortung von Sklaven durch Gutsherren eingesetzt worden. Diese Bedeutungsebenen verflechten sich.

 


Jessie Cox befasst sich bereits länger mit Glocken. Auch im Streichquartett conscious music spielen Glocken eine sich im Verlauf des Stücks verändernde Rolle – zuerst sind sie lokalisierbar, zum Ende freier Bestandteil der Musik.

 

Die Glocken werden im Verlauf des Stücks von den Musiker:innen ans Publikum weitergegeben und sollen Fragen anstossen, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen. Dabei geht es auch um eine Auseinandersetzung mit Rassismus in der Schweiz. «Die Musik ist ein geeigneter Ort um das zu verhandeln», sagt Cox.
Gabrielle Weber

Louis Andriessen, Annea Lockwood, Winnie Huang, Liza Lim, Kirsten MilenkoMariano Chiachiarini, Elena Schwarz

Lucerne Festival Forward: Freitag, 19., bis Sonntag, 21. November.

Erwähnte Konzerte:
Opening/Happening, Freitag, 19.11., 22h, Europlatz
Museum Concert, Samstag, 20.11., 16h, Kunstmuseum
Forward Concert 1, Samstag, 20.11.21, 19:30h: “Water/Nature
Forward Concert 2, Samstag, 20.11.21, 22h: “From Darkness to light

neo-blog-Lesende erhalten vergünstigte Karten für folgende Konzerte:
-Forward-Konzert 1: 20.11., 19.30h mit Werken von Annea Lockwood, George Lewis und Liza Lim unter Angabe des Codes PRO1M0AR
-Forward-Konzert 2: 20.11., 22.00h mit Werken von Pauline Oliveros, Luis Fernando Amaya, José-Luis Hurtado und Jessie Cox unter Angabe des Codes PROMA1KR.

 

Radiosendungen SRF 2 Kultur:
Kultur kompakt, Fr. 19.11.21, Redaktion Annelis Berger
MusikMagazin, Sa/So, 20./21.11.21, Café mit Winnie Huang, Redaktion Annelis Berger
Musik unserer Zeit, 1.12.21: Lucerne Festival Forward – neue Hörsituationen für neue Musik, Redaktion Gabrielle Weber

neoblogs:
Exzellenzorchester für neue MusikAutor Benjamin Herzog, online 26.8.2021

Lucerne Festival – Engagement für neue und neuste Musik, Autorin Gabrielle Weber, online 1.8.2021

neo-profiles:
Jessie Cox, Stephen Menotti, Lucerne Festival Contemporary, Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO), Lucerne Festival Academy

Nomaden der Neuen Musik

Seit Herbst 2019 hat das Collegium Novum Zürich einen neuen künstlerischen Leiter: den Cellisten und Musikwissenschaftler Johannes Knapp. Neue künstlerische Perspektiven und eine Erweiterung der Hörerschaft hat sich Knapp für das Spezialistenensemble der Neuen Musik auf die Fahnen geschrieben. Seine erste Saison fiel Pandemiebedingt reduziert aus. Nun startet die erste von Knapp kuratierte Spielzeit. Thomas Meyer sprach ihn vor dem zweiten Konzert: dieses findet am 30. Oktober unter der Leitung von Emilio Pomàrico im frisch restaurierten grossen Saal der Tonhalle in Zürich statt.

 

Portrait Collegium Novum Zürich, Konzert Tonhalle Maag Zürich, zVg Collegium Novum Zürich ©François Volpe

 

Thomas Meyer
Die Neue Musik ist zwar nicht mehr so jung, aber sie versteht es doch immer wieder, sich zu verjüngen. Das wird deutlich, wenn zwei Werke aufeinandertreffen, die im Abstand von einem halben Jahrhundert entstanden sind, ein Klassiker und ein Newcomer wie im 3. Saisonkonzert des Collegium Novum Zürich (CNZ) unter Michael Wendeberg am 18. Dezember. Éclat-Multiples steht dort neben (Re)incarnation [Yerlik]: ein zentrales Werk von Pierre Boulez aus dem Jahr 1970 neben jenem eines 34 Jahre jungen Komponisten, dessen Namen die wenigsten bei uns kennen dürften. Der Kasache Sanzhar Baiterekov verarbeitet darin einen alten tengristischen Mythos aus seiner Heimat, in dem es um Unterwelt und Wiedergeburt geht.

Solche Begegnungen haben beim CNZ durchaus Tradition. Seit seiner Gründung 1993 verfolgt es diese doppelte Aufgabe. Einerseits führt es die wichtigen Werke der Neuen Musik auf, die gleichsam einen Standard setzen und für die Bildung der MusikerInnen, aber auch des Publikums von Bedeutung sind. Damit hat das CNZ sich seinen festen Platz im Zürcher Musikleben erarbeitet. Einige MusikerInnen sind seit der Gründung mit von der Partie.

Andererseits sucht das Ensemble das junge, unbekannte: die Herausforderung und Öffnung. Eine „Musik, in der sich das Morgen ankündigt“ möchte auch der Cellist und Musikwissenschaftler Johannes Knapp. Vor zwei Jahren übernahm er die künstlerische Leitung und Geschäftsführung. Seine erste Saison fiel coronahalber reduziert aus.

 

Portrait Johannes Knapp ©Alessandra Carosi

 

Nur vier Konzerte konnten vor kleinem Publikum stattfinden. Deshalb wurden einige Auftritte für Idagio gestreamt. Zudem nahm das Ensemble drei CD-Projekte in Angriff, die heuer fertiggestellt werden sollen, etwa je eine CD mit Musik von Boulez und des Westschweizers William Blank sowie eine Reihe von Schüler-Lehrer-Doppelporträts wie Heinz Holliger/Sándor Veress oder Klaus Huber/Willy Burkhard. Hubers „Erinnere dich an Golgatha“ stand deshalb am Anfang der neuen Saison.

 


Klaus Huber, Psalm of Christ, Collegium Novum Zürich, Bariton: Robert Koller, Dirigent Heinz Holliger, Tonhalle Zürich, Eigenproduktion SRG/SSR 2015

 

Mythen und Legenden

Diesmal liegt ein Fokus auf Mythen und Legenden in aktueller Musik. Das eher als anregende Ausgangsidee denn als durchgängiges Motto. Mythen, so meint Knapp, hätten eine tiefe Verbindung zur Musik, weil sie ebenfalls jenseits von Logik und Worten funktionieren und sich nicht eindeutig fixieren lassen. Es seien Versuche, mit dem Ungewissen, ja dem Schrecken umzugehen.

Und so tauchen in diesen Programmen berühmte Mythen auf: Orpheus in Orpheus falling von Sarah Nemtsov, der Schöpfungsmythos (6. Tag) in Eufaunique von Stefano Gervasoni, der ägyptische Sonnengott Ra in Sortie vers la lumière du jour von Gérard Grisey. Die in Bern lehrende Cathy van Eck wird für den Daphne-Mythos in ihrer neuen Performance die Tonhalle in einen „Wald verwandeln, durch den der Wind weht.“

 


Gérard Grisey: Sortie vers la lumière du jour (1978), Ensemble Phoenix Basel, Leitung Jürg Henneberger, Eigenproduktion SRG/SSR, Gare du Nord Basel 2016

 

 

Schliesslich erscheinen Tierlegenden von Igor Strawinsky (Renard), Ruth Crawford Seeger oder Frank Zappa, die am Ende der Spielzeit erklingen. Der Rockmusiker war in seinen Anfängen stark von Edgard Varèse und Strawinsky beeinflusst.

 

Begegnung mit Barockinstrumenten

 

Andererseits werden in solchen Programmen auch die absolutistischen Dogmen Neuer Musik hinterfragt. Warum muss neue Musik immer „neu“ klingen“? Kann sie nicht historische Grenzen überwinden? So kommt es zur Begegnung mit Barockinstrumenten, konkret mit La Scintilla, der Alte Musik-Formation der Zürcher Oper. Der Franzose Philippe Schoeller schreibt dafür ein neues Werk. Kátoptron und erzählt den antiken Mythos von Echo und Narziss neu.

