Erst sieben Jahre ist es alt, und schon hat es einen der drei Spezialpreise der Schweizer Musikpreise eingeheimst: Das Schweizer Museum und Zentrum elektronischer Musikinstrumente – kurz: SMEM – in Fribourg macht es die Technik, Geschichte und Praxis elektronischen Musikmachens erfahrbar.
Hochregale im Schweizer Museum für Elektronische Musik
Als Schlagzeuger und Perkussionist hat Martin Lorenz angefangen. Seine Neugier führte ihn erst zu Experimenten mit Schallplatten und schließlich zur elektronischen Klangerzeugung mit Synthesizern. Und immer häufiger wendet er sich dem Komponieren zu. Mit dem Synthesizer-Trio Lange/Berweck/Lorenz spielt er im September beim KONTAKTE-Festival in Berlin und im Kunstraum Walcheturm in Zürich.
Friederike Kenneweg
Groß und schlaksig wirkt Martin Lorenz und so, als müsste er sich immer ein wenig zu allen herunterbeugen. Wenn er von der Suche nach besonderen Sounds erzählt, davon, wie sich das Geräusch von Kies auf einer Auffahrt mit Synthesizern erzeugen lässt oder der Klang einer sich schließenden Fahrstuhltür, dann leuchtet ihm die Begeisterung aus dem Gesicht.
Eine solche Begeisterung für die Klangsuche ist auch notwendig, wenn man als Schlagzeuger oder Perkussionist für Neue Musik arbeitet.
Suche nach dem richtigen Klangmaterial
Oft müssen Perkussionist:innen nicht nur das gewohnte Schlagwerk-Instrumentarium spielen, sondern für ein Musikstück die erforderlichen Gegenstände mit dem richtigen Sound – Steine, Holzstücke, Tassen o.ä.- überhaupt erst ausfindig machen. Teilweise übernehmen sie damit eine große Mitverantwortung dafür, wie ein Stück am Ende klingt, denn nicht immer schreiben die Komponist:innen genau auf, was sie sich vorstellen oder welche Tonhöhe eine bestimmte Trommel oder gar ein Stein eigentlich haben soll.
Die stetige Suche nach neuen Klängen brachte Martin Lorenz dazu, sich auch mit den Möglichkeiten von Schallplatten zu beschäftigen. Die Spezialität, die er für eigene Turntable-Performances entwickelte: mit einem Messer während einer Live-Performance Schnitte in die Schallplatten ritzen, so dass beim Abspielen ganz bestimmte Rhythmen und Loops entstehen.
Schnitte in Vinyl
Aber natürlich ist es entscheidend dafür, wie die Loops am Ende klingen, was auf der zerschnittenen Platte aufgezeichnet ist. So war es für Lorenz naheliegend, sich selbst Schallplatten mit eigenen Sounds pressen zu lassen – und sich darum mit Synthesizern zu beschäftigen. Zu dieser Zeit gründete er auch in Zürich sein Label DUMPF Edtion, wo er eigene oder fremde Produktionen experimenteller Musik veröffentlicht. Eigentlich immer noch am liebsten auf Schallplatte. Aber als kleines Label auf Vinyl zu setzen, macht schon seit einer Weile keinen richtigen Spaß mehr, sagt Lorenz.
“Es gibt da einfach zu lange Wartezeiten, dann wieder Lieferschwierigkeiten, es ist nicht verlässlich, und dann dauert es ewig, bis eine Aufnahme endlich veröffentlicht wird.”
Lange hält Lorenz sich aber nicht bei solchen Problemen auf. Eher sucht er nach Möglichkeiten, Frustrationen aufzulösen und fruchtbar zu machen – wie sich auch an seinem Weg hin zum Komponieren zeigt. Da verspürte er nämlich immer wieder eine gewisse Enttäuschung, wenn das Ensemble, in dem er als Schlagzeuger beschäftigt war, an Komponist:innen Auftragswerke vergab und das Ergebnis, das diese vorlegten, so gar nicht seinen Erwartungen entsprechen wollte.
“Da habe ich mir irgendwann gesagt, wenn ich so genaue Vorstellungen von so einem Stück habe, vielleicht sollte ich die einfach mal aufschreiben und selber meine eigenen Stücke komponieren.”
