Musik und Leben als Einheit

Es sind viele Rollen, in denen Roland Dahinden auftritt: als Komponist, Posaunist, Klangkünstler, Improvisator, Dirigent… Bei den diesjährigen Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik stellt er Werke des US-amerikanischen Komponisten Anthony Braxton vor, mit dem ihn eine langjährige Zusammenarbeit verbindet.

 

Roland Dahinden mit zum Dirigieren erhobenen Hand vor schwarzem Hintergrund
Roland Dahinden. Foto: Marek Bouda

 

Friederike Kenneweg
Von morgens bis abends auf unterschiedliche Art mit Musik erfüllt – so kann man sich wohl den Alltag von Roland Dahinden vorstellen. Zwei Stunden sind immer für seine Posaunenetüden reserviert, denen er sich schon seit nunmehr 40 Jahren täglich widmet. Eine Zeit der vollen Konzentration auf sein Instrument, in der nichts anderes Platz hat. “Das ist etwas, auf das ich mich jeden Tag freue”, sagt Dahinden. “Und danach freue ich mich genauso darauf, die Partitur aufzuschlagen, die als nächstes dran ist, oder an meinen Kompositionen zu arbeiten, zu proben, oder was sonst gerade auf dem Plan steht. So hat alles seinen Platz.”

 

Roland Dahinden und HIldegard Kleeb, fotografiert von Gary Soskin
Roland Dahinden und Hildegard Kleeb. Foto: Gary Soskin

 

Ein Duo seit langem: Dahinden/Kleeb

Wenn er zu Hause ist, sind da außerdem meistens Klavierklänge, wenn seine Ehefrau, die Pianistin Hildegard Kleeb, für die nächsten Auftritte übt. Schon seit 1987 spielen die beiden als Duo miteinander, aber auch in verschiedenen Trio-Konstellationen, zum Beispiel mit dem Perkussionisten Alexandre Babel oder dem Elektromusiker Cameron Harris. Und beide verfolgen dazu auf unterschiedliche Weise ihre jeweilige Solokarriere, spielen aber auch noch in ganz anderen Projekten oder Konstellationen zusammen.

“Wir sprechen über Musik, wenn wir morgens aufstehen, und oft auch noch, wenn wir abends schlafen gehen”, erzählt Roland Dahinden. “Das ist sehr wertvoll, dass man diese Begeisterung so lange mit jemandem teilen und das gemeinsam leben kann.”

 

Das Stück “Panorama” für Posaune und Klavier von Alvin Lucier aus dem Jahr 1993, gespielt vom Duo Dahinden/Kleeb

 

Begegnungen mit Anthony Braxton, Alvin Lucier, John Cage

Gemeinsam mit Hildegard Kleeb erlebte Roland Dahinden in den 1990er Jahren eine für ihn sehr prägende Zeit in den USA. Denn von 1992 bis 1995 konnte er an der Wesleyan University als Assistent von Alvin Lucier und Anthony Braxton arbeiten und deren besondere Herangehensweise an Klangkunst, Improvisation und Jazz genau kennen lernen. Dass dieser Aufenthalt überhaupt möglich war, verdankte er der Fürsprache keines geringeren als John Cage, der für das Duo Dahinden/ Kleeb 1991 mit Two5 sogar ein eigenes Werk komponierte.

 

Anthony Braxton und Roland Dahinden, fotografiert von Marek Bouda
Anthony Braxton und Roland Dahinden. Foto: Marek Bouda

 

Dirigieren in Prag

Sein guter Kontakt zu Anthony Braxton und die genaue Kenntnis seiner Musik, die sich zwischen fixierter Musik und Improvisation bewegt, führten dazu, dass Roland Dahinden im Jahr 2021 mit dem Prague Music Performance Orchestra  einige von Braxtons Stücken aus der Serie der Language Type Music einstudierte. Und das Ensemble, selbst in seiner Ausrichtung zwischen auskomponierter zeitgenössischer Musik, Improvisation und Jazz angesiedelt, war mit der Zusammenarbeit so zufrieden, dass sie ihn als festen Dirigenten anfragten. Die 55 Musiker:innen des Ensembles stehen alle auch noch mit eigenen musikalischen Projekten in der Öffentlichkeit und bringen je eigene Ansätze und Herangehensweisen mit. Diese zu einem Gesamtklang zusammenzuführen, ist immer wieder eine Herausforderung, sagt Dahinden – aber eine, der er sich nur zu gerne stellt.

