“Wir verstehen Raum und Klang als Einheit”

Am 4. Und 5. Juli wird die stillgelegte Chemische Fabrik in Uetikon am See Schauplatz des Al(t)chemiefestivals. Das kleine liebevoll programmierte Musikfestival zeigt ein musikalisches Spektrum von Klassik über zeitgenössische Musik, zu Performance und Klangkunst. Das brachliegende Fabrikareal hat dabei eine ganz besondere Bedeutung.

Die Chemische @Uetikon am See

“Die Chemische” wurde sie liebevoll genannt. Die 200 Jahre alte chemische Fabrik in Uetikon am See – heute ist sie Monument und zugleich Ruine der Industriekultur, direkt an bester Lage am Zürichsee gelegen.

Bis 2028 soll dort ein neues Viertel entstehen, mit einem Schulkomplex, Büros, Wohnungen und Gewerberäumen. Das grosse Areal wird bis zum Umbau kulturell zwischengenutzt. Kunst- und Musikschaffende haben sich mit Ateliers und Werkstätten eingenistet.

Bereits seit einiger Zeit betreiben Marcel Babazadeh, Tonmeister, und Sophie Krayer, Bühnenbildnerin, in der “Chemischen”, das Atelier Klang und Raum. Dort bieten die beiden Klang-Beratungen für öffentliche Räume an. Oder sie hecken künstlerische Projekte aus, die Musik und Raum verbinden. Während des Lockdowns machte das Atelier mit seinen Digital Concerts, die live gestreamt wurde Furore. Und dabei  fand sich jeden Montagabend eine begeisterte Social Media Community von weit über 1000 Personen ein.

Daraus entstand dann auch die Idee des Al(t)chemiefestivals.

Die Pianistin Tamriko Kordzaia arbeitet schon lange mit dem Duo zusammen und glänzte in den Digital Concerts mit einem zeitgenössischen Solo-Recital. Sie ergänzt als Dritte im Bund das Kuratoren-IntendantInnenteam.


Tamriko Kordzaia, Karolina Öhman, Iannis Xenakis (Artarea 2020)

Schon länger hätte die Idee bestanden, den Ort mit seinem Musikschaffen durch ein Festival breiter bekannt zu machen, so Kordzaia. Corona habe den Plan zunächst zunichte gemacht. Als aber die Lockerungen konkreter wurden, seien diese eine Inspiration gewesen, die Idee spontan wieder aufzunehmen. Und -insbesondere durch zahlