Musik und Leben als Einheit

Es sind viele Rollen, in denen Roland Dahinden auftritt: als Komponist, Posaunist, Klangkünstler, Improvisator, Dirigent… Bei den diesjährigen Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik stellt er Werke des US-amerikanischen Komponisten Anthony Braxton vor, mit dem ihn eine langjährige Zusammenarbeit verbindet.

 

Roland Dahinden mit zum Dirigieren erhobenen Hand vor schwarzem Hintergrund
Roland Dahinden. Foto: Marek Bouda

 

Friederike Kenneweg
Von morgens bis abends auf unterschiedliche Art mit Musik erfüllt – so kann man sich wohl den Alltag von Roland Dahinden vorstellen. Zwei Stunden sind immer für seine Posaunenetüden reserviert, denen er sich schon seit nunmehr 40 Jahren täglich widmet. Eine Zeit der vollen Konzentration auf sein Instrument, in der nichts anderes Platz hat. “Das ist etwas, auf das ich mich jeden Tag freue”, sagt Dahinden. “Und danach freue ich mich genauso darauf, die Partitur aufzuschlagen, die als nächstes dran ist, oder an meinen Kompositionen zu arbeiten, zu proben, oder was sonst gerade auf dem Plan steht. So hat alles seinen Platz.”

 

Roland Dahinden und HIldegard Kleeb, fotografiert von Gary Soskin
Roland Dahinden und Hildegard Kleeb. Foto: Gary Soskin

 

Ein Duo seit langem: Dahinden/Kleeb

Wenn er zu Hause ist, sind da außerdem meistens Klavierklänge, wenn seine Ehefrau, die Pianistin Hildegard Kleeb, für die nächsten Auftritte übt. Schon seit 1987 spielen die beiden als Duo miteinander, aber auch in verschiedenen Trio-Konstellationen, zum Beispiel mit dem Perkussionisten Alexandre Babel oder dem Elektromusiker Cameron Harris. Und beide verfolgen dazu auf unterschiedliche Weise ihre jeweilige Solokarriere, spielen aber auch noch in ganz anderen Projekten oder Konstellationen zusammen.

“Wir sprechen über Musik, wenn wir morgens aufstehen, und oft auch noch, wenn wir abends schlafen gehen”, erzählt Roland Dahinden. “Das ist sehr wertvoll, dass man diese Begeisterung so lange mit jemandem teilen und das gemeinsam leben kann.”

 

Das Stück “Panorama” für Posaune und Klavier von Alvin Lucier aus dem Jahr 1993, gespielt vom Duo Dahinden/Kleeb

 

Begegnungen mit Anthony Braxton, Alvin Lucier, John Cage

Gemeinsam mit Hildegard Kleeb erlebte Roland Dahinden in den 1990er Jahren eine für ihn sehr prägende Zeit in den USA. Denn von 1992 bis 1995 konnte er an der Wesleyan University als Assistent von Alvin Lucier und Anthony Braxton arbeiten und deren besondere Herangehensweise an Klangkunst, Improvisation und Jazz genau kennen lernen. Dass dieser Aufenthalt überhaupt möglich war, verdankte er der Fürsprache keines geringeren als John Cage, der für das Duo Dahinden/ Kleeb 1991 mit Two5 sogar ein eigenes Werk komponierte.

 

Anthony Braxton und Roland Dahinden, fotografiert von Marek Bouda
Anthony Braxton und Roland Dahinden. Foto: Marek Bouda

 

Dirigieren in Prag

Sein guter Kontakt zu Anthony Braxton und die genaue Kenntnis seiner Musik, die sich zwischen fixierter Musik und Improvisation bewegt, führten dazu, dass Roland Dahinden im Jahr 2021 mit dem Prague Music Performance Orchestra  einige von Braxtons Stücken aus der Serie der Language Type Music einstudierte. Und das Ensemble, selbst in seiner Ausrichtung zwischen auskomponierter zeitgenössischer Musik, Improvisation und Jazz angesiedelt, war mit der Zusammenarbeit so zufrieden, dass sie ihn als festen Dirigenten anfragten. Die 55 Musiker:innen des Ensembles stehen alle auch noch mit eigenen musikalischen Projekten in der Öffentlichkeit und bringen je eigene Ansätze und Herangehensweisen mit. Diese zu einem Gesamtklang zusammenzuführen, ist immer wieder eine Herausforderung, sagt Dahinden – aber eine, der er sich nur zu gerne stellt.

 

 

Anthony Braxton in Darmstadt

In diesem Jahr widmet sich das PMP-Orchester unter der Leitung von Roland Dahinden der Uraufführung eines Monumentalwerks von Anthony Braxton: der Oper Trillium X. Die viereinhalbstündige Multimedia-Oper, an der Braxton über fünf Jahre gearbeitet hat, besteht aus vier Akten, und setzt sich mit den Auswirkungen des Turbokapitalismus auseinander – mit globalen Katastrophen,  mit nuklearen Bedrohungen und dem Zusammenleben von Mensch und Roboter.  Nach der ersten und auch erstmal einzigen Aufführung des Stückes am 1. August in Prag reist das Ensemble zu den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, um dort eine Aufnahme dieses großen Werkes zu realisieren. Beim Pre-Opening-Konzert in Darmstadt wird das PMP Orchestra unter der Leitung von Roland Dahinden dort eine Version der Language Music von Anthony Braxton zur Aufführung bringen. In Darmstadt hat Roland Dahinden außerdem noch einen Auftritt als Posaunist, wenn in einem eigens für diesen Anlass zusammen gestellten Ensemble das neue Stück Thundermusic von Anthony Braxton zur Uraufführung gebracht wird.

Nach diesem ereignisreichen Sommer soll es für Roland Dahinden dann erst mal wieder mit der Arbeit an eigenen Kompositionen weiter gehen. Sicher ist: der Alltag im Hause Dahinden/Kleeb bleibt weiter von Musik erfüllt, wie auch immer sie klingt. Und die nächste reizvolle Herausforderung lässt sicher nicht lange auf sich warten.
Friederike Kenneweg

 

Roland Dahinden Hildegard Kleeb PMP Orchestra Wesleyan University Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt

Termine:

5. August 2023: Language Music mit Anthony Braxton und dem PMP Orchestra unter der Leitung von Roland Dahinden, 17 Uhr, Edith-Steinschule, Darmstadt im Rahmen der Darmstädter Ferienkurse 2023

7. August 2023: Uraufführung von Thunder Music von Anthony Braxton, u.a. mit Roland Dahinden an der Posaune, 19:30 in der Lichtenbergschule Darmstadt

Neo Profile:
Roland Dahinden Hildegard Kleeb Alexandre Babel

GRiNM? = [GRiNäM]!

GRiNM Network-Conference: Experiences with Gender and Diversity in New Music – ZHdK, 14.-16. November 2019

GRiNM ©Berliner Festspiele

Gabrielle Weber
GRiNM – ‘Gender Relations in New Music’ – steht für ein internationales Kuratorenkollektiv mit Basis in Berlin. Im Anschluss an ein offenes Diskussionsforum an den Darmstädter Ferienkurse 2016 entstanden, war es seither in gezielten Aktionen an zahlreichen Neue Musik-Festivals in ganz Europa präsent. In Zürich veranstaltet GRiNM nun erstmals eine dreitätige internationale Network-Konferenz zum Thema Gender und Diversity, zusammen mit dem Departement Kulturvermittlung (DKV) der ZHdK.

Brandon Farnsworth, GRiNM-Member und Kurator der Tagung, gibt im Gespräch Auskunft zu GRiNM und zur Network-Conference.

Wie erklären Sie das kryptische Kürzel GRiNM?

Wir sind ein heterogenes Kollektiv mit verschiedene Hintergründen und Haltungen. Wir setzen uns alle für ähnliche Sachen ein: wir repräsentieren und streben nach Diversität in der Neuen Musik und machen durch Aktionen auf unser Anliegen aufmerksam. Was uns verbindet ist unsere Unabhängigkeit: wir haben keine festen Anstellungen in diesem Bereich, sind keine rechtliche Organisation, beanspruchen keine Fördergelder für unsere GRiNM-Tätigkeit.

‘Musik und Kontext oder Form und Inhalt lassen sich nicht voneinander trennen.’

Woher stammt ihr Engagement für die Genderthematik?
Mein eigener Zugang ist eher intuitiv. Er kommt aus dem kuratorischen Blickwinkel: Wie verhalten sich die institutionellen Rahmenbedingungen und die musikalische Produktion zueinander? Was haben die Rahmenbedingungen für eine Auswirkung auf die musikalische Produktion?

Wofür steht in diesem Kontext der Begriff ‘Gender’?
Gender als Label ist ein Ansatzpunkt, der rein Zahlenmässig vieles reflektiert: 90% Männer – 10% Frauen, wenn’s hoch kommt 80%-20% als Faustregel für Lehraufträge, Repertoire in Konzertsälen, Kompositionsaufträgen an Festivals, usw.. Wenn wir Statistiken mit solchen Zahlen zur Diskussion stellten, führte das immer auch zu Themen wie Eurozentrismus, soziale Schicht, Einkommens- und Bildungsniveau. Gender beinhaltet Vieles, er bezieht sich nicht nur auf die Geschlechterfrage. Es gleichbedeutend mit Diversität, mit dem Infragestellen von postkolonialen Ausschlüssen oder einem Kanon, der geprägt ist durch gut gebildete weiße männliche Europäer aus reichen Ländern.

Donaueschingen Statistics mit freundlicher Genehmigung von GRiNM

‘Gender ist ein Sammelbegriff für verschiedene Arten von Ausschluss

Seit der Gründung von GRiNM 2016 sind drei Jahre vergangen. Die Genderbalance (bspw. in Donaueschingen) hat sich stark verschoben: hatte GRiNM einen Anteil an der Veränderung?

Das lässt sich nicht beweisen. Unsere Aktionen waren sicherlich wichtig. Wir veranstalteten einerseits auf Einladung Workshops, zweimal am Festival Maerzmusik Berlin 2017 und 2018, machten eine Stickeraktion mit der provokativen Forderung 50%-50% oder veröffentlichten Statistiken. Andererseits waren wir ohne Einladung am Rand von Festivals präsent, bspw. Darmstadt 2018. Wir boten eine Plattform, um über Erfahrungen mit Gender und Diversity zu sprechen, was innerhalb keinen Platz hatte. Wir stellten fest, dass es dafür ein grosses Bedürfnis gab, aber kaum Möglichkeiten für Austausch. Mit der Konferenz schaffen wir nun einen solchen Rahmen.

GRiNM ©Berliner Festspiele

Was ist das Ziel der Konferenz?
Aktuell finden zahlreiche ähnliche Projekte an verschiedenen Orten statt, von denen man oft gegenseitig kaum weiss: da besteht ein Bedürfnis nach Networking. Wir schaffen eine Plattform für den Austausch von Erfahrungen und best practices oder das Angehen von Synergien – die Grösse der Konferenz ist einzigartig. Wir haben vierzig internationale Teilnehmende.

Was sind Themen der Tagung – was gibt es für Formate?
Es gibt Projektpräsentationen und Diskussionsforen. Am ersten Tag geht es um allgemeine Definitionen und Problemstellungen. Am zweiten Tag steht die Ausbildung im Zentrum. Die ‘Association of European Conservatories’ stellt z.B. vor, was unternommen wird, um Diversität an europäischen Hochschulen zu steigern. Am dritten Tag liegt der Fokus auf Ensembles und Festivals.

Am Vorabend gibt’s einen Netzwerkapéro mit SONART – Musikschaffende Schweiz und ein Konzert im Jazzclub Mehrspur der ZHdK. Zu hören sind zwei Musikschaffende aus Berlin, Neo Hülcker und Stellan Veloce, sowie Fågelle aus Schweden.
Interview Gabrielle Weber


Ear action for earprotection and objects, Stellan Veloce and Neo Hülcker, dark music days 2017

Ist die Tagung allen Interessierten zugänglich, werden die Resultate publiziert?
Die Tagung ist öffentlich. Danach ist eine Publikation der Beiträge und einer Auswahl an Best practices und Statistiken geplant.

GRiNM Network Conference: Full Schedule, SONART – Musikschaffende Schweiz 

neo-profile: Zürcher Hochschule der Künste