 

 

Anthony Braxton in Darmstadt

In diesem Jahr widmet sich das PMP-Orchester unter der Leitung von Roland Dahinden der Uraufführung eines Monumentalwerks von Anthony Braxton: der Oper Trillium X. Die viereinhalbstündige Multimedia-Oper, an der Braxton über fünf Jahre gearbeitet hat, besteht aus vier Akten, und setzt sich mit den Auswirkungen des Turbokapitalismus auseinander – mit globalen Katastrophen,  mit nuklearen Bedrohungen und dem Zusammenleben von Mensch und Roboter.  Nach der ersten und auch erstmal einzigen Aufführung des Stückes am 1. August in Prag reist das Ensemble zu den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, um dort eine Aufnahme dieses großen Werkes zu realisieren. Beim Pre-Opening-Konzert in Darmstadt wird das PMP Orchestra unter der Leitung von Roland Dahinden dort eine Version der Language Music von Anthony Braxton zur Aufführung bringen. In Darmstadt hat Roland Dahinden außerdem noch einen Auftritt als Posaunist, wenn in einem eigens für diesen Anlass zusammen gestellten Ensemble das neue Stück Thundermusic von Anthony Braxton zur Uraufführung gebracht wird.

Nach diesem ereignisreichen Sommer soll es für Roland Dahinden dann erst mal wieder mit der Arbeit an eigenen Kompositionen weiter gehen. Sicher ist: der Alltag im Hause Dahinden/Kleeb bleibt weiter von Musik erfüllt, wie auch immer sie klingt. Und die nächste reizvolle Herausforderung lässt sicher nicht lange auf sich warten.
Friederike Kenneweg

 

Roland Dahinden Hildegard Kleeb PMP Orchestra Wesleyan University Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt

Termine:

5. August 2023: Language Music mit Anthony Braxton und dem PMP Orchestra unter der Leitung von Roland Dahinden, 17 Uhr, Edith-Steinschule, Darmstadt im Rahmen der Darmstädter Ferienkurse 2023

7. August 2023: Uraufführung von Thunder Music von Anthony Braxton, u.a. mit Roland Dahinden an der Posaune, 19:30 in der Lichtenbergschule Darmstadt

Neo Profile:
Roland Dahinden Hildegard Kleeb Alexandre Babel

Unser Gedächtnis neigt dazu, sich an Extreme zu erinnern

Gabrielle Weber
100 Jahre Donaueschinger Musiktage – ein historisches Ereignis: 100 Jahre schon setzt sich die epochemachende Institution für Erhalt und Verbreitung der Gegenwartsmusik ein. Das wichtigste europäische Festival der musikalischen Moderne, Uraufführungsschmiede, Ort der Begegnung und der Debatte feiert das Jubiläum mit zahlreichen Veranstaltungen unter Mitwirkung von langjährigen WeggefährtInnen vom 14. bis zum 17. Oktober.

Ein Ensemble, das mitfeiert, ist das junge, in der Schweiz basierte Ensemble Nikel. Yaron Deutsch, E-Gitarrist und Kopf von Nikel, war mit dem Ensemble und als Solist bereits mehrfach in Donaueschingen dabei. Zum Jubiläum führt Nikel neue Stücke von Rebecca Saunders und der jungen türkischen Komponistin Didem Coskunseven auf. Deutsch ist zudem Solist im neuen Stück von Stefan Prins mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg.

 

Portrait Ensemble Nikel 2016 © Markus Sepperer
Ensemble Nikel  2016, zVg. Ensemble Nikel

 

Gegründet 2006, tourt Nikel mittlerweile weltweit und blickt dieses Jahr auf sein fünfzehnjähriges Bestehen zurück. Ein ‚alternativer Kammermusikklang‘ aus einer Mischung von elektronischen und instrumentalen Klängen ist charakteristisch für das Ensemble. Die ungewöhnliche Besetzung, E-Gitarre, Klavier, Saxophon und Perkussion geht auf den allerersten Auftritt zurück. Das sich laufend erweiternde Repertoire besteht ausschliesslich aus Stücken, die für Nikel komponiert werden.

Mit Yaron Deutsch unterhielt ich mich per Zoom an einem Samstag frühmorgens, er im Hotel in Parma. Er sei ein Morgenmensch und bereits um 4:30h aufgestanden. Nach einem Auftritt am Festival für zeitgenössische Musik Traiettorie ging es weiter zu Proben nach Bern.

Wie fanden Sie mit der E-Gitarre zur zeitgenössischen klassischen Musik..?

