20 Jahre Konus Quartett

Dem Saxophon jeden möglichen Ton entlocken – das ist das Metier des Konus Quartetts. Die vier Musiker sind spezialisiert auf zeitgenössische und experimentelle Musik und zeigen im Ensemble einen grossen Reichtum an neuen Saxophon-Klangwelten. Dieses Jahr feiert das Konus Quartett sein 20. Jubiläum mit einer Festivalwoche voller Kollaborationen – zum Beispiel mit dem Gori Frauenchor aus Georgien.

Florence Baeriswyl
Viele Saxophonquartetts wollen möglichst virtuos und voll klingen, am ehesten wie eine Orgel. Nicht das Konus Quartett: es spielt präzis und minimalistisch und erforscht dabei die Grenzen der Saxophonmusik. Christian Kobi, Fabio Oehrli, Stefan Rolli und Jonas Tschanz: das sind die Namen hinter dem Konus Quartett, welches dieses Jahr sein 20. Jubiläum feiert. Die vier Musiker sind breit gefächert und haben Hintergründe, die von freier Improvisation, über Tonmischung und Label-Führung bis zur Big Band- und Festivalleitung reichen. Alle vier teilen die Leidenschaft für das Saxophon und eine musikalische Experimentierfreudigkeit.

 

Konus Quartett: Von links nach rechts: Christian Kobi, Fabio Oehrli, Stefan Rolli, Jonas Tschanz © Livio Baumgartner

 

Minimalismus und Präzision

Christian Kobi beispielsweise hat auch schon mit der Stille des Saxophons Musik erzeugt. Dafür montierte er Mikrophone ganz dicht am Blasrohr und nahm die Resonanz im Inneren des Instruments auf, ohne hineinzublasen. Die so aufgenommene Stille verstärkte er, bis es zu einer Rückkopplung kam. Das Ergebnis ist ein anhaltender, unscheinbarer Ton, der sich einfach überhören lässt, wenn man sich nicht darauf achtet.

 


Christian Kobi lässt in rawlines 1 durch Rückkopplung von Resonanzen im Saxophoninneren Stille zu Klang werden.

 

Modular und zukunftsgewandt

Während ein traditionelles Saxophonquartett aus den vier Hauptinstrumenten der Saxophonfamilie besteht – Bariton, Tenor, Alt und Sopran – setzt sich das Konus Quartett modular zusammen und bleibt in der Besetzung flexibel. Je nach Stück spielen sie in der traditionellen Besetzung, aber manchmal auch mit zwei Altsaxophonen, einem Tenor- und einem Baritonsaxophon, oder sogar mit zwei Tenor- und zwei Baritonsaxophonen.

Diese Flexibilität suchen die vier Saxophonisten auch, wenn sie Kompositionen in Auftrag geben. Sie arbeiten vor allem mit Komponist:innen zusammen, die sich vertieft mit Klang auseinandersetzten und sich nicht von traditionellen Erwartungen an Saxophonquartette einschränken lassen. Unter den Stücken, die sie aufführen, finden sich Kompositionen von wichtigen Namen der internationalen Szene der zeitgenössischen Musik wie Chiyoko Szlavnics, Jürg Frey, Barry Guy, Makiko Nishikaze, Phill Niblock, Urs Peter Schneider, Martin Brandlmayr oder Klaus Lang.

 

FORWARD & REWIND: Ein Fest für neue Musik

Zur Feier seines 20. Jubiläums veranstaltet das Konus Quartett mit Titel Foward & Rewind in Bern ein Festivalwochenende. Forward & Rewind ist wörtlich gemeint: die vier Saxophonisten nehmen vergangene Kollaborationen erneut auf und streben neue an, sie zeigen sich zugleich reflektiert und zukunftsgewandt.

Eine dieser bereits vorhandenen Kollaborationen ist beispielsweise die mit dem Streichquartett Quatuor Bozzini. Im Jahr 2021 brachte das Konus Quartett mit ihnen das Stück Continuité, fragilité, resonance vom Schweizer Komponisten Jürg Frey zur Uraufführung. Am Eröffnungskonzert greifen die Musiker:innen des Konus Quartetts und des Quatuor Bozzini dieses Stück nochmal auf, zusammen mit einem Stück der Komponistin Chiyoko Szlavnics. Dabei lassen sich die Musiker:innen viel Zeit und Raum – und entfalten geduldig und präzise die verschiedenen Klangflächen, die in den Kompositionen verborgen sind.


During a Lifetime (Ausschnitt): Das Konus Quartett interpretiert ein Stück der kanadischen Komponistin Chiyoko Szlavnics.

 

Kraftvolle Stimmen aus Georgien

Eine neue Kollaboration erfolgt mit dem renommierten georgischen Gori Frauenchor, welcher seit 1970 den traditionellen georgischen Chorgesang auf Bühnen bringt. Diese polyphone Gesangstechnik ist hunderte von Jahren alt und entfernt verwandt mit dem uns bekannten Jodeln. Sie zeichnet sich besonders durch die fast physisch spürbare Kraft in der Stimme aus. Die Frauen singen teilweise einstimmig, teilweise mikrotonal aufgefächert, und vermischen dabei Harmonie und Dissonanz.

Seit 2013 wird der Chor von Teona Tsiramuna geleitet und hat sich gewissermassen neu erfunden. Der Leiterin ist es sehr wichtig, stets Neues zu entdecken und die gesangliche Tradition mit modernen und internationalen Musiken zu kombinieren. «1970 sang der Chor für eine bestimmte, ziemlich homogene Hörerschaft. Es wurde vor allem schwermütige und getragene georgische Musik aufgeführt. Jetzt hat sich das ausgeweitet. Wir singen auch mexikanische, türkische oder afrikanische Volksmusik», so Tsiramuna im Interview für SRF 2 Kultur.

Besonders nach einer Kollaboration mit der georgisch-britischen Pop- und Blues-Sängerin Katie Melua gewann der Gori Frauenchor über die Grenzen Georgiens hinaus an Bekanntheit und tritt nun auf europäischen Bühnen in verschiedenen Konstellationen an. Die Experimentierfreudigkeit zieht die Dirigentin auch zu Kollaborationen mit zeitgenössischen Musiker:innen, bspw. an den Stanser Musiktagen.

 

An den Stanser Musiktagen 2022 traten die Frauen zusammen mit vier jungen elektronischen Künstler:innen auf und verschmolzen Stimme mit Synthesizer-Klängen.

 

«Air Vibrations»

Air vibrations, die Kollaboration des Konus Quartetts mit dem Gori Frauenchor lässt sich einerseits als «Luftschwingungen» übersetzen, andererseits auch als «Liedschwingungen», vom italienischen «aria». Zum Schwingen bringt der Gori Frauenchor seine Stimmen zusammen mit zwei weiteren grossen Namen der zeitgenössischen Musik: die georgisch-schweizerische Pianistin Tamriko Kordzaia und der österreichische Komponist und Konzertorganist Klaus Lang.

 

Die neue Kollaboration knüpft an die erste Zusammenarbeit zwischen Klaus Lang und dem Konus Quartett, dem Stück Drei Allmenden, an.

 

Lang hat das Konzert konzipiert und komponiert und spielt auch an der Orgel mit. Seine Werke zeichnen sich durch die Weise aus, wie der den Klang erforscht. Musik ist «hörbar gemachte Zeit», so Lang. Auf seinem Instrument, der Konzertorgel, lässt sich diese Seite des Klangs besonders gut erkunden, da man die Töne beliebig lange halten kann.

Im Konzert Air Vibrations verwebt Lang dieses Orgelspiel mit den Saxophonen des Konus Quartetts und den Klaviertönen von Tamriko Kordzaia. Zusammen legen sie den Boden für den traditionelle Gesang des Gori Frauenchors. Dadurch entsteht Musik, die Altes und Neues vermischt, und somit voll und ganz im Sinne des Festivals steht: Forward & Rewind.
Florence Baeriswyl

 

Konus Quartett © Livio Baumgartner

 

FORWARD & REWIND Bern
3.5.23, 18:30: Konzert «Continuité, fragilité, resonance» von Jürg Frey, mit Quator Bozzini, les Concerts de musique Contemporaine (CMC) La Chaux-de-Fonds
5.5.-7.5.23: Fest für neue Musik , Bern
5.5. 19:30: Interlaced Resonances, Aula PROGR Bern
6.5. 19:30: Voltage Cracklings, Aula PROGR Bern
7.5. 19:30: Air Vibrations, Kirche St Peter & Paul Bern

Weiteres Konzert: Moods Zürich
8.5.23, 20:30:  «Air Vibrations»

Fabio Oehrli, Jonas TschanzChiyoko Szlavnics, Barry Guy, Makiko Nishikaze, Phill Niblock, Martin Brandlmayr, Klaus Lang, Quatuor Bozzini

Sendung SRF 2 Kultur:
Neue Musik im Konzert, 19.7.2023: Konzert Konus Quartett und Gori Women’s Choir, Bern: Air vibrations
Neue Musik im Konzert, 12.1.22: Jürg Frey: Stehende Schwärme
Musik unserer Zeit
, 13.11.13: «zoom in» – der Saxophonist und Veranstalter Christian Kobi
Online-Artikel, 13.11.13: Das Rauschen des Nichts: Der Saxophonist Christian Kobi
Musik unserer Zeit, 17.07.2019: Saxophonzauber mit dem Konus Quartett
Musikmagazin, 21.5.22: Chorleiterin Teona Tsiramua: «Wir singen nicht nur Wiegenlieder»


Neo-profile:
Konus Quartett, Tamriko Kordzaia, Christian Kobi, Jürg FreyUrs Peter Schneider, Jonas Tschanz

Die genetische Legitimation

Vokalperformance prägt die heutige zeitgenössische Musiklandschaft. Gerade Performerinnen können sich auf eine lange Tradition an Werken für Stimme seit Luciano Berios Sequenza III per voce femminile (1965) oder Cathy Berberians Stripsody  (1966) berufen. Benjamin Herzog und Florian Hauser setzten in einer Mini-Serie Musik unserer Zeit mit historischen und aktuellen Vertreterinnen des Genres auseinander.

 

Benjamin Herzog
Irgendwie läuft es doch immer darauf hinaus: Seine eigene Stimme finden. Die kann in den Speichelseen unserer Mundhöhlen liegen, in herumgeschleuderten Raumklängen oder in Urwörtern, mit denen wir uns auf unserem Kontinent schon vor 15’000 Jahren zu verständigen versuchten. 

Belcanto ist ein stehender Begriff in der Vokalpraxis. Der schöne Gesang. Und damit fängt es bereits an. Was ist schön? Was (noch) Gesang? Wer den Klanggebilden der Norwegerin Maja Ratkje zuhört, hybriden, mehrschichtigen Tonschichten, ist von deren Schönheit fasziniert. Mit Belcanto indes haben sie wenig zu tun.

Auch die Schweizerin Franziska Baumann würde ihren Gesang nicht mit dem klassischen „Schöngesang“ vergleichen. Sie sagt: „Ich wusste zuerst gar nicht, dass das, was ich mache, überhaupt Kunst ist.“ Zur Erkenntnis, dass dem vielleicht doch so ist, und zu der damit verbundenen Selbstermächtigung musste sie erst nach New York reisen. Dorthin, wo die Vorstellungen dessen, was Singen alles sein kann, offener waren, als im Toggenburg, Baumanns Heimat.

 

Portrait Franziska Baumann ©Francesca Pfeffer

 

Sehr weit weg von den elysischen Gefilden des Gesangs bewegt sich die US-Amerikanerin Audrey Chen. Sie sagt, sie erhebe, mit dem, was sie mache, überhaupt keinen künstlerischen Anspruch. „Es ist ein Prozess“, sagt sie, der eher ihre wechselhafte Biographie abbilde. Ein Leben, für das Chen eine eigene Sprache finden wollte.

Die drei Frauen sind Vokalperformerinnen. Der Begriff ist so allgemein wie unscharf. Sängerin, Vokalist, „singing artist“ – im Teich dieses Denglisch blubbert Vieles und bildet doch eine spezielle Bubble. Nämlich, dass viele dieser Vokalperformerinnen, wollen wir bei diesem Wort bleiben, zugleich Ausführende sowie Komponierende, Konzeptionierende sind.

Erkundungstouren durch ihre Toggenburger Heimat

Als Kind machen wohl viele von uns das, was Franziska Baumann auf ihren Erkundungstouren durch ihre Toggenburger Heimat machte: Den Klang der Bäche, der Blätter, Vögel, von vorbeituckernden Mähdreschern innerlich zu einer Klangmischung zu verbinden. Zu einer Art Musik, die vielleicht damals schon mit dem einen oder anderen Gluckser, Piepser aus Baumanns Mund wieder aus dem kindlichen Körper nach aussen dringen wollte. Danach folgte bei Franziska Baumann: klassisches Studium und Ausbruch aus den Regeln und Mauern der damals noch bewahrend „Konservatorien“ genannten Anstalten. In New York fand sie Vorbilder, die das, was mit ihren frühen Erfahrungen verknüpft war, ganz selbstverständlich als Kunst ansahen. „Es war auch eine Selbstermächtigung“, sagt sie heute.

Nicht nachvollziehende Interpretin zu sein, sondern Meisterin über die eigenen Töne. Und das, es trifft auf alle der drei in diesem Text Beschriebenen zu, mit Mitteln, die die eigene Stimme um mehrere Dimensionen erweitern. Bei Franziska Baumann ist dies ein spezieller Handschuh mit Sensoren. Mit ihm kann sie Klänge erzeugen, aus einer vorher angelegten Klangbibliothek abrufen und im Raum herumschicken. Ein Geisterorchester, das sie selbst dirigiert, während sie dazu zugleich vokal performt.

 


Franziska Baumann, Re-Shuffling Sirenes, Solo für Stimme und gestische Live-Elektronik, International Conference for Live Interfaces Trondheim 2020

 

Audrey Chen hat dieses Orchester in ihrem eigenen Mund entdeckt. Was sie da auf eine unumwunden intime Weise zwischen Wangen, Zunge, Gurgel und in den Wellen des eigenen Speichels an Klängen erzeugt, wirkt wie eine Sprache aus Hyperkonsonanten. Ein Überwesen scheint da zu uns zu sprechen. Was den „Belcanto“ ausmacht, das Segeln auf Vokalen, fehlt hier nicht nur. Auch die Konsonanten selbst kommen zerstückelt, atemlos, als klingende Mundmuskelmasse einer Extraterrestrischen, zumindest ziemlich Fremden aus ihr heraus. Chen erwähnt mehrfach, dass sie mit 23 Jahren bereits alleinerziehende Mutter wurde. Ein offenbar einschneidendes Erlebnis in ihrer Biographie. Wurde sie sich in ihrem Lebensentwurf damals selbst fremd? „Ich musste, auch als Immigrantin sowie Tochter eines Immigrantenpaars in den USA, meine eigene Sprache finden.“ Heute lebt sie mit dem norwegischen Posaunisten Henrik Munkeby Nørstebø zusammen. Ihre beiden (Musik)-Sprachen scheinen nicht komplett verschieden zu sein. Jedenfalls verbinden sie sich seit Jahren in geradezu erstaunlich harmonischen Projekten.

 

Audrey Chen &Henrik Munkeby Nørstebø, Beam Splitter, 22.04.2017, Kaohsiung Taiwan, Yard/Theater

 

Orchestrales Denken

Und sie, die Norwegerin Maja Ratkje? Sie sagt, ihr Denken sei orchestral. Klavier oder Gitarre seien ihr schon immer zu wenig „Begleitung“ gewesen. Wer mit Ratkje spricht, dem dürfte dieses doppelte Understatement nicht entgehen. Ratkje spielt gerne auf vielen Ebenen. Als Studentin gründete sie eine Gruppe namens „Spunk“, um ihr Publikum mit den Stimmen der Chipmonks zu irritieren, jenen der Comicwelt entsprungenen, sprechenden Eichhörnchen. Ein Aufenthalt am IRCAM in Paris zog eine Faszination für elektronische Medien mit sich, die Ratkje seither konsequent vertieft. Ihr Auftritt anlässlich einer Preisvergabe am ZKM in Karlsruhe, dokumentiert auf Video, zeugt von der mittlerweile erlernten Virtuosität. Ratkje gelingt es, mittels Stimme und Elektronik ein ineinandergefurchtes Klangwesen entstehen zu lassen, das, der griechischen Hydra gleich, immer mehr Köpfe hat, als wir wahrnehmen, geschweige denn hörend je bezwingen könnten.

 

Maja S.K. Ratkje Interview zu What are the words to us, UA Luzerner Theater 2022

 

Ratkje zeigte in ihrer Residenz am Luzerner Theater in der Saison 2022/23, dass sie neben neuester Technik auch dem ganz Alten zugewandt ist. Zu hören war, in ein Musiktheaterstück integriert, ihre Komposition Revelations (This Early Song). Darin kommen Urwörter wie „worm“, „bark“ oder „spit“ vor. Wurm, Rinde, Spucke also, Wörter, die vor 15’000 Jahren auf dem ganzen eurasischen Kontinent gesprochen wurden. So erzählt Ratkje im Gespräch.

Warum sie in solchen semantischen Tiefenschichten gräbt, wird beim Hören offenbar und wirkt wie eine Legitimation für das in diesem Text anhand dreier Exponentinnen skizzierte Thema. Die Faszination, die uns aus Revelations anspringt, ist nichts weniger als eine Art genetischer Legitimation der vokalen Performance, wie wir sie heute in vielerlei Ausprägung erleben. Es geht darum, seine Stimme zu finden. Einen Weg zu finden, sich mit Sinn gegenseitig anzusprechen, -fauchen, -spucken. Ob wir, das Publikum, uns von dieser Art, sich mitzuteilen, mehr angesprochen fühlen oder doch lieber von der Kulinarik des Belcanto, das hingegen sei doch jedem selber überlassen.
Benjamin Herzog

 

In der Musik unserer Zeit-Serie Vokalperformance I und II vom 8. und 15. März 2023 portraitiert zudem Florian Hauser (II: Erstausstrahlung 15.3.23) die Pionierinnen Carla Henius und Cathy Berberian, im Gespräch mit Anne-May Krüger, Basler Sängerin und Musikwissenschaftlerin, die über die beiden ein Buch verfasste.

 

Portrait Anne-May Krüger © Foto Werk

Anne-May Krüger: Musik über Stimmen – Vokalinterpretinnen und -interpreten der 1950er und 60er Jahre im Fokus hybrider Forschung, Wolke-Verlag.

Maja Ratkje, Audrey ChenCarla Henius, Cathy Berberian, Luciano Berio

Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, 8.3.2023: Vokalperformance I – Gegenwartsstimmen elektronisch verwoben, Redaktion Benjamin Herzog)
Musik unserer Zeit15.3.2023: Vokalperformance IIPionierinnen Carla Henius und Cathy Berberian, Redaktion Florian Hauser im Gespräch mit Anne-May Krüger

Neo-profile: Franziska Baumann, Anne-May Krüger

 

 

Formen aus Klang und Stein

Cécile Marti ist Komponistin und Steinbildhauerin. Beiden Tätigkeiten gleichermaßen nachgehen zu können gehört für sie zu einem ausgewogenen Leben. Am 3. April 2023 wird ihr Akkordeonquartett Spectra im Rahmen eines Konzerts der Société de musique contemporaine Lausanne uraufgeführt.

 

Die Komponistin und Steinbildhauerin Cécile Marti. © Martin Messmer

 

Friederike Kenneweg
“Ich komme gerne ganz aus der Stille, und ich versuche, mir diese Stille möglichst den halben Tag zu bewahren”, sagt Cécile Marti, als wir uns mittags zu einem Gespräch per Videokonferenz treffen. Der Morgen und der Vormittag sind bei ihr für gewöhnlich dem Komponieren vorbehalten. “Damals, als ich zum Komponieren kam, wuchs das aus der absoluten Stille heraus. Dieses Erlebnis suche ich alle Tage wieder auf.”

 

Aus der Stille zur Komposition

Den Weg aus der Stille zurück zum Klang hatte Cécile Marti suchen müssen, nachdem ein Schicksalsschlag sie ereilt hatte. Denn zunächst schwebte der musikbegeisterten jungen Frau eine ganz andere Karriere vor: Sie wollte Violinistin werden.
“Ich habe mein ganzes Leben nur auf die Geige ausgerichtet, von Kind auf gab es für mich nur die Geige und nur den Geigenberuf.”
Doch als sie während ihres Studiums einen Hirnschlag erlitt, der ihr das Geigenspiel verunmöglichte, erfolgte eine lange Zeit des Loslassens.

“Da musste ich durch tiefe Welten steigen und mir das Leben von Grund auf neu denken und erfinden und gestalten.”

 

Erfolg mit bubble trip

Aus diesem Prozess heraus entdeckte sie das Komponieren als Möglichkeit, sich weiterhin musikalisch ausdrücken zu können, wenn auch auf eine ganz neue Weise. Bei Dieter Ammann,  Georg Friedrich Haas und Julian Anderson studierte sie Komposition und konnte schon bald erste Erfolge verzeichnen – zum Beispiel mit ihrem Orchesterwerk bubble trip (2004/2007), mit dem sie 2009 den internationalen Kompositionswettbewerb im Rahmen der 9. Weimarer Frühjahrstage für zeitgenössische Musik gewann.

 


In der Schweiz wurde Cécile Martis bubble trip im Jahr 2010 vom Luzerner Sinfonieorchester erstmalig aufgeführt.

 

Vierteltöne mit dem Akkordeon

Gerade hat Cécile Marti das Werk Spectra für vier Akkordeons abgeschlossen, das Anfang April vom Ensemble Xamp uraufgeführt werden soll. Das Besondere: zwei der Akkordeons des Ensembles sind so gebaut, das sie Vierteltöne spielen können. Cécile Marti hat diese Gelegenheit genutzt, um sich, wie schon in vorangegangenen Werken, mit Naturtonspektren auseinanderzusetzen.

 


Auch in Dancing Spectra für Sextett aus dem Jahr 2018 nahm Cécile Marti bereits Naturtonspektren zum Ausgangspunkt. Hier: für eine sehr tänzerische Komposition, Aufnahme: ensemble für neue musik zürich,

 

Nachmittags die Steine

Ihre Nachmittage widmet Cécile Marti der Steinbildhauerei, die sie zeitgleich mit ihrer Hinwendung zur Komposition für sich entdeckte.
Das visuelle Gestalten lag in ihrer Familie: Ihr Vater arbeitete als Graphiker und fertigte unentwegt Zeichnungen und Skizzen an, und bei ihrer Mutter, einer Keramikerin, konnte sie häufig den Entstehungsprozess der Werkstücke aus Ton mitverfolgen. “Ich bin da quasi in ihrer Werkstatt aufgewachsen und durfte miterleben, wie sie Gefäße formte, und wie diese dann gebrannt wurden und in allen Form- und Farbvarianten aus dem Brennofen kamen. Das war immer sehr aufregend.”

Heute bringt sie selbst die Form aus dem harten Stein hervor – ein Prozess, der immer wieder aufs Neue eine Herausforderung darstellt und große Konzentration erfordert.

 

Prozesse und Verläufe in Stein und in Klang

Die Wechselwirkung zwischen den Kunstformen, denen sich Cécile Marti tagtäglich widmet, finden auch Eingang in ihr Werk. In Five stages of a sculpture (2019) für Ensemble und zwei Solobratschen zum Beispiel stehen fünf Musiksätze fünf verschiedenen Entstehungsstufen einer Steinskulptur gegenüber. Das Ensemble versinnbildlicht die Materialität des Steins, dem nach und nach die Bratschenstimmen eine neue Form verleihen.

 


Five Stages of a Sculpture von Cécile Marti, gespielt vom Ensemble Multilatérale.

 

Water Crystals aus dem Jahr 2020 nimmt die verschiedenen Strukturen von Wasserkristallen zum Ausgangspunkt, die der Forscher Masuro Emoto in den 1990er Jahren an unterschiedlichen Ecken der Welt fotografiert hatte. Violine und Klavier setzen sich musikalisch in zwölf aphoristischen Miniaturen mit den sechseckigen Kristallstrukturen auseinander. Zwölf Skulpturen aus weißem Marmor nehmen das gleiche Thema räumlich-visuell in den Blick.

 


Cécile Marti, Water Cristals for violin and piano, 2020, Video 2021 ©Martin Messmer

 

Cécile Marti hat mit ihren beiden Tätigkeitsfeldern etwas gefunden, das sie  erfüllt. “Das ist einfach etwas so Wundervolles, und ich möchte dieses aufregende Erlebnis weitergeben können, weiter schenken können”, sagt sie. Denn Formen und Gestalten – das hat auch etwas Selbstermächtigendes.

“Es geht mir um die Form und das Formen unseres Lebens. Unserem Leben Gestalt geben, unserem Leben Form schenken. Auch im Sinn von selber das Leben denken, selber das Leben gestalten von innen heraus, das selbstbestimmte Gestalten unserer Leben von Grund auf.”
Friederike Kenneweg

 

Konzert: 3. April 2023, 19:00/20:15; Société de musique contemporaine Lausanne, Haute Ecole de Musique de Lausanne (HEMU)| Utopia 1 | Rue de la Grotte 2 | 1003 Lausanne: Das Ensemble Xamp spielt Werke von Cécile Marti und anderen Komponist:innen.

Cécile MartiSteinskulpturen von Cécile MartiDieter AmmannJulian AndersonGeorg Friedrich HaasEnsemble MultilatéraleLuzerner SinfonieorchesterEnsemble Xamp

Neo Profile:
Cécile MartiDieter AmmannGeorg Friedrich HaasLuzerner SinfonieorchesterSMC Lausanne

 

Durch Musik eins werden mit der Natur

Toshio Hosokawa ist der bekannteste japanische Komponist und diese Saison Creative Chair beim Tonhalle Orchester Zürich. Hosokawa verbindet in seiner Tonsprache die westliche neue Musik mit traditioneller japanischer Musik. Moritz Weber unterhielt sich mit dem Komponisten.

 

Moritz Weber
Vor drei Jahren komponierte Toshio Hosokawa im Auftrag des Pianisten Rudolf Buchbinder eine Variation über den berühmten Walzer von Diabelli in C-Dur, über welchen einst Beethoven seine monumentalen 33 Veränderungen komponiert hatte. «Ich liebe Klavierklänge», sagt Hosokawa im Gespräch, «aber in diesem Walzer hat es sehr viele Töne». Seine Variation klingt denn auch wie in Zeitlupe, er lässt einzelnen Tönen viel Zeit, um sich zu entfalten. Wegen des langsamen Tempos sei das Stück typisch für ihn, sagt der japanische Komponist, und sogar die tonalen Elemente passten zu seiner Musiksprache, denn in den letzten 2 bis 3 Jahren habe er sich wieder mehr für tonale Musik interessiert, «und ich möchte in Zukunft auch tonale Musik komponieren.»

 

Über das Studium in Deutschland zur traditionellen japanischen Musik

Zu seiner eigenen Klangsprache, die fernöstliche und westliche Ästhetik verbindet, fand er über einen Umweg. «Meine Familie war sehr japanisch», sagt er. Mit einem Ikebana-Meister als Grossvater, der auch Nō-Gesang und die Teezermonie liebte, und einer Mutter, die immer Koto spielte, war ihm das dann doch etwas «zu viel». Für ihn waren die traditionellen japanischen Künste damals altmodisch, «langweilig» gar.

Da er sich als Klavierstudent insbesondere für das klassisch-romantische Repertoire begeisterte, wie für die späten Klaviersonaten von Beethoven, ging Hosokawa nach Deutschland, um bei Isang Yun (in Berlin) und Klaus Huber (in Freiburg i. B.) Komposition zu studieren.

 


Klaus Huber, Kompositionsprofessor von Toshio Hosokawa mit seinem fernöstlich inspirierten Stück Plainte – Lieber spaltet mein Herz, Contrechamps 2018, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Am Meta-Musikfestival im Berlin der 1970er-Jahre wurde neue Musik aus Europa mit traditioneller Musik aus aller Welt kombiniert. György Ligeti mit indonesischer Gamelanmusik, Karlheinz Stockhausens Mantra mit Tempelmusik aus Japan. Dort hörte und erlebte Hosokawa von Europa aus die Musik seiner Heimat ganz anders und entdeckte ihre Schönheit. Gemischt mit Heimweh und dank der Ermunterung seiner Lehrer begann Hosokawa in seinem Stil die fernöstliche Klangsprache und Philosophie mit der europäischen zu verschmelzen.

 

Unterschiede zwischen westlicher und östlicher Ästhetik

Ein wichtiger Unterschied zwischen europäischer und japanischer Musik sei, dass letztere keine absolute Musik sei, sondern immer als Atmosphäre oder Hintergrund für bestimmte Ereignisse wie Zeremonien oder Tänze. Sie sei an einen Ort gebunden. Die europäische Musik hingegen sei eine Architektur, die an den unterschiedlichsten Orten gespielt werden könne, so wie man eine Skulptur oder ein Gemälde irgendwo hin transportieren kann, so Hosokawa.

 

Portrait Toshio Hosokawa © KazIshikawa zVg. Tonhalle-Orchester Zürich

 

«In der japanischen Musiktradition ist der Einzelton sehr wichtig. Ich sage immer, unsere Musik sei eine Kaligraphie in Zeit und Raum, und eine musikalische Linie ist wie ein Pinselstrich, mit Anfang und Ende». Die Töne seien vertikale Ereignisse, wie ein kalligraphischer Pinselstrich auf einem weissen Papier. Ganz im Gegensatz zu den zu Motiven verbundenen Tongruppen der westlichen Musik, z.B. das berühmte «ta-ta-ta-taaaaaa» aus Beethovens 5. Sinfonie, singt Hosokawa vor.

 

Nō-Theater und Gagaku-Musik

«In den Stücken des traditionellen japanischen Nō-Theaters aus dem 12. oder 13. Jahrhundert geht es um Seelenheilung, und dieser Gedanke ist auch sehr wichtig für mich», sagt Hosokawa: «Die Verstorbenen kommen zurück, erzählen vom Jenseits, heilen ihre Seelen durch Tanz und Gesang und kehren dann zurück ins Reich der Toten». Musikalisch ist der «Kalligraphie-Gesang» prägend, wie auch das Schlagzeug: Heftige Schläge, welche die Zeit quasi vertikal durchschneiden. Es werden nicht grosse horizontale Räume eröffnet, sondern die Impulse sind für sich selbst Ereignisse. Darauf weise er auch immer hin, wenn er mit Musiker:innen an seinen Stücken arbeite, wie diese Saison als Creative Chair beim Tonhalle-Orchester Zürich. «Diese heftigen vertikalen Einschnitte, sie sind stärker als normale Einsätze, auch die plötzlichen Änderungen in der Dynamik. Ich sage immer: Denken sie beim Spielen, sie malen eine Kalligraphie. Denken sie nicht zu formal, sondern dass jeder Moment ein wichtigster Moment ist, jeder Moment eine Ewigkeit.»

 

 


Toshio Hosokawa, Ferne Landschaft III – Seascapes of Fukuyama (1996), Basel Sinfonietta, Dirigent Baldur Brönnimann 2016, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Hosokawa gefallen auch die mikrotonalen Färbungen, welche bei der Gestaltung von Tönen im Nō-Theater wichtig sind. «Um die Zentraltöne herum gibt es immer kleine Veränderungen, und diese möchte ich hören, denn sie machen die Töne lebendig». Auch hier singt er im Interview einen langgezogenen Ton vor und zeichnet dazu mit der Hand in der Luft den Tonverlauf nach.

 

Der Mutterakkord der Shô

Die etwa 500 Jahre ältere und ursprünglich aus China und Korea stammende japanischen Gagaku-Musik ist eine zeremonielle Hofmusik. Der Klang der japanischen Mundorgel Shô ist hier omnipräsent. Er symbolisiert im Hintergrund die Ewigkeit, während darüber Melodieinstrumente wie Hichiriki oder die Drachenflöte Ryūteki klangliche Kalligraphien «zeichnen».

Mit der Shô sei es auch möglich, den Atem und kreisende Zeit unmittelbar erfahrbar zu machen. Hosokawa nennt das den «Mutterakkord», und er hat diverse Stücke für oder mit Shô geschrieben. Auch diese Kreisläufe seien für ihn sehr wichtig, wie auch der Gedanke, dass Gagaku eher eine kosmische Musik ist als eine menschlich-emotionale.

 

Naturkatastrophen als Opernstoff

Toshio Hosokawa ist mit seiner einzigartigen Tonsprache und seinen Kompositionen in allen Gattungen weltberühmt geworden. Viele seiner Werke drehen sich um Naturkatastrophen wie um das verheerende Tohoku-Erdbeben, Tsunami und die Nuklearkatastrophe von Fukushima. «Mein Ziel ist es, durch Musik und durchs Komponieren eins zu werden mit der Natur. Eigentlich ist die japanische Natur sehr schön mit ihren Jahreszeiten, aber sie ist nicht immer freundlich zu den Menschen. Diese Tatsache habe ich erfahren als der Tsunami kam, und ich begann, ganz anders über Natur nachzudenken. Mit meiner vierten Oper Stilles Meer wollte ich ein Klagelied für die Opfer dieses einschneidenden Ereignisses oder ein Requiem für die Toten schreiben.» Nicht nur die Urgewalt hat Hosokawa darin auskomponiert, sondern die schrecklichen Bilder des Verlusts, wie Kinderschuhe oder Spielzeug, welche in den Überschwemmungsgebieten treiben.

 


Toshio Hosokawa, die Oper Stilles Meer ist für Toshio Hosokawa ein Klagelied an die Opfer des Tsunami von 2011, UA Staatsoper Hamburg 2016

 

 

Momentan komponiert Hosokawa seine sechste Oper, auch sie wird sich wieder um Naturkatastrophen drehen. Eine junges Paar, ein Japaner und ein Flüchtling aus der Ukraine, besucht darin verwüstete Orte, verschiedene «Höllen» im Sinne von Dantes Inferno, wo sie die Auswirkungen der Naturkatastrophen sehen, so Hosokawa. Die Oper soll in der Spielzeit 2025/26 uraufgeführt werden.

 

Innere und äussere Ruhe

Um seine innere Ruhe zu finden, geht Hosokawa gerne in den Wald oder ans Meer in der Nähe seines Wohnortes in Nagano. Er meditiert auch täglich, still sitzend und nichts tuend für ein paar Minuten. Eine Kraftquelle für seine kontemplative Zustandsmusik, welche durchsetzt ist von eruptiven Ausbrüchen.

Seine Musik soll auch für das Publikum ein Ort der Kontemplation sein, ein Ort des Gebets. «In Japan gibt es sehr viele geschnitzte Holzstatuen von anonymen Künstler:innen, bei welchen die Menschen beten. Ich möchte, dass meine Musik eine ähnliche Bedeutung hat. Sie kann die Menschen vielleicht nicht retten, aber irgendwie schützen.»

Die Spiritualität spielt auch in seinen jüngsten Werken eine Rolle: Ceremony für Flöte und Orchester (UA 2022) und Prayer für Violine und Orchester (UA 2023).

 

Das Soloinstrument sei auch in diesen beiden Stücken wie ein Schamane, ein Vermittler zwischen dem Dies- und dem Jenseits, so Hosokawa, er empfange und höre die Urkraft Ki (気). «Diesen Gedanken finde ich sehr interessant: Komponieren, nicht als ein Ausdruck eines Menschen oder seines Egos, sondern als Empfangen von dem, was schon da ist; die Urkraft der Klänge, den bald lieblichen, bald dramatischen Fluss der Töne. «Das Orchester repräsentiert dabei die Natur. Diese ist also in und um das Soloinstrument bzw. den Schamanen. Er kommuniziert mit ihr, trägt Konflikte aus, und soll zum Schluss zu einer Harmonie mit ihr findet».

Hosokawa sieht sich als ein Vertoner dieser Urkraft, und sagt: «auch ich möchte ein Schamane werden» – wenn er es nicht schon ist.

Wenn er mit Orchestern oder Musiker:innen seine Werke einstudiert, wie jetzt während seiner Zeit als Creative Chair des Tonhalle Orchesters Zürich, sei es vor allem das Zeitgefühl, woran man manchmal etwas mehr arbeiten müsse.
Moritz Weber

Tonhalle-Orchester Zürich: Toshio Hosokawa, Creative Chair, Saison 2022/23
Konzerte: Sonntag, 26.3. Kammermusik
Mittwoch, 29.3.23: Meditation to the victims of Tsunami für Orchester.

 

Rudolf Buchbinder, Isang Yun, Klaus Huber, Shô, Hichiriki, Ryūteki, Gamelan, Karlheinz Stockhausen, Gagaku, György Ligeti, Koto, Metamusikfestival Berlin

Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, Mittwoch, 22.3.23, 20h, 25.3.23, 21h: Musikschamane und Vertoner der Urkraft, Autor Moritz Weber

Neo-Profile:
Toshio Hosokawa, Tonhalle-Orchester Zürich, Klaus Huber

 

Grösstmögliche Freiheit – Ligetis Atmosphères neu interpretiert

«Tuns contemporans», Biennale für Neue Musik Graubünden, findet vom 29.3. bis zum 2.4. zum dritten Mal statt. Mit Motto «100 Jahre Ligeti» beleuchtet es den wegweisenden Komponisten auch aus heutiger Sicht. Atmosphères, Ligetis monumentales Orchesterwerk bekannt aus Kubriks «Space Odyssee 2001», kommt im Theater Chur als raumumspannende Klanginstallation zur Neuinterpretation. Ein Gespräch mit Martina Mutzner, Initiatorin und künstlerische Leiterin des Projekts.

 

28. Mai 2023: 100. Geburtstag György Ligeti

Gyoergy Ligeti, Februar 1992 Stadttheater Bern ©Alessandro della Valle

 

Gabrielle Weber
Wenn ein Schlüsselwerk der musikalischen Avantgarde unerwartet grosse Verbreitung fand, dann sicherlich Atmosphères von György Ligeti. Stanley Kubriks Weltraumepos «Space Odyssee 2001» von 1968 trug dazu bei, dass Ligetis eindrückliches Orchesterwerk, uraufgeführt an den Donaueschinger Musiktagen 1961, weltweit berühmt ist: im Film begleitet es eine fast zehnminütige Kamerafahrt durch abstrakt-verfliessende Weltraum-Farbfelder, die zum Fortschrittlichsten gehören, was 1968 an Kamera- und Tricktechnik möglich war. Oder war es umgekehrt: begleitet das Bild die Musik?

 

Klangfarbenflächenkomposition

 

Atmosphères, Ligetis mikropolyphones 87-stimmiges Orchesterwerk verschaffte ihm bereits davor in Fachkreisen den grossen Durchbruch. Sein neuer kompositorischer Ansatz, bei dem Klangfarben und -flächen strukturelle Elemente ablösen, wurde mit Begeisterung aufgenommen: bei der Uraufführung in Donaueschingen wurde es auf Wunsch des Publikums gleich zweimal gespielt. Mit Kubrik hingegen stand Ligeti jahrelang im Rechtsstreit, da dieser Atmosphèreszunächst ohne den Komponisten anzufragen und ohne ihn zu entgelten verwendete.

 


György Ligeti, Atmosphères, Sinfonieorchester Basel, 2015, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Das Churer Vermittlungsprojekt nimmt die Idee des Komponierens mit Klangfarbenflächen wie auch den Bekanntheitsgrad des Werks zum Ausgangspunkt. In einer immersiven partizipativen Konzert-klanginstallation ersteht Ligetis Atmosphères neu, interpretiert durch 81 Stimmgruppen: über ein halbes Jahr entwickelten Schulklassen, semiprofessionelle Musiker:innen und Laien, die Mitglieder zwischen 7 und 77 Jahren alt, ihre eigenen Klangflächen. In Workshops, begleitet von Musiker:innen des Churer ensemble ö! und der Kammerphilharmonie Graubünden, entstanden so die einzelnen Schichten eines grossen Gesamtklangs.

In diesen kann man nun während des ganzen Festivals im Innenbereich des Theaters Chur, übertragen über ein Lautsprechersystem und eingebettet in eine Lichtszenografie à la Kubrik, eintauchen.

 

Apparitions für Orchester (1958/59) ist eines der ersten Werke, in denen György Ligeti mit Klangflächen komponierte, Aufnahme mit der Basel Sinfonietta unter Johannes Kalitzke, 2003, Eigenproduktion SRG SSR

 

Ligetis Idee der grösstmöglichen kompositorischen Freiheit habe den Ausschlag zur Wahl dieses Vermittlungsprojekts gegeben, so Martina Mutzner, die Projektverantwortliche.

«György Ligeti hat mit Atmosphères ein Stück geschrieben, das sich gegen die damals gängigen Kompositionsdogmen wendete. Atmosphères steht stellvertretend für einen freigeistigen Umgang mit künstlerischem Material und im übertragenen Sinne auch mit dem Menschen“. Es gebe kein richtig oder falsch. Deshalb sei es so geeignet für ein partizipatives Projekt mit Laien-Musiker:innen.

 

Inventarisieren und Botanisieren

Sie seien einen „umgekehrten Weg gegangen“. Zuerst hätten sie, inspiriert von Atmosphères, improvisiert, Klänge entwickelt und aufgezeichnet. «Wir sammelten die Klangflächen. Es war wie ein Inventarisieren oder Botanisieren“, meint Mutzner. David Sontòn Caflisch, künstlerischer Leiter der Biennale, erstellte dann aus den Einspielungen Partituren für Instrumentalparts. Flöten-, Harfen- und Streichergruppen ergänzen nun die vokalen und geräuschhaften Klangflächen zu den vorgegebenen 87-Stimmen Ligetis.

Entstanden ist eine kompositorische Assoziation zu Ligetis Klangflächenkomposition im weitesten Sinne, und damit etwas komplett Neues: dies passe zum Konzept der Biennale mit Ligeti im Zentrum, der mit Mentorinnen und Schülerinnen in Beziehung gesetzt werde. An den vier grossen Konzerten im Theater Chur stehen u.a. Werke von Béla Bartók und Sándor Veress, Komponisten die Ligeti prägten, aber auch von Detlef Müller-Siemens, Michael Jarrell oder Alberto Posadas, die er wiederum prägte, sowie Uraufführungen im Dialog mit Ligetis Oeuvre.

 

Michael Jarrell, music for a while pour orchestre 1995, ensemble contrechamps, Dirigent Jürg Henneberger, Eigenproduktion SRG SSR

 

Ihre Leidenschaft für Neue Musik und deren Vermittlung bringt Mutzner ins Projekt ein: „Atmosphères wählten wir auch, da es durch Stanley Kubricks Space Odyssey Eingang in die Populärkultur gefunden hat. Viele Leute haben es schon gehört, aber wissen nicht, was es ist.“ Von den Mitwirkenden und auch den Ensembleleitenden, hätten einige noch kaum mit zeitgenössischer Musik zu tun gehabt. „Die Aufnahmen klangen schlussendlich so, als würden sie regelmässig in einem Ensemble für zeitgenössische Musik proben. Die Musizierenden waren in diesem vielbeschworenen Flow, und das überträgt sich auf die Zuhörenden“, so Mutzner.

Konsequente Öffnung von Neuer Musik

Die konsequente Öffnung von Neuer Musik für ein breiteres Publikum ist generelles Anliegen der Churer Biennale. Fanden die Konzerte pandemiebedingt 2021 nur online statt, so wird auch diese Ausgabe gesamthaft online live-gestreamt. Zudem setzt sich die «tuns contemporans» auch nachhaltig für eine ausgewogenere Gendermischung im Klassikbetrieb und für eine Erneuerung des Orchesterrepertoires ein: 2021 fand erstmals ein «Call for Scores for ladies only!» statt, aus dem drei Uraufführungen von Komponistinnen hervorgingen. Auch diese Ausgabe kommen drei neue Stücke zur Uraufführung. Gewählt wurden aus 78 eingereichten Werken Los tiempos del alma für kleines Ensemble der kürzlich verstorbenen jungen argentinischen Komponistin Patricia Martinez (*1973-2022), von Areum Lee (*1989) aus Korea leer für grosses Ensemble und la via isoscele della sera für Streichorchester der Italienerin Caterina di Cecca (*1984).

 

Oscar Bianchi, Contingency für Ensemble (2017), aufgezeichnet mit dem Ensemble der Lucerne Festival Alumni, dirigiert von Baldur Brönnimann, 2020, Eigenproduktion SRG SSR.

 

Die Zusammenarbeit mit dem Orchestra della Svizzera Italiana im Konzert am Samstagabend – u.a. kommt von Oscar Bianchi Exordium von 2015 zur Aufführung – und die Verpflichtung von Mario Venzago als Gastdirigent oder das Abschlusskonzert mit dem Ensemble Vocal Origen, im roten Turm zuoberst auf dem Julierpass, garantieren dieser dritten Festivalausgabe Synergien und eine Öffnung der Neuen Musik über das Lokale hinaus.
Gabrielle Weber

 

Roter Turm auf dem Julierpass © Benjamin Hofer

 

Tuns contemporans – Biennale für Neue Musik Graubünden 2023
Atmosphères: partizipatives generationenübergreifendes Konzertprojekt: Teilnehmende –Profimusiker*innen, passionierte semiprofessionelle Musiker*innen, Musikschüler*innen und begeisterte Laien

 

György Ligeti, Detlev Müller-Siemens, Alberto Posadas, Béla Bartók, Sándor Veress, Origen Festival Cultural, Mario Venzago, Caterina di Cecca, Areum Lee, Patricia Martinez, Martina Mutzner: Musiksalon

Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, 24.5.2023: György Ligeti 100: Autor Michael Kunkel
neoblog, 7.4.2021: tuns contemporans 2021 – Graubünden trifft Welt, Autorin Gabrielle Weber

Neo-Profile:
György Ligeti, tuns contemporans, Ensemble ö!, Kammerphilharmonie Graubünden, David Sontòn Caflisch, Oscar Bianchi, Michael Jarrell, Ensemble Vocal Origen

Stimme – Schweigen – Persona

Die junge Komponistin Anda Kryeziu bringt den Kultfilm «Persona» von Ingmar Bergman für das Theater Basel als Musiktheater auf die Bühne. Eine musikalische Reflexion über die Themen Stimme, Schweigen und Identität.

 

Die Komponistin Anda Kryeziu, ©Jetmid Idrizi

 

Jaronas Scheurer
Ich treffe Anda Kryeziu an einem regnerischen Februarabend in der Basler Innenstadt zum Interview. Die letzte Probephase für ihr Musiktheater «Persona», basierend auf dem gleichnamigen Film des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman, hat gerade begonnen und ihr steht ein stressiger Endprobe-Monat bevor. Für sie bedeutet das, von Montag bis Samstag jeweils den ganzen Tag Proben und in der Nacht Revisionsarbeiten. Gleichzeitig lastet eine gehörige Portion Druck auf der knapp 30-jährigen Komponistin – ein abendfüllendes Musiktheater für das renommierte Theater Basel zu schreiben, ist nicht allen vergönnt. So könnte man auf jeden Fall meinen. Doch Anda Kryeziu wirkt beim Interview erstaunlich entspannt und gelöst.

Die kosovarische Komponistin studierte in Bern Klavier und Komposition bei Dieter Ammann, danach in Basel und Berlin bei Caspar Johannes Walter und Daniel Ott Komposition und elektroakustische Musik und intermediale Komposition bei Wolfgang Heiniger. Inzwischen hat sich schon eine erstaunlich umfangreiche Werkliste angehäuft: Musiktheatrale Werke, Performances, Orchesterkompositionen, Werke für Instrumentalbesetzungen mit oder ohne Elektronik, multimediale Kompositionen, Installationen und akusmatische Stücke. Kryeziu wechselt mühelos zwischen verschiedenen Formaten und Besetzungen und präsentierte ihre Werke schon an renommierten Festivals wie Impuls Festival Graz, Neue Musik Rümlingen oder der Münchener Biennale. Ihr reiches und diverses Portfolio ist vielleicht der Grund für ihre Gelassenheit angesichts des renommierten Auftrags vom Theater Basel.

 


Anda Kryeziu: «Infuse: Playtime» (2021), Ensemble Recherche.

 

«Persona» von Bergman

Für das Theater Basel vertont sie den Film «Persona» von Ingmar Bergman als «ambivalentes musiktheatrales Format, oszillierend zwischen Oper, Theater und Performance», wie sie das Werk selbst bezeichnet, für eine Sopranistin, eine Performerin, vier Instrumente und Elektronik. Der Kultfilm von Bergman aus dem Jahre 1966 dreht sich um zwei Frauen, die Schauspielerin Elisabeth Vogler und die Krankenpflegerin Alma. Elisabeth hat plötzlich aufgehört zu sprechen und wird daher in Begleitung von Alma zur Kur in eine Villa am Meer geschickt. Durch das Schweigen von Elisabeth übernimmt Alma das Sprechen und erzählt Elisabeth von ihren innersten Wünschen, Träumen und von gutgehüteten Geheimnissen aus ihre Vergangenheit. Es entwickelt sich eine komplexe Beziehung zwischen den zwei Frauen und das Schweigen von Elisabeth nimmt dabei ganz unterschiedliche Facetten an, von überheblicher Distanz über empathische Teilnahme bis hin zu passiver Aggressivität. Mehr und mehr verschwimmen die Grenzen zwischen den zwei Protagonistinnen. Der Film von Bergman ist einerseits ein exaktes Psychogramm dieser ungewöhnlichen Beziehung, andererseits eine Reflexion darüber, was eine Person eigentlich ausmacht und ob wir nicht nur aus unterschiedlichen Masken bestehen.

Inwiefern macht die Stimme unsere Identität aus und was geschieht mit einer Identität, wenn der Faktor Stimme plötzlich wegfällt? Anda Kryeziu, die Regisseurin Caterina Cianfarini und die Dramaturgin Meret Kündig interessierten sich also vor allem für «Persona», weil darin Stimme, Schweigen und Identität in enger Verknüpfung verhandelt werden.

 

Anda Kryeziu: «co-» (2016-2017), gespielt von Theo Nabicht (Kontrabassklarinette), Seth Josel (E-Gitarre) und Gabriella Strümpel (Cello) vom Ensemble KNM Berlin.


Wie komponiert man Schweigen?

Das Schweigen der Hauptfigur Elisabeth ist ein zentraler Aspekt in «Persona». Doch, wie komponiert man eigentlich Schweigen? Musik besteht ja aus Klängen und Schweigen gerade nicht. Wobei, wie Anda Kryeziu betont, «Schweigen nicht dasselbe ist wie Stille. Schweigen ist die Entscheidung, nicht zu sprechen, und Stille ist die Absenz von Klängen.»

Das Schweigen musste Kryeziu jedoch gar nicht aktiv komponieren: «Das Schweigen war schon konzeptuell da und war eigentlich Auslöser für alle anderen musikalischen Ideen im Stück. Dieses Schweigen ist für mich das stärkste und krasseste Stilmittel, das mir in diesem Projekt zur Verfügung steht. Mit dem Schweigen von Elisabeth versuche ich die ganze Dynamik und Energie des Werks zu gestalten und es dient uns in vielen musikalischen und dramatischen Situationen als zündender Funke.»

Anda Kryeziu sieht im Schweigen der einen Hauptfigur eine willkommene Herausforderung und komponierte es als wichtigen Faktor mit. Ähnlich sieht es mit der Stimme der anderen Hauptfigur aus. Die Krankenpflegerin Alma übernimmt in Anbetracht der schweigenden Elisabeth das Sprechen für beide. Für Kryeziu ist die Stimme der Sopranistin Álfheiður Erla Guðmundsdóttir, die die Rolle der Alma übernimmt, Ausgangspunkt ihrer Komposition. «Die menschliche Stimme ist ein komplexes Kommunikationsmittel, ein ganzes Paket an Informationen, ein semiotisches System, über das man ganz viel über Identität erfahren kann.» so Kryeziu.

Die Stimme von Guðmundsdóttir wird von Kryeziu mittels elektronischen Mitteln verfremdet, verzerrt und vervielfacht. «Mit den Veränderungen des Stimmklangs kann ich auch die Wahrnehmung der sprechenden Person verändern. Sie kann plötzlich männlich, kindlich oder total zerstört klingen.»

 


Anda Kryeziu: “Kreiswanderung im Raum”, aus der Produktion “Grosse Reise in entgegengesetzter Richtung” an der Münchener Biennale 2022. Jens Ruland (Perkussion) und Ensemble Hand Werk.

 

Die Stimme aus den Instrumenten heraus

Zudem setzt Kryeziu die Stimme mit unterschiedlichen Gegenübern in Beziehung: Durch Loops spricht die Stimme von Guðmundsdóttir mit sich selbst, durch das raumfüllende Abspielen und Wiederaufnehmen tritt sie auch in einen Dialog mit dem Raum und mithilfe sogenannter Transduktoren kann Kryeziu den Stimmklang oder einzelne Schnipsel der Stimme auf die vier Instrumente projizieren. Die Stimme spricht dann sozusagen aus den Instrumenten heraus. Eine stimmige Metapher dafür, dass eine Identität in enger Verbindung und in stetiger Wechselwirkung mit der Aussenwelt interagiert.

Eine Stimme, die aus vielen Instrumenten heraus spricht – das ist vielleicht auch ein passendes Bild für das Schaffen von Kryeziu. Immer wieder taucht das Thema Identität in ihrem vielfältigen Schaffen auf. «Das Thema Identität kommt für mich nie alleine, weil es für mich nicht aus dem soziopolitischen Kontext ausgekoppelt werden kann. Wir existieren nicht als abstrakte Entitäten. Wir sind so, wie wir sind, wegen unserer Umgebung, wegen unserer Geschichte und Biografie.», so Kryeziu. Ihre Werke seien zwar nie autobiografisch, aber vielleicht liege dennoch in ihrer migrantischen Biografie ein Grund, wieso das Thema Identität immer wieder auftauche.
Jaronas Scheurer

 

Das Musiktheater «Persona» ist eine Produktion des Theater Basel und wird am 4., 6., 7., 15., 16. und 17. März 2023 im Gare du Nord gezeigt, mit: Álfheiður Erla Guðmundsdóttir: Sopran, Alice Gartenschläger: Performance, Jeanne Larrouturou: Perkussion, Chris Moy: Gitarre, Maria Emmi Franz: Cello und Aleksander Gabrýs: Kontrabass.

Álfheiður Erla Guðmundsdóttir, Ensemble Hand Werk, Jens Ruland, Wolfgang Heiniger, Caspar Johannes Walter, Theo Nabicht, Seth Josel, Gabriella Strümpel, Ensemble KNM Berlin, Ensemble Recherche

Neo-Profile:
Anda Kryeziu, Aleksander Gabrýs, Jeanne Larrouturou, Concept Store Quartet, Daniel Ott, Gare du Nord, Dieter Ammann

Von Wechselklängen und Fokussierungen

Marcus Weiss, Basler Saxofonvirtuose, verschreibt sich wie kein anderer der zeitgenössischen Musik. Eben ist eine CD mit vier ihm auf den Leib geschriebenen Werken für Orchester und Solosaxofon erschienen.

Peter Révai
Marcus Weiss, der herausragende Saxofonvirtuose der europäischen Neuen Musikszene, hat beim Label Wergo mit «SAX – contemporary concertos for saphone» eine CD mit exemplarischen zeitgenössischen konzertanten Solowerken mustergültig eingespielt und dieser Tage veröffentlicht. Darunter finden sich so unterschiedliche Werke wie Focus, Konzert für Saxofon und Orchester, des ungarischen Altmeisters Peter Eötvös aus dem Jahre 2021, und Konzert für Baritonsaxofon und Orchester von Georg Friedrich Haas von 2008. Alle eingespielten Werke wurden von Weiss uraufgeführt und durften bereits mehrere Aufführungen mit unterschiedlichen Orchestern erleben. Mitverantwortlicher dieser Werksammlung ist Harry Vogt, der frühere Künstlerische Leiter des Festivals für zeitgenössische Kammermusik Witten und Redaktor des WDR, der alle Stücke dieser CD produziert hat.

 

Portrait Marcus Weiss zVg. Marcus Weiss

 

Wie kein Zweiter ist der Basler Instrumentalist Marcus Weiss daran, sein von Adolphe Sax erfundenes und 1846 patentiertes Instrument bei den zeitgenössischen Schöpferinnen und Schöpfern von Musik an den Mann respektive an die Frau zu bringen. Anders als beim Jazz in den Big Bands hat dieses Holzblasinstrument in der klassischen Sparte keinen fixen Platz in den Orchestern gefunden. Umso mehr taucht es in der zeitgenössischen Kammermusik auf, was auch die regelmässigen internationalen Auftritte von Weiss im «Trio Accanto»  und im Pariser Saxofonquartett XASAX belegen.

Seit seiner ersten selbst produzierten Solo-CD «Neue Musik für Saxophon» 1991 mit Werken von Giancinto Scelsi, Luciano Berio, Walter Zimmermann, Mauricio Sotelo und Roman Haubenstock-Ramati ist Weiss in Sachen Neuer Musik weltweit unterwegs. Dabei hat er mehr als nur im Jahrestakt Einspielungen auf den Markt gebracht und unzählige Neukompositionen angeregt. Dass dabei der volle Einsatz des Musikers gefragt ist, belegt auch die Entstehung von Focus von Peter Eötvös.

 


Peter Eötvös, Focus, Sinfonieorchester Basel, Leitung: Peter Eötvös, Saxofon: Marcus Weiss, 2022, Eigenproduktion SRG/SSR.

 

Für Focus hat Weiss den Komponisten nach einem gemeinsamen Konzert in Wien angefragt, ob er ein Saxofonkonzert für ihn schreiben könne. Während fünf Jahren standen sie dafür im ständigen Kontakt. Während der Corona-Pandemie tauschten sie sich via Videoconferencing aus. Kurz vor der Uraufführung mit dem WDR Sinfonieorchester trafen sie sich persönlich am Wohnort von Eötvös in Budapest, wo sie jede Phrasierung und alle Tempi gemeinsam durchgingen sowie Korrekturen anbrachten, so Weiss.

Herausgekommen ist ein viersätziges, äusserst virtuoses und klanglich anregendes Solokonzert, bei dem das Saxophon, mal das Tenor- und dann das vor allem im Schlusssatz eingesetzte Sopransaxophon, voll chromatisch und mit ausgeprägtem sprachlichem Parlando im Fokus steht. Die Musik ist bis zum Schluss rhythmisch ziemlich aufgeladen. Sie  bewegt sich ausgehend von einem immer wiederkehrenden «Hummelflug»-Thema mit allen Extremen der Artikulation und der Dynamik durch verschiedenste klangfarbliche Situationen oder Tableaus fort. Der letzte Satz endet völlig gegensätzlich mit lyrischen introvertierten, immer mehr ausfransenden Sopranmomenten.

Wie Eötvös im Programmbuch zur Uraufführung mitteilt, stamme die Idee zu Focus aus der Welt der Films. So wie dort die Kamera sich häufig auf jemanden fokussiere oder auf etwas konzentriere, so bilde in seinem Stück das Orchester den «Hintergrund», und überlasse den «Premier Plan» dem Solisten, wobei sich seine «Tonkamera» in Zeitlupe langsam auf das eine oder andere fokussiere.

Der Plan von Eötvös geht auf. Man merkt, dass er das Saxofon erfasst und zur vollen Entfaltung bringt. Man glaubt, ohne zu zögern, wenn der Komponist schreibt, dass ihm seit seiner Kindheit das Saxophon sehr nahe stünde, weil es so klänge, als würde er selber singen. Er habe viele Jazzsaxofonisten wie Paul Desmond, Gerry Mulligan, Stan Getz und Sonny Rollins im staatssozialistischen, Jazz-feindlichen Ungarn gehört. Später, nach seiner Auswanderung nach Köln, habe er das Saxophon mit Jazzklängen angereichert, ohne sich aber je dem Jazz zuzuneigen. Denn als Komponist, so Eötvös, schreibe er stets klassisch jeden einzelnen Ton nieder. So kämen zwar in seinen Konzerten Saxofone häufig zum Einsatz, doch behandelt er das Instrument hier zum ersten Mal solistisch. Dabei kommt es mit einer Ausnahme im Schlusssatz ohne den Einsatz neuer Spieltechniken (extended techniques) aus, verlangt aber eine gewisse Fingervirtuosität. Auf der CD spielt neben Weiss, wie an der Uraufführung, das WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Elena Schwarz.

Dasselbe Orchester ist auch für die Einspielung des einsätzigen Konzert für Baritonsaxofon und Orchester von Georg Friedrich Haas zuständig, diesmal unter der Leitung von Emilio Pomàrico.

 


Georg Friedrich Haas, Konzert für Baritonsaxofon und Orchester, WDR Sinfonieorchester, Leitung: Emilio Pomàrico, Saxofon: Marcus Weiss, 2019, Eigenproduktion SRG/SSR.

 

Das Konzert entstand, als der österreichische Komponist wie Weiss an der Musikakademie Basel als Dozent tätig war. Zeitgleich verfasste Weiss zusammen mit dem italienischen Komponisten Giorgio Netti ein Lehrbuch über das Saxofonspielen, in dem als Spezialität die neuartigen Mehrklänge (Multiphonics) systematisch dargestellt sind.

Nachdem Weiss dem Kollegen Haas  auch sein riesengrosses Baritonsaxophon demonstrierte, setzte der für mikrotonales Komponieren bekannte Österreicher es wirkmächtig in Musik um: die neuen Spieltechniken fügte er gemäss seinem Spektralkonzept kongenial in das Spiel des solistischen Rieseninstruments ein.

Diese Zusatztöne sind auch Grundlage des Orchestertuttis , wobei Haas der Musik genügend Raum und Zeit bietet, um dessen ganze Magie zu entfalten. Mehrere Generalpausen verstärken seine mächtige Wirkung. Entstanden ist das Stück im wesentlichen anlässlich eines Japanaufenthaltes. Es gehe ihm um die Verarbeitung der Erfahrungen mit einer anderen Kultur, berichtet der Komponist. Im Zentrum steht eine aus einem Shinto-Ritual übernommene Episode. So spielt das Soloinstrument eingebettet zwischen scharfen Akzenten nach innen gerichtete Melodien, deren Nachhall weiterlebt.

Mitunter ist das Saxofon völlig im Orchesterklang eingebettet, bis es wieder daraus solistisch hervortritt, so dass Wechselklänge von Tutti und Solo auf ganz spezielle Weise erfahrbar werden. Das dynamische Spektrum ist äusserst variabel, wobei die Körperlichkeit des Soloinstruments immer wieder durchschlägt. So fängt etwa das Stück für den Solisten mit allergrösster Kraft an, um alsdann schnell in höchster Lage im dort schwierig zu spielenden Piano pianissimo zu landen. Dort im «Weissen Schnee», so Weiss, würden von ihm als Musiker Viertel-, ja sogar Achteltöne verlangt, was extrem sei.
Nebst den beiden Werken komplettieren Saxordionphonics für Sopransaofon, Akkordeon und Kammerorchester (2014) des litauischen Komponisten Vykintas Baltakas und Violent Incidents. Hommage à Bruce Nauman (2005 -2006), für Saxofon und Ensemble des österreichischen Jarell-Schülers Johannes Maria Staud die sehr empfehlenswerte CD.
Peter Révai

 

CD: SAX – Contemporary Concertos for Solosaxophone, Wergo / Schott, release 20.1.2023

Marcus Weiss / Giorgio Netti: Die Spieltechnik des Saxofons, Bärenreiter 2010

Marcus Weiss, CD: Neue Musik für Saxofon, 1991

Trio AccantoAdolphe SaxHarry VogtGiancinto Scelsi, Luciano Berio, Walter Zimmermann, Mauricio SoteloRoman Haubenstock-Ramati, Emilio PomàricoElena SchwarzPaul Desmond, Gerry Mulligan, Stan GetzSonny RollinsWDR Sinfonieorchester, Vykintas BaltakasJohannes Maria Staud

 

Neo-profiles:
Marcus Weiss, Xasax Saxofonquartett, Georg Friedrich Haas, Peter Eötvös

 

Spielräume zwischen Himmel und Hölle

Vom 26.-29. Januar widmet sich das Festival “SPIEL! Games as critical practice” in Basel dem kritischen Potential des Spielens. Der Komponist Michel Roth hat das Festival kuratiert.

 

Die Live-Installation Rave-Séance von und mit Marko Ciciliani läuft im Rahmen des Festivals am 27. Januar auf dem Jazzcampus. ©Katja-Goljat

 

Friederike Kenneweg
Wer sich mit Michel Roth über das Spielen unterhält, kommt nicht umhin zu entdecken, dass es eigentlich nicht nur ein Thema, sondern ein multidimensionales Themenfeld ist, das sich da eröffnet. Denn spielen lässt sich ja mit ganz Unterschiedlichem: mit Worten, Dingen, Gedanken, Klängen, Farben oder Instrumenten… Ein Spiel gibt Regeln vor und kreiert für die Dauer des Spiels eine eigene Welt, sei es in der Musik, im Computer-, im Rollen- oder im Brettspiel. Wer sich selbst als Spieler:in in einer solchen Welt begreift, hält nach den Regeln Ausschau, nach denen gespielt wird. Jede:r Spieler:in hat die Möglichkeit, das Spiel innerhalb des ihm oder ihr vorgegebenen Raums zu beeinflussen. Aber die Regeln, nach denen gespielt wird, können auch verändert werden – und schon offenbart sich eine philosophische oder politische Dimension des Spielens. Spielen kann zwar zur Weltflucht dienen und zu einem gewissen Eskapismus führen. Es kann aber auch ein kritisches, gar weltveränderndes Potential entfalten.

Mary Flanagans “Critical Play”

Diesen Gedanken fand Michel Roth besonders prägnant in den Schriften der U.S.-amerikanischen Game Designerin Mary Flanagan ausformuliert, auf die er bei seinen Recherchen zu Games und Spielen gestoßen war. Vor allem beeindruckte ihn Flanagans Buch “Critical Play. Radical Game Design” aus dem Jahr 2009, in dem sie aus der Sicht der Gestalterin das kritische Potential betont, das im Setting von Spielen liegen kann. Welche Bilder, Klischees und Vorstellungen sollen reproduziert, welche sollen verändert werden? In welchem Möglichkeitsraum sollen sich die Spielenden für die Dauer des Spiels aufhalten? Wie Spiele gestaltet sind, kann auch darauf Einfluss nehmen, wie wir hinterher unsere reale Lebenswelt sehen, und vielleicht auch: was wir darin verändern wollen.

Himmel und Hölle

Beim Festival in Basel wird Mary Flanagan als Keynote-Speakerin dabei sein. Außerdem wird sie im Foyer des Theaters Basel ihr mapscotch-Projekt präsentieren, das auf dem Kreidezeichnungs- und Hüpfspiel “Hopscotch” basiert, das wir als “Himmel und Hölle” kennen. Besucher:innen können ihre persönlichen Himmel und Höllen für das Spiel definieren und den Boden des Foyers über die Dauer des Festivals zu einem individualisierten Hüpf-Parcours werden lassen.

Klang und Struktur des Flipperkastens

Ein Phänomen, das Michel Roth schon lange fasziniert, sind Spielautomaten. Für die ZeitRäume Basel entwarf er 2021 eine “Spiel Hölle”, in der die Soundkulisse von Flipperautomaten maßgeblich den Klang bestimmt.

 

 

Kein Wunder, dass solche Automaten auch im Rahmen des Basler Festivals wieder einen Gastauftritt haben werden: In der Alten Billettkasse des Theaters Basel stehen die Flipperautomaten und andere Games dem Publikum zum Ausprobieren (und Anhören) zur Verfügung. In einer Lecture Performance in Zusammenarbeit mit dem Kontrabassisten Aleksander Gabrys beschäftigt sich Michel Roth unter dem Titel Pinball Etudes auch noch einmal mit dem Flipperspiel, diesmal jedoch, indem er einen Kontrabass zu einem Flipper verwandelt und die Saiten mit beweglichen Kugeln präpariert. Normales Instrumentenspiel ist nicht mehr möglich, sondern Aktion und Klang hängen nun auch davon ab, wohin die Kugeln rollen. Was genau geschehen wird, lässt sich weder komponieren noch proben.

 


Im Stück Räuber-Fragmente nach Robert Walserhier gespielt vom Ensemble Catrall,  wandte Michel Roth erstmals Spieltheorie innerhalb einer Komposition an. Walsers Räuber-Roman wird darin in eine Art Spielanordnung gebracht. Ein freier Improvisator ist auf der Bühne, der ständig in das Stück eingreifen darf, wie eine Art Spielverderber.

 

Spiel und Komposition

Das Festival präsentiert darüber hinaus eine Vielzahl von Werken solcher Komponist:innen, die sich mit dem Spiel unter verschiedenen Gesichtspunkten auseinandergesetzt haben. Zum Beispiel arbeitet Bernhard Lang unter dem Titel Game seit 2016 an einer Werkreihe, in der er den Instrumentalist:innen einen durch ein festes Regelwerk definierten Spielraum überantwortet, den sie dann aber frei nutzen können. In Basel werden GAME 3-4-3 und Game ONE von Bernhard Lang zu hören sein. Mike Svoboda stellt in Homo ludens (2019) den Spieler:innen fünf Settings zur Auswahl, in denen sie je unterschiedlichen Regeln zu folgen haben. Und Sarah Nemtsov untersucht in ihrem Schlagzeugstück Poker, Roulette (2020) den Gegensatz von Spieltrieb und Spielsucht – zwei Prinzipien, die so nah beieinander zu sein scheinen und doch ganz unterschiedliche Energien mit sich bringen.

 


Homo Ludens von Mike Svoboda teilt die Musiker:innen in zwei Teams ein. Treten sie beim Musizieren auch gegeneinander an? Hier eine Aufnahme der Uraufführung des Stückes im Gare du Nord, März 2019, mit der Camerata Variabili und den Gästen Mike Svoboda und Lucas Niggli.

 

Kontrast, Clash, Begegnung

Michel Roth hat sich bewusst entschieden, die thematische Breite, die mit dem Festivalthema einhergeht, nicht einzuschränken, sondern Ansätze aus Game Design, Musikwissenschaft, Performancekunst, Komposition und Pädagogik unmittelbar aufeinander prallen zu lassen. Besonders neugierig ist er darauf, ob sich die unterschiedlichen Zielgruppen auf das jeweils andere Gebiet einlassen werden. Bleiben die Gamer:innen vielleicht auch bei der Neuen Musik hängen? Spielen alle miteinander Mapscotch im Foyer des Theaters Basel? Treffen sie beim Real World Audio Game auf dem Theaterplatz auch mit gänzlich Unbeteiligten aufeinander? Partizipieren alle zusammen am Jeu sonore, zu dem Sébastien Roux und Clément Canonne das Publikum einladen?

Das Festival selbst wird zu einem Möglichkeitsraum, der das Publikum auf vielfältige Weise zum Spielen und Entscheidungen treffen einlädt. Wer sich auf diese Mischung aus Lectures, Konzerten, Installationen und Interaktionen einlässt, kann dabei intellektuell, sinnlich und spielerisch etwas von all dem erfahren, was Spiel ist und sein kann – je nachdem, wohin die Flipperkugel fliegt.
Friederike Kenneweg

Festival “Spiel! Games as critical practice” vom 26.-29. Januar 2023, tagsüber im Foyer des Theater Basel und abends in der Musikakademie bzw. im Jazzcampus.

Bernhard Lang, Sarah Nemtsov, Sébastien Roux, Clément Canonne, Marko Ciciliani, Mary Flanagan, Critical Play: Radical Game Design,

Sendungen im SRF Kultur:
neoblogpost 2.9.2021: Unendliche Spielwelten, Autor: Jaronas Scheurer über das “Spiel Hölle” Projekt von Michel Roth

neo-profile:
Michel Roth, Mike Svoboda, Aleksander Gabrys, sonic space basel

«In maletg da mia veta»

Gion Antoni Derungs (1935–2012) ist nicht nur der prominenteste Komponist Graubündens. Er gilt auch als eine der herausragenden Musikerpersönlichkeiten der Schweiz. Zehn Jahre nach seinem Tod erfährt er nun eine umfassende Würdigung mit einer Biografie und es fand ein Derungs-Festival in Chur statt.
Ein Porträt von Laura Decurtins.

 

Laura Decurtins
Von künstlerischer Fantasie, einer starken musikalischen Identität und unbändigem Schaffensdrang zeugt das umfangreiche Œuvre von Gion Antoni Derungs; er bezeichnete es selbst als «Bild seines Lebens». In produktiver Auseinandersetzung mit den einheimischen Musiktraditionen ebenso wie mit den internationalen musikalischen Strömungen des 20. und 21. Jahrhunderts gelangte Derungs zu seinem unverkennbaren Personalstil. Heute steht sein Name für hochstehende musikalische Kunstwerke, die einfache Lieder ebenso wie komplexe Instrumentalwerke umfassen und Laien wie professionelle Musiker ansprechen.

 


Portrait Gion Antoni Derungs zVg. Fundaziun Gion Antoni Derungs

 

Volkslieder als «Wurzel» und «Quelle»

Gion Antoni Derungs wurde am 6. September 1935 im kleinen Dorf Vella in der Val Lumnezia geboren. Nach dem verfrühten Tod des Vaters musste die Familie mit Wenig über die Runden kommen, doch auf die musikalische Erziehung der Kinder legte die selbst hochbegabte Mutter – sie war eine Schwester des berühmten Musikers Duri Sialm – nichtsdestotrotz grossen Wert. Romantische Klaviermusik, Opern und die Volkslieder der Surselva umgaben Derungs von klein auf. Als Hilfsmessmer durfte er bisweilen auch Gottesdienste auf dem Harmonium begleiten, sodass sich ihm die alten katholischen Kirchenlieder der Surselva tief einprägten. Die «canzun romontscha» wurde für Derungs gleichsam zu einer musikalisch-identitätsstiftenden Wurzel und zu einer Quelle, aus der er gerne kompositorisch schöpfte.

 

Vom Klavierstudenten zum Musikdirektor 

1949 trat Derungs in das Klostergymnasium in Disentis ein und wurde dort von Dorfmusiklehrer Giusep Huonder und zusätzlich vom Onkel Duri Sialm in Klavier und Orgel unterrichtet. Gleich nach der Matura erhielt er einen Studienplatz am Konservatorium in Zürich, wo er neben Klavier auch Komposition, Musiktheorie, Orgelspiel, Dirigieren und Partiturspiel studierte; an der Musikakademie belegte er Schulgesang. Als Nachfolger seines Onkels wurde er 1960, noch während des Studiums, zum Musikdirektor von Lichtensteig (im Toggenburg) gewählt und 1962 schliesslich zum Klavier- und Orgellehrer am Bündner Lehrerseminar in Chur, zum Organisten der dortigen Kathedrale und zum Leiter der romanischen Stadtchöre Alpina und Rezia.

 

Versuchskaninchen und «Hausinterpreten»

1968 gründete Derungs zusammen mit Pfarrer Gieri Cadruvi zur Förderung der romanischen Liedgutes die Schallplattenreihe «Canzuns popularas» (CPLP). Bis 1987 erschienen hier 13 Tonträger mit den unterschiedlichsten Programmen und Interpreten. Hauptinterpret war das von Derungs gegründete EnsembleQuartet grischun, ein Elite-Kammerchor, mit dem Derungs seine neusten, avantgardistischen Vokalkreationen ausprobieren konnte, etwa die Missa pro defunctis op. 57, für die er am internationalen Kompositionswettbewerb in Ibagué (Kolumbien) die Goldmedaille erhielt.

 

Gion Antoni Derungs, Quintett op 25 für Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Zu eigentlichen «Hausinterpreten» seiner neusten instrumentalen Kammermusik wurden Derungs’ Kolleg:innen am Lehrerseminar, darunter seine Cousine, die Organistin Esther Sialm. Zwischen 1969 und 1971 bot das Radio Rumantsch Derungs’ sogenannter «musica moderna» eine Plattform – was ihm prompt den zweifelhaften Ruf eines «Modernen» einbrachte. Präsentiert wurden unter anderem das Quintett op. 25 für Flöte, Klarinette, Violine, Cello und Klavier, eine «symbiotische» Verbindung von linear-polyphonen Momenten mit Clusterklängen und Geräuschexplosionen, sowie die Silhouetten op. 17b für Klarinette und Klavier, wo aus einem anfänglichen «Durcheinander von Linien und Punkten» zunehmend silhouettenhafte Konturen entstehen.

 

Gion Antoni Derungs, Silhouetten op. 17b für Klarinette und Klavier, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Von der Avantgarde zurück zur Tonalität

Solche «musica moderna» komponierte Derungs von 1968 bis gegen Mitte der 1970er Jahre. Schon als Student war er fasziniert von den Experimenten der musikalischen Nachkriegs-Avantgarde, vom Serialismus, der Aleatorik und der Minimal Music, aber auch von der Polnischen Schule der 1960er Jahre mit ihrer Klangflächen- und Klangfarbenmusik. Zu den damals tonangebenden Darmstädter-Kreisen und ihren Ferienkursen für Neue Musik blieb er hingegen auf Distanz.

 

Mitte der 1970er Jahre wandte sich Derungs der «einfacheren», neotonalen Musik der Postmoderne zu, ohne jedoch den einschlägigen Kreisen angehören zu wollen. Er benutzte die musikalischen Sprachen seines Jahrhunderts immer sehr frei und undogmatisch, wobei alles seine Berechtigung haben musste. In der wiedergewonnenen Tonalität sah Derungs «hoffnungsvolle Perspektiven» für die Weiterentwicklung seines Personalstils. Da er aber nie den augenblicklichen Erfolg suchte, warteten viele Werke Jahrzehnte «in der Schublade» auf ihre Uraufführung.

 

«Vorwärts schauen»: Durchbruch und Erfolg

Seinen Durchbruch in Graubünden erzielte Derungs mit einem Vokalwerk, das in dieser Zeit entstand: mit dem Opernballett Sontga Margriata op. 78. Zurückkommen zur Tonalität hiess für ihn nämlich auch, sich wieder mit seinen musikalischen Wurzeln zu beschäftigen: «Tradition bewahren heisst vorwärts schauen». Und gerade das Volkslied erlaubte es ihm, gleichzeitig aktuelle Musik mit einem einheimischen Ton zu erschaffen. Aus dem wohl ältesten romanischen Lied La canzun da Sontga Margriata entstand so ein zeitgenössisches Werk, das 1981 in einer Bündner-Genfer-Zusammenarbeit eine erfolgreiche Uraufführung feierte. Dieser schweizweite Erfolg motivierte ihn, die romanische Sprache auch für Gattungen zu verwenden, die in Graubünden keine Tradition besassen: für das Kunstlied einerseits, aber vor allem: für die grosse Oper. Diese «erfand» Derungs gewissermassen im Jahr 1984 mit seiner ersten Oper Il cerchel magic op. 101. Auch hierfür erhielt er über die Grenzen hinaus positive Resonanz – in Romanischbünden selbst gilt diese erste «opera rumantscha» seither als musikalischer Meilenstein.

 


Gion Antoni Derungs, Il cerchel magic (der magische Kreis), 1984, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Im Laufe der Jahre komponierte Derungs ebenso eine Vielzahl instrumentaler Werke: von kleinbesetzter Kammermusik über Solokonzerte bis hin zu zehn grossen Sinfonien – diese allerdings alle aus persönlichem Antrieb. Kompositionsaufträge bekam er dagegen über all die Jahre von den verschiedensten Formationen im In- und Ausland, für die er dann jeweils in kürzester Zeit passende, auf die Interpreten zugeschnittene Werke schuf. Auch blieb es nicht nur bei einer einzigen Oper: Derungs vertonte ebenso eine Kriminalgeschichte, ein Märchen und das dramatische Leben des Rotkreuzgründers Henry Dunant; zuletzt entstanden für das Festival Origen im Surses noch drei geistliche Vokalopern nach mehrsprachigen Libretti des Indendanten Giovanni Netzer. Hier arbeitete Derungs vorwiegend mit einer Mischung aus freitonaler Harmonik, impressionistischen Farben, motettischen Techniken und einer starken Wort-Ton-Beziehung.

 

«Jeder Mensch tritt einmal ab»

 Ausgereift zeigte sich diese Tonsprache in seinem letzten a-cappella-Chorwerk, dem Nachtgebet Complet op. 189, das Derungs 2011 vollendete. Es war das Jahr, in dem er die Diagnose Krebs erhielt und sich plötzlich an den Gedanken eines baldigen Todes gewöhnen musste. Tatsächlich begleitete ihn der Tod schon seit Kindesbeinen und fand im Laufe der Jahre auch Eingang in diverse Kompositionen, er verband sie gewissermassen motivisch-thematisch, etwa das Requiem op. 74 mit der 2. Sinfonie op. 110, der Trauersinfonie, oder die Sontga Margriata mit der 8. Sinfonie «Sein-Vergehen». «Jeder Mensch tritt einmal ab», notierte Derungs zur 8. Sinfonie. «Und wir alle sind uns dessen bewusst.»

 


Gion Antoni Derungs, Sinfonie Nr.8, op. 158 (2002/2003), Eigenproduktion SRG/SSR

 

Gion Antoni Derungs starb am 4. September 2012, zwei Tage vor seinem 77. Geburtstag. Er hinterlässt ein riesiges Œuvre mit 191 Opuswerken und hunderten Kompositionen ohne Opuszahl. Schon 1996 verlieh man ihm dafür den Ehrentitel eines «Orpheus der Rätoromanen», eines Künstlers also, der Grenzen überwindet und die heimische Musiktradition in die Kunst überführt. Die höchste Auszeichnung, die man als Bündnerroman:in erhalten kann, sollte allerdings erst posthum folgen: 2015 wurde Derungs von den romanischen Medien zu «in dils nos» (einem der Unseren) erkoren – hatte er doch seine romanischen Wurzeln nie verleugnet und die «kleinen Wünsche» seiner Heimat stets berücksichtigt.
Laura Decurtins

 

Laura Decurtins ist Autorin der neuen, im Herbst 2022 im Chronos-Verlag erschienenen Biografie zu Gion Antoni Derungs.

Das Churer Gion Antoni Derungs-Festival fand vom 1. bis zum 4. September 20220 u.a. im Theater Chur statt, und wurde hauptsächlich vom Ensemble ö! bestritten. Die Konzerte wurden insgesamt von RTR auf Video aufgezeichnet und stehen auf neo.mx3 zur Verfügung.

Gion Antoni Derungs / Fundaziun

Duri Sialm, Giusep Huonder, Gieri Cadruvi, Quartet grischun, Esther Sialm, Giovanni NetzerHenry Dunant

Sendungen SRF 2 Kultur:
Neue Musik im Konzert, 14.12.22: Gion Antoni Derungs-Festival in Chur, Redaktion / Moderation Cécile Olshausen

neo-profile:
Gion Antoni Derungs, Ensemble ö!

 

 

 

 

Communiquer au-delà de la musique 

Eric Gaudibert, Genfer Pianist, Komponist und Dozent war eine Schlüsselfigur der zeitgenössischen-experimentellen Musikszene der Romandie. Verstorben vor zehn Jahren, prägte er als Pädagoge eine ganze Generation Musikschaffender und förderte wichtige Ensembles für zeitgenössische Musik. Vom 09. bis zum 17. Dezember veranstalten diese für ihn gemeinsam ein Festival mit Marathonkonzert in der Genfer Victoria Hall. Dabei kommen auch 22 Miniaturen seiner ehemaligen Studierenden zur Uraufführung.

Gabrielle Weber
Sie heissen Contrechamps, Ensemble Vortex, Eklekto Geneva Percussion Center oder Nouvel Ensemble Contemporain (NEC) und gemeinsam ist ihnen nicht nur, dass sie in der zeitgenössischen Musikszene der Romandie sehr aktiv sind, sondern auch, dass alle einen starken Bezug zu Eric Gaudibert haben.

Daniel Zea, Serge Vuille und Antoine François, die künstlerischen Leiter von Vortex, Contrechamps und NEC, initiierten das Festival als kollaboratives Projekt: «die Idee entstand spontan als wir uns über Eric unterhielten und es ergab sich ganz von selbst, dass wir es gemeinsam angehen wollten», meint Daniel Zea, denn Gaudibert sei für die Entwicklung der ganzen Szene wichtig gewesen. In der Haute école de musique Genève (HEMG) finden nun eine Tagung, ein Filmscreening mit table ronde, sowie ein Konzert von Vortex statt. In der Victoria Hall gibt es zum Schluss ein Marathonkonzert der Ensembles zusammen mit dem Orchester der HEMG.

 

Portrait Eric Gaudibert ©DR zVg. Contrechamps

 

Als «communiquer au-delà de la musique», ein Kommunizieren über die Musik hinaus, bezeichnete Gaudibert, was ihn zum Unterrichten antreibe. Dieses Kommunizieren erprobte er zunächst in Frankreich, wo er nach dem Klavierstudium in Lausanne und dem Kompositionsstudium in Paris ab 1962 im Bereich der «Animation», der Musikvermittlung, in ländlichen Regionen tätig war. Anschliessend, zurück in der Schweiz, unterrichtete er viele Jahre Komposition am Conservatoire Populaire de Genève, bevor er an die HEMG wechselte. Bereits Michael Jarrell oder Xavier Dayer, beides heute namhafte Komponisten und Dozenten mit Wurzeln in Genf, waren seine Schüler. Viele weitere nationale und internationale Laufbahnen begleitete er als künstlerische Leitfigur, Förderer und Netzwerker.

Serge Vuille, Leiter von Contrechamps, selbst kein direkter Schüler von Gaudibert, beindrucke am «Phänomen Gaudibert» dessen nachhaltige Präsenz in der Szene, die sich auch daran gezeigt habe, wie rasch weitere Partner fürs Festival zugesagt hätten. Contrechamps arbeite laufend mit ehemaligen Schüler:innen zusammen, seien es Interpret:innen oder Komponist:innen. «Am Festival wollte ich deshalb diesen Lehrer-Schüleraspekt in zweierlei Richtungen abbilden», sagt Vuille.

Da ist einerseits Nadia Boulanger, Gaudiberts Theorielehrerin in Paris: von ihr bringt Contrechamps ein Orchesterwerk zur Aufführung. Boulanger unterrichtete ihrerseits zahlreiche, heute weltweit gespielte Komponierende. Ihr eigenes Werk wird hingegen selten aufgeführt. Sie sei als Komponistin verkannt, da sie selbst hauptsächlich als Pädagogin wahrgenommen werde, so Vuille.

Andererseits gab Contrechamps im Kreis von Gaudiberts ehemaligen Studierenden Kurzkompositionen in Auftrag. Angesichts der hohen Zahl von 45 Absolvent:innen fragte man «nur» einen regional überschaubaren Kreis von weiterhin in der Romandie tätigen oder mit der Romandie verbundenen an. Von diesen sagten mit zwei Ausnahmen alle zu. «Dieses klare Bekenntnis seiner Schüler:innen war beeindruckend», sagt Serge Vuille.

Mit Vorgabe einer Dauer von nur einer Minute und offener Besetzung, vom grossen Ensemble bis zum Solo und ggf. Tonband, werden nun 22 Miniaturen aufgeführt, darunter Stücke von Arturo Corrales, Fernando Garnero, Dragos Tara oder Daniel Zea.

Daniel Zea hebt noch einen anderen Aspekt der Lehrer-Schüler-Kommunikation hervor: «Wir alle sind sehr dankbar dafür, was er uns mitgegeben und ermöglicht hat. Zugleich war es ein Hin und Her: Eric war offen und neugierig – ihn interessierte was uns interessierte. Wir beeinflussten ihn zum Beispiel mit unserem Interesse an unserer traditionellen Musik». Zea stammt wie einige Absolvent:innen von Gaudiberts Kompositionsklasse aus Südamerika. Sein Ensemble Vortex fand in Gaudiberts Unterricht zusammen und wurde von ihm bis zuletzt begleitet und gefördert.

 


Hekayât, pour rubâb, hautbois, hautbois baryton, alto et percussion, 2013 Eigenproduktion SRG/SSR, interpretiert von Khaled Arman an der Rubâb, einer arabischen Laute, ist eines der späten Werke Gaudiberts, in denen er Instrumente, deren Interpret:innen und Spielweisen aus anderen Kulturräumen zu integrieren sucht.

 

Elektroakustik und Diversität

 

Gaudibert, geboren 1936 in Vevey, studierte in Paris bei Nadia Boulanger und bei Henry Dutilleux, und ist vor allem für seine poetischen klangmalerischen Instrumentalwerke bekannt. Es gibt aber auch andere, weniger bekannte Seiten:Zurück in der Schweiz, forschte er in den frühen siebziger Jahren in seiner selbstbezeichneten «experimentellen» Phase im Experimentalstudio des Radios in Lausanne an elektronischen Klängen.

 

Portrait Eric Gaudibert zVg. Contrechamps

 

Vortex widmet ein Konzert am 10. Dezember ganz seinen elektroakustischen Werken, was der multimedialen Ausrichtung des Ensembles entspricht: «es ist eine wichtige, viel zu selten gezeigte Phase seines Schaffens», sagt Daniel Zea. Zusammen mit John Menoud, Komponist und Multiinstrumentalist, besuchte er Gaudiberts Witwe Jacqueline, wobei sie Videos, Tonkassetten und Partituren durchforstet hätten. Zur Aufführung kommen nun Stücke für Instrumente und Tonband oder Live-Elektronik, die oft nur ein-zwei Mal aufgeführt wurden, interpretiert von Musiker:innen, die eng mit Gaudibert zusammen gearbeitet haben. Benoît Moreau spielt bspw. En filigrane für Epinette (Spinett) und Tonband, das nur einmal, durch Gaudibert selbst an der Uraufführung 20018 gespielt wurde – Moreau war damals dabei.

 

Die Stückauswahl fürs Schlusskonzert zeigt die Vielseitigkeit Gaudiberts. «wir entschieden uns für eine Kombination von Schlüsselwerken wie Gong – sein letztes grosses Ensemblewerk – mit selten gespielte Stücken, um die Diversität seines Schaffens zu zeigen», so Vuille. Gong ist dem Pianisten Antoine Françoise gewidmet, der es auch am Festival interpretiert, zusammen mit Contrechamps. François, heute international gefragter Solo-Pianist und Leiter des NEC, hatte gleichfalls eine enge Beziehung zu Gaudibert. Selbst Pianist, begleitete und unterstützte Gaudibert die Entwicklung von François seit der ersten Begegnung als er 16 Jahre alt war und setzte auf sein Können für die anspruchsvolle Partie in Gong mit erst 24  Jahren.

 


Gong &Lémanic moderne ensemble, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Nebst Instrumentalwerken ist auch in der Victoria Hall Gaudiberts elektroakustische Phase vertreten: Vortex bringt Ecritures von 1975 für eine Stimme und Tonband, entstanden im Experimentalstudio in Lausanne, in einer neuen Version für vier im Raum verteilte Stimmen zur Aufführung. «Das Stück lebt weiter mit neuen technischen Möglichkeiten. Das wäre in Gaudiberts Sinn gewesen», sagt Zea. Dass seine ehemaligen Studierenden weiterhin kollaborativ zusammenarbeiten, das hätte Eric Gaudibert sicherlich gleichfalls begrüsst – als Kommunizieren über die Musik hinaus.
Gabrielle Weber

Nadia Boulanger, Henri Dutilleux

 

 Im Filmportrait: Eric Gaudibert, pianiste, compositeur, enseignant (Plans fixes, 48min, Suisse, 2005) äussert sich Gaudibert zu seinen grossen Themen, bspw. seine Vorliebe für Literatur und Malerei, die Zeit in Paris, das Unterrichten und die Einflüsse anderer Kulturen in sein Musikschaffen: der Film steht im Zentrum einer Roundtable am Genfer Festival Gaudibert am 10. Dezember.

 

Festival Gaudibert:
9./10. Dezember 2022, HEMG: Tagung / Konzerte: An der Tagung an der HEMG diskutieren u.a. die Komponisten und Dozenten Xavier Dayer, Nicolas Bolens oder der Musikethnologe und Interpret Khaled Arman.
17.Dezember 2022, Victoria Hall Genève, 18:30h: Marathonkonzert Contrechamps, Eklekto, le NEC, Vortex, orchestre de la HEMG, Dirigent: Vimbayi Kaziboni, Gaudibert, Boulanger, UA 22 Miniaturen:

Sendung RTS:
musique d’avenir, 6.2.23: Festival Gaudibert 2022, Redaktorin/Autorin Anne Gillot

Neo-Profile
Eric Gaudibert, Daniel Zea, Antoine Françoise, Arturo Corrales, Fernando Garnero, Dragos Tara, Ensemble Vortex, Contrechamps, Nouvel Ensemble Contemporain, Eklekto Geneva Percussion Center, John Menoud, Benoit MoreauEnsemble Batida, Xavier Dayer, Michael Jarrell