Sie sind also unterwegs. „Crazy nomads of Zurich“ formulierte ein Spassvogel einmal das Kürzel CNZ aus, weil das Ensemble keine feste Spielstätte hat. Stattdessen sucht es immer wieder neue Spielorte auf, heuer die Krypta des Grossmünsters. Und so notiert Knapp denn auch in seinem Saisoneditorial: „Reisen als ein Erwandern von Klanglandschaften mit dem Ohr. Kunst heisst, nie anzukommen.“
Thomas Meyer

 

Pierre Boulez, Sanzhar Baiterekov, Sarah Nemtsov, Stefano Gervasoni, Gérard Grisey, Frank Zappa, Igor Strawinsky, Ruth Crawford Seeger, Edgar Varèse, La Scintilla, Philippe Schoeller, Emilio PomàricoChristoph Delz, Dahae BooKelley SheehanMichael Wendeberg

 

Portrait Collegium Novum Zürich @Tonhalle Maag Zürich, zVg Collegium Novum Zürich ©François Volpe

 

Kommende Konzerte CNZ:
Grosse Tonhalle Zürich, 30.10.21: And falls into the Netherworld, Dirigent: Emilio Pomàrico, Werke von Sarah Nemtsov, Aureliano Cattaneo, Rebecca Saunders, Stefano Gervasoni
Grosse Tonhalle Zürich, 4.12.21: Konzert 3, Dirigent: Johannes Schöllhorn, Stefan Wirth Klavier; Werke von Kelley Sheehan, Tobias Krebs, Dahae Boo, Christoph Delz

Sendungen SRF 2 Kultur:
Neue Musik im Konzert, 1.12.21: Konzert CNZ, Tonhalle Zürich, 30.10.21

neo-profiles:
Collegium Novum Zürich, William Blank, Heinz Holliger, Sandor Veress, Klaus Huber, Willy Burkhard, Cathy van Eck, Gare du Nord, Ensemble Phoenix Basel, Rebecca Saunders, Tobias Krebs

Unser Gedächtnis neigt dazu, sich an Extreme zu erinnern

Gabrielle Weber
100 Jahre Donaueschinger Musiktage – ein historisches Ereignis: 100 Jahre schon setzt sich die epochemachende Institution für Erhalt und Verbreitung der Gegenwartsmusik ein. Das wichtigste europäische Festival der musikalischen Moderne, Uraufführungsschmiede, Ort der Begegnung und der Debatte feiert das Jubiläum mit zahlreichen Veranstaltungen unter Mitwirkung von langjährigen WeggefährtInnen vom 14. bis zum 17. Oktober.

Ein Ensemble, das mitfeiert, ist das junge, in der Schweiz basierte Ensemble Nikel. Yaron Deutsch, E-Gitarrist und Kopf von Nikel, war mit dem Ensemble und als Solist bereits mehrfach in Donaueschingen dabei. Zum Jubiläum führt Nikel neue Stücke von Rebecca Saunders und der jungen türkischen Komponistin Didem Coskunseven auf. Deutsch ist zudem Solist im neuen Stück von Stefan Prins mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg.

 

Portrait Ensemble Nikel 2016 © Markus Sepperer
Ensemble Nikel  2016, zVg. Ensemble Nikel

 

Gegründet 2006, tourt Nikel mittlerweile weltweit und blickt dieses Jahr auf sein fünfzehnjähriges Bestehen zurück. Ein ‚alternativer Kammermusikklang‘ aus einer Mischung von elektronischen und instrumentalen Klängen ist charakteristisch für das Ensemble. Die ungewöhnliche Besetzung, E-Gitarre, Klavier, Saxophon und Perkussion geht auf den allerersten Auftritt zurück. Das sich laufend erweiternde Repertoire besteht ausschliesslich aus Stücken, die für Nikel komponiert werden.

Mit Yaron Deutsch unterhielt ich mich per Zoom an einem Samstag frühmorgens, er im Hotel in Parma. Er sei ein Morgenmensch und bereits um 4:30h aufgestanden. Nach einem Auftritt am Festival für zeitgenössische Musik Traiettorie ging es weiter zu Proben nach Bern.

Wie fanden Sie mit der E-Gitarre zur zeitgenössischen klassischen Musik..?

2005 befand ich mich in einer Phase der Suche nach meinem eigenen musikalischen Weg. Mit der E-Gitarre war ich assimiliert in der Musik des Rock und Jazz, fühlte mich aber dort wie eine ‘Copy Cat’ einer amerikanischen Kultur, die nicht meine ist. Da stiess ich über ein Stück von Louis Andriessen: ‘Hout‘ (1991) für die Besetzung Saxophon, E-Gitarre, Percussion und Klavier. Es fühlte sich wie ein ‘Heureka’-Moment an. Das Stück mischt Musikgenres und -elemente unkompliziert. Ich fand darin eine Verbindung zu meinen europäischen Wurzeln und fühlte mich wie zuhause angekommen in der europäischen klassischen Musikavantgarde. Es gab mir eine Art Richtung vor, in welche Klangwelt ich gehen wollte.

 

Ensemble Nikel / Yaron Deutsch 2016, zVg. Ensemble Nikel

 

Wie kam’s zu Nikel? Wieso diese Besetzung?

Mit ‘Hout‘ gaben wir unser erstes Konzert in Tel Aviv. Die Instrumente des Stücks wurden zur festen Besetzung von Nikel. Nach wenigen Wechseln bilden wir nun seit ungefähr zehn Jahren die feste Stammformation: Brian Archinal an der Perkussion, Antoine Françoise, Klavier, Patrick Stadler, Saxofon, und ich mit der E-Gitarre. Wir inspirieren uns gegenseitig.

Woher stammt der Name Nikel?

Drei Punkte: Zuerst wollte ich keinen Namen der Musik assoziiert. Im Namen sollte zudem ‘Metall’ als eine unserer Klangfarben anklingen. Und zuletzt erinnert Nikel an die israelische Künstlerin Lea Nikel und ihre abstrakten farbintensiven Arbeiten. Sie war In den sechziger und siebziger Jahren in Paris und New York tätig und verstarb 2005 in Tel Aviv.

 

Es ist wie wenn Wassertropfen langsam zu einem Organismus zusammenfinden.

 

Wie kam es zum Standort Schweiz..?

Dass drei von vier Mitgliedern in der Schweiz sind, ergab sich von selbst. Ich war immer ein ‘Missionar’ für Musikschaffen ohne Nationalität, für ein Modell von Ensembles ohne eine nationale oder lokale Festlegung: es geht mir darum, mit den Musikern zusammenarbeiten, die ich am spannendsten finde, die mich inspirieren, egal wo sie leben. So kam es bspw. zu Patrick Stadler in Basel. Unsere Vision ist aber eine internationale.
Es ist wie wenn Wassertropfen langsam zu einem Organismus zusammenfinden.

Ausgehend von einer Einladung für ein Konzert finden wir zusammen. Unsere Aufgabe als Künstler ist es, so faszinierend, interessant und auch gut zu sein, um einen Bedarf zu schaffen. Es geht dabei um Passion: solange wir passioniert sind, existieren wir als Gruppe.

 


Anne Cleare, the square of yellow light that is your window (excerpt), UA 2014 Ensemble Nikel

 

Wie kam’s zum ersten Auftritt in Donaueschingen?

2010 traten wir an den Darmstädter Ferienkursen auf. Der damalige neue künstlerische Leiter Thomas Schäfer wollte in seiner ersten Ausgabe neue Stimmen präsentieren und lud uns ein. Der Auftritt hatte ein grosses Echo. Kurz danach rief uns Armin Köhler, der damalige Intendant von Donaueschingen an, und lud uns zwei Jahre später ans Festival ein. 2012 waren wir erstmals dort.

Was bewirkte dieser Auftritt für Nikel?

Der Auftritt vor grossem Publikum mit internationaler Resonanz war das eine. Donaueschingen ermöglichte uns aber auch, vier Uraufführungen von vier substanziellen Komponisten zu spielen, die ihre Stücke extra für unsere Besetzung schrieben. Wir hatten nicht die finanziellen Möglichkeiten, solche Stücke selbst in Auftrag zu geben. Diese völlig unterschiedlichen Stücke spielten wir seither in der ganzen Welt.

Und dieser Mechanismus geht seither weiter: wenn wir eingeladen werden, geben die Festivals Stücke für uns in Auftrag. Diese behalten wir danach im Repertoire. Bei der Auswahl bringen wir uns immer ein und schlagen KomponistInnen vor, von denen wir begeistert sind. In unseren Auftritten ist dann diese Begeisterung spürbar.

Sie führen an der Jubiläumsausgabe eine neues Stück von Rebecca Saunders auf, zusammen mit der Kontra-Altistin Noa Frenkel, und ein weiteres der jungen türkischen Komponistin Didem Coskunseven: wie kam es zu dieser Stückauswahl?

Rebecca Saunders wollte schon lange mit uns zusammenarbeiten, da ich in anderen Kontexten Stücke von ihr interpretierte, bspw. mit dem Klangforum Wien. Es kam aber noch nie dazu. Nun hatten wir Glück. Ein grosses Auftragsstück konnte aufgrund der Pandemie nicht realisiert werden und Rebecca schlug als Alternative vor, ein Stück mit uns und einer Sängerin zu erarbeiten. Die Komponistin Didem Coskunseven ergab sich dazu im Gespräch mit Björn Gottstein.

Die Auftritte von Nikel sind bekannt für einen oft radikal lauten Elektroniksound – Wie arbeitet Nikel mit der Stimme zusammen..?

Zuerst muss ich das Prädikat ‘lautes’ Ensemble zurückweisen: Wir spielen auch viele subtile Stücke, stille, taktile Musik. Wahrscheinlich führt unsere virtuose Qualität zum Eindruck: “die Musiker können spielen, dass die Wände wackeln..”. (lacht..)

