Musik und Leben als Einheit

Es sind viele Rollen, in denen Roland Dahinden auftritt: als Komponist, Posaunist, Klangkünstler, Improvisator, Dirigent… Bei den diesjährigen Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik stellt er Werke des US-amerikanischen Komponisten Anthony Braxton vor, mit dem ihn eine langjährige Zusammenarbeit verbindet.

 

Roland Dahinden mit zum Dirigieren erhobenen Hand vor schwarzem Hintergrund
Roland Dahinden. Foto: Marek Bouda

 

Friederike Kenneweg
Von morgens bis abends auf unterschiedliche Art mit Musik erfüllt – so kann man sich wohl den Alltag von Roland Dahinden vorstellen. Zwei Stunden sind immer für seine Posaunenetüden reserviert, denen er sich schon seit nunmehr 40 Jahren täglich widmet. Eine Zeit der vollen Konzentration auf sein Instrument, in der nichts anderes Platz hat. “Das ist etwas, auf das ich mich jeden Tag freue”, sagt Dahinden. “Und danach freue ich mich genauso darauf, die Partitur aufzuschlagen, die als nächstes dran ist, oder an meinen Kompositionen zu arbeiten, zu proben, oder was sonst gerade auf dem Plan steht. So hat alles seinen Platz.”

 

Roland Dahinden und HIldegard Kleeb, fotografiert von Gary Soskin
Roland Dahinden und Hildegard Kleeb. Foto: Gary Soskin

 

Ein Duo seit langem: Dahinden/Kleeb

Wenn er zu Hause ist, sind da außerdem meistens Klavierklänge, wenn seine Ehefrau, die Pianistin Hildegard Kleeb, für die nächsten Auftritte übt. Schon seit 1987 spielen die beiden als Duo miteinander, aber auch in verschiedenen Trio-Konstellationen, zum Beispiel mit dem Perkussionisten Alexandre Babel oder dem Elektromusiker Cameron Harris. Und beide verfolgen dazu auf unterschiedliche Weise ihre jeweilige Solokarriere, spielen aber auch noch in ganz anderen Projekten oder Konstellationen zusammen.

“Wir sprechen über Musik, wenn wir morgens aufstehen, und oft auch noch, wenn wir abends schlafen gehen”, erzählt Roland Dahinden. “Das ist sehr wertvoll, dass man diese Begeisterung so lange mit jemandem teilen und das gemeinsam leben kann.”

 

Das Stück “Panorama” für Posaune und Klavier von Alvin Lucier aus dem Jahr 1993, gespielt vom Duo Dahinden/Kleeb

 

Begegnungen mit Anthony Braxton, Alvin Lucier, John Cage

Gemeinsam mit Hildegard Kleeb erlebte Roland Dahinden in den 1990er Jahren eine für ihn sehr prägende Zeit in den USA. Denn von 1992 bis 1995 konnte er an der Wesleyan University als Assistent von Alvin Lucier und Anthony Braxton arbeiten und deren besondere Herangehensweise an Klangkunst, Improvisation und Jazz genau kennen lernen. Dass dieser Aufenthalt überhaupt möglich war, verdankte er der Fürsprache keines geringeren als John Cage, der für das Duo Dahinden/ Kleeb 1991 mit Two5 sogar ein eigenes Werk komponierte.

 

Anthony Braxton und Roland Dahinden, fotografiert von Marek Bouda
Anthony Braxton und Roland Dahinden. Foto: Marek Bouda

 

Dirigieren in Prag

Sein guter Kontakt zu Anthony Braxton und die genaue Kenntnis seiner Musik, die sich zwischen fixierter Musik und Improvisation bewegt, führten dazu, dass Roland Dahinden im Jahr 2021 mit dem Prague Music Performance Orchestra  einige von Braxtons Stücken aus der Serie der Language Type Music einstudierte. Und das Ensemble, selbst in seiner Ausrichtung zwischen auskomponierter zeitgenössischer Musik, Improvisation und Jazz angesiedelt, war mit der Zusammenarbeit so zufrieden, dass sie ihn als festen Dirigenten anfragten. Die 55 Musiker:innen des Ensembles stehen alle auch noch mit eigenen musikalischen Projekten in der Öffentlichkeit und bringen je eigene Ansätze und Herangehensweisen mit. Diese zu einem Gesamtklang zusammenzuführen, ist immer wieder eine Herausforderung, sagt Dahinden – aber eine, der er sich nur zu gerne stellt.

 

 

Anthony Braxton in Darmstadt

In diesem Jahr widmet sich das PMP-Orchester unter der Leitung von Roland Dahinden der Uraufführung eines Monumentalwerks von Anthony Braxton: der Oper Trillium X. Die viereinhalbstündige Multimedia-Oper, an der Braxton über fünf Jahre gearbeitet hat, besteht aus vier Akten, und setzt sich mit den Auswirkungen des Turbokapitalismus auseinander – mit globalen Katastrophen,  mit nuklearen Bedrohungen und dem Zusammenleben von Mensch und Roboter.  Nach der ersten und auch erstmal einzigen Aufführung des Stückes am 1. August in Prag reist das Ensemble zu den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, um dort eine Aufnahme dieses großen Werkes zu realisieren. Beim Pre-Opening-Konzert in Darmstadt wird das PMP Orchestra unter der Leitung von Roland Dahinden dort eine Version der Language Music von Anthony Braxton zur Aufführung bringen. In Darmstadt hat Roland Dahinden außerdem noch einen Auftritt als Posaunist, wenn in einem eigens für diesen Anlass zusammen gestellten Ensemble das neue Stück Thundermusic von Anthony Braxton zur Uraufführung gebracht wird.

