Zwischen Schaltungen und Schlagwerk

Als Schlagzeuger und Perkussionist hat Martin Lorenz angefangen. Seine Neugier führte ihn erst zu Experimenten mit Schallplatten und schließlich zur elektronischen Klangerzeugung mit Synthesizern. Und immer häufiger wendet er sich dem Komponieren zu. Mit dem Synthesizer-Trio Lange/Berweck/Lorenz spielt er im September beim KONTAKTE-Festival in Berlin und im Kunstraum Walcheturm in Zürich.

 

Der Schlagzeuger Martin Lorenz, konzentriert mit diversen Schlegeln in der Hand. Foto: Heidi Hiltebrand
Portrait Martin Lorenz © Heidi Hiltebrand

 

Friederike Kenneweg
Groß und schlaksig wirkt Martin Lorenz und so, als müsste er sich immer ein wenig zu allen herunterbeugen. Wenn er von der Suche nach besonderen Sounds erzählt, davon, wie sich das Geräusch von Kies auf einer Auffahrt mit Synthesizern erzeugen lässt oder der Klang einer sich schließenden Fahrstuhltür, dann leuchtet ihm die Begeisterung aus dem Gesicht.

Eine solche Begeisterung für die Klangsuche ist auch notwendig, wenn man als Schlagzeuger oder Perkussionist für Neue Musik arbeitet.

 

Suche nach dem richtigen Klangmaterial

Oft müssen Perkussionist:innen nicht nur das gewohnte Schlagwerk-Instrumentarium spielen, sondern für ein Musikstück die erforderlichen Gegenstände mit dem richtigen Sound – Steine, Holzstücke, Tassen o.ä.-  überhaupt erst ausfindig machen. Teilweise übernehmen sie damit eine große Mitverantwortung dafür, wie ein Stück am Ende klingt, denn nicht immer schreiben die Komponist:innen genau auf, was sie sich vorstellen oder welche Tonhöhe eine bestimmte Trommel oder gar ein Stein eigentlich haben soll.

 

Die stetige Suche nach neuen Klängen brachte Martin Lorenz dazu, sich auch mit den Möglichkeiten von Schallplatten zu beschäftigen.  Die Spezialität, die er für eigene Turntable-Performances entwickelte: mit einem Messer während einer Live-Performance Schnitte in die Schallplatten ritzen, so dass beim Abspielen ganz bestimmte Rhythmen und Loops entstehen.

 

Schnitte in Vinyl

Aber natürlich ist es entscheidend dafür, wie die Loops am Ende klingen, was auf der zerschnittenen Platte aufgezeichnet ist. So war es für Lorenz naheliegend, sich selbst Schallplatten mit eigenen Sounds pressen zu lassen – und sich darum mit Synthesizern zu beschäftigen. Zu dieser Zeit gründete er auch in Zürich sein Label DUMPF Edtion, wo er eigene oder fremde Produktionen experimenteller Musik veröffentlicht. Eigentlich immer noch am liebsten auf Schallplatte. Aber als kleines Label auf Vinyl zu setzen, macht schon seit einer Weile keinen richtigen Spaß mehr, sagt Lorenz.
“Es gibt da einfach zu lange Wartezeiten, dann wieder Lieferschwierigkeiten, es ist nicht verlässlich, und dann dauert es ewig, bis eine Aufnahme endlich veröffentlicht wird.”

 

 

Lange hält Lorenz sich aber nicht bei solchen Problemen auf. Eher sucht er nach Möglichkeiten, Frustrationen aufzulösen und fruchtbar zu machen – wie sich auch an seinem Weg hin zum Komponieren zeigt. Da verspürte er nämlich immer wieder eine gewisse Enttäuschung, wenn das Ensemble, in dem er als Schlagzeuger beschäftigt war, an Komponist:innen Auftragswerke vergab und das Ergebnis, das diese vorlegten, so gar nicht seinen Erwartungen entsprechen wollte.
“Da habe ich mir irgendwann gesagt, wenn ich so genaue Vorstellungen von so einem Stück habe, vielleicht sollte ich die einfach mal aufschreiben und selber meine eigenen Stücke komponieren.”

 

Feedback und Raumklang

Eine Werkreihe von Martin Lorenz für Instrumente und Live-Elektronik heißt “Oscillations”. Darin arbeitet er mit dem Feedback, das entsteht, wenn Instrumente live im Raum aufgenommen und wieder eingespielt werden, und das er für komplexe Strukturen der Klangüberlagerung nutzt.

Im Jahr 2021 entstand für das im selben Jahr neu gegründte Ostschweizer Ensemble Orbiter die Komposition Swift Oscillations. Martin Lorenz spielt darin selbst das Vibraphon.

 


Das Kammermusikstück Swift Oscillations von Martin Lorenz aus dem Jahr 2021, gespielt vom Ensemble Orbiter im Kultbau St. Gallen.

 

Martin Lorenz arbeitete sich neben seiner Tätigkeit als Schlagzeuger und Komponist immer mehr in elektronische Klangerzeugung, Live-Elektronik und die Funktionsweise analoger und digitaler Synthesizer ein. Mit dem Projekt “Reviving Parmegiani” schließlich betrat er im Jahr 2014 gemeinsam mit den Pianist:innen Sebastian Berweck und Colette Broeckaert die komplexe Welt der historischen Aufführungspraxis elektronischer Musikwerke. Elektronische Musik zu einem späteren Zeitpunkt mit anderen Performer:innen wieder aufzuführen, ist nämlich häufig gar nicht so einfach. Teils werden die verwendeten Synthesizer nicht mehr hergestellt, es gibt keine Updates mehr, oder das Computerprogramm, mit dem gearbeitet wurde, kann auf neuen Computern nicht mehr gestartet werden.

 

Historische Aufführungspraxis: Stries von Bernard Parmegiani

Weil den Ausführenden die Probleme der Zukunft häufig nicht bewusst sind, machen sie keine oder nur unzureichende Aufzeichnungen dazu, welche Sounds sie eingestellt haben und welche Synthesizer oder elektronischen Effekte sie verwendet haben. In “Reviving Parmegiani” war es das Stück Stries des französischen Komponisten Bernard Parmegiani (1927-2013) aus dem Jahr 1980, das wieder spielbar gemacht werden sollte. Parmegiani hatte das Stück für das Synthesizer-Trio TM+ aus Paris geschrieben. Von dem Stück gab es sogar verhältnismäßig gute Notate und eine Aufnahme, die als Klangreferenz dienen konnte. Trotzdem mussten sich die drei Performer:innen auf eine detailreiche Suche begeben, wie die entsprechenden Sounds jeweils erzeugt worden waren und wie sich die Klänge im Heute neu realisieren lassen.

“An einigen Stellen haben wir bis heute nicht herausgefunden, wie TM+ das genau gemacht haben”, sagt Martin Lorenz. “Manchmal ist es ja auch irgendeine schlecht verlötete Stelle in irgendeinem analogen Effekt oder Synthesizer – und das bleibt dann einfach für immer ein Rätsel.”

 

Martin Lorenz hat ein Gerät, vielleicht ein Mischpult, auf dem Schoß und widmet sich vertieft den bunten Kabeln und Knöpfen.
Portrait Martin Lorenz © Florian Japp

 

Die langwierige und zugleich höchst faszinierende Arbeit an Stries< wurde zum Startpunkt für das Synthesizer-Trio Lange/Berweck/Lorenz, mit dem Martin Lorenz bis heute regelmäßig zusammenspielt. Die drei Musiker:innen Silke Lange, Sebastian Berweck und Martin Lorenz vergeben immer wieder Kompositionsaufträge an zeitgenössische Komponist:innen, um das Repertoire für die ungewöhnliche Kombination von drei Synthesizern zu erweitern.

Dabei ist es ihnen wichtig, längerfristig mit den Komponist:innen zusammen zu arbeiten. “So eine erste gemeinsame Arbeit ist ja oft eher ein Herantasten”, sagt Martin Lorenz. “Erst bei einem zweiten Mal ist klar, was von uns zu erwarten ist, was wir gut können, und womit man uns vielleicht auch gut herausfordern kann.”

Und Herausforderungen sind etwas, das Martin Lorenz immer wieder aufs Neue sucht.
Friederike Kenneweg

 

Lange/Berweck/Lorenz, Silke Lange, Sebastian Berweck, Martin Lorenz, Akademie der Künste Berlin, KONTAKTE Festival,

Erwähnte Veranstaltungen:
23.09.2022 Konzertprogramm von Lange/Berweck/Lorenz beim KONTAKTE-Festival, Akademie der Künste, Berlin
28.09.2022 Lange/Berweck/Lorenz im Kunstraum Walcheturm Zürich

Erwähnte CD-Veröffentlichung:
“Bernard Parmegiani: Stries. Broeckaert/ Berweck/Lorenz”, ModeRecords, 2021

neo-profile:
Martin Lorenz, Ensemble Orbiter, Kunstraum Walcheturm Zürich

 

 

Offen für Menschen und Musik

Friederike Kenneweg
„Es fällt gerade schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren“, sagt die Pianistin Tamriko Kordzaia, als ich sie Anfang März zu einem Zoom-Gespräch treffe. Wir sind beide erschüttert vom Krieg, der in der Ukraine begonnen hat. Aber für die Georgierin Kordzaia hat das Geschehen noch eine andere Bedeutung. „Ich bin hier natürlich auch gleich auf der Demo gewesen, und das hat gut getan, aber wenn danach alles wieder einfach so weiter geht, fühle ich mich hier auf einmal einsam…“

 

Die Pianistin Tamriko Kordzaia sitzt am Flügel und spielt konzentriert, vor ihr die aufgeschlagenen Noten.
Portrait Tamriko Kordzaia © Lorenzo Pusterla/ Kunstraum Walcheturm

 

Brücken zwischen Georgien und der Schweiz

Und dabei ist Tamriko Kordzaia schon lange als eine Art musikalische Botschafterin zwischen der Schweiz und Georgien unterwegs. Seit 2005 leitet sie das Festival Close Encounters, das sich zur Aufgabe gemacht hat, zeitgenössische Musik beider Länder gemeinsam zur Aufführung zu bringen. Alle zwei Jahre findet das Festival in der Schweiz und in Georgien statt. Dabei geht es Tamriko Kordzaia zum einen darum, die Musik zeitgenössischer Komponist:innen beider Länder gemeinsam zu präsentieren und so Begegnungen zu schaffen. In Georgien geht es aber auch darum, zeitgenössische Musik in ländliche Regionen weit abseits des hauptstädtischen Zentrums zu bringen. „Das ermöglicht allen Beteiligten – Musiker:innen wie Zuhörenden – immer wieder einmalige Erfahrungen“, betont Kordzaia.

In diesem Jahr werden zu Werken von Peter Conradin Zumthor und Cathy van Eck junge georgische Komponist:innen mit neuen Stücken vorgestellt. Und mit Alexandre Kordzaia (*1994) ist auch der Sohn der Pianistin beim Close Encounters Festival vertreten. Er kann selbst als vermittelnder Grenzgänger zwischen der Schweiz und Georgien gelten, aber auch zwischen klassischer und elektronischer Musik. Denn er komponiert nicht nur Kammermusikwerke, sondern ist unter dem Namen KORDZ auch als Clubmusiker bekannt.

 

Engagiert für einen vergessenen Komponisten

Es sind allerdings nicht nur die jungen georgischen Komponist:innen, die Tamriko Kordzaia bekannter machen will. In Zusammenarbeit mit zwei weiteren georgischen Pianistinnen hat sie sich auch der Wiederentdeckung des in Vergessenheit geratenen Komponisten Mikheil Shugliashvili (1941-1996) gewidmet. Im Jahr 2013 brachten die drei Pianistinnen die Grand Chromatic Fantasy (Symphony) von Shugliashvili zur Aufführung und veröffentlichten die erste Aufnahme des beeindruckenden Werks für drei Klaviere auf CD.

 

Ausschnitt einer Aufführung des Stückes Grand Chromatic Fantasy (Symphony) von Mikheil Shugliashvili beim Musikfestival Bern 2020

 

Brücken bauen zwischen Formationen, Epochen und Genres

Tamriko Kordzaia ist als Pianistin in ganz unterschiedlichen musikalischen Formationen aktiv. Sie spielt Soloauftritte, konzertiert im Duo mit Dominik Blum von Steamboat Switzerland oder mit der Cellistin Karolina Öhman, und ist seit 2008 Mitglied des Mondrian Ensembles, das selbst alle möglichen Kombinationen, die ein Klavierquartett ermöglicht, mit seinen Programmen abdeckt.

 

Die vier Musikerinnen des Mondrian Ensembles. Foto: Arturo Fuentes
Tamriko Kordzaia spielt schon seit 2008 im Mondrian Ensemble, zusammen mit Karolina Öhman, Ivana Pristašová und Petra Ackermann. Foto: Arturo Fuentes

 

Und schon lange ist Tamriko Kordzaia nicht nur eine Grenzgängerin zwischen den Ländern und Formationen, sondern auch zwischen den Epochen. Zu Beginn ihrer Karriere in Georgien hatte sie sich zunächst mit ihren Interpretationen von Mozart und Haydn einen Namen gemacht. Als sie aber an der Zürcher Hochschule der Künste ihre Studien fortsetzte, begann ihre Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik. Zum Beispiel mit den Werken des Schweizer Komponisten Christoph Delz (1950-1993), dessen sämtliche Klavierwerke Kordzaia im Jahr 2005 einspielte. Das Mondrian Ensemble, in dem Kordzaia Mitglied ist, hat es sich explizit zur Aufgabe gemacht, in seinen Programmen alte und neue Musik gemeinsam zu spielen und dadurch ungewöhnliche Zusammenhänge hörbar zu machen. Das Ensemble setzt in seinen Programmen auch Konzepte um, in denen Raum, Bühne oder Film eine Rolle spielen, und hat auch keine Berührungsängste bei der Zusammenarbeit mit Vertreter:innen des Jazz oder der Clubmusik.

 

Aufnahme des Mondrian Ensembles von Plod on von Martin Jaggi.

 

Über die lange Zeit, die Tamriko Kordzaia jetzt beim Mondrian Ensemble dabei ist, haben sich feste und regelmäßige Arbeitsbeziehungen ergeben, u.a. mit Komponisten wie Dieter Ammann, Felix Profos, Antoine Chessex, Martin Jaggi, Jannik Giger, Roland Moser und Thomas Wally.

 

sieben sonnengesichter

Ein besonderes Verhältnis hat Tamriko Kordzaia allerdings zur Musik von Klaus Lang, dessen Stücke schon in einige Programme des Mondrian Ensembles Eingang gefunden haben. Als die Corona-Pandemie das Konzertleben jäh zum Stillstand brachte, war es das Stück sieben sonnengesichter von Klaus Lang, mit dem sich Kordzaia, auf sich selbst zurückgeworfen, endlich einmal ausführlicher beschäftigen wollte. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung erschien 2021 auf CD.

 


Video von den CD-Aufnahmen der sieben sonnengesichter von Klaus Lang mit Tamriko Kordzaia am Klavier.

 

Arbeit mit der jungen Generation

Etwas, das Tamriko Kordzaia schon seit ihren Anfängen in der Schweiz begleitet, ist die Arbeit mit jungen Musiker:innen – eine Tätigkeit, die sie heutzutage richtig glücklich macht. An der Zürcher Hochschule der Künste gibt sie Klavierunterricht und hilft den Studierenden, den Weg zur eigenen Stimme bei der Interpretation nicht nur klassischer, sondern auch zeitgenössischer Werke zu finden. Und dort kommt sie auch mit jungen Komponist:innen in Kontakt, denen sie bei der Entwicklung ihrer Stücke beratend zur Seite steht. „Das ist so toll zu sehen, was diese jungen Leute für Ideen haben und wie sie weiter kommen. Das gibt mir immer Sinn und hilft mir weiter zu machen, auch wenn drumherum alles schwierig ist.“
Friederike Kenneweg

Erwähnte Veranstaltungen:
Festival Close Encounters:
Dienstag, 26.4.22 Kunstraum Walcheturm – Favourite Pieces
Donnerstag, 28.4.22 Stanser Musiktage – Georgische Musik mit dem Gori Frauenkammerchor
Freitag, 29.4.22 Feilenhauer Winterthur – Georgische Musik mit dem Gori Frauenkammerchor
Samstag, 30.4.22 GDS.FM Club Sender Zürich – Tbilisi Madness

10 PIECES TO DESTROY ANY PARTY:
Im nächsten Programm des Mondrian Ensembles kommt das gleichnamige Stück von Alexandre Kordzaia zur Uraufführung, eine „Oper ohne Libretto in 6 Sätzen“ für Klavierquartett und Elektronik. Das Stück erzählt die Geschichte von drei Prinzessinnen, die angesichts ihrer Hochzeit anfangen zu zweifeln und schließlich ihr eigenes Fest sabotieren. Dazu kombiniert: Werke von Mauricio Kagel, Cathy van Eck und Bernd Alois Zimmermann.
Dienstag, 3.5.22 Gare du Nord, Basel
Mittwoch, 4.5.22 Kunstraum Walcheturm, Zürich
Donnerstag, 5.5.22 Cinema Sil Plaz, Ilanz

Erwähnte CD-Einspielungen:
Klaus Lang / Tamriko Kordzaia, sieben sonnengesichter: CD domizil records 2021.
Mikheil Shugliashvili/Tamriko Kordzaia, Tamara Chitadze, Nutsa Kasradze, Grand Chromatic Fantasy (Symphony) For Three Pianos: CD, Edition Wandelweiser Records, 2016.
Christoph Delz: Sils „Reliquie“ – 3 Auszüge aus „Istanbul“, CD, guildmusic, 2005.

Klaus Lang, Mikheil Shugliashvili, KORDZ, Christoph Delz

neo-Profile:
Tamriko Kordzaia, Festival Close Encounters, Mondrian Ensemble, Karolina Öhman, Petra Ackermann, Alexandre Kordzaia, Cathy van Eck, Peter Conradin Zumthor, Jannik Giger, Dieter Ammann, Martin Jaggi, Roland Moser, Felix Profos, Antoine Chessex, Zürcher Hochschule der Künste, Musikfestival Bern

Zeitbrücken über Epochengrenzen

20 Jahre lang gibt es sie schon: das Basler Klavierquartett Mondrian feiert Jubiläum. Wie gut, dass einige der zu diesem Anlass geplanten Konzerte nun tatsächlich stattfinden können.

Ensemble Mondrian ©zVg Ensemble Mondrian


Friederike Kenneweg
Durchwachsen, das war die diesjährige Konzertsaison nicht nur für das Mondrian Ensemble: allzuviele Veranstaltungen wurden abgesagt, verschoben oder mussten als Live-Stream online stattfinden. Doch für die vier Musikerinnen Tamriko Kordzaia (Klavier), Ivana Pristašová (Violine), Petra Ackermann (Viola) und Karolina Öhmann (Violoncello) war das noch mal extra bitter. Denn ausgerechnet 2020 und 2021 wollten sie das 20jährige Bestehen ihres Ensembles begehen. Das Jubiläumskonzert im Herbst 2020 konnte noch mit wenig anwesendem Publikum stattfinden. Die Veranstaltung aus dem Walcheturm in Zürich musste dann aber doch gestreamt werden. Der Vorteil: dadurch ist das Ereignis noch immer für alle online zugänglich.

 

Verbindungslinien zwischen den Epochen

Klassisch-Romantisches und Zeitgenössisches zusammenzubringen, das ist seit 20 Jahren charakteristisch für das Mondrian Ensemble. Dies zeigte sich auch im Jubiläumsprogramm. Ein Streichtrio von Schubert und vier Fantasiestücke von Schumann wurden mit Werken von Martin Jaggi (*1978), Jannik Giger (*1985) und Madli Marje Gildemann (*1994)  kombiniert. Auf diese Weise werden Verbindungslinien zwischen den Epochen wahrnehmbar,  aber auch Kontaste und Weiterentwicklungen treten umso klarer hervor. Dadurch, dass sich die vier Musikerinnen nicht auf eine Epoche festlegen, sondern die gesamte Musikgeschichte bis hin zur Jetztzeit als Material für ihre Konzertprogramme betrachten, fördern sie immer wieder Erstaunliches zutage – zum Beispiel Parallelen zwischen der melancholischen Schönheit englischer Renaissancemusik und dem langsamen Pulsieren eines Stücks des Österreichers Klaus Lang. Oder sie ermöglichen dem Publikum eine ganz eigene Art der Zeiterfahrung, wenn sie ein Klaviertrio von Schubert und ein Klavierquartett von Morton Feldman unmittelbar hintereinander zu Gehör bringen.

Wichtig ist dem Ensemble außerdem, zeitgenössische Kompositionen ins Repertoire aufzunehmen. Da das Ensemble sie über Jahre hinweg bei verschiedenen Gelegenheiten spielt, entwickeln und entfalten sich diese Stücke wie Interpretationen von klassischen Werken. Das ist im mehrheitlich auf Uraufführungen fokussierten Neue-Musikbetrieb sonst kaum möglich.

Die vier Musikerinnen legen außerdem Wert darauf, eng mit den Komponist*innen zusammen zu arbeiten – teilweise über lange Zeiträume hinweg. Mit Dieter Ammann zum Beispiel ist das Mondrian Ensemble schon seit der unmittelbaren Anfangszeit verbunden. Die Arbeit an der Uraufführung seines Streichtrios Gehörte Form aus dem Jahr 1998 führte überhaupt erst dazu, dass sich die Gründungsmitglieder Daniela Müller an der Violine, Christian Zgraggen an der Bratsche und Martin Jaggi am Cello schließlich im Jahr 2000 zu einem Ensemble zusammen fanden.

 


Dieter Ammann, Gehörte Form – Hommages für Streichtrio 1998, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Mit Walter Zoller am Klavier wurde es ihnen möglich, sowohl Streich- und Klaviertrios als auch Klavierquartette aus allen Epochen miteinander aufzuführen. Die Flexibilität, die diese Art der Besetzung mit sich bringt, nutzt das Ensemble bis heute weidlich bei der Programmgestaltung aus. So finden sich darin auch Soli oder Duette in den unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten.

 

Unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten

Ein weiterer Komponist, der das Ensemble schon lange begleitet, ist Jannik Giger aus Basel. Die erste gemeinsame Arbeit war das Stück „Intime Skizzen“. Jannik Giger begleitete die Musikerinnen beim Einstudieren von kompositorischen Skizzen von Leoš Janáček mit der Kamera. Das fertige Werk bietet über eine Videoleinwand Einblicke in die Probenräume der Musikerinnen, die vom Aneignungsprozess des Stückes erzählten. Dazu spielt das Ensemble live die Janáček-Fragmente und Ergänzungen, die Jannik Giger dazu komponiert hatte. Inzwischen gehört auch das Klaviertrio Caprice aus dem Jahr 2013 sowie das Streichtrio Vertige von Jannik Giger zum festen Repertoire des Ensembles.

Jannik Giger, Vertige für Streichtrio 2020

 

Mit dem östereichischen Komponisten Thomas Wally hat das Ensemble nicht nur eine Portrait-CD  aufgenommen, (Jusqu’à l’aurore, col legno 2020), sondern es wird auch im Mai gemeinsam mit ihm auf der Bühne stehen. Denn Wally komponiert nicht nur, sondern ist auch Violinist. Bei den anstehenden Konzerten ergänzt er Ivana Pristašová, Petra Ackermann und Karolina Öhmann zum Streichquartett. Im Programm BLACK ANGELS bringen sie das gleichnamige Stück von George Crumb aus dem Jahr 1970 zu Gehör, das Bezug auf den Vietnamkrieg nimmt. Die Streichinstrumente werden hier elektronisch verstärkt. Klänge vom Tonband kommen zum Streichquartett in Steve Reichs Komposition Different trains aus dem Jahr 1988 dazu. Different trains nimmt ebenfalls das Thema Krieg in den Blick – reflektiert anhand der Bedeutung, die Züge zur Zeit um den zweiten Weltkrieg hatten.

 

50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz – zum Einsatz kommt ein bespielbarer Backofen

 

Um 50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz kreist ein Programm, das für den Herbst 2021 geplant ist. Einen ersten Einblick gibt es schon am 4. Juni, wenn das Stück Garzeit des Künstlerduos LAUTESkollektiv zur Uraufführung kommt.

LAUTESkollektiv 2x Haensler ©zVg Stefanie Haensler

LAUTESkollektiv, dahinter verbergen sich die Komponistin Stephanie Haensler (*1986) und die Designerin Laura Haensler. Garzeit ist ein mehrteiliges Klavierquartett, in dem nicht nur die gewohnten Instrumente des Mondrian Ensembles  zum Einsatz kommen, sondern auch ein bespielbarer Backofen. Dieser transportiert einen Teil der Ästhetik und Lebensrealität der Frauen um 1971. Schalter, Hebel und Knöpfe werden während der Komposition von den Musikerinnen bedient und nehmen auf das Klanggeschehen Einfluss.

 


Stephanie Haensler: Ein Schnitt für Streichquintett 2019, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Im vollständigen Programm werden darüber hinaus Stücke von Komponistinnen verschiedener Epochen und Generationen zu hören sein – von Clara Schumann (1819-1896) über Elfrida Andrée (1841-1929) und die fast vergessene St. Galler Komponistin und Dichterin Olga Diener (1890-1963) bis hin zu Rebecca Saunders (*1967) und Katharina Rosenberger (*1971).

Auf 2022 verlegt wurde das Programm des Mondrian Ensembles, in dem das Stück the ocarina chapter von Christoph Gallio uraufgeführt werden sollte – ein Auftrag des Mondrian Ensembles an den Schweizer Komponisten. Geplant war das Konzert als Begegnung des Ensembles mit dem Stimmkünstler Theo Bleckmann aus New York – ein künstlerisches Zusammentreffen, wie es die Situation momentan leider nicht erlaubt.
Friederike Kenneweg

 

Ensemble Mondrian ©zVg Ensemble Mondrian

 

BLACK ANGELS, das Jubiläumsprogramm mit Thomas Wally kommt nochmals am 7. Und 8. Mai zur Aufführung (Gare du Nord Basel, Kunstraum Walcheturm Zürich).

Die Uraufführung von Garzeit findet am 4. Juni im Historische Museum in Baden statt. Die Uraufführungstournee (Zürich, St. Gallen, Chur, Basel) dauert bis zum 1. November 2021.

Die Tournee mit einer Uraufführung von Christoph Gallio wurde auf 2022 verschoben.

 

Thomas WallyIvana PristašováGeorge Crumb, Steve Reich, Madli Marje Gildemann, Klaus Lang, Morton Feldman, Daniela MüllerWalter Zoller, Leoš Janáček, col legno, Laura HaenslerOlga Diener, Clara Schumann, Rebecca Saunders, Elfrida Andrée, Theo Bleckmann

 

Sendung SRF 2 Kultur:
Blick in die Feuilletons, 8.12.20, 20 Jahre mutige Kammermusik – das Mondrian Ensemble hat etwas zu feiern (ab Min 24): Ein Portrait von Gabrielle Weber

 

Neo-Profiles:
Mondrian Ensemble, Tamriko Kordzaia, Karolina Öhman, Petra Ackermann, George Crumb, Klaus LangMartin Jaggi, Jannik Giger, Dieter Ammann, Stephanie Haensler, Katharina Rosenberger, Christoph Gallio, Gare du Nord, Kunstraum Walcheturm

 

Offenheit und Kontinuität

35 Jahre ensemble für neue musik zürich
Bereits drei Jahrzehnte setzt es wesentliche Akzente: 1985, im Gründungsjahr, befand sich die zeitgenössische Musik erst im Aufbruch – heute steht sie vor besonderen Herausforderungen. Eine Rückschau mit Ausblick von Thomas Meyer.

ensemble für neue musik zürich

Man muss sich die Situation im musikalischen Zürich um 1980 vergegenwärtigen. Das Konservatorium machte seinem Namen noch Ehre: Es bewahrte und war noch keine Hochburg der Kreation wie heute. Uraufführungen wurden in Tonhalle-Abokonzerten von Herzen ausgebuht. Es gab zwar kleine Konzertreihen für Neue Musik, aber kein Spezialistenensemble dafür. Es war viel zu tun.

Als 1986 erstmals die Tage für Neue Musik durchgeführt wurden, trat ein junges Ensemble hervor, das sich erst ein Jahr zuvor erstmals präsentiert hatte, benannt schlicht als „ensemble für neue musik zürich“. Hier kam eine Handvoll Musiker zusammen, die eben das Neue suchten, die sich für die jungen KomponistInnen ihrer Generation und ihre Umgebung einsetzten und die auch sonst keinen engen Musikbegriff hatten. Auslöser dazu war ein Konzert des Gruppo Musica Insieme di Cremona bei den Zürcher Junifestwochen mit der Mezzosopranistin Cathy Berberian. „Mir ist es wie Schuppen von den Augen gefallen: So etwas möchte ich auch machen.“ sagt der Flötist Hanspeter Frehner, der das Ensemble mit anderen jungen Studenten gründete und bis heute künstlerisch leitet. Zusammen mit dem Pianisten Viktor Müller ist er als einziger noch von der ursprünglichen Crew mit dabei.

Hanspeter Frehner Portrait

Zwei wesentliche Charaktereigenschaften prägen das Ensemble: Offenheit und Kontinuität. Die Offenheit zeigt sich etwa daran, dass sie schon früh Komponistinnen-Programme spielten und mehrere Aufträge etwa an Liza Lim oder Noriko Hisada gaben. Oder aber, dass sie Jazzmusiker um Kompositionen baten – woraus etwa die Karriere eines Dieter Ammann entsprang. Oder dass sie sich bildender Kunst widmeten wie in den Hommages an den Zürcher Bildhauer Hans Josephsohn oder in der Zusammenarbeit mit dem Interventionskünstler Peter Regli.


Verwandtschaft, composer: Junghae Lee, UA Winterthur, Villa Sträuli  2019, ensemble für neue musik zürich

Vor allem aber brachten sie das Musiktheater voran: Die Besetzung des „ensembles“ geht nämlich auf Schönbergs cabarethaften „Pierrot lunaire“ zurück: Flöte, Klarinette, Violine, Cello und Klavier, erweitert um das Schlagzeug, ähnlich wie die „Fires of London“ von Peter Maxwell Davies in London. Und mit zwei Kurzopern von Davies bewies das „ensemble“ früh schon, dass man mit wenigen, konsequent eingesetzten Mitteln grandioses Musiktheater machen kann. Ein anderes Experiment war, zusammen mit Regisseur Herbert Wernicke, eine radikale Version der „Lustigen Witwe“ – so frech, dass die Léhar-Erben sie prompt verboten. Kammeropern gehören seither fest zum Programm. Kommenden November steht zum Beispiel eine Operette des Dortmunder Komponisten Johannes Marks auf dem Spielplan: „Neues vom Weltuntergang“.

Die Kontinuität zeigt sich in der langen Zusammenarbeit untereinander, aber auch mit Komponistinnen und Komponisten. Das „ensemble für neue musik“, so sagt etwa die Japanerin Noriko Hisada, „ist eine jener Musikgruppen, der ich zutiefst vertraue.“ Und der Deutsche Sebastian Gottschick begleitet das „ensemble“ seit langem auch als Dirigent. Dieser Tage erscheinen bei Hat Hut (ezz-thetics) denn auch gleich zwei neue CDs mit seinen „Notturni“ sowie mit Bearbeitungen von Charles Ives-Songs. Im Herbst ist ausserdem ein Memorial für den 2010 verstorbenen Komponisten Franz Furrer-Münch geplant. Was auch zeigt: Hier geht es nicht nur um die grossen Namen der Neuen Musik, hier wird Basisarbeit betrieben, wird gefördert…


Trailer ZUHÖAN, Komposition Duo: Christoph Coburger / Sebastian Gottschick, UA 2015, ensemble für neue musik zürich

Auf diese Weise hat das ensemble dreieinhalb Jahrzehnte Akzente gesetzt. Vor einiger Zeit tauchte das Gerücht auf, es wolle sich auflösen, die Musiker seien ja allmählich im Pensionsalter. Tatsächlich läuft die Subvention der Stadt Zürich Ende 2021 aus, aber Ideen für Projekte darüber hinaus habe man noch einige, sagt Frehner. Im übrigen sei es durchaus in Ordnung, wenn die regelmässige städtische Unterstützung in die Zukunft, also in ein junges Ensemble investiert würde.

Man muss sich nämlich die Situation im heutigen Zürich vergegenwärtigen: Einen festen Spielort wie die Gare du Nord in Basel hat die Neue Musik nicht, mit dem Walcheturm im Kasernenareal ist zumindest eine von der freien Szene gewünschte Option vorhanden. Die Tage für Neue Musik stehen vor einer Neukonzeption, die Orchesterkonzerte strotzen nicht gerade von Novitäten. Es gibt zwar eine reiche Kreation an der ZHdK und mit dem Collegium Novum Zürich auch ein fixes Kammerorchester, aber ein neues kleineres Ensemble müsste unterstützt werden. Es ist noch viel zu tun.
Thomas Meyer

Die im Mai und Juni geplanten Konzerte wurden Corona-bedingt abgesagt und werden wie folgt nachgeholt:
Stöckli/Neumann/Ustwolskaja (anstelle 16.5.20): am 5.2.21
CD Taufe Ives/Gottschick (anstelle 14.6.20): am 12.12.20
Grüsse an Regli (anstelle 28.6.20): am 29.6.21

ensemble für neue musik zürich, Hat HutSebastian Gottschick, Liza Lim, Franz Furrer-Münch, Dieter Ammann, Hans Josephsohn, Johannes Marks, Peter Regli

Neo-Profilesensemble für neue musik zürich, Dieter Ammann, Junghae Lee

«Hiob leidet grundlos»

Am Gare Du Nord in Basel bringt Michèle Rusconi ihre Komposition «Les Souffrances de Job» zur Uraufführung. Im Interview erzählt die Komponistin, wie sie die Tragödie von Hanoch Levin adaptiert hat.

Die Komponistin: Michèle Rusconi

Björn Schaeffner
Michèle Rusconi, was begeistert Sie an Hanoch Levins Text «Les Souffrances de Job»?
Ich halte Hanoch Levin für einen der weltweit wichtigsten Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mich begeistert seine grandiose Sprache, sein Witz, die Satire und der bittere schwarze Humor, die ihm erlauben, das Unsagbare zu sagen.

Wie meinen Sie das?
Ich bewundere Levins scharfen kompromisslosen Blick und fürchte gleichzeitig den Spiegel, den er mir so schonungslos vorhält. Levin versetzt die Bibelgeschichte von Hiob in die Zeit der Römer, etwa tausend Jahre später. Das ergibt eine Art Verfremdungseffekt wie bei Brecht.

Mit der Figur Hiob können Sie sich identifizieren?
Hiob ist eine Parabel, eine universelle Figur. Levin beschreibt in seiner Tragödie den grundlos leidenden und ungerecht bestraften Menschen, dessen Unglück weder eine Ursache hat noch einen Zweck erfüllt. Es ist dies eine atheistische Haltung. Denn Hiobs Frage an seine Freunde ‘hat das Leiden einen anderen Sinn als das Leiden?’ beantwortet Levin mit Nein. Levins Hiob, ein Bruder «in spirit» von Kleists Michael Kohlhaas, betrifft mich. Er wird, im Gegensatz zum biblischen Hiob durch seine Gottestreue nicht belohnt. Sein Verlust ist endgültig, er stirbt.


Michèle Rusconi, Ratafià, Streichquartett, 2009

Wie sind Sie den Stoff angegangen?
Eine Freundin und Übersetzerin zahlreicher israelischer Theaterstücke, schickte mir einen Ausschnitt aus «Les Souffrances de Job». Ich wählte einzelne Sätze und Dialoge der verschiedenen Protagonisten aus. Es sind dies Hiob, seine drei Freunde, der Gerichtsvollzieher, die Bettler, der Offizier, der Zirkusdirektor und die Toten. Ich ging nicht narrativ vor, sondern tauschte die Kapitel untereinander aus und begann zunächst, anhand der französischen Textvorlage zu komponieren. Die israelische Sopranistin Tehila Nini Goldstein, die in Berlin lebt, begeisterte sich für das Projekt. Kurz danach konnte ich das Ensemble Meitar aus Tel Aviv gewinnen, dann Desirée Meiser vom Gare du Nord, ein paar Monate später den Schauspieler Zohar Wexler aus Paris.

Meitar Ensemble, Tel Aviv

Das heisst, das Projekt wurde immer komplexer?
Ich entschied irgendwann, dass ich nebst der französischen Übersetzung auch mit dem hebräischen Originaltext arbeiten wollte. Die Stimme ist bei dieser Komposition zentral. Der Stoff Hiob ist ja unglaublich aufregend: er weint, flucht, brüllt, kämpft, lacht, flüstert, wird wahnsinnig, verzweifelt, gibt auf. Die Komposition wird jetzt abwechslungsweise in beiden Sprachen gesungen und gesprochen.

Die Emotionalität der beiden Sprachen ist ja eine völlig andere.
Genau! Mit einer Sängerin, einem Schauspieler und zwei Sprachen hatte ich neue Parameter, mehrere Oktavlagen, andere akustische Farben, die die Sprachen ausstrahlen. Es gab plötzlich viel mehr Möglichkeiten, mit dem Text umzugehen. Erst dann fiel mir überhaupt auf, dass ich den Text des Hiob anfänglich in den Mund einer Frau gelegt hatte. Dazu kommen die Übertitel: in Tel Aviv Hebräisch, in Basel und Zürich Deutsch, und in Genf Französisch.

Die Sängerin: Tehila Nini Goldstein

Und worauf darf man als Zuschauer*in jetzt gespannt sein?
Auf den tollen Text von Hanoch Levin! Und auf das wunderbare Meitar Ensemble, den wendigen Schauspieler Zohar Wexler, die grossartige Sopranistin Tehila Nini Goldstein und meine Wenigkeit. Dass das Zusammenkommen überhaupt möglich ist, ist schon ein kleines Wunder.

Warum?
Weil es logistisch kaum machbar ist! (lacht). Wir arbeiten ja in vier Städten und inszenieren in drei Sprachen, das macht es nicht gerade einfach.
Interview: Björn Schaeffner


Meitar Ensemble, Ondřej Adámek, ‘Ça tourne ça bloque’, Pierre-André Valade

‘Les Soufffrances de Job’ bildet Teil der zwei Schwerpunkte der diesjährigen Saison des Gare du Nord, ‘Musiktheaterformen‘ und ‘Later Born‘: ‘Musiktheaterformen‘ zeigt Facetten des aktuellen Musiktheaters in Präsentation und Gespräch. ‘Later born‘ hingegen befasst sich mit den grossen Traumata des 20, Jahrhunderts -Nationalsozialismus, den beiden Weltkriege und deren Folgen-, gespiegelt durch einen fragenden Blick der Nachgeborenen.

Im Anschluss an die Vorstellung in Basel findet ein Podiumsgespräch mit Michèle Rusconi und Matthias Naumann (Autor einer Monographie über Hanoch Levin, Übersetzer, Verleger) statt.

Der Schauspieler: Zohar Wexler

Daten:
5. 12.19, 20:30h Tel Aviv, Inbal Multi Cultural Ethnic Center
7.12.19, 20h Basel, Gare du Nord
9.12.19, 19:30h Genève, Salle Ansermet
10.12.19, 19:30h Zürich, Kunstraum Walcheturm

Gare du Nord, IGNM Basel, Kunstraum Walcheturm, Meitar Ensemble

neo-profiles: Gare du Nord, Michèle Rusconi