Ein maskuliner Power, das ist nicht unser Ding. Unser Gedächtnis neigt dazu, sich an Extreme zu erinnern. Aber es geschieht so viel ausserhalb der Extreme, eigentlich das Meiste..

Nach der ersten Probenwoche betonte Rebecca die gute Balance zwischen der Sängerin und uns. Wir ‘dienen’ ihrer Musik: wir geben der Sängerin einen Raum und fanden einen spezifischen Klang für das Stück. Wir sind wie ein ‘elektrifiziertes Streichquartett’, ein Organismus der sehr gut zusammen funktioniert und dessen Klang sich sehr gut mischt. Wir können ganz fein abstufen zwischen laut und leise.

 


Stefan Prins, Fremdkoerper 2 (excerpt), UA 2010 Ensemble Nikel

 

Gibt es einen spezifischen Nikel-Sound?

Wir spielen immer wieder Stücke die eklektisch sind, die Elemente mischen, aber nie zufällig oder unnötig. Eine klare musikalische, nicht eindimensionale Linie verbindet alles. Nikel-Konzerte klingen immer anders. In diesem Konzert sind zwei völlig verschiedene Seiten, zwei völlig unterschiedliche Klangfarben zu hören.

Und wie klingt die Klangfarbe in Didem Coskunsevens Stück ?

Ihr Stil lässt sich nicht in einem Satz zusammenzufassen, das würde ihr nicht gerecht. Man kann sicher sagen: sie arbeitet mit minimalistischem Material, sehr farbenreich und expressiv, auf subtile Weise, nicht laut. Durch Kontinuität und Minimalismus kommen so Variationen zum Tragen.

 

Didem Coskunseven, Day was departing, UA Manifeste 2021, Ircam / Paris

 

Gehen wir nochmals etwas zurück: war der erste Auftritt in Donaueschingen für Nikel  ein Karrierestart?

Donaueschingen war nicht der Start, aber es war ein entscheidender ‘boost’, ein Schub: die Vertrautheit mit der internationalen Szene, das war sehr wichtig für unser Wachstum.

 

Musikmachen ist vergleichbar mit Sport. Wir wollen immer das Beste geben..

 

Nun sind Sie am 100Jahr-Jubiläum dabei: was bedeutet das für Nikel?

Da gibt’s zwei Antworten: ein Konzert ist ein Konzert. Musikmachen ist vergleichbar mit Sport. Wir wollen immer das Beste geben, egal wie gross oder klein der Rahmen ist.

Aber darüber hinaus: es ist für uns eine unglaubliche Ehre. Wir sind historisch bewusste Menschen und Musiker. Donaueschingen ist eine ‘ historische Plattform ‘, das am längsten existierende Neue Musik-Festival. Wir sind dankbar, dass unsere Arbeit so geschätzt wird, dass wir gefragt wurden, Teil dieses wichtigen Anlasses zu sein.
Interview: Gabrielle Weber

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Ensemble Nikel, Louis AndriessenThomas Schäfer, Armin KöhlerBjörn Gottstein, Didem Coskunseven, Stephen MenottiTrio Accanto

 

Uraufführungen Schweizer Musikschaffende @ Donaueschinger Musiktage 2021:
Donnerstag, 14.10., 20h: UA Beat Furrer, neues Werk für Orchester, SWR Symphonieorchester, Solist: Stephen Menotti, Posaune (CH)

15./16./1.10., 9:45h: Johannes Kreidler ‘Rhythms of history’ für Film, mit Alexandre Babel

Freitag, 15.10., 14h/17h: Trio Accanto, SWR Experimentalstudio

Samstag, 16.10., 16h: UA Daniel Ott, Donau Rauschen, Landschaftskomposition

Samstag, 16.10., 20h: Lucerne Festival Contemporary Orchestra, Leitung Baldur Brönnimann

 

Auftritte Ensemble Nikel / Yaron Deutsch Donaueschingen:
Freitag, 15.10.2021, 20h: Soloauftritt, Uraufführung von Stefan Prins, Orchestre Philharmonique du Luxembourg unter Stefan Volkov.

Sonntag, 17.10.2021, 11h: Ensemble Nikel und Noa Frenkel (Kontra-Alt), UA Rebecca Saunders und Didem Coskunseven


Weitere kommende Auftritte Ensemble Nikel:

November Music, s’Hertogenbosch:
12.11.21: Wiederholung Konzert Donaueschingen: UA Rebecca Saunders / Didem Coskunseven
WienModern:
14./27./28.11.21: Werke von Thomas Kessler, Klaus Lang, Hugues Dufourt, Leitung Jonathan Stockhammer

 

Sendungen SRF 2 Kultur:
Künste im Gespräch, 14.10.21, 9:00 Uhr: 100 Jahre Donaueschinger Musiktage, Redaktion Florian Hauser

Kultur Aktuell, 18.10.21, 8:15 Uhr: Redaktion Florian Hauser

Musik unserer Zeit, 3.11.21, 20 Uhr: 100 Jahre Donaueschinger Musiktage, Redaktion Florian Hauser

 

neo-Profiles:
Ensemble Nikel, Donaueschinger Musiktage, Rebecca Saunders, Beat Furrer, Alexandre Babel, Lucerne Festival Contemporary Orchestra, Daniel Ott, Johannes Kreidler, Marcus Weiss, Thomas Kessler, Jonathan Stockhammer

Verschönerungstheorien statt Verschwörungstheorien

Johannes Kreidler, Berliner Konzeptkünstler, setzt sich gern medial in Szene und äussert sich in seinem Werk oft zu politischen und gesellschaftlichen Themen. Damit eckt er auch immer wieder bewusst an. Seit 2020 hat er eine Kompositionsprofessur an der Hochschule für Musik Basel (FHNW) inne. An den kommenden Donaueschinger Musiktagen zeigt er eine humorvolle Filmkomposition, die sich ansonsten vernächlässigten Aspekten der zeitgenössischen Musik widmet. Ein Portrait von Cya Bazzaz.

 

Portrait Johannes Kreidler © Esther Kochte

 

Cya Bazzaz
Anti-Corona-Demo – Rosa-Luxemburg-Platz Berlin – 16. Mai 2020. Zum Protest tummelt sich ein brandgefährlicher Cocktail aus rechten und rechtsoffenen Aktivist*innen. Demonstriert wird gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Dazu klingt ein Sound, mit dem sich die verschwörungsideologische Community offenbar auf uralten Mythen abstützt.Als wäre das nicht schon skurril genug, findet man inmitten dieser Gemengelage auch einen ganz besonderen Künstler. Er versteht es, sich medial in Szene zu setzen und mit seinen Inhalten mehr als nur anzuecken: Johannes Kreidler, Komponist, Medien- und Konzeptkünstler.

Seine Forderungen sind: Ende der ökonomischen Wachstumsobsession, gerechtere Verteilung des Reichtums, ökologische und nachhaltige Landwirtschaft. Diese Zeit des Stillstands solle man nutzen, um die Energien sinnvoll dahin zu lenken, wo die wahren Chancen lägen und sich nicht in abstruse Ideen verfangen, propagiert Kreidler.

Kritische Beteiligung am gesellschaftlichen Diskurs

Kreidlers Arbeiten sind grundlegend der sogenannten ‘konzeptuellen Musik’ zuzurechnen. Das Werk liegt also -wie bei der Konzeptkunst- genau so sehr im Konzept oder der ausgearbeiteten Idee als nur im künstlerischen Resultat. Meist bezieht Kreidler ins Werk denn auch multimediale Verfahren ein.

Als einer der wenigen Komponisten hat sich Kreidler seit Beginn der Pandemie kritisch am gesellschaftlichen Diskurs beteiligt. Auf Social Media bspw. kommentierte er die Geschehnisse meist ironisch-humorvoll, oft vermischt mit Musikanspielungen. So äusserte er sich zum Beispiel über den hohen Andrang an Klopapier, über Verschwörungstheorien oder einfach über tagespolitische Meldungen. Einige Highlights seiner Twitter-Timeline: ,,Gesang der Impflinge, K. Stockhausen, Prioritätsgruppen für 3 Orchester’’, ,,Studentenrestaurant: Robert’s Kochinstitut’’ oder ,,Ich hasse Corona wie die Pest’’.

Oft überspitzte er dabei  in seinen Posts die Argumente der Verschwörungsmystiker oder kehrte sie gar um und kreierte daraus ‘Konkurrenzerzählungen’.

 

Johannes Kreidler, Corona Komposition 24.3.2021

 

 

„Wissenschaftliche Sonifikation als künstlerische Methode“

 

Neben dem politischen Aktivismus, thematisierte Kreidler diese Krise auch künstlerisch bzw. künstlerisch-pädagogisch.

Eine der von ihm verwendeten  Methoden in der Auseinandersetzung mit politisch-gesellschaftlichen Themen ist die ‘Sonifikation’. Das aus der Wissenschaft stammende Verfahren dient der Darstellung oder der Verklanglichung von abstrakten Daten durch die präzise Zuordnung einzelner musikalischer Elemente. Kreidler nimmt den wissenschaftlich-klanglichen Ansatz auf und erschafft eine Hybridform der Musikalisierung, indem er akustische Veranschaulichung mit ästhetischer Interpretation kombiniert.

In seinem Kurs ,,Theorie und Ästhetik der Elektronischen Musik’’* an der FHNW nutzte Kreidler diese kompositorische Technik als Basis, um in einem gemeinsamen Projekt mit seinen Studierenden verschiedene sogenannte ,,Coronifikationen’’ zu erarbeiten. Diese wurden abschließend online präsentiert.

 

“Coronifikationen”

 

Kreidler ging im Basler Kurs auch auf die Frage ein, inwiefern es moralisch adäquat sei, Daten einer Krise zu ästhetisieren, wie, in Falle der Corona-Pandemie. Sein Fazit: Jede*r Hörer*in solle sich selbst ein Urteil bilden.

Die Art und Weise, wie Kreidler in diesem Projekt mit rein wissenschaftlich-trockenen Daten umgegangen ist, war nicht neu für ihn. Schon in seinen Charts Music hatte er sich mit dem Börsencrash oder dem Irak Krieg auseinandergesetzt. Den drastisch absteigenden Aktienkurven oder der steigenden Anzahl an Todesopfern US-amerikanischer Soldaten entlockte er in den Charts mit einer Software harmonische Melodien. In die Diagramme zeichnete er mit einem Grafikprogramm exakte Punkte ein. Diese übertrug er in ein traditionelles Fünf-Liniensystem, um sie in Noten und Klang umzuwandeln. Das Ergebnis ist ein zirka drei Minuten langes Musikvideo, ein Chart-Medley im Klingelton-Stil.

 

Johannes Kreidler, Charts Music: Crisis sounds so cool!

 

Auch in theoretischen Texten äusserte sich Kreidler zu obigen Methoden: Der Umgang mit solchen Thematiken ist ihm in seiner Tätigkeit als Kompositionsprofessor an der Hochschule für Musik Basel (FHNW) ein besonderes Anliegen. Als eine Art Manifest für seine Lehre publizierte er in der Zeitschrift neue musikzeitung den Text ,The composition class as an aesthetic think tank**: ,,In Bezug auf das Programm ist es für uns Künstler jetzt in erster Linie notwendig, uns gegenüber dem Politischen zu behaupten: Kunstfreiheit, Internationalität und globales Bewusstsein, historisches Bewusstsein, Sinn für Möglichkeiten und ästhetisch herausfordernde Dinge wieder und wieder in die Gesellschaft zu bringen.’’, so Kreidler.

Die Krise inspirierte Kreidler auch zu neuen eigenen Komposition. Im Frühjahr/ Sommer 2020 entstand sein Werk Music-19. Dabei handelt es sich um eine Reihe graphischer Partituren, die musikalisch interpretiert werden sollen.

 

Johannes Kreidler, Musik-19, graphische Partitur

 

Die Besetzung ist gänzlich frei wählbar, wobei auch Schauspiel, Objekte und Video integriert werden können. Während der Aufführung sollten die jeweiligen graphischen Partituren sichtbar sein, beispielsweise durch Projektion an eine Wand.

 

Einen Beitrag leisten um die Welt schöner zu machen..

 

In den sozialen Netzwerken rief Kreidler Follower und Friends dazu auf, diese Graphiken zu interpretieren, aufzuzeichnen und zu veröffentlichen. In seiner ,,think tank’’-Theorie schreibt er dazu: ,,Entwickeln Sie die Grundlagen des Musikalisch-möglichen, greifen Sie in das Ganze ein, leisten Sie einen Beitrag, um die Welt schöner zu machen. Selbst die kleinste Arbeit zählt, genau wie bei demokratischen Wahlen, bei denen jede Stimme zählt.’’

 

Was bedeutetet Kreidlers Ansatz für die  Kunstmusikszene?

 

Musik- und Kunstschaffende sollen -gemäss Kreidler- nicht nur gesellschaftliche Prozesse reflektieren, sondern diese auch aktiv mitgestalten. Nur dadurch haben sie eine Chance, in der Zukunft zu bestehen und nicht als weltfremd und elitär abgestuft zu werden. Diese energische Konsequenz und der Gestaltungswille Kreidlers faszinieren mich besonders jetzt, während der globalen Pandemie. Kreidler wird, so hoffe ich, einige Kunstschaffende dazu bewegen, ihren eigenen künstlerischen Ansatz radikal zu überdenken.
Cya Bazzaz

 

Johannes Kreidler, Musik-19, graphische Partitur

 

Cya Bazzaz studiert Komposition und Klavier an der UDK in Berlin. Seit einem Gastvortrag von Johannes Kreidler an der UDK befasst er sich intensiv mit seinem Schaffen.

Johannes Kreidler hat seit 2019/20 eine Professur für Komposition an der Hochschule für Musik Basel (FHNW) inne.

*Kurs: ‘Theorie und Ästhetik der Elektronischen Musik’: Sommersemester 2020, Hochschule für Musik Basel (FHNW)

**Johannes Kreidler, Text nmz, The composition class as an aesthetic think tank

 

Donaueschinger Musiktage 2021
15.10.2021, 9:45h: ‘Rhythms of History‘ für Film
29./30.11./3.12.21: Music-19, Delirium Ensemble, Konzerte Schweiz

Sendung SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, 12.6.2019: Johannes Kreidler, der Konzept-Virtuose, Redaktion Moritz Weber

Musik unserer Zeit, 4.3.2015: die neuen enfants terribles der E-Musik, Redaktion Cécile Olshausen

neo-Profile: Johannes Kreidler, Donaueschinger Musiktage, sonic space Basel

un projet est avant tout une rencontre..

Der Genfer Komponist, Interpret und Kurator Alexandre Babel erhielt einen der Schweizer Musikpreise des Bundesamts für Kultur 2021. Am 17. September findet die feierliche Preisübergabe in Lugano statt. Im Gespräch erzählt Babel was er unter Komposition und Kuration versteht und wie er diese Tätigkeiten verwebt.

 

Portrait Alexandre Babel © Felix Brueggemann 2021

 

Gabrielle Weber
Alexandre Babel, Perkussionist, Komponist und Kurator, bewegt sich auf Avantgarde-Konzertbühnen, an Jazzfestivals, in Galerien und an Kunstbiennalen. Zwischen Berlin und Genf verbindet er klassische Avantgardemusik, Klangkunst, experimentelle Improvisation und Performance.

Es gebe so viele Arten zu komponieren, wie es Komponierende gebe, sagt Alexandre Babel. Komponieren umschreibt er deshalb lieber mit “Organisation von Klängen in Zeit und Raum”. Diesem Kompositionsverständnis sei auch das Kuratieren nahe. “Auch hier geht es darum, dass man existierende Klangobjekte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit in Bewegung bringt und diese Objekte dann mit anderen Objekten in Verbindung setzt”.

Komponieren und Kuratieren: das sind für Babel verschiedene Seiten ein und derselben Tätigkeit. Babel kreiert, konzipiert, inszeniert, vernetzt und interpretiert.

Alexandre Babel, 1980 in Genf geboren, fand durch seinen ersten Schlagzeuglehrer in Genf zunächst zum Jazz. Anschliessend spezialisierte er sich in New York bei Jazzlegenden wie Joey Baron oder Jeff Hirshfield weiter und spielte in verschiedenen Formationen. „Am Jazz faszinierte mich nicht nur die Ästhetik, sondern vielmehr wie Musiker miteinander umgingen, um Musik zu kreieren. Das Mischen von Repertoire und Improvisation: das war für mich die Basis des Musikmachens“.

Gleichzeitig angezogen von der klassischen musikalischen Avantgarde, wechselte er bald zum klassischen Schlagzeug und fand, zurück in Europa, zur Komposition. John Cage, Morton Feldman, Alvin Lucier, Heiner Goebbels oder Helmut Lachenmann waren dann für Babels kompositorischen Weg wegweisend.

Bereits in ersten Stücken wie music for small audiences für kleine Trommel solo, setzt er sich dabei insbesondere auch mit der Rolle des Interpreten auseinander. “Mit Music for small audiences begann eine eigentliche Liebesgeschichte mit der kleinen Trommel”, meint Babel.

 


In einem seiner ersten Stücke, ‘music for small audiences’ erkundet Alexandre Babel neue Klänge für kleine Trommel solo und rückt die Rolle der Perkussion im Musikbetrieb in den Fokus.

 

Interpret – Improvisator – Komponist

 

Als Schlagzeuger ist Babel heute vielgleisig unterwegs: als feiner leiser Improvisator, als lauter experimenteller Drummer bspw. mit der Band „Sudden infant“ im Duo mit Joke Lanz oder als Interpret zeitgenössischen Schlagzeugrepertoires in diversen Formationen.

Gleichzeitig komponiert und kuratiert er und entwickelt Projekte für eigene Formationen wie bspw. das Berliner Kollektiv Radial, zusammen mit der Videokünstlerin Mio Chareteau.