Nach diesem ereignisreichen Sommer soll es für Roland Dahinden dann erst mal wieder mit der Arbeit an eigenen Kompositionen weiter gehen. Sicher ist: der Alltag im Hause Dahinden/Kleeb bleibt weiter von Musik erfüllt, wie auch immer sie klingt. Und die nächste reizvolle Herausforderung lässt sicher nicht lange auf sich warten.
Friederike Kenneweg

 

Roland Dahinden Hildegard Kleeb PMP Orchestra Wesleyan University Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt

Termine:

5. August 2023: Language Music mit Anthony Braxton und dem PMP Orchestra unter der Leitung von Roland Dahinden, 17 Uhr, Edith-Steinschule, Darmstadt im Rahmen der Darmstädter Ferienkurse 2023

7. August 2023: Uraufführung von Thunder Music von Anthony Braxton, u.a. mit Roland Dahinden an der Posaune, 19:30 in der Lichtenbergschule Darmstadt

Neo Profile:
Roland Dahinden Hildegard Kleeb Alexandre Babel

Holz, Mund, Ritual – Erzählen am Festival Archipel

Gabrielle Weber
‘Holz, Mund, Ritual, Besitz’. Keine übergreifende Gesamtthematik, sondern einzelne Motive prägen die diesjährige Ausgabe des traditionsreichen Genfer Neue Musik-Festival Archipel. Die künstlerischen Leitenden, Marie Jeanson und Denis Schuler, wollen Geschichten erzählen und unerwartete Begegnungen schaffen. Ein spielerischer, heiterer Zugang und das gemeinsame Erleben stehen dabei im Vordergrund.

Jeanson, Veranstalterin aus der experimentellen und improvisierten Musik, und Schuler, Komponist, kuratierten ihre erste gemeinsame Festivalausgabe 2021. Mitten in der Pandemie online, zwar (erfolg-)reich an Konzerten und Begegnungen von Musikschaffenden, aber ohne Live-Publikum. Dieses Jahr wird nun das Stammhaus des Festivals, die ‘Maison communale de Plainpalais‘, an zehn Tagen rund um die Uhr be-spielt und gleichzeitig zum Ort der Begegnung. Nebst dem umfangreichen Konzertprogramm – mit Composer in residence Clara Jannotta oder einem Fokus Alvin Lucier- gibt es Klanginstallationen, gemeinsame, von Musikschaffenden zubereitete Mahlzeiten, nächtliche salons d’écoute, wo Mitwirkende ihre Lieblingsstücke über Dolby-Surround-System vorstellen, oder Talkrunden und Vermittlungsateliers. Daneben ist ein durchgängiges Festivalradio zu hören und gibt es zahlreiche weitere Veranstaltungen, verteilt über die ganze Stadt.

 

Die Motive ziehen sich dabei als verborgener roter Faden durchs gesamte Festival. Eng in die Festivalkonzeption involviert sind verschiedene Komponierende. Sie spinnen aus den Motiven ihre je eigenen Geschichten. Beispielsweise die Genfer Komponistin Olga Kokcharova. Mit ihr unterhielt ich mich in Genf zu ihrem mehrteiligen Festivalprojekt ‘sculpter la voûte‘ – den Harz formen.

 

Portrait Olga Kokcharova, zVg. Festival Archipel

 

 

“Wir haben die Verbindung zur Umwelt verloren – durch Klang lässt sich diese wiederherstellen”, sagt Olga Kokcharova. Die zarte, fast scheu wirkende Komponistin klangmächtiger Natur-Soundscapes widmet sich in ihrem zentralen Festivalprojekt dem Motiv des Holzes.

Sculpter la voûte basiert auf mehrjährigen Forschungen, in denen sich Kokcharova mit dem Wachstum von Bäumen in Tessiner Wäldern beschäftigte. Dabei nimmt sie sowohl Holz als Klangerzeuger als auch den Wald als Bedingung für menschliche Kultur unter die Lupe.

Im Frühling 2021 zeichnete Kokcharova in einem Naturreservat im Tessin Klänge auf. Da hört man die physiologische Aktivität der Bäume. Das sind fast brutale, rohe Klänge – tiefe Sonoritäten, Knacken. Man spürt, dass da Kräfte im Spiel sind, die weit über das Menschliche hinausgehen”, sagt Kokcharova.

Kokcharova stammt ursprünglich aus Sibirien und wanderte im Alter von 16 Jahren in die Schweiz aus. Sie habe da einen regelrechten Kulturschock erlebt, aber auch einen Inspirationsschub. Denn in Sibirien sei sie von Natur umgeben, fern von Städten aufgewachsen und hätte nichts über die europäische Kultur erfahren.