2005 befand ich mich in einer Phase der Suche nach meinem eigenen musikalischen Weg. Mit der E-Gitarre war ich assimiliert in der Musik des Rock und Jazz, fühlte mich aber dort wie eine ‘Copy Cat’ einer amerikanischen Kultur, die nicht meine ist. Da stiess ich über ein Stück von Louis Andriessen: ‘Hout‘ (1991) für die Besetzung Saxophon, E-Gitarre, Percussion und Klavier. Es fühlte sich wie ein ‘Heureka’-Moment an. Das Stück mischt Musikgenres und -elemente unkompliziert. Ich fand darin eine Verbindung zu meinen europäischen Wurzeln und fühlte mich wie zuhause angekommen in der europäischen klassischen Musikavantgarde. Es gab mir eine Art Richtung vor, in welche Klangwelt ich gehen wollte.

 

Ensemble Nikel / Yaron Deutsch 2016, zVg. Ensemble Nikel

 

Wie kam’s zu Nikel? Wieso diese Besetzung?

Mit ‘Hout‘ gaben wir unser erstes Konzert in Tel Aviv. Die Instrumente des Stücks wurden zur festen Besetzung von Nikel. Nach wenigen Wechseln bilden wir nun seit ungefähr zehn Jahren die feste Stammformation: Brian Archinal an der Perkussion, Antoine Françoise, Klavier, Patrick Stadler, Saxofon, und ich mit der E-Gitarre. Wir inspirieren uns gegenseitig.

Woher stammt der Name Nikel?

Drei Punkte: Zuerst wollte ich keinen Namen der Musik assoziiert. Im Namen sollte zudem ‘Metall’ als eine unserer Klangfarben anklingen. Und zuletzt erinnert Nikel an die israelische Künstlerin Lea Nikel und ihre abstrakten farbintensiven Arbeiten. Sie war In den sechziger und siebziger Jahren in Paris und New York tätig und verstarb 2005 in Tel Aviv.

 

Es ist wie wenn Wassertropfen langsam zu einem Organismus zusammenfinden.

 

Wie kam es zum Standort Schweiz..?

Dass drei von vier Mitgliedern in der Schweiz sind, ergab sich von selbst. Ich war immer ein ‘Missionar’ für Musikschaffen ohne Nationalität, für ein Modell von Ensembles ohne eine nationale oder lokale Festlegung: es geht mir darum, mit den Musikern zusammenarbeiten, die ich am spannendsten finde, die mich inspirieren, egal wo sie leben. So kam es bspw. zu Patrick Stadler in Basel. Unsere Vision ist aber eine internationale.
Es ist wie wenn Wassertropfen langsam zu einem Organismus zusammenfinden.

Ausgehend von einer Einladung für ein Konzert finden wir zusammen. Unsere Aufgabe als Künstler ist es, so faszinierend, interessant und auch gut zu sein, um einen Bedarf zu schaffen. Es geht dabei um Passion: solange wir passioniert sind, existieren wir als Gruppe.

 


Anne Cleare, the square of yellow light that is your window (excerpt), UA 2014 Ensemble Nikel

 

Wie kam’s zum ersten Auftritt in Donaueschingen?

2010 traten wir an den Darmstädter Ferienkursen auf. Der damalige neue künstlerische Leiter Thomas Schäfer wollte in seiner ersten Ausgabe neue Stimmen präsentieren und lud uns ein. Der Auftritt hatte ein grosses Echo. Kurz danach rief uns Armin Köhler, der damalige Intendant von Donaueschingen an, und lud uns zwei Jahre später ans Festival ein. 2012 waren wir erstmals dort.

Was bewirkte dieser Auftritt für Nikel?

Der Auftritt vor grossem Publikum mit internationaler Resonanz war das eine. Donaueschingen ermöglichte uns aber auch, vier Uraufführungen von vier substanziellen Komponisten zu spielen, die ihre Stücke extra für unsere Besetzung schrieben. Wir hatten nicht die finanziellen Möglichkeiten, solche Stücke selbst in Auftrag zu geben. Diese völlig unterschiedlichen Stücke spielten wir seither in der ganzen Welt.

Und dieser Mechanismus geht seither weiter: wenn wir eingeladen werden, geben die Festivals Stücke für uns in Auftrag. Diese behalten wir danach im Repertoire. Bei der Auswahl bringen wir uns immer ein und schlagen KomponistInnen vor, von denen wir begeistert sind. In unseren Auftritten ist dann diese Begeisterung spürbar.

Sie führen an der Jubiläumsausgabe eine neues Stück von Rebecca Saunders auf, zusammen mit der Kontra-Altistin Noa Frenkel, und ein weiteres der jungen türkischen Komponistin Didem Coskunseven: wie kam es zu dieser Stückauswahl?