„Musikmachen sehe ich als mehrere Prozesse. Der erste ist das ‚Denken‘ von Musik, also das Komponieren, dann die Übermittlung an jemanden, der die Musik realisiert, und zuletzt das Aufführen für ein Publikum: mich faszinieren alle diese Prozesse“, meint Babel.

Alle seine Tätigkeiten verbindet das Zusammendenken von Kreation und Interpretation und auch ein Interesse am Visuellen, am Raum und am Performativen.

 

“Was möchte ich sehen und was möchte ich hören..”

 

Komponieren beginnt für Babel immer mit einer Begegnung oder ist gar eine Begegnung. So entstehen Babels Kompositionen meistens konkret für Musikschaffende.

Die InterpretInnen hat er dabei immer vor Augen und lässt sich -nicht zuletzt- auch durch ihre Bewegungen, ihre Gesten beim Spiel inspirieren. Im Stück The way down für das Duo Orion bspw. ging Babel vom gemeinsamen Musizierens des Duos aus und inszenierte dieses akustisch und auch performativ.

 

Alexandre Babel, The way down pour violoncelle et piano, Duo Orion (Gilles Grimaître, piano, Elas Dorbath, Cello) 2020

 

 

«Am Anfang eines Projekts stelle ich mir die Frage: ‘Was möchte ich sehen und was möchte ich hören’: Das Visuelle ist für mich genauso wichtig wie das Klangliche. Das Duo Orion hat bspw. eine besondere Körperlichkeit beim Musizieren. Ich entwickelte für das Duo ein Stück, in dem die Gesten fast sportlich sind. Es entstand fast ein Tanz oder eine Choreografie», sagt Babel.

 

Kuratieren als permanenter Dialog

 

In idealer Weise seien seine drei Tätigkeiten, Komposition, Interpretation und Kuration in der künstlerischen Leitung des Festival les amplitudes (La-Chaux-de-Fonds, Herbst 2020) zusammengekommen, sagt Babel. „Ich hatte hier die Chance alle meine Aspekte innerhalb eines Objekts -das Festival und gleichzeitig die Stadt La Chaux-de-Fonds – zu verbinden: Ich dachte das Festival als eine Riesen-Komposition aus einzelnen Teilen – einer Kunstausstellung, Liveperformances, Drum Sets und Kompositionen für den Raum. Daraus bildete sich eine neue Einheit“.

Seit 2013 leitet Babel das Perkussionsensemble Eklekto Geneva Percussion Center. Es besteht aus zirka 20 MusikerInnen in loser Zusammensetzung. “Eklekto bietet für mich eine Gelegenheit, ungewöhnliche Perkussionssituationen zu entwickeln”. Alle Projekte entstehen in engem Austausch und Zusammenarbeit mit den Komponierenden und den MusikerInnen. “Kuratieren ist ein permanenter Dialog mit den beteiligten Musikschaffenden”.

 

Aufmerksames Hören

 

Pauline Olivero’s Stück Earth ears, ein sog ‘Sonic Ritual‘ von 1989 für freie Besetzung, sei charakteristisch für sein Verständnis von Kuratieren, meint Babel: „Die Musiker spielen nach dem Gehör. Es gibt keine geschriebene Partitur. Man muss sich selbst und auch dem ganzen Ensemble zuhören und darauf reagieren. Im Stück geht’s um Klang, um Raum und ums aufmerksame Zuhören: das ist für mich die Basis des Musikmachens”, sagt Babel.

 


Pauline Oliveros’ ‘Earth ears’, ein ‘Sonic Ritual’ und offen zu interpretierendes Stück von 1989, ist charakteristisch für Babels Ansatz des Kuratierens.

 

Wichtig ist für Babel zudem sein grosses Perkussionsensemble mit 15 Schlagzeugern aus dem Eklekto-Pool. „Wir haben klare Regeln: wir spielen auswendig und es wird nicht dirigiert: das Spielen ohne Leader schafft eine enorme Energie und Präsenz und eröffnet gleichzeitig neue Kommunikationswege, fast schon auf radikale Weise“.

 

Choeur mixte’ reflektiert das klassische Setting von Kammermusik und rückt zugleicht das oft unterschätzte klassische Orchester-instrument ‘kleine Trommel’ in ein neues solistisches Licht. Eine weitere Liebeserklärung an die kleine Trommel.

 

Im Stück ‘choeur mixte’ für 15 kleine Trommeln, spielen die Perkussionisten ihre Instrumente stehend, zu einem Keil formiert, im Lichtspot auf leerer Bühne. Sie agieren stark aufeinander bezogen: das Stück strahlt eine Kraft als Gruppe und gleichzeitig Eigenverantwortung der einzelnen InterpretInnen aus.

 

Musik ohne Klang

 

Aktuell arbeitet Babel u.a. an einem Kompositionsauftrag für die Kunstbiennale Venedig 2022. Zusammen mit der Schweiz-basierten franco-marokkanische Bildenden Künstlerin Latifa Echakhch gestaltet er den Schweizer Pavillon. Babel sieht sich dabei mit einer speziellen Herausforderung konfrontiert: Echakhch wünschte sich von Babel eine Komposition ohne realen Klang. „Das ist für mich eine wichtige und besondere Aufgabe: durch den gemeinsamen Kreationsprozess nähern wir uns Lösungen an, wie Musik ohne Klang klingen kann“, sagt Babel. Momentan entstehen dafür kurze Musikstücke, die die Basis bilden für die finale Musik der Stille.
Gabrielle Weber

 

Portrait Alexandre Babel ©Felix Brueggemann (2021)

 

Am Freitag, 17. September 2021, findet die feierliche Preisverleihung im Lugano Arte e Cultura (LAC) in Lugano statt. Am Wochenende treten einige der PreisträgerInnen im Rahmen des Longlake Festival Lugano auf.
Der diesjährige Grand Prix musique ging an Stephan Eicher. Die weiteren PreisträgerInnen: Alexandre Babel, Chiara Banchini, Yilian Canizares, Viviane Chassot, Tom Gabriel Fischer, Jürg Frey, Lionel Friedli, Louis Jucker, Christine Lauterburg, Roland Moser, Roli Mosimann, Conrad Steinmann, Manuel Troller, Nils Wogram.

 

Konzerte Alexandre Babel:
Sonntag, 19.9.21, 10:30h Studio Foce, LAC:
Alexandre Babel e Niton +ROM visuals

23.4.-27.11.2022 Biennale Arte Venezia:
Alexandre Babel & Latifa Echakhch @Swiss Pavillon

Joke Lanz, Joey BaronJeff Hirshfield, Pauline Oliveros, Biennale Arte 2022, John Cage, Morton Feldman, Alvin Lucier, Heiner Goebbels, Helmut Lachenmann, Latifa EchakhchKollektiv Radial, Mio Chareteau, Elsa Dorbath

 

Sendungen SRF 2 Kultur:
in: Musikmagazin, 18./19.9.21: Alexandre Babel – Träger BAK-Musikpreis 2021 im Gespräch mit Gabrielle Weber, Redaktion Annelis Berger

Musik unserer Zeit, 16.6.21: Alexandre Babel – Perkussionist, Komponist, Kurator, Redaktion Gabrielle Weber

neoblog, 14.10.2020: La ville – une composition géante, Text Anya Leveillé

 

Neo-Profiles:
Alexandre Babel, Les amplitudes, Eklekto Geneva Percussion Center, Duo Orion, Gilles Grimaître

 

 

Unendliche Spielwelten

Zeiträume Basel, die Basler Biennale für Neue Musik und Architektur, findet dieses Jahr bereits zum vierten Mal statt. Das Festival verschreibt sich der Verwebung von Musik und Raum und bespielt dabei immer wieder neue und ungewöhnliche Orte in der Stadt. Im Flipperclub Basel bringt nun der Luzerner Komponist Michel Roth sein neues Werk Spiel Hölle zur Uraufführung. Jaronas Scheurer unterhielt sich mit Michel Roth über das Stück und die Leidenschaft der Clubmitglieder für ihre klingenden Kästen.

 

Spiel Hölle-Portrait Michel Roth © Prismago zVG ZeitRäume Basel 2021

 

Jaronas Scheurer
Das Basler Festival Zeiträume bringt Neue Musik an ungewohnte Orte und ermöglicht dem Publikum sowohl musikalische als auch architektonische Neuentdeckungen. Dieses Jahr finden unter dem Motto «Verwandlung» circa 20 Produktionen unter anderem auf einem ausgedienten Feuerschiff im Basler Hafenareal und in einer ehemaligen Wasserfilteranlage auf dem Bruderholz statt; aber auch in der Kaserne Basel oder im Flipperclub Regio Basel. Letzterer befindet sich in einem schmucklosen Gewerbegebäude in Münchenstein. Betritt man die Räumlichkeiten des Flipperclubs, wird man von über 50 blinkenden und tönenden Flipperkästen aus den letzten 60 Jahren empfangen. Für diesen Flipperclub komponierte der Luzerner Komponist Michel Roth das Werk «Spiel Hölle», das vom Ensemble Soyuz21 am Zeiträume-Festival uraufgeführt wird.

Michel Roth interessiert sich primär dafür, wie dieser Raum von der Leidenschaft der Clubmitglieder und ihren klingenden Kästen belebt wird und nicht für die Architektur des Raumes. Was ihn fasziniert, ist der soziale Raum. Tritt man nun an einen der vielen Flipperkästen heran, eröffnet sich laut Michel Roth nochmals ein weiterer Raum: «Ein Raum hinter Glas, der mit wahnsinnig aufwendigen Konstruktionen auch dreidimensional angelegt ist. Ein narrativer Raum, in dem einem auch erzählt wird, was da nun bei Star Wars oder Star Trek gerade passiert. Und man tritt in einen Dialog, nicht nur mechanisch, sondern auch ganz konkret, da die neueren Flipperkästen auch tatsächlich zur Spieler*in sprechen und das Spielgeschehen kommentieren.»

 


Michel Roth: pod for two ensembles and live-electronics (2017), Ensemble Vortex und ensemble proton bern. In pod geht es um eine musikalische Anwendung von Spieltheorie.

 

Overkill Flipperkasten

Michel Roth erzählt im Interview hörbar begeistert von den Flipperkästen: Wie sie scheppern und blinken und tönen und einem lautstark aufs Neue zum Spiel auffordern. Die akustische Dimension dieser Spielmaschinen ist für seine Faszination massgeblich. Doch ist ein Raum, vollgestopft mit über 50 solcher Kästen, nicht schon so eine akustische Reizüberflutung? Klar, daher komme auch der Titel «Spiel Hölle», so Michel Roth. Denn der «Overkill», die Reizüberflutung sei sowohl ein Aspekt in den «echten» Spielhöllen, als auch Thema der Komposition. Und genau diese komplexe akustische Umgebung der Flipperkästen ist Ausgangspunkt des Stückes.

Es beginnt wie ein ganz normaler Flipperclub-Abend. Nach einer Begrüssung durch die Clubmitglieder darf das Publikum die Flipperkästen ausprobieren. Unmerklich beginnt sich die Musik von Michel Roth in diesen Spielabend «hineinzuschmuggeln» und fügt sich in die Klangatmosphäre ein. Die ganze Komposition ist von diesen Flipperkästen abgeleitet. Die Instrumente sind beispielsweise mit Bauteilen aus den Flipperkästen manipuliert: Das Rohr des Saxofons ist mit Flipperkugeln gefüllt, die Schlagzeugerin spielt auf Federn, die benutzt werden, um die Kugeln in den Flipperkasten hinein zu katapultieren. Auch spielen die Musiker*innen nicht streng nach einer fixen Partitur, sondern müssen auf das restliche Geschehen reagieren. Wie die Kugel im Flipperkasten kann die Komposition die eine oder andere Richtung einschlagen.

 

Kommentar und Konfrontation

Michel Roths «Spiel Hölle» ist also ganz von der «echten» Spielhölle im Flipperclub abgeleitet. Doch mit der Zeit emanzipiert sich das musikalische Geschehen immer mehr vom Klingen und Bimmeln der Flipperkästen, beginnt ironisch zu kommentieren und geht auf Konfrontationskurs.

 


Michel Roth, Die Zunge des Gletschers für Stimme mit Kontrabass (UA 2017), Aleksander Gabrys : auch in diesem Stück befasst sich Michel Roth bereits mit dem Einfluss von Spiel und Zufall auf musikalisches Geschehen.

 

 

Michel Roths Hoffnung ist, durch seine kompositorische Manipulation, «die oft sehr düstere Narration der einzelnen Kästen und das kollektive Vibrieren dieser Spielhölle aufzukochen.» Auch wenn bei der Komposition von «Spiel Hölle» das diesjährige Festivalthema «Verwandlung» für Michel Roth nicht so sehr im Fokus stand, so hofft er auf eine Transformation beim Publikum, so dass der Effekt entstehen könne, dass «wir uns alle eigentlich im Inneren eines grossen Flipperkasten befinden.»

In «Spiel Hölle» macht sich Michel Roth mit seinen Musiker*innen Sascha Armbruster (Saxofon), Mats Scheidegger (E-Gitarre), Philipp Meier (Keyboard und Synthesizer), Jeanne Larrouturou (Schlagzeug) und Isaï Angst (Elektronik) auf eine humorvolle und faszinierende Erkundung dessen, was sich im schmucklosen Gewerberaum am Rande von Basel versteckt: jeder der über 50 blinkenden, tönenden und scheppernden Kästen beinhaltet nämlich eine eigene Spielwelt voller unendlicher Möglichkeiten. Michel Roths «Spiel Hölle» passt also sehr gut zum Festival Zeiträume: Sie eröffnet ein komplexes Netzwerk akustischer und narrativer Räume, in denen sich das Publikum verlieren kann, bis es heisst «Game over».
Jaronas Scheurer

 

 

ZeitRäume Basel – Biennale für Neue Musik und Architektur, findet vom  9. Bis 19. September 2021 an diversen Orten und im öffentlichen Raum in der Stadt Basel statt, mit zahlreichen Uraufführungen u.a. von Barblina Meierhans Skript im Lesesaal der Basler Universitätsbibliothek (17.9.), Niemandsland, ein Immersionsraum von Dimitri de Perrot in der Kaserne Basel (10.-12.9.), oder die Oper Poppaea von Michael Hersch und Stephanie Fleischmann im Don Bosco (Kooperation mit WienModern 10./12.9.).

Michel Roths „Spiel Hölle“ wird am 18. und am 19. September im Flipperclub Basel vier Mal aufgeführt, Premiere ist am 18.9. um 16h.

Im ZeitRäume Basel Festivalpavillon an der Mittleren Brücke gibt es bereits ab dem 4. September Liveperformances, Klanginstallationen, Coctails und SUISA-Talks oder Mitmachaktionen zur Einstimmung aufs Festival.

Drei Installationen öffnen ihre Tore bereits vor Festivalstart: 7.9., 18h, Jannik Giger Blind audition, 8.9., 19h, Cathy van Eck Der Klang von Birsfelden und auf dem Feuerschiff Gannet, am 9.9. um 11h Phase 4, ein multidisziplinär-kollektiv entwickelter begehbarer Klangraum im Schiffsbauch.

 

Dimitri de Perrot, Stephanie FleischmannMichael HerschSascha ArmbrusterIsaï Angst

Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, 29.9.2021, Reportage Barblina Meierhans: Skript, Redaktion Benjamin Herzog

Neo-profiles: Michel Roth, soyuz21, Zeiträume Basel, Barblina Meierhans, Cathy van Eck, , Philipp MeierJeanne LarrouturouMats Scheidegger, Aleksander Gabrys, Ensemble Vortex, ensemble proton bern

Exzellenzorchester für neue Musik

Benjamin Herzog
Lucerne Festival Contemporary Orchestra heisst ein neu geschaffener Klangkörper des am 13. August angelaufenen Lucerne Festival. Das neue Orchester ist stark eingebunden in die ebenfalls neu geschaffene Sparte „Contemporary“, mit der das Lucerne Festival über eine einzigartige Struktur für die Ausübung neuer Musik verfügt.

Felix Heri, Leiter der Sparte “Contemporary“ erklärt, was so einzigartig ist daran.
Sie sind zwischen 30 und 35 Jahren alt, sind aktuelle und ehemalige TeilnehmerInnen der Lucerne Festival Academy und sie spielen neu seit diesem Jahr in einem Orchester, das, so Felix Heri, ein „Exzellenzorchester für neue Musik“ werden soll. Es hat also einen ähnlichen Anspruch wie das vor bald zwanzig Jahren gegründeten Lucerne Festival Orchestra (LFO). Jenem Klangkörper, dem unter der Leitung seines ersten Dirigenten Claudio Abbado geradezu magische Qualitäten nachgesagt wurden.

 

Portrait Felix Heri ©Gregor Brändli / zVg Lucerne Festival

 

 

Der 35-jährige Solothurner Felix Heri ist der Kopf der neuen Sparte „Contemporary“ des Lucerne Festival. Er hat in Luzern Klarinette und in Basel Kulturmanagement studiert, und war anschliessend sechs Jahre lang Geschäftsführer beim Orchester basel sinfonietta. Seit letztem Jahr nun ist Heri Leiter von Lucerne Festival Contemporary.

Lucerne Festival Contemporary: das ist ein Dach, unter dem sich eine dreiteilige, organisch gewachsene und laufend weiterentwickelnde Struktur befindet. Akademie, Orchester und ein (statt dem gestrichenen Piano-Festival) im November stattfindendes, neues Festival, genannt Lucerne Festival Forward. „Wir haben ein einzigartiges Netzwerk von 1300 Leuten auf der ganzen Welt“, erklärt Heri: „Musikerinnen und Musiker, die irgendeinmal die Festival Academy besucht haben, und im damaligen Orchester der Academy oder im Alumni-Orchester mitgespielt haben, in- und ausserhalb des Festivals.“ Es seien die „Besten und Interessiertesten“, die nun im Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO) mitspielen.

 

Gründer Boulez

Seine Kenntnisse vertiefen, wie neue Musik im Orchester gespielt werde. Das ist Ziel der 2003 noch vom 2016 verstorbenen Pierre Boulez gegründeten Festival Academy. Einer Art Meisterklasse für neue Musik, seit fünf Jahren von Wolfgang Rihm geleitet. Die Resultate dieser Arbeit konnten FestivalbesucherInnen bislang in den Konzerten des zur Akademie gehörenden Orchesters hören. “Einem Orchester, dem -wenn auch nur ganz leicht- doch der Duft eines Studentenorchesters anhaftete”, wie Heri heute sagt.

 

Magische Anziehung

2013 bildeten die ehemaligen AkademistInnen sodann ein “Alumni-Orchester”, also die nächste, schon professionellere Stufe. Offenbar funktioniert der Luzerner Magnet. Wer hier unter Grössen wie Pierre Boulez oder Wolfgang Rihm gelernt hat, will wiederkommen. Dieses Alumni-Orchester spielte auch ausserhalb des Festivals. Und ausserhalb Luzerns. Uraufführungen in New York, London, Peking, Zürich und auch Luzern zeugen von Netzwerkcharakter und Ausstrahlung.

 


Wolfgang Rihm, Dis-Kontur für grosses Orchester (1974/84): Lucerne Festival Alumni, Leitung Ricardo Chailly, 8.9.2019 KKL Lucerne Festival, Eigenproduktion SRG SSR

 

Logische Weiterentwicklung

Das nun neu gegründete LFCO ist die logische Weiterentwicklung dieser Struktur. Es ist die Zusammenführung der beiden ehemaligen Orchester, die personell ohnehin nie ganz getrennt waren. „Alle Mitglieder des LFCO haben mindestens einmal die Festival Academy besucht“, sagt Heri. „Hier spielen die Besten und Talentiertesten dieser Jahrgänge mit.“  Darüber hinaus gibt es pro Stimmgruppe je einen „Leader“, fünfzehn an der Zahl. Diese StimmführerInnen wählen ihrerseits die weiteren Mitglieder ihrer Gruppe, ihres Registers aus, die dann für maximal zwei Jahre im Orchester mitspielen können. Durch diese Mitbestimmung ist ein organisches Zusammenwachsen möglich.

 

Alumni der Lucerne Festival Academy im “Gedenkkonzert für Pierre Boulez”, Leitung
Matthias Pintscher (Luzern, 20.03.2016) © Priska Ketterer / zVg Lucerne Festival

 

Exzellenz trifft aus Exzellenz

StimmführerInnen sind zurzeit bspw. die vier Mitglieder des Arditti Quartetts, sowie für die Trompeten der Niederländer Marco Blaauw oder der Pianist Nicolas Hodges für die Tasteninstrumente. Dass das LFCO seine Mitglieder nicht danach beurteilt, auf welcher Sprosse der Karriereleiter sie stehen, sondern nach deren persönlicher Hingabe, zeigt sich darin, dass es keine Altersgrenze gibt und weder Akademisten noch bereits arrivierte MusikerInnen ausgeschlossen sind. So spielen im LFCO und unter der sommerlichen Luzerner Festivalsonne auch MusikerInnen des Klangforum Wien, des Ensemble Intercontemporain oder des Frankfurter Ensemble Moderne mit. 

Darin gleicht der neue Luzerner Moderne-Klangkörper sehr seinem älteren Bruder, dem Lucerne Festival Orchestra. Hier wie dort spielen Profis aus den führenden Orchestern ihres Genres mit. Für das Festival sollen künftig beide Orchester gleich starke Aussenwirkung haben.

 

Mit oder ohne Chef? – Mitsprache des Orchesters

Das neue Orchester hat aber, anders als das LFO mit zurzeit Riccardo Chailly, keinen Chefdirigenten, keine Chefdirigentin. „Wir diskutieren, ob es das braucht“, sagt Felix Heri. Eine solche Position habe Vor- und Nachteile. „Die Vorteile sind klar: mehr Ausstrahlung, Renommee, eine andere Art von Netzwerk. Aber es ist auch gut, die DirigentInnen zu den Projekten jeweils ganz gezielt auszuwählen.“ Und auch bei dieser Wahl setzt das LFCO auf Mitbestimmung aller Mitglieder. Mitsprache wird auch bei der Programmwahl grossgeschrieben. So verantwortet das Sommerprogramm zwar nach wie vor der künstlerische Leiter des Orchesters, Wolfgang Rihm. Das Programm des neuen Herbstfestivals „Forward“ wird aber von den Führungsfiguren des Orchesters selbst beeinflusst. Sie fungieren kollektiv als Co-KuratorInnen.

 

Barblina Meierhans, Auf Distanz, für Bassflöte und kleines Ensemble (UA 2020), Lucerne Festival Alumni, Leitung Baldur Brönnimann, Lucerne Festival KKL 23.8.2020, Eigenproduktion SRG SSR

 

Ein Showcase der neuen Musik

Dieses Jahr wird das LFCO bereits an den renommierten Donaueschinger Musiktagen oder an den Berliner Festspielen auftreten und für 2022 ist eine internationale Orchestertournee geplant. Gerade das Herbstfestival in Luzern aber soll, so Heri, zu einem „Showcase der neuen Musik“ werden und dabei aktuelle Strömungen aus Europa, den USA und Asien aufzeigen. Ermöglicht wird das durch die globale Vernetzung der Mitglieder des Orchesters, deren Leader und deren eigener Netzwerke.

 

Kollektives Mastermind

Von seiner früheren Arbeit bei der “basel sinfonietta” kennt Heri basisdemokratische Strukturen im Orchester. So weit geht das LFCO aber nicht. Aber: „Die Mitbestimmung bringt eine starke Identifikation mit sich “ betont Heri. Diese brauche es in einem auf neue Musik spezialisierten Orchester viel mehr als in einem klassischen Sinfonieorchester. „Wir nehmen die Leute ernst mit ihren Ideen.“ Das sei eine einzigartige Ausgangslage. „Wir sind ein kollektives Mastermind.“

Und er wiederholt: „Für mich soll das Orchester Massstäbe setzen. Wir wollen mutig sein und auch neue Konzertformate ausführen. Dabei ist die Einbindung in das Lucerne Festival natürlich ein Vorteil. Gleichzeitig aber wollen wir uns die nötigen Freiheiten nehmen, um davon losgelöst ein Pendant zum Festival Orchester zu werden. Das ist unser Ziel, daran messen wir uns.“
Benjamin Herzog

 

Probe Lucerne Festival Academy, Leitung Heinz Holliger © Stefan Deuber / zVg Lucerne Festival

 

Das LFCO bestreitet auch die diesjährige Opernproduktion des Luzerner Theaters in Koproduktion mit dem Lucerne Festival, Mauricio Kagels „Staatstheater“, 5.9. (Premiere)-19.9.21

Konzerte LFCO am Lucerne Festival 2021

Das Herbstfestival Lucerne Festival Forward findet vom 19. bis 21. November 2021 statt.

 

Klangforum Wien, Ensemble Intercontemporain, Ensemble Modern, Donaueschinger Musiktage, Riccardo Chailly, Felix Heri, Pierre Boulez, Wolfgang Rihm, Mauricio Kagel, Claudio Abbado, Arditti Quartet, Marco Blaauw, Nicolas Hodges

Sendungen SRF 2 Kultur:
neoblog, 1.8.21: Engagement für neue und neuste Musik – Rebecca Saunders composer in residence @ Lucerne Festival 1, Text Gabrielle Weber

Kontext – Künste im Gespräch 26.8.2021: Rebecca Saunders: composer-in-residence Lucerne Festival, Redaktion Annelis Berger

Kultur kompakt Podcast, 30.8.2021 (ab 4:59min): Lucerne Festival Contemporary Orchestra, Redaktion Florian Hauser

Musik unserer Zeit, 22.9.2021, 20h: Rebecca Saunders, Redaktion Annelis Berger

Neue Musik im Konzert, 22.9.2021, 21h: Portraitkonzert Rebecca Saunders 2, u.a. the mouth & skin

neo-profiles:
Lucerne Festival Contemporary Orchestra, Wolfgang Rihm, Lucerne Festival Academy, Lucerne Festival ContemporaryBasel Sinfonietta

 

Von Schwärmen, Glocken und Insekten

Michael Pelzel ist Composer in Residence beim diesjährigen Musikfestival Bern. Zahlreiche Uraufführungen zeigen die Bandbreite seines kompositorischen Schaffens. Zudem ist er als Interpret an der Orgel und im Gespräch zu erleben. Ein Portrait von Friederike Kenneweg.