In Genf studierte sie zunächst Architektur, Design und Bildende Kunst, dann Klavier und Komposition. Klang sei ihr von Anfang an wichtig gewesen. Heute arbeitet sie insbesondere mit Klängen aus der Natur, mit field recordings, und integriert diese in Konzertkompositionen, in Installationen, Soundwalks, Klangperformances oder auch in Filmmusik, für Festivals und Institutionen im In- und Ausland.

 


Olga Kokcharova und Antoine Läng, Venera, 2018

 

Kokcharova geht es in ihren Arbeiten immer um grössere Zusammenhänge, um die Beziehungen zwischen dem Menschen und der Umwelt.

 

Knacken von Bäumen beim Wachstum – rohe, brutale Klänge

 

In der Uraufführung von Sculpter la voûte– ‘altération’ (Veränderung) für verstärktes Lautsprecherdispositiv, einer Auftragskomposition des Festivals und gleichzeitig dem ersten Teil ihres Projekts, führt sie die im Tessin aufgenommenen Klänge in einem Lautsprecherorchester zusammen. Realitätsnah verräumlicht wird der Waldklang dabei durch ein Ambisoniksystem, einen raumumspannenden ‘Dom an Lautsprechern’, erstellt in Zusammenarbeit mit der ZHdK Zürich. Dieses wird am Festival auch für andere Konzerte eingesetzt, bspw. für die Schweizer Erstaufführung von Luis Naóns Streichquartett mit électronique ambisonique, aufgeführt durch das Quatuor Diotima am Vorabend.

Kokcharova ergänzt diese ambisonics hingegen durch ein Akusmonium, ein System aus zusätzlichen Lautsprechern, wodurch sie den Klang mit ‘altérations’ stark verfremdet.

“Es ist, wie wenn ich den Wald auferstehen lasse. Man ist direkt in Kontakt mit dem Klang des Lebens, das ihn bevölkert: man fühlt sich mittendrin.”

 

Der Wald ist für Kokcharova kein Ort der Erholung, sondern im Gegenteil ein Ort der höchsten Konzentration, ein Ort, der die Verbindung schafft zu Dingen, die wir nicht verstehen. Darauf macht sie durch die Verfremdungen in ihrem Stück aufmerksam.

 


Olga Kokcharova, Mixotricha Paradoxa – part II, 2019

 

 

Performance installatique et sensorielle

 

Als Performance installatique et sensorielle betitelt Kokcharova den zweiten Teil von Sculpter la voûte –  ‘auscultation‘ (Auskultivierung), eine Zusammenarbeit mit dem Ensemble Contrechamps Genève. Kokcharova zeichnet in ihrer Installation den Klangweg des Holzes nach: vom lebenden Baum, der durch die Zirkulation des Safts in Schwingung versetzt wird, bis hin zum Tonholz, das in den Händen des Geigenbauers zum Instrument wird und dann gemeinsam mit dem Körper eines Musikers vibriert. Und das spürbar, im wahrsten Sinne des Wortes. Je eine ‘Musiker:in des Genfer Ensemble Contrechamps spielt jeweils für eine einzelne Zuhörer:in. Diese:r kann dabei das Instrument ertasten, seinem Klang und seiner Vibration nachspüren, und so ihre je eigene expérience vibratoire erleben.

 

 

Pour entendre le son on a besoin de la matière..

 

Klang, das ist Vibration: das ist unsere Verbindung zur Welt, meint Kokcharova. Und um Klang zu hören, brauche es Materie, bspw. Holz: diese Verbindung schafft für Kokcharova auch einen grösseren Zusammenhang, der uns im Verborgenen präge: «Wenn man über die Menschheitgeschichte spricht, geht es immer um den Menschen mit Werkzeugen und Tieren. Pflanzen werden nicht erwähnt – aber ohne die Pflanzen wäre der Mensch nichts”. Ihr gehe es darum auf zu zeigen, wie andere Lebensformen -in diesem Falle die Bäume-  alle Facetten unseres Lebens, und auch unsere kulturelle Produktion beeinflussen.

Mensch und Natur stehen seit jeher in Beziehung, sagt Kokcharova. Und so erzählt sie in ihrem Festivalprojekt eine etwas andere, sehr persönliche Geschichte vom Holz und vom Menschen.
Gabrielle Weber

 

Olga Kokcharova, Lutherie Guidetti, Locarno

 

Festival Archipel Genève: 1.-10.April Genf

Clara Ianotta, italienische Komponistin ist artist en residence und am gesamten Festival anwesend.

Alvin Lucier, dem 2021 verstorbenen US-Elektropionier ist eine Hommage mit drei Performance-Installationen gewidmet.

Antoine LängQuatuor Diotima, Denis Schuler, Marie Jeanson

 

Erwähnte Veranstaltungen:
Samstag, 2.4.: UA Olga Kokcharova ‘Sculpter la voûtealtération’, und’Mycenae Alpha‘ von Iannis Xenakis (1978), zu Ehren von dessen 100jährigem Geburtstag, Olga Kokcharova am’système ambisonique‘.

3.-10.April: Olga Koksharova: Sculpter la voûte –  ‘auscultation‘:

Samstag, 9.4., 14h: Gespräch ‘arbre, bois, vibration, transmission‘ mit Ernst Zürcher, Schriftsteller, und Christian Guidetti, Laute.