Feedback und Raumklang
Eine Werkreihe von Martin Lorenz für Instrumente und Live-Elektronik heißt “Oscillations”. Darin arbeitet er mit dem Feedback, das entsteht, wenn Instrumente live im Raum aufgenommen und wieder eingespielt werden, und das er für komplexe Strukturen der Klangüberlagerung nutzt.
Im Jahr 2021 entstand für das im selben Jahr neu gegründte Ostschweizer Ensemble Orbiter die Komposition Swift Oscillations. Martin Lorenz spielt darin selbst das Vibraphon.
Das Kammermusikstück Swift Oscillations von Martin Lorenz aus dem Jahr 2021, gespielt vom Ensemble Orbiter im Kultbau St. Gallen.
Martin Lorenz arbeitete sich neben seiner Tätigkeit als Schlagzeuger und Komponist immer mehr in elektronische Klangerzeugung, Live-Elektronik und die Funktionsweise analoger und digitaler Synthesizer ein. Mit dem Projekt “Reviving Parmegiani” schließlich betrat er im Jahr 2014 gemeinsam mit den Pianist:innen Sebastian Berweck und Colette Broeckaert die komplexe Welt der historischen Aufführungspraxis elektronischer Musikwerke. Elektronische Musik zu einem späteren Zeitpunkt mit anderen Performer:innen wieder aufzuführen, ist nämlich häufig gar nicht so einfach. Teils werden die verwendeten Synthesizer nicht mehr hergestellt, es gibt keine Updates mehr, oder das Computerprogramm, mit dem gearbeitet wurde, kann auf neuen Computern nicht mehr gestartet werden.
Historische Aufführungspraxis: Stries von Bernard Parmegiani
Weil den Ausführenden die Probleme der Zukunft häufig nicht bewusst sind, machen sie keine oder nur unzureichende Aufzeichnungen dazu, welche Sounds sie eingestellt haben und welche Synthesizer oder elektronischen Effekte sie verwendet haben. In “Reviving Parmegiani” war es das Stück Stries des französischen Komponisten Bernard Parmegiani (1927-2013) aus dem Jahr 1980, das wieder spielbar gemacht werden sollte. Parmegiani hatte das Stück für das Synthesizer-Trio TM+ aus Paris geschrieben. Von dem Stück gab es sogar verhältnismäßig gute Notate und eine Aufnahme, die als Klangreferenz dienen konnte. Trotzdem mussten sich die drei Performer:innen auf eine detailreiche Suche begeben, wie die entsprechenden Sounds jeweils erzeugt worden waren und wie sich die Klänge im Heute neu realisieren lassen.
“An einigen Stellen haben wir bis heute nicht herausgefunden, wie TM+ das genau gemacht haben”, sagt Martin Lorenz. “Manchmal ist es ja auch irgendeine schlecht verlötete Stelle in irgendeinem analogen Effekt oder Synthesizer – und das bleibt dann einfach für immer ein Rätsel.”
Die langwierige und zugleich höchst faszinierende Arbeit an Stries< wurde zum Startpunkt für das Synthesizer-Trio Lange/Berweck/Lorenz, mit dem Martin Lorenz bis heute regelmäßig zusammenspielt. Die drei Musiker:innen Silke Lange, Sebastian Berweck und Martin Lorenz vergeben immer wieder Kompositionsaufträge an zeitgenössische Komponist:innen, um das Repertoire für die ungewöhnliche Kombination von drei Synthesizern zu erweitern.
Dabei ist es ihnen wichtig, längerfristig mit den Komponist:innen zusammen zu arbeiten. “So eine erste gemeinsame Arbeit ist ja oft eher ein Herantasten”, sagt Martin Lorenz. “Erst bei einem zweiten Mal ist klar, was von uns zu erwarten ist, was wir gut können, und womit man uns vielleicht auch gut herausfordern kann.”
Und Herausforderungen sind etwas, das Martin Lorenz immer wieder aufs Neue sucht. Friederike Kenneweg
Elektronische Musik ist die Leidenschaft der Komponistin Svetlana Maraš. Seit September 2021 ist sie Professorin für kreative Musiktechnologie und Co-Leiterin des Elektronischen Studios an der FHNW in Basel. Ihre Kompositionsklasse gestaltet das Radiokonzert der Schwerpunktwoche Classical and Jazz Talents von SRF 2 Kultur am 29. Juni, live übertragen am Radio.