 

Portrait Michael Pelzel zVg Michael Pelzel

 

Friederike Kenneweg
Als ich mit Michael Pelzel Mitte Juli 2021 einen Telefontermin für ein Interview ausmachen möchte, ist er gar nicht so ohne Weiteres zu erreichen. Und das hat einen guten Grund: auf seinem Schreibtisch stapeln sich die Stücke, die von ihm als Composer in Residence beim Musikfestival Bern zur Uraufführung gelangen sollen. „Das geht gerade Schlag auf Schlag“, erzählt er mir, als es dann doch endlich mit einem Gespräch klappt. Das Stück, das gerade vor ihm liegt, als wir miteinander telefonieren, heißt Aus 133 Fenstern. Obwohl „Composer in Residence“ in Bern nicht bedeutet, dass man tatsächlich für eine längere Zeit vor Ort sein muss, haben die Gegebenheiten am Festivalort Michael Pelzel zu einer besonderen Raumkomposition inspiriert.

Aus der Vielzahl der Fenster, die vom Kulturzentrum PROGR auf den dortigen Innenhof hinausgehen, wird das Publikum mit Glocken, Triangeln, Lotosflöten und Okarinas beschallt. Die Ausführenden: Kinder und Jugendliche. Auch wenn die angestrebte stolze Zahl von 133 Musizierenden nicht ganz erreicht werden sollte: zweifellos erwartet die Zuhörenden hier ein einzigartiges Raum- und Klangereignis.

 

Probe zur Uraufführung von Aus 133 Fenstern für 133 Musizierende, UA im Progr am Musikfestival Bern ©Martin Bichsel / zVg Musikfestival Bern

 

Das Stück ist genau auskomponiert. Dass die Laienmusiker*innen es unter den besonderen räumlichen Umständen schaffen werden, auch wirklich immer synchron miteinander zu spielen, erwartet Michael Pelzel aber nicht. „Das schaffen auch Profis nicht, immer genau gleichzeitig auf die Schlaginstrumente zu treffen“, sagt Pelzel. Doch es ist genau dieser klangliche Effekt der Unschärfe, der den Komponisten besonders interessiert. „Komponisten sind ja immer auf der Suche nach neuen, unerhörten Klängen. Und diese gewissermaßen chorisch eingesetzten Metallschlaginstrumente, die sind in der Musik meiner Meinung nach absolut noch nicht ausgereizt.“

 

“Mikro-Arpeggien”

 

Pelzels Faszination für Metallschlaginstrumente kommt im Rahmen des Festivals an mehreren Stellen zur Geltung. Zum Beispiel in der Komposition Glissomaniac für zwei Klaviere und zwei Perkussionisten. Hier sind es Röhrenglocken, die solche Unschärfen hervorbringen, wenn die beiden Schlagzeuger und die Klaviere unisono miteinander spielen. „Mikro-Arpeggien“ nennt Michael Pelzel das, was dabei entsteht. „Das ist ein bisschen wie bei einem Fluss-Delta. Es bilden sich viele kleine Nebenarme, die jeweils einen etwas anderen Verlauf nehmen, aber alle haben eine gemeinsame Richtung. Alle strömen zum Meer.“

 


Vokalensemble und Perkussion kombinierte Michael Pelzel bereits 2019 im Stück  Hagzusa zum Galsterei, uraufgeführt vom SWR-Vokalensemble am Festival Eclat Stuttgart 2019

 

Auch in der Vokalkomposition La Luna für acht Sänger und Schlagzeug setzt Michael Pelzel auf diesen Effekt. Nicht nur der Schlagzeuger nutzt hier Perkussionsinstrumente, sondern auch die acht Sänger*innen bringen verschieden große Triangeln zum Einsatz. Durch die minimale zeitliche Verschiebung beim Anschlag entstehen immer wieder  unterschiedlich dimensionierte Metallklangwolken, die nie ganz vorhersehbar sind.

La Luna ist ein Auftragswerk für das KlangForum Heidelberg, das im Rahmen der Werkreihe „Sternbild: Mensch“ des Ensembles entstand und eigentlich schon an anderer Stelle zur Uraufführung gelangen sollte. Doch wie so häufig stand die Corona-Pandemie dem entgegen.

Uraufgeführt wurde das Werk zwar schon, aber bislang nur in digitaler Form. Die „analoge“ Uraufführung vor körperlich anwesendem Publikum wird nun in Bern stattfinden können: eine besondere Sternstunde im Rahmen des Konzertes mit dem Titel Ferne Lichterschwärme.

 


Michael Pelzel, La Luna, KlangForum Heidelberg, ‘Uraufnahme’ online Juni 2021

 

In Kombination mit Pelzels Stück La Luna stehen auch Orchesterwerke von Georg Friedrich Haas (geboren 1953) und György Ligeti (1923-2006) auf dem Programm. Pelzels Kompositionen werden auch bei den anderen Konzerten gemeinsam mit Werken von Haas und Ligeti präsentiert. Wohl weil eine gewisse Verwandtschaft zwischen den drei Komponisten besteht. Ähnlich wie Ligeti schätzt Pelzel vertrackte Mikrorhythmen. Mit Georg Friedrich Haas teilt Pelzel die Leidenschaft für Mikrotöne. Dementsprechend kommt ihm die Kombination seiner Werke mit diesen beiden Größen durchaus entgegen: „Zwischen Georg Friedrich Haas, der mein geschätzter Lehrer war, und György Ligeti, der für mich in vielerlei Hinsicht eine wichtige musikalischen Bezugsgröße ist, fühle ich mich sehr wohl.“

 


Michael Pelzel, in memoriam György Ligeti, für Ensemble 2018: vertrackte Mikrorhythmen verbindet das Schaffen von György Ligeti und Michael Pelzel, Eigenproduktion SRG

 

György Ligeti spielt für Michael Pelzel auch in seiner Funktion als Organist eine wichtige Rolle. Bei dem Orgelkonzert mit Michael Pelzel im Rahmen des Festivals steht dementsprechend das Orgelwerk Harmonies von György Ligeti aus dem Jahr 1967 auf dem Programm. Die Komposition ...stream of debris… von Michael Pelzel, die er hier selbst uraufführen wird, sieht er  in derselben Traditionslinie. „Ein bisschen ist das auch wie eine Hommage an Ligeti. Ligeti hat in seiner Orgelmusik viel mit Clustern gearbeitet. Wenn ich selber auf der Orgel improvisiere, gehe ich auch von solchen Clustern aus, versuche dabei aber, das nicht einfach zu wiederholen, sondern Ligetis Ansatz für die heutige Zeit weiter zu entwickeln.“

Zum Festivalmotto „schwärme“ passend als „schwärmerisches Stück“ im Programm angekündigt ist Streamed Polyphonyfür Streicher, das von der CAMERATA BERN uraufgeführt werden wird. „Schwärmerisch stimmt eigentlich nicht“, sagt Pelzel, als ich ihn danach frage. Vielmehr habe er beim Komponieren an drei Insekten gedacht, die um eine Lichtquelle herumschwirren.

Darum spielt bei diesem Stück die Verteilung der Musiker*innen im Raum eine wichtige Rolle. Diese ermöglicht, dass auch der Streicherklang im Raum umherschwirrt. Auch wenn der Titel der Komposition die Assoziation mit Insekten nicht mehr nahelegt: vielleicht ist beim Konzert der CAMERATA BERN dieses Schwärmen und Schwirren für die Zuhörer*innen trotzdem noch erkennbar.
Friederike Kenneweg

 

Michael Pelzel © Manuela Theobald / zVg Musikfestival Bern

 

Das diesjährige Musikfestival Bern findet vom 1. bis zum 5. September unter dem Motto “schwärme” statt. Zu hören sind Werke und Uraufführungen von u.a. Salvatore Sciarrino, Fritz Hauser, Jürg Frey, Johanna Schwarzl, Hans Eugen Frischknecht, Pierre-André Bovey, Thomas Kessler oder Jean-Luc Darbellay.

Donnerstag, 26. August, 19 Uhr: Michael Pelzel zu Gast in „Sprechstunden für neue Musik“, einer Reihe von Zoom-Veranstaltungen des Musikfestival Bern. Hier geht es um ein informelles Kennenlernen und ins Gespräch kommen mit dem Komponisten, mit Hörbeispielen. Teilnahme kostenlos, Anmeldung erwünscht an Tobias Reber.
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Uraufführungen von Michael Pelzel:
Aus 133 Fenstern, Mittwoch, 1.9. 17h
Streamed Polyphony, in Konzert: Open the Spaces, Mittwoch, .1.9. 19h
Glissomania, in Konzert: Durch unausdenkliche Wälder, Freitag, 3.9. 21h
La Luna, in Konzert: Ferne Lichterschwärme, Samstag, 4.9. 19h
Harmonies / ...stream of debris… in Konzert: Con Passione, Sonntag, 5.9. 17h

Neo-Profiles:
Musikfestival Bern, Michael Pelzel, Camerata BernGyörgy Ligeti, Georg Friedrich Haas, Thomas Kessler, Jürg Frey, Jean-Luc Darbellay, Fritz Hauser, Pierre-André Bovey