 

Sendungen SRF 2 Kultur:
in: Musikmagazin, Sa, 2.4.22, 10h /So, 3.4.20h, von Benjamin Herzog: Café mit Olga Kokcharova, Redaktion Gabrielle Weber
Musik unserer Zeit, Mi, 22.6.22, 20h/Sa, 25.6.22, 21h: Erzählen am Festival Archipel Genève 2022, Redaktion Gabrielle Weber

Profile neo-mx3:
Festival Archipel, Olga Kokcharova, Contrechamps, Luis Naon

un projet est avant tout une rencontre..

Der Genfer Komponist, Interpret und Kurator Alexandre Babel erhielt einen der Schweizer Musikpreise des Bundesamts für Kultur 2021. Am 17. September findet die feierliche Preisübergabe in Lugano statt. Im Gespräch erzählt Babel was er unter Komposition und Kuration versteht und wie er diese Tätigkeiten verwebt.

 

Portrait Alexandre Babel © Felix Brueggemann 2021

 

Gabrielle Weber
Alexandre Babel, Perkussionist, Komponist und Kurator, bewegt sich auf Avantgarde-Konzertbühnen, an Jazzfestivals, in Galerien und an Kunstbiennalen. Zwischen Berlin und Genf verbindet er klassische Avantgardemusik, Klangkunst, experimentelle Improvisation und Performance.

Es gebe so viele Arten zu komponieren, wie es Komponierende gebe, sagt Alexandre Babel. Komponieren umschreibt er deshalb lieber mit “Organisation von Klängen in Zeit und Raum”. Diesem Kompositionsverständnis sei auch das Kuratieren nahe. “Auch hier geht es darum, dass man existierende Klangobjekte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit in Bewegung bringt und diese Objekte dann mit anderen Objekten in Verbindung setzt”.

Komponieren und Kuratieren: das sind für Babel verschiedene Seiten ein und derselben Tätigkeit. Babel kreiert, konzipiert, inszeniert, vernetzt und interpretiert.

Alexandre Babel, 1980 in Genf geboren, fand durch seinen ersten Schlagzeuglehrer in Genf zunächst zum Jazz. Anschliessend spezialisierte er sich in New York bei Jazzlegenden wie Joey Baron oder Jeff Hirshfield weiter und spielte in verschiedenen Formationen. „Am Jazz faszinierte mich nicht nur die Ästhetik, sondern vielmehr wie Musiker miteinander umgingen, um Musik zu kreieren. Das Mischen von Repertoire und Improvisation: das war für mich die Basis des Musikmachens“.

Gleichzeitig angezogen von der klassischen musikalischen Avantgarde, wechselte er bald zum klassischen Schlagzeug und fand, zurück in Europa, zur Komposition. John Cage, Morton Feldman, Alvin Lucier, Heiner Goebbels oder Helmut Lachenmann waren dann für Babels kompositorischen Weg wegweisend.

Bereits in ersten Stücken wie music for small audiences für kleine Trommel solo, setzt er sich dabei insbesondere auch mit der Rolle des Interpreten auseinander. “Mit Music for small audiences begann eine eigentliche Liebesgeschichte mit der kleinen Trommel”, meint Babel.

 


In einem seiner ersten Stücke, ‘music for small audiences’ erkundet Alexandre Babel neue Klänge für kleine Trommel solo und rückt die Rolle der Perkussion im Musikbetrieb in den Fokus.

 

Interpret – Improvisator – Komponist

 

Als Schlagzeuger ist Babel heute vielgleisig unterwegs: als feiner leiser Improvisator, als lauter experimenteller Drummer bspw. mit der Band „Sudden infant“ im Duo mit Joke Lanz oder als Interpret zeitgenössischen Schlagzeugrepertoires in diversen Formationen.

Gleichzeitig komponiert und kuratiert er und entwickelt Projekte für eigene Formationen wie bspw. das Berliner Kollektiv Radial, zusammen mit der Videokünstlerin Mio Chareteau.

„Musikmachen sehe ich als mehrere Prozesse. Der erste ist das ‚Denken‘ von Musik, also das Komponieren, dann die Übermittlung an jemanden, der die Musik realisiert, und zuletzt das Aufführen für ein Publikum: mich faszinieren alle diese Prozesse“, meint Babel.

Alle seine Tätigkeiten verbindet das Zusammendenken von Kreation und Interpretation und auch ein Interesse am Visuellen, am Raum und am Performativen.

 

“Was möchte ich sehen und was möchte ich hören..”

 

Komponieren beginnt für Babel immer mit einer Begegnung oder ist gar eine Begegnung. So entstehen Babels Kompositionen meistens konkret für Musikschaffende.

Die InterpretInnen hat er dabei immer vor Augen und lässt sich -nicht zuletzt- auch durch ihre Bewegungen, ihre Gesten beim Spiel inspirieren. Im Stück The way down für das Duo Orion bspw. ging Babel vom gemeinsamen Musizierens des Duos aus und inszenierte dieses akustisch und auch performativ.