Rebecca Saunders wollte schon lange mit uns zusammenarbeiten, da ich in anderen Kontexten Stücke von ihr interpretierte, bspw. mit dem Klangforum Wien. Es kam aber noch nie dazu. Nun hatten wir Glück. Ein grosses Auftragsstück konnte aufgrund der Pandemie nicht realisiert werden und Rebecca schlug als Alternative vor, ein Stück mit uns und einer Sängerin zu erarbeiten. Die Komponistin Didem Coskunseven ergab sich dazu im Gespräch mit Björn Gottstein.

Die Auftritte von Nikel sind bekannt für einen oft radikal lauten Elektroniksound – Wie arbeitet Nikel mit der Stimme zusammen..?

Zuerst muss ich das Prädikat ‘lautes’ Ensemble zurückweisen: Wir spielen auch viele subtile Stücke, stille, taktile Musik. Wahrscheinlich führt unsere virtuose Qualität zum Eindruck: “die Musiker können spielen, dass die Wände wackeln..”. (lacht..)

Ein maskuliner Power, das ist nicht unser Ding. Unser Gedächtnis neigt dazu, sich an Extreme zu erinnern. Aber es geschieht so viel ausserhalb der Extreme, eigentlich das Meiste..

Nach der ersten Probenwoche betonte Rebecca die gute Balance zwischen der Sängerin und uns. Wir ‘dienen’ ihrer Musik: wir geben der Sängerin einen Raum und fanden einen spezifischen Klang für das Stück. Wir sind wie ein ‘elektrifiziertes Streichquartett’, ein Organismus der sehr gut zusammen funktioniert und dessen Klang sich sehr gut mischt. Wir können ganz fein abstufen zwischen laut und leise.

 


Stefan Prins, Fremdkoerper 2 (excerpt), UA 2010 Ensemble Nikel

 

Gibt es einen spezifischen Nikel-Sound?

Wir spielen immer wieder Stücke die eklektisch sind, die Elemente mischen, aber nie zufällig oder unnötig. Eine klare musikalische, nicht eindimensionale Linie verbindet alles. Nikel-Konzerte klingen immer anders. In diesem Konzert sind zwei völlig verschiedene Seiten, zwei völlig unterschiedliche Klangfarben zu hören.

Und wie klingt die Klangfarbe in Didem Coskunsevens Stück ?

Ihr Stil lässt sich nicht in einem Satz zusammenzufassen, das würde ihr nicht gerecht. Man kann sicher sagen: sie arbeitet mit minimalistischem Material, sehr farbenreich und expressiv, auf subtile Weise, nicht laut. Durch Kontinuität und Minimalismus kommen so Variationen zum Tragen.

 

Didem Coskunseven, Day was departing, UA Manifeste 2021, Ircam / Paris

 

Gehen wir nochmals etwas zurück: war der erste Auftritt in Donaueschingen für Nikel  ein Karrierestart?

Donaueschingen war nicht der Start, aber es war ein entscheidender ‘boost’, ein Schub: die Vertrautheit mit der internationalen Szene, das war sehr wichtig für unser Wachstum.

 

Musikmachen ist vergleichbar mit Sport. Wir wollen immer das Beste geben..

 

Nun sind Sie am 100Jahr-Jubiläum dabei: was bedeutet das für Nikel?

Da gibt’s zwei Antworten: ein Konzert ist ein Konzert. Musikmachen ist vergleichbar mit Sport. Wir wollen immer das Beste geben, egal wie gross oder klein der Rahmen ist.

Aber darüber hinaus: es ist für uns eine unglaubliche Ehre. Wir sind historisch bewusste Menschen und Musiker. Donaueschingen ist eine ‘ historische Plattform ‘, das am längsten existierende Neue Musik-Festival. Wir sind dankbar, dass unsere Arbeit so geschätzt wird, dass wir gefragt wurden, Teil dieses wichtigen Anlasses zu sein.
Interview: Gabrielle Weber

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Ensemble Nikel, Louis AndriessenThomas Schäfer, Armin KöhlerBjörn Gottstein, Didem Coskunseven, Stephen MenottiTrio Accanto

 

Uraufführungen Schweizer Musikschaffende @ Donaueschinger Musiktage 2021:
Donnerstag, 14.10., 20h: UA Beat Furrer, neues Werk für Orchester, SWR Symphonieorchester, Solist: Stephen Menotti, Posaune (CH)

15./16./1.10., 9:45h: Johannes Kreidler ‘Rhythms of history’ für Film, mit Alexandre Babel

Freitag, 15.10., 14h/17h: Trio Accanto, SWR Experimentalstudio

Samstag, 16.10., 16h: UA Daniel Ott, Donau Rauschen, Landschaftskomposition

Samstag, 16.10., 20h: Lucerne Festival Contemporary Orchestra, Leitung Baldur Brönnimann

 

Auftritte Ensemble Nikel / Yaron Deutsch Donaueschingen:
Freitag, 15.10.2021, 20h: Soloauftritt, Uraufführung von Stefan Prins, Orchestre Philharmonique du Luxembourg unter Stefan Volkov.

