In Brunnen findet vom 11. bis 13. September zum zweiten Mal das Othmar Schoeck Festival statt. Die verwunschen-verwitterte Villa der Familie Schoeck, hoch über dem Vierwaldstädtersee, bildet erneut das einzigartige Festivalzentrum.
Der Komponist Stefan Keller hat sich für eine Residenz in der Villa Schoeck beworben – verbunden mit einem Auftrag für ein Lied. 2017 verbrachte er dann einen mehrwöchigen Residenzaufenthalt in der Villa Schoeck.
Nun ist er Composer in Residence am Festival und bringt drei neue Lieder zur Uraufführung.
LIVESTREAM: Konzert Uraufführung Stefan Keller / Keller & Schoeck
Alvaro Schoeck, Initiant und Co-Leiter des Festivals rechnete lange mit einer Live-Ausgabe des Festivals in der “absonderlich gebauten Künstlervilla”. Nun steht es fest: Der spezielle Austragungsort lässt sich mit den Pandemieauflagen nur wenig vereinbaren. Die Veranstaltungen finden im historischen Atelier des Malers Alfred Schoeck, dem Vater des Komponisten, statt und werden live gestreamt.
Eine vielfach ausverkaufte Performance, ‘Hauen und Stechen’, durch diverse Räume der alten Villa, verwob Schoecks Leben mit der Gegenwart und war der Renner des ersten Festivals 2016.
In HeimatLos, der Performance der zweiten Ausgabe des Festivals stehen Frauenfiguren im Zentrum. Und es geht um Heimat, als Ort, Begriff, Gefühl. HeimatLos geleitet kleine Publikumsgruppen musikalisch durch die Schoeckvilla – der live-stream folgt ihnen und führt mitten ins Zentrum des Geschehens in den intimen Räumen.
Am Samstag, 12. September, kommen die neuen Lieder von Stefan Keller zur Uraufführung.
Keller befasste sich in seinen Werken bislang häufig mit Musiktraditionen aus anderen Kulturräumen und studierte lange Zeit die Tabla in Indien. Am Eclat-Festival 2020 brillierte er bspw. virtuos in einem eigenen Stück für Tabla, Stimme und Live-Elektronik.
Stefan Keller: Persona, Excerpts, 2019
Fürs Schoeck-Festival macht sich Keller erstmals an die traditionelle Besetzung Stimme und Klavier. Zum Hintergrund der neuen Stücke sprach ich mit Stefan Keller per Zoom nach Berlin, seinem Wohnsitz.
Stefan Keller, was stand am Anfang der drei Lieder – wie/wo begannen Sie das Komponieren?
Ich lebte von September 2019 bis Juli 2020 in Rom, mit einem Stipendium in der Villa Massimo. Die Hochphase der ersten Pandemiewelle verbrachte ich in der Villa, ‘eingeschlossen’ mit weiteren Stipendiaten. Der Lockdown war ja in Italien viel strenger als anderswo. Wir befanden uns real fast im -oft von aussen als solchen bezeichneten- goldenen Käfig: die schöne Villa in wunderbarem Park. Das hatte Einfluss auf mein Komponieren – wie alles was menschlich bewegt-, wenn sich dies auch kaum konkret festmachen lässt. Durch die intensive Erfahrung wagte ich möglicherweise Dinge, die vorher nicht möglich schienen. In dieser ausserordentlichen Zeit begann ich an den zwei weiteren Liedern zu arbeiten.
Was ist ihre Beziehung zum Schaffen Othmar Schoecks?
Vor der Residenz war sie nicht sehr intensiv. Das hat sich mit dem Aufenthalt in der Villa Schoeck geändert: Schoecks Stücke lagen in Partituren herum und haben mich regelrecht ‘angerührt’. Ich war auch über Stilistisches überrascht. Direkte Bezugnahmen gibt es aber in den neuen Stücken kaum. In der Tradition der Gattung Lied, die für Schoecks Schaffen zentral ist, liegt für mich bereits der Bezug.
Das Ambiente der Villa hat mich beim Komponieren inspiriert: ich arbeitete in einem wunderschönen alten Saal mit einem hervorragenden Flügel.
Für Stimme komponierten Sie bislang zwar oft, aber nicht für die die traditionelle Besetzung Stimme und Klavier: was bedeutet für Sie die Gattung Lied, wie gingen Sie damit um – auch mit der Tradition?
Das Komponieren für Stimme und Klavier war für mich eine Herausforderung. Das Klavier ist in vielerlei Hinsicht ein unflexibles Instrument, was Klang, Anschlag oder Tonhöhen anbelangt. Bisher setzte ich es eher virtuos und laut ein, was sich nur schwer mit meinem Interesse an der Stimme kombinieren lässt.
Stefan Keller: Breathe / soyuz21, für Klavier, Akkordeon, elektrische Gitarre, Elektronik, 2016
Für die Stimme schwebte mir etwas Fragiles vor, wo es auf Nuancen der Tonhöhen und des Klanges ankommt. Ich näherte mich deshalb einem eher reduzierten Klaviersatz an, um der Stimme genügend Raum zu geben.
Anagramme der Dichterin Unica Zürn* bilden die Textbasis für die Lieder: wie gingen Sie mit der Vorlage um?
In Zürns Anagramm-Gedichten finden sich in jeder Zeile dieselben Buchstaben in anderer Reihenfolge. Diese Kombinatorik der ‘Buchstaben-Klänge’ verleiht den Gedichten fast eine musikalische Ebene. Das wollte ich in der Musik explizit machen. Indem ich entschlüssle, dass die Worte aus einzelnen Lauten zusammengesetzt sind. Die Laute hört man sonst ja nicht in erster Linie, sondern die Worte als Ganzes, mit ihrer Bedeutung.
Die Sängerin singt in zweien der drei Lieder die Worte nicht konventionell oder ‘natürlich’. Sie gibt einzelne, stimmlose Konsonanten an den Pianisten ab, der diese mit seiner Stimme artikuliert. Ziel ist natürlich, dass die Worte danach verständlich sind. Das bedeutet eine hohe Anforderung an rhythmische und dynamische Präzision, sowohl für die Sängerin als auch für den Pianisten.
Interview: Gabrielle Weber
*Unica Zürn (Berlin 1916 – 1970 Paris), deutsch-französische Dichterin und Zeichnerin, bekannt für ihre 123 Anagramm-Gedichte.
Im Liedzyklus verwendet Stefan Keller folgende drei Anagramm-Gedichte:
Der einsame Tisch, Es war einmal ein kleines, Das Leben ist schoen.
Stefan Keller, Unica Zürn, Chris Walton
Othmar Schoeck Festival, Leitung Alvaro Schoeck / Chris Walton:
HeimatLos, 11.9.: 20:30h / 13.9.: 18h
Uraufführungskonzert 12.9., 20h mit weiteren Stücken von Stefan Keller und ausgewählten Liedern von Othmar Schoeck:
UA Keller: Sopran: Truike van der Poel, Klavier: J. Marc Reichow
Internat. Symposium Frauen:Stimmen Samstag/Sonntag, 12./13.9.:
live und per Livestream (Homepage Othmar Schoeck Festival / Zusammenarbeit: Musikwissenschaftliches Institut der Universität Zürich und Mariann Steegmann Foundation).
Leitung: Dr. Merle Fahrholz, Chefdramaturgin / stellvertretende Intendantin Oper Dortmund
Neo-Profiles: Stefan Keller, Othmar Schoeck Festival, Soyuz21