 

Alexandre Babel, The way down pour violoncelle et piano, Duo Orion (Gilles Grimaître, piano, Elas Dorbath, Cello) 2020

 

 

«Am Anfang eines Projekts stelle ich mir die Frage: ‘Was möchte ich sehen und was möchte ich hören’: Das Visuelle ist für mich genauso wichtig wie das Klangliche. Das Duo Orion hat bspw. eine besondere Körperlichkeit beim Musizieren. Ich entwickelte für das Duo ein Stück, in dem die Gesten fast sportlich sind. Es entstand fast ein Tanz oder eine Choreografie», sagt Babel.

 

Kuratieren als permanenter Dialog

 

In idealer Weise seien seine drei Tätigkeiten, Komposition, Interpretation und Kuration in der künstlerischen Leitung des Festival les amplitudes (La-Chaux-de-Fonds, Herbst 2020) zusammengekommen, sagt Babel. „Ich hatte hier die Chance alle meine Aspekte innerhalb eines Objekts -das Festival und gleichzeitig die Stadt La Chaux-de-Fonds – zu verbinden: Ich dachte das Festival als eine Riesen-Komposition aus einzelnen Teilen – einer Kunstausstellung, Liveperformances, Drum Sets und Kompositionen für den Raum. Daraus bildete sich eine neue Einheit“.

Seit 2013 leitet Babel das Perkussionsensemble Eklekto Geneva Percussion Center. Es besteht aus zirka 20 MusikerInnen in loser Zusammensetzung. “Eklekto bietet für mich eine Gelegenheit, ungewöhnliche Perkussionssituationen zu entwickeln”. Alle Projekte entstehen in engem Austausch und Zusammenarbeit mit den Komponierenden und den MusikerInnen. “Kuratieren ist ein permanenter Dialog mit den beteiligten Musikschaffenden”.

 

Aufmerksames Hören

 

Pauline Olivero’s Stück Earth ears, ein sog ‘Sonic Ritual‘ von 1989 für freie Besetzung, sei charakteristisch für sein Verständnis von Kuratieren, meint Babel: „Die Musiker spielen nach dem Gehör. Es gibt keine geschriebene Partitur. Man muss sich selbst und auch dem ganzen Ensemble zuhören und darauf reagieren. Im Stück geht’s um Klang, um Raum und ums aufmerksame Zuhören: das ist für mich die Basis des Musikmachens”, sagt Babel.

 


Pauline Oliveros’ ‘Earth ears’, ein ‘Sonic Ritual’ und offen zu interpretierendes Stück von 1989, ist charakteristisch für Babels Ansatz des Kuratierens.

 

Wichtig ist für Babel zudem sein grosses Perkussionsensemble mit 15 Schlagzeugern aus dem Eklekto-Pool. „Wir haben klare Regeln: wir spielen auswendig und es wird nicht dirigiert: das Spielen ohne Leader schafft eine enorme Energie und Präsenz und eröffnet gleichzeitig neue Kommunikationswege, fast schon auf radikale Weise“.

 

Choeur mixte’ reflektiert das klassische Setting von Kammermusik und rückt zugleicht das oft unterschätzte klassische Orchester-instrument ‘kleine Trommel’ in ein neues solistisches Licht. Eine weitere Liebeserklärung an die kleine Trommel.

 

Im Stück ‘choeur mixte’ für 15 kleine Trommeln, spielen die Perkussionisten ihre Instrumente stehend, zu einem Keil formiert, im Lichtspot auf leerer Bühne. Sie agieren stark aufeinander bezogen: das Stück strahlt eine Kraft als Gruppe und gleichzeitig Eigenverantwortung der einzelnen InterpretInnen aus.

 

Musik ohne Klang

 

Aktuell arbeitet Babel u.a. an einem Kompositionsauftrag für die Kunstbiennale Venedig 2022. Zusammen mit der Schweiz-basierten franco-marokkanische Bildenden Künstlerin Latifa Echakhch gestaltet er den Schweizer Pavillon. Babel sieht sich dabei mit einer speziellen Herausforderung konfrontiert: Echakhch wünschte sich von Babel eine Komposition ohne realen Klang. „Das ist für mich eine wichtige und besondere Aufgabe: durch den gemeinsamen Kreationsprozess nähern wir uns Lösungen an, wie Musik ohne Klang klingen kann“, sagt Babel. Momentan entstehen dafür kurze Musikstücke, die die Basis bilden für die finale Musik der Stille.
Gabrielle Weber

 

Portrait Alexandre Babel ©Felix Brueggemann (2021)

 

Am Freitag, 17. September 2021, findet die feierliche Preisverleihung im Lugano Arte e Cultura (LAC) in Lugano statt. Am Wochenende treten einige der PreisträgerInnen im Rahmen des Longlake Festival Lugano auf.
Der diesjährige Grand Prix musique ging an Stephan Eicher. Die weiteren PreisträgerInnen: Alexandre Babel, Chiara Banchini, Yilian Canizares, Viviane Chassot, Tom Gabriel Fischer, Jürg Frey, Lionel Friedli, Louis Jucker, Christine Lauterburg, Roland Moser, Roli Mosimann, Conrad Steinmann, Manuel Troller, Nils Wogram.

 

Konzerte Alexandre Babel:
Sonntag, 19.9.21, 10:30h Studio Foce, LAC:
Alexandre Babel e Niton +ROM visuals

23.4.-27.11.2022 Biennale Arte Venezia:
Alexandre Babel & Latifa Echakhch @Swiss Pavillon

Joke Lanz, Joey BaronJeff Hirshfield, Pauline Oliveros, Biennale Arte 2022, John Cage, Morton Feldman, Alvin Lucier, Heiner Goebbels, Helmut Lachenmann, Latifa EchakhchKollektiv Radial, Mio Chareteau, Elsa Dorbath

 

Sendungen SRF 2 Kultur:
in: Musikmagazin, 18./19.9.21: Alexandre Babel – Träger BAK-Musikpreis 2021 im Gespräch mit Gabrielle Weber, Redaktion Annelis Berger

Musik unserer Zeit, 16.6.21: Alexandre Babel – Perkussionist, Komponist, Kurator, Redaktion Gabrielle Weber

neoblog, 14.10.2020: La ville – une composition géante, Text Anya Leveillé

 

Neo-Profiles:
Alexandre Babel, Les amplitudes, Eklekto Geneva Percussion Center, Duo Orion, Gilles Grimaître

 

 

“partage de l’écoute”

Archipel, das Genfer Festival für zeitgenössische Musik, findet statt: live on stream vom 16. bis zum 25.April. Archipel sous surveillance, das Festival-Web-TV, bringt das Festival live ins Zuhause des Publikums.

 

Benoît Renaudin, 1000 flûtes, installation sonore, maison communale de plainpalais ©zVg Festival Archipel

 

Gabrielle Weber
2020 war in mancher Hinsicht ein besonderes Jahr für das legendäre Genfer Festival. Nach langjähriger Intendanz des Musikwissenschaftler Marc Texier trat ein neues Intendantenduo an. Marie Jeanson -sie stammt aus der experimentellen und improvisierten Musik- und Denis Schuler -er ist Komponist und künstlerischer Leiter des Genfer Ensemble Vide- wollen das Festival umkrempeln.

Das neue Intendantenduo erklärte mir im letzten Frühjahr, kurz vor dem geplanten Start, seine Vision des idealen Festivals. In einer eintägigen Carte Blanche sollte diese Vision exemplarisch umgesetzt werden.

Das Festival fiel als eines der ersten dem ersten Lockdown zum Opfer.
Dieses Jahr findet es online statt.

 

 So präsentierten Marie Jeanson und Denis Schuler sich und ihre eintägige Carte blanche, geplant für ihre erste Festivalausgabe 2020. Video Genf März 2020 ©neo.mx3

 

Die Vision von Jeanson und Schuler hörte sich an wie ein Fünf-Punkte-Plan: wie steht es nun damit? Was wurde -trotz Pandemie und Streaming- umgesetzt? Ich nahm unser Gespräch nochmals hervor… Ein Abgleich zeigt die Schnittmenge:

 

Der fünf-Punkte-Plan von 2020 – das Festival 2021: ein Vergleich

La musique c’est fait pour être vécue ensemble

2020: Alles ist eine Einheit – Musik und Leben gehören zusammen. Die Carte Blanche sollte einen ganzen Tag dauern, alles an einem Ort stattfinden -in der maison communale de Plainpalais-, und Gastfreundschaft mit gemeinsamen Mahlzeiten und Gelegenheiten zum Austausch im Zentrum stehen. Denn: “Musik ist da, um zusammen gelebt zu werden”, sagt Schuler.

2021: Umgesetzt ist die Einheit von Leben und Musik in Archipel sous surveillance’. Das experimentelle Festival-Web-TV begleitet on- &backstage hautnah vor Ort und bringt das Festival ins Wohnzimmer des Publikums, täglich von 12h-00h. Das Publikum lebt -wenn es möchte- mit dem Festival.. 

  

Archipel sous surveillance ©zVg Festival Archipel

 

‘cohérence poétique’

2020: Das Festival will sich in Zukunft weniger auf die Musikschaffenden als auf das Publikum ausrichten. “Wir möchten einen Rahmen schaffen, wo man berührt wird durch eine poetische Kohärenz. Wir erzählen Geschichten und möchten in den Menschen ein Begehren wecken, wiederzukommen”, sagt Jeanson.

2021: Vier Klanginstallationen bespielen vier Räume der Maison communale de Plainpalais. Sie sind während des ganzen Festivals online begehbar. Das charakteristische, historische Festivalstammhaus ersteht online neu und bildet einen durchgängigen poetischen Raum zwischen Fiktion und Realität.. 

 

Benoît Renaudin, 1000 flûtes, installation sonore, maison communale de plainpalais ©zVg Festival Archipel

 

‘faire exister la création’

2020: Am Festival-Wettbewerb um die meisten und besten Uraufführungen will Archipel nicht (mehr) mitmischen. “Vielen geht es ja nur darum, die ersten zu sein, die irgendetwas tun oder zeigen”, sagt Schuler. Dem Intendantenduo geht es aber darum, “die Kreation lebendig zu erhalten”. “Uns interessiert die Mischung von Komposition mit dem was direkt im Moment entsteht.