Sonntag, 17.10.2021, 11h: Ensemble Nikel und Noa Frenkel (Kontra-Alt), UA Rebecca Saunders und Didem Coskunseven


Weitere kommende Auftritte Ensemble Nikel:

November Music, s’Hertogenbosch:
12.11.21: Wiederholung Konzert Donaueschingen: UA Rebecca Saunders / Didem Coskunseven
WienModern:
14./27./28.11.21: Werke von Thomas Kessler, Klaus Lang, Hugues Dufourt, Leitung Jonathan Stockhammer

 

Sendungen SRF 2 Kultur:
Künste im Gespräch, 14.10.21, 9:00 Uhr: 100 Jahre Donaueschinger Musiktage, Redaktion Florian Hauser

Kultur Aktuell, 18.10.21, 8:15 Uhr: Redaktion Florian Hauser

Musik unserer Zeit, 3.11.21, 20 Uhr: 100 Jahre Donaueschinger Musiktage, Redaktion Florian Hauser

 

neo-Profiles:
Ensemble Nikel, Donaueschinger Musiktage, Rebecca Saunders, Beat Furrer, Alexandre Babel, Lucerne Festival Contemporary Orchestra, Daniel Ott, Johannes Kreidler, Marcus Weiss, Thomas Kessler, Jonathan Stockhammer

un projet est avant tout une rencontre..

Der Genfer Komponist, Interpret und Kurator Alexandre Babel erhielt einen der Schweizer Musikpreise des Bundesamts für Kultur 2021. Am 17. September findet die feierliche Preisübergabe in Lugano statt. Im Gespräch erzählt Babel was er unter Komposition und Kuration versteht und wie er diese Tätigkeiten verwebt.

 

Portrait Alexandre Babel © Felix Brueggemann 2021

 

Gabrielle Weber
Alexandre Babel, Perkussionist, Komponist und Kurator, bewegt sich auf Avantgarde-Konzertbühnen, an Jazzfestivals, in Galerien und an Kunstbiennalen. Zwischen Berlin und Genf verbindet er klassische Avantgardemusik, Klangkunst, experimentelle Improvisation und Performance.

Es gebe so viele Arten zu komponieren, wie es Komponierende gebe, sagt Alexandre Babel. Komponieren umschreibt er deshalb lieber mit “Organisation von Klängen in Zeit und Raum”. Diesem Kompositionsverständnis sei auch das Kuratieren nahe. “Auch hier geht es darum, dass man existierende Klangobjekte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit in Bewegung bringt und diese Objekte dann mit anderen Objekten in Verbindung setzt”.

Komponieren und Kuratieren: das sind für Babel verschiedene Seiten ein und derselben Tätigkeit. Babel kreiert, konzipiert, inszeniert, vernetzt und interpretiert.

Alexandre Babel, 1980 in Genf geboren, fand durch seinen ersten Schlagzeuglehrer in Genf zunächst zum Jazz. Anschliessend spezialisierte er sich in New York bei Jazzlegenden wie Joey Baron oder Jeff Hirshfield weiter und spielte in verschiedenen Formationen. „Am Jazz faszinierte mich nicht nur die Ästhetik, sondern vielmehr wie Musiker miteinander umgingen, um Musik zu kreieren. Das Mischen von Repertoire und Improvisation: das war für mich die Basis des Musikmachens“.

Gleichzeitig angezogen von der klassischen musikalischen Avantgarde, wechselte er bald zum klassischen Schlagzeug und fand, zurück in Europa, zur Komposition. John Cage, Morton Feldman, Alvin Lucier, Heiner Goebbels oder Helmut Lachenmann waren dann für Babels kompositorischen Weg wegweisend.

Bereits in ersten Stücken wie music for small audiences für kleine Trommel solo, setzt er sich dabei insbesondere auch mit der Rolle des Interpreten auseinander. “Mit Music for small audiences begann eine eigentliche Liebesgeschichte mit der kleinen Trommel”, meint Babel.

 


In einem seiner ersten Stücke, ‘music for small audiences’ erkundet Alexandre Babel neue Klänge für kleine Trommel solo und rückt die Rolle der Perkussion im Musikbetrieb in den Fokus.

 

Interpret – Improvisator – Komponist

 

Als Schlagzeuger ist Babel heute vielgleisig unterwegs: als feiner leiser Improvisator, als lauter experimenteller Drummer bspw. mit der Band „Sudden infant“ im Duo mit Joke Lanz oder als Interpret zeitgenössischen Schlagzeugrepertoires in diversen Formationen.

Gleichzeitig komponiert und kuratiert er und entwickelt Projekte für eigene Formationen wie bspw. das Berliner Kollektiv Radial, zusammen mit der Videokünstlerin Mio Chareteau.

„Musikmachen sehe ich als mehrere Prozesse. Der erste ist das ‚Denken‘ von Musik, also das Komponieren, dann die Übermittlung an jemanden, der die Musik realisiert, und zuletzt das Aufführen für ein Publikum: mich faszinieren alle diese Prozesse“, meint Babel.

Alle seine Tätigkeiten verbindet das Zusammendenken von Kreation und Interpretation und auch ein Interesse am Visuellen, am Raum und am Performativen.

 

“Was möchte ich sehen und was möchte ich hören..”

 

Komponieren beginnt für Babel immer mit einer Begegnung oder ist gar eine Begegnung. So entstehen Babels Kompositionen meistens konkret für Musikschaffende.

Die InterpretInnen hat er dabei immer vor Augen und lässt sich -nicht zuletzt- auch durch ihre Bewegungen, ihre Gesten beim Spiel inspirieren. Im Stück The way down für das Duo Orion bspw. ging Babel vom gemeinsamen Musizierens des Duos aus und inszenierte dieses akustisch und auch performativ.

 

Alexandre Babel, The way down pour violoncelle et piano, Duo Orion (Gilles Grimaître, piano, Elas Dorbath, Cello) 2020

 

 

«Am Anfang eines Projekts stelle ich mir die Frage: ‘Was möchte ich sehen und was möchte ich hören’: Das Visuelle ist für mich genauso wichtig wie das Klangliche. Das Duo Orion hat bspw. eine besondere Körperlichkeit beim Musizieren. Ich entwickelte für das Duo ein Stück, in dem die Gesten fast sportlich sind. Es entstand fast ein Tanz oder eine Choreografie», sagt Babel.

 

Kuratieren als permanenter Dialog

 

In idealer Weise seien seine drei Tätigkeiten, Komposition, Interpretation und Kuration in der künstlerischen Leitung des Festival les amplitudes (La-Chaux-de-Fonds, Herbst 2020) zusammengekommen, sagt Babel. „Ich hatte hier die Chance alle meine Aspekte innerhalb eines Objekts -das Festival und gleichzeitig die Stadt La Chaux-de-Fonds – zu verbinden: Ich dachte das Festival als eine Riesen-Komposition aus einzelnen Teilen – einer Kunstausstellung, Liveperformances, Drum Sets und Kompositionen für den Raum. Daraus bildete sich eine neue Einheit“.

Seit 2013 leitet Babel das Perkussionsensemble Eklekto Geneva Percussion Center. Es besteht aus zirka 20 MusikerInnen in loser Zusammensetzung. “Eklekto bietet für mich eine Gelegenheit, ungewöhnliche Perkussionssituationen zu entwickeln”. Alle Projekte entstehen in engem Austausch und Zusammenarbeit mit den Komponierenden und den MusikerInnen. “Kuratieren ist ein permanenter Dialog mit den beteiligten Musikschaffenden”.

 

Aufmerksames Hören

 

Pauline Olivero’s Stück Earth ears, ein sog ‘Sonic Ritual‘ von 1989 für freie Besetzung, sei charakteristisch für sein Verständnis von Kuratieren, meint Babel: „Die Musiker spielen nach dem Gehör. Es gibt keine geschriebene Partitur. Man muss sich selbst und auch dem ganzen Ensemble zuhören und darauf reagieren. Im Stück geht’s um Klang, um Raum und ums aufmerksame Zuhören: das ist für mich die Basis des Musikmachens”, sagt Babel.

 


Pauline Oliveros’ ‘Earth ears’, ein ‘Sonic Ritual’ und offen zu interpretierendes Stück von 1989, ist charakteristisch für Babels Ansatz des Kuratierens.

 

Wichtig ist für Babel zudem sein grosses Perkussionsensemble mit 15 Schlagzeugern aus dem Eklekto-Pool. „Wir haben klare Regeln: wir spielen auswendig und es wird nicht dirigiert: das Spielen ohne Leader schafft eine enorme Energie und Präsenz und eröffnet gleichzeitig neue Kommunikationswege, fast schon auf radikale Weise“.

 

Choeur mixte’ reflektiert das klassische Setting von Kammermusik und rückt zugleicht das oft unterschätzte klassische Orchester-instrument ‘kleine Trommel’ in ein neues solistisches Licht. Eine weitere Liebeserklärung an die kleine Trommel.

 

Im Stück ‘choeur mixte’ für 15 kleine Trommeln, spielen die Perkussionisten ihre Instrumente stehend, zu einem Keil formiert, im Lichtspot auf leerer Bühne. Sie agieren stark aufeinander bezogen: das Stück strahlt eine Kraft als Gruppe und gleichzeitig Eigenverantwortung der einzelnen InterpretInnen aus.

 

Musik ohne Klang

 

Aktuell arbeitet Babel u.a. an einem Kompositionsauftrag für die Kunstbiennale Venedig 2022. Zusammen mit der Schweiz-basierten franco-marokkanische Bildenden Künstlerin Latifa Echakhch gestaltet er den Schweizer Pavillon. Babel sieht sich dabei mit einer speziellen Herausforderung konfrontiert: Echakhch wünschte sich von Babel eine Komposition ohne realen Klang. „Das ist für mich eine wichtige und besondere Aufgabe: durch den gemeinsamen Kreationsprozess nähern wir uns Lösungen an, wie Musik ohne Klang klingen kann“, sagt Babel. Momentan entstehen dafür kurze Musikstücke, die die Basis bilden für die finale Musik der Stille.
Gabrielle Weber

 

Portrait Alexandre Babel ©Felix Brueggemann (2021)

 

Am Freitag, 17. September 2021, findet die feierliche Preisverleihung im Lugano Arte e Cultura (LAC) in Lugano statt. Am Wochenende treten einige der PreisträgerInnen im Rahmen des Longlake Festival Lugano auf.
Der diesjährige Grand Prix musique ging an Stephan Eicher. Die weiteren PreisträgerInnen: Alexandre Babel, Chiara Banchini, Yilian Canizares, Viviane Chassot, Tom Gabriel Fischer, Jürg Frey, Lionel Friedli, Louis Jucker, Christine Lauterburg, Roland Moser, Roli Mosimann, Conrad Steinmann, Manuel Troller, Nils Wogram.

 

Konzerte Alexandre Babel:
Sonntag, 19.9.21, 10:30h Studio Foce, LAC:
Alexandre Babel e Niton +ROM visuals

23.4.-27.11.2022 Biennale Arte Venezia:
Alexandre Babel & Latifa Echakhch @Swiss Pavillon

Joke Lanz, Joey BaronJeff Hirshfield, Pauline Oliveros, Biennale Arte 2022, John Cage, Morton Feldman, Alvin Lucier, Heiner Goebbels, Helmut Lachenmann, Latifa EchakhchKollektiv Radial, Mio Chareteau, Elsa Dorbath

 

Sendungen SRF 2 Kultur:
in: Musikmagazin, 18./19.9.21: Alexandre Babel – Träger BAK-Musikpreis 2021 im Gespräch mit Gabrielle Weber, Redaktion Annelis Berger

Musik unserer Zeit, 16.6.21: Alexandre Babel – Perkussionist, Komponist, Kurator, Redaktion Gabrielle Weber

neoblog, 14.10.2020: La ville – une composition géante, Text Anya Leveillé

 

Neo-Profiles:
Alexandre Babel, Les amplitudes, Eklekto Geneva Percussion Center, Duo Orion, Gilles Grimaître

 

 

Von der Geige zum Schlagzeug

Der legendäre Concours de Genève feiert seinen 80ten Geburtstag mit den Disziplinen Komposition und Perkussion. 1939 gegründet, setzt der Wettbewerb damit ein Fanal für das zeitgenössische Musikschaffen.

Live-Stream Finalkonzert Perkussion 21. November 2019, 20h:

Gabrielle Weber
34 junge internationale Perkussionistinnen und Perkussionisten wurden aufgrund eingereichter Videos eingeladen um ihr Können unter Beweis zu stellen. Nur drei davon werden es ins Schlusskonzert am 21. November schaffen. Der solistische Auftritt mit dem Orchestre de la Suisse Romande in der Genfer Victoria Hall, könnte für sie die Pforte zur internationalen Musikwelt weit öffnen.

Wie fühlt es sich an, bevor man sich einer hoch dotierten Jury präsentiert? Was sind Kriterien für die Wahl der Stücke und wie steht es mit der zeitgenössischen Musik und dem Schlagzeug? Der 25-jährige Till Lingenberg, gebürtiger Wallisers, gehört zu den Glücklichen und gibt Auskunft.

Der Concours de Genève habe ein hohes internationales Renommee und bereits die Einladung sei eine Auszeichnung. Zudem sei die Erarbeitung des Repertoire sehr bereichernd. ‘Die Vorbereitung auf einen Concours zwingt einem dazu, viele neue Stücke konzertreif einzustudieren – man bringt immerhin zweieinhalb Stunden Musik zur Aufführung’ so Lingenberg. Die Teilnahme am Schlusskonzert wäre die Krönung und eröffnete berufliche Perspektiven. ‘Es würde mir erlauben, mich in die richtige professionelle Welt zu stürzen. Für eine solistische Karriere bedeutet dieser Wettbewerb sehr viel’.

Portrait Till Lingenberg

Durch die Geige fand Lingenberg zur Perkussion – als er mit fünf Jahren den ersten Geigenunterricht erhielt, hämmerte er lieber auf die Geige als schöne Klänge zu produzieren. So kam eines zum anderen. Den Wechsel hat er nie bereut. Denn das Schlagzeug ist so vielfältig. ‘Man spielt nicht nur ein, sondern zahlreiche Instrumente’.

Gab es Vorbilder? ‘Es waren nie primär die Leute die Schlagzeug spielten die mich faszinierten, sondern das Instrumentarium selbst. Ich bewunderte die Instrumente: es faszinierte mich, sie zu berühren, ja manchmal etwas auszuprobieren, sofern ich durfte’.

Lingenberg liebt das zeitgenössische Repertoire – und schätzt sich glücklich. Denn: ‘wir haben fast keine andere Wahl, als diese Musik zu spielen, angesichts des Repertoires das maximal ein Jahrhundert alt ist’. Für den Concours entschied sich Lingenberg für ‘Moi, jeu..‘ für Marimba (1990) von Bruno Mantovani, ein komplexes Stück, in dem Mantovani -so Lingenberg- ‘mit den Codes des Instruments bricht’. In ‘Assonance VII‘ von Michael Jarrell (1992), dem zweiten gewählten Stück, befindet sich der Interpret inmitten eines regelrechten Parks an Perkussionsinstrumenten. Vibraphon, Tamtam, Gong, Becken, Bongos, Wood-blocks und Triangel etc. ‘Es ist ein fabelhaftes Stück, das alle Möglichkeiten der Multiperkussion darstellt und radikal verschiedene Spielweisen zeigt, es spielt mit Resonanzen, geht manchmal fast bis zum Nicht-Hörbaren’.
Interview: Benjamin Herzog / Gabrielle Weber


Michael Jarrell, Assonance VII (1992), Interpret: Till Lingenberg

Die drei FinalistInnen des Kompositionswettbewerbs wurden per Vorausscheidung bestimmt. Das Lemanic Modern Ensemble unter der Leitung von Pierre Bleuse präsentiert ihre Stücke zusammen mit dem Oboisten Matthias Arter am 8. 11 im Studio Ansermet Genf.

Zwei Special Events flankieren den Concours: am 14. November führen Philippe Spiesser und das Ensemble Flashback im Cern Musik, Video, Elektronik und Wissenschaft zusammen. Am 20. November zeigt Eklekto Geneva Percussion Center in der Alhambra Genf Werke von Alexandre Babel, Wojtek Blecharz und Ryoji Ikeda.

Eklekto Geneva Percussion Center ©Nicolas Masson

Die Ausscheidungen finden vom 8. Bis zum 11. November statt und sind öffentlich zugänglich.
Die Finalkonzerte beider Wettbewerbe werden am 8. 11 (Komposition) und am 21.11. (Perkussion) per Live-Stream (Video) auf neo.mx3 und auf RTS espace deux (Audio) übertragen.

Live-Stream Finalkonzert Komposition 8. November 2019, 20h:

Émissions RTS Espace 2:
En direct:
8 novembre, finale concours Composition au studio Anserme:
Présentation par Anne Gillot + Julian Sykes / Prise d’antenne 18h30 – 22h30

21 novembre: finale concours Percussions au Victoria hall:
Présentation par Julian Sykes / Prise d’antenne 18h – 22h30

Magnétique:
-13 novembre, 17h, , Interview avec Philippe Spiesser, président du jury de percussion: Présentation par Anya Leveillé
-11 – 17 novembre: reportage sur les candidates, présenté par Sylvie Lambelet
RTS Culture: article avec video avant la finale percussion

Sendung SRF 2 Kultur:
16. / 17. November: Musikmagazin aktuell, Redaktion: Benjamin Herzog

Concours de Genève, RTS Culture, SRF 2 Kultur

neo-profiles: Concours de Genève, Lemanic Modern Ensemble, Eklekto Geneva Percussion Center, Till Lingenberg, Michael Jarrell, Alexandre Babel