Friederike Kenneweg „An der Hochschule zu arbeiten, ist natürlich eine Herausforderung an das Zeitmanagement, wenn man die eigene künstlerische Arbeit nicht aufgeben will“, sagt Svetlana Maraš.
Doch zu ihrer Erleichterung konnte die Komponistin feststellen, dass sich die beiden Tätigkeitsfelder nicht im Weg stehen, sondern gegenseitig ergänzen.
„Mit den Studierenden entdecke ich manchmal ganz neue Sachen, die wieder für meine eigene Arbeit fruchtbar sind. Es ist also nicht etwas komplett anderes, es ist eher wie ein Kontrapunkt zu meiner kompositorischen Arbeit.“
Die serbische Komponistin, die 1985 geboren wurde, absolvierte zwar eine eher klassische musikalische Ausbildung, mit frühem Klavierunterricht, dem Besuch einer Schule mit Musikschwerpunkt und mit einem Kompositionsstudium. Zugleich gab es da aber immer das Interesse an den Möglichkeiten der elektronischen Klangbearbeitung, das sie zu internationalen Workshops und Kursen führte und schließlich zu einem Abschluss in Sound- und Medienkunst im Media Lab der Universität in Helsinki.
Das Kammermusikwerk Dirty thoughts von Svetlana Maraš aus dem Jahr 2016
Von 2016 bis 2021 war Svetlana Maraš Composer-in-residence und zugleich künstlerische Leiterin des Elektronischen Studios von Radio Belgrad. Eines der technischen Glanzstücke dort ist der EMS Synthi 100, ein analoger Synthesizer aus dem Jahr 1971, von dem nur drei Stück gebaut wurden. Maraš setzte sich intensiv mit den Möglichkeiten dieses Instrumentes auseinander und nutzte ihn in verschiedenen ihrer Kompositionen, unter anderem in ihrem Radio Concert Nr. 2, das 2021 für das Heroines of Sound Festival in Berlin entstand.
Der EMS Synthi 100 ist allerdings so groß und schwer, das er nicht an einen anderen Ort transportiert werden kann. Der Studioraum wiederum ist so klein, dass dort kein Platz ist für größeres Publikum. Also wurde die Live-Performance aus dem kleinen Studioraum per Videostream zum Festivalort übertragen.
Einige Teile des Stückes sind festgelegt, doch Maraš schafft sich darin Räume, innerhalb derer sie improvisieren kann. Und dabei kommt ihr zugute, dass sie das Instrument schon so lange erforscht hat. „Es ging nicht mehr darum, was das Instrument kann, sondern darum, was ich mit dem Instrument machen will.“
Hommage an die frühe elektronische Musik
Den Klangreichtum des historischen Synthesizers ergänzte sie mit den Möglichkeiten des Computers. Svetlana Maraš nutzte aber auch die alte, analoge Technik des Tonband-Loops in ihrem Radio-Konzert – als Hommage an die frühe elektronische Musik, mit der sie sich immer in einem Dialog sieht. Und tatsächlich sind es die Bilder der Pionierinnen der elektronischen Musik wie Delia Derbyshire, Daphne Oram und Éliane Radigue, die vor dem inneren Auge aufscheinen, wenn man Svetlana Maraš dabei zuschaut, wie sie an den Reglern und Knöpfen des EMS Synthi 100 dreht.
Im Elektronischen Studio Belgrad gab es vor Svetlana Maraš nur eine einzige Frau, die dort Werke produziert hat: die Komponistin Ljudmila Frajt (1919-1999). Als künstlerische Leiterin des Studios widmete Svetlana Maraš dieser Vorreiterin ein eigenes Konzertformat, um auch hier der Vorgängerin die Ehre zu erweisen.
Svetlana Maraš dreht an den Reglern des EMS Synthi 100 im Elektronischen Studio von Radio Belgrad.
Einen wichtigen Unterschied von damals zur heutigen Zeit sieht Svetlana Maraš allerdings darin, dass die analogen Studiosynthesizer heute nicht mehr als Workstations für vorproduzierte elektronische Musik dienen, sondern live verwendet werden – wenn das auch manchmal über den Umweg des Video-Konzerts passieren muss.