2021: Komposition und Improvisation begegnen sich an vielen Konzerten. Bspw. die Improvisatorin Shuyue Zhao und das Basler Ensemble neuverBand. Zhao hinterfragt in ihren Performances die Rolle der Interpretin und arbeitet mit Live-Elektronik, noise und Improvisation. Werke u.a. von Sofia Gubaidulina oder Junghae Lee, interpretiert vom Ensemble neuverBand, bilden zusammen mit Zhaos Improvisationen ein neues Ganzes.

 


Shuyue Zhao: noise fragments, 2019

 

‘partage de l’écoute’

2020: Auch Transdisziplinarität steht nicht im Zentrum des künftigen Festivals. Vielmehr geht es um das ‘reine Hören’. “Wir möchten einen besonderen Rahmen schaffen, in dem das konzentrierte Hören im Zentrum steht”, so Jeanson. Konzentration schaffe eine besondere Präsenz, die paradoxerweise der Stille nahekomme. “An der Carte Blanche gibt es bspw. ‘Salons d’écoute‘, Räume für das reine Hören also, mit Klangdiffusionssystem (Acousmonium) und Soundingenieur. Wer will bringt eine eigene CDs zum gemeinsamen Hören und Besprechen mit”.

2021: die salons d’écoute finden etwas anders statt: CDs können zwar nicht mitgebracht werden. Aber jeden Mittag um 12h gibt es sogenannte ‘partages d’écoute’ an denen ein*e Komponist*in seine/ihre Hörschätze (mit)teilt. Bspw. lassen sich da gemeinsam mit dem Komponisten Jürg Frey oder der Komponistin-Sängerin Cassandra Miller ihre Trouvaillen entdecken.

 

Rencontres à l’improviste – Unverhoffte Begegnungen

2020: Musikschaffende, die sich vorher nicht kannten, werden von den Kuratoren zusammengeführt. “Wir provozieren Begegnungen und schaffen den Rahmen: die Musiker*innen können in einem gegebenen Zeitrahmen spielen, was und wo sie wollen. Sie entscheiden kurzfristig, so dass das Publikum überrascht wird”, meint Schuler.

2021:  Insub.distances#1-8  verlinkt remote Musikschaffende. Cyril Bondy, der Leiter des Genfer Insub Meta Orchestra und d’Incise, Träger eines Schweizer Musikpreises 2019, initiierte das Projekt für Archipel’21. Dabei komponierten vier Genfer und vier internationale Komponierende je ein Stück für ein Duo: im harten Genfer Lockdown, von September bis Dezember 2020. Alle haben Nähe und Distanz zum Thema. Die Stücke wurden remote geprobt, eingespielt und online gestellt. Nun sind sie alle verteilt übers ganze Festival zu hören.


Insub Meta-Orchestra / Cyril Bondi & d’incise: 27times, 2016

 

Erstaunlich, wie passgenau sich Marie Jeansons und Denis Schulers im Kleinen angelegte Festivalvision nun im Grossen wiederfindet. Und das trotz Pandemie und Streaming.
Gabrielle Weber

 

Festival Archipel Teaser 2021

 

Das Genfer Festival Archipel findet vom Freitag, 16. bis zum Sonntag, 25. April statt. An zehn Tagen treten internationale Interpret*Innen und Ensembles wie Ensemble Ictus, Collegium Novum Zürich, ensemble Contrechamps, Eva Reiter mit Werken von u.a. Clara Iannotta, Alvin Lucier, Jürg Frey, Helmuth Lachenmann, Eliane Radigue, Cassandra Miller, Morton Feldman, John Cage oder Kanako Abe auf. Alle Konzerte sind per Stream kostenlos zugänglich.

Archipel sous surveillance sendet täglich von 12h-24h durchgehend von allen Austragungsorten, back- und onstage. Beteiligt sind die Genfer Filmcrew Dav tv und das alternative Fernsehen neokinok.tv.

 

Sendungen:
RTS:
Le festival Archipel met à l’honneur les musiques experimentales
SRF 2 Kultur:

neoblog, 12.3.2020Ma rencontre avec le future – ANNULÉ, Gabrielle Weber im Gespräch mit dem Intendantenduo Jeanson/Schuler.

Neo-Profiles: Festival Archipel, Shuyue Zhao, Jürg Frey, Insub Metha Orchestra, Ensemble Batida, Ensemble Contrechamps, Patricia Bosshard, d’Incise

reclaim postmodernity – ABGESAGT!

Patrick Frank, Komponist und Kulturwissenschaftler, kuratiert als Gast die laufende Saison des Zürcher Ensemble Tzara. Dabei heraus kam eine sogenannte ‘Metakomposition’, die sich über die drei Konzerte der Saison erstreckt und laufend entwickelt: ein Konzert in drei Teilen also. Am 21. März 2020 steht nun der dritte Teil in der Gessnerallee an: “Das Glück des Nein-Sagens – reclaim postmodernity”.

Ensemble Tzara / Simone Keller, Das Glück des Ja-Sagens, Teil 1 © Chris Müller

Gabrielle Weber
Instrumentale Stücke fürs gängige Konzertsetting zu schreiben ist seine Sache nicht. Vielmehr denkt Patrick Frank gründlich über den Musikbetrieb nach und rüttelt mit seinen Werken an den Grundfesten heutigen zeitgenössischen Musikschaffens. Denn er erklärt nicht nur komponiertes musikalisches Material zum Werk sondern genauso sehr den zugehörigen Kontext wie bspw. den gesellschaftlichen Rahmen oder die Aufführungsgegebenheiten. Und oft ist auch das Publikum an seinen Stücken beteiligt oder sind die Musikerinnen als Performer im Einsatz.

Von Frank selbst ist denn auch kaum etwas zu hören. Seine ‘Metakomposition’ für das Ensemble Tzara liegt in der Idee, dem Konzept, vergleichbar einem Werk der visuellen Konzeptkunst. Als Gastkomponist lud Frank den norwegischen Komponisten Trond Reinholdtsen ein, gleichfalls bekannt fürs intelligent-humoristische Hinterfragen des institutionellen Musikbetriebs. Und auch Reinholdtsens Musik liegt mehr im Konzept als in der Musik.


Trond Reinholdtsen, Ensemble Tzara, Unsichtbare Musik 2009

Zum Klingen kommen durch Tzara hingegen Werke u.a. von Franz Schubert, Galina Ustwolskaia, Arvo Pärt oder Alvin Lucier. Dazu gibt’s Texte von Hugo Ball, Tristan Tzara und natürlich Nietzsche. Alles wohl koordiniert von Frank und Reinholdtsen aus dem Off.

Unter dem Titel “Das Glück des Ja-Sagens” verwebt Frank seine Metakomposition mit der Philosophie Friedrich Nietzsches. Die drei Teile spielen in einem Zürcher Stadtwald, einer Privatwohnung und schliesslich im Theaterhaus Gessnerallee: die Spielorte stehen für die ‚Sphären’ Natur, Privatheit und Öffentlichkeit. Aber auch für Schlüsselbegriffe des Philosophen.

Achtstündige Performance

Publikumsumfragen im jeweils vorangehenden Teil bestimmen die Ausgestaltung der weiteren Teile massgeblich. Das Resultat der ersten Befragung stellte Frank dann anhand einer Powerpoint Präsentation im Teil zwei vor. Das Fazit: “Der Wunsch nach mehr Musik, mehr Performance und mehr Struktur führte zu einer durchstrukturierten achtstündigen Performance”.

“Nicht enden wollend….” war denn auch eine der Hauptregieanweisungen des langen Abends in einer Privatwohnung in Zürich, in der das Publikum in die Rolle von Mitbewohnern schlüpfte. Die vermeintliche Privatheit aber war aufgrund von Franks Meta-Komposition gänzlich durchgetaktet. Die acht Stunden waren präzise in verschiedene Aktionen gegliedert, und das Involvieren des Publikums mit ein kalkuliert.

Trond Reinholdtsen, UA Ensemble Tzara, Das Glück des Ja-Sagens, Teil 2 © Chris Müller

Von Reinholdtsens war/ist gleichwohl eine mehrteilige ‘Welturaufführung’ (für Streichquartett und Video) zu erleben: War Teil eins diffus im Wald verteilt, fand diese in Teil zwei in einem äusserst kleinen Raum statt: “Die klaustrophobische Stimmung gehört zum Stück”, so Reinholdtsen. Auch da ging es weniger um die Musik als um das gemeinschaftliche, etwas gruselige Erlebnis.

Im Ausgang offene Beziehungsgeschichte

Auch eine dreiteilige musikalische Beziehungsgeschichte verbindet die Teile als roter Faden: Das Konzept von Reinholdtsen, die Musik von Arvo Pärt, das Paar gespielt in Personalunion vom Performer Malte Scholz.


Patrick Frank / Trond Reinholdtsen, Ensemble Tzara, Arvo Pärt / Spiegel im Spiegel, Das Glück des Ja-Sagens, Teil 1

Der Schluss einer Folge verweist jeweils auf den nächsten Teil. Gegen Ende von Teil zwei entfacht ein ‘falsch’ gewähltes Geschenk einen Disput (Mann zur Frau, das von ihr geschenkte Hemd kommentierend: “Schatz, du weisst doch, dass ich keine Karoos mag..“). In der Folge wird dem vom Mann der Frau mitgebrachten Ring seine naheliegende Bedeutung bis auf Weiteres vorenthalten. Sie: “ein Ring: heisst das etwa…?” Er: “Ich bin mir nun nicht mehr so sicher, ich muss darüber nachdenken. Ich sage es dir dann im Teil drei”.

Wie die Geschichte weiter geht und was genau zu hören sein wird, ergibt sich aus einer Umfrage im Teil zwei. Die Fortsetzung wird sicherlich auch mit Nietzsche zu tun haben…

Und: der Erfolg von Teil zwei war so überwältigend, dass Frank bereits eine längere Weiterführung des Projekts ankündigte.
Gabrielle Weber

Am 21. März in der Zürcher Gessenerallee erfahren Sie mehr: Ensemble Tzara, Saison 19/20, Teil 3, Das Glück des Nein-Sagens – reclaim postmodernity.

Patrick Frank, Das Glück de Ja-Sagens, Teil 2 © Chris Müller

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Gessnerallee Zürich, 21.3.20, 20h: “Das Glück des Nein-Sagens – reclaim postmodernity

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Neoblog: Kuration als Meta-Kompostition: Das Glück des Ja-Sagens

Neo-profiles: Ensemble Tzara, Patrick Frank, Simone Keller