Svetlana Maraš, Ausschnitte aus Post-excavation activities von. 2020
Beim diesjährigen Heroines of Sound– Festival in Berlin wird die Uraufführung von Scherzo per oscillatori für Minimoog von Svetlana Maraš zu hören sein. Hier spielt die Komponistin aber nicht selbst das Instrument, sondern das Stück wird von dem Pianisten Sebastian Berweck interpretiert. Das stellte in der Vorbereitung eine besondere Herausforderung für die Komponistin dar, musste sie doch erst eine Art der Notation für die Einstellungen des Synthesizers entwickeln.
Die Einfachheit des Synthesizer-Klangs entdecken
Bei der Entwicklung des Werkes war Svetlana Maraš auf der Suche nach einer gewissen Einfachheit des Klangs: von dem ausgehen, was der Synthesizer mitbringt, ihn klingen zu lassen, ohne es besonders kompliziert zu machen. Diese Einfachheit kann dann aber ganz unterschiedlich klingen: ein Klicken. Ein Knacken. Eine interessante Klangveränderung oder Verschiebung über einen bestimmten Zeitraum hinweg. Etwas, das einem wie ein Fehler vorkommt. Aber in der elektronischen Musik ist auch das Erzeugen des Einfachen schon recht komplex: Jede Festlegung auf einen Klang setzt eine Vielzahl von Entscheidungen bei den unzähligen Parametern voraus, die innerhalb des Instruments gestaltet werden können.
Elektronische Musik im Radio
Mit der Unendlichkeit der Möglichkeiten umzugehen, die einem die Computertechnologie bereitstellt, ist etwas, das Svetlana Maraš auch ihren Studierenden nahebringt. Wenn sie davon spricht, ist ihr die Begeisterung deutlich anzumerken: „Es ist eine tolle Erfahrung, den Studierenden dabei zu helfen, ihre eigene künstlerische Stimme zu finden. Ich bin so zufrieden mit den Projekten, die sie entwickelt haben – das macht mich wirklich glücklich.“
In diesem Jahr bietet sich den Studierenden noch eine besondere Möglichkeit, am Ende des Semesters ihre Projekte der Öffentlichkeit zu präsentieren: ein Radiokonzert. In der Schwerpunktwoche Classical and Jazz Talents widmet sich SRF 2 Kultur vom 26. Juni bis zum 3. Juli dem musikalischen Nachwuchs. Am 29. Juni präsentieren Studierende des Elektronischen Studios der FNHW für diesen Anlass in Zusammenarbeit entstandene, vorproduzierte elektronische Werke im Auditorium des Meret-Oppenheim-Hochhauses (MOH) in Basel, live übertragen am Radio. Danach kommt das Stück Welcome to the Radio! von Maraš’ Kompositionsstudent Dakota Wayne zur Uraufführung, interpretiert durch das Noise Ensemble des Elektronisches Studios Basel: eine fiktive Talkshow, für die er u.a. Jingles von Radio SRF 2 Kultur gesampelt hat.
Dakota Wayne, Welcome to the Radio!, UA Basel 2022, Eigenproduktion SRG/SSR
Auch diesen Auftritt im Radio betrachtet Svetlana Maraš vor dem Hintergrund der Tradition: „Das hilft den Studierenden, die Bedeutung des Radios für die elektronische Musik zu verstehen. Auch wenn das Radio als Medium etwas in den Hintergrund getreten ist: wenn man fürs Radio komponiert, fügt das etwas zur Musik hinzu. Verändert die Form, die Dramaturgie, die Materialauswahl… Ich bin froh, dass wir dieses Jahr diese Erfahrung machen und zusammen daran arbeiten können.“ Friederike Kenneweg
Neue Musik im Konzert, 29.6.22: Classical and Jazz Talents – Live aus dem SRF-Auditorium, Redaktion Annina Salis: LivekonzertNeue elektronische Musik mitden Studierendenvon Svetlana Maraš – Elektronisches Studio Basel.
7.-9. Juli 2022: Heroines of Sound Festival im Radialsystem Berlin
Dort kommt in einem Konzert am 8. Juli 2022 um 20 Uhr im Radialsystem Berlin das Scherzo per oscillatori für Minimoog von Svetlana Maraš, gespielt von Sebastian Berweck, zur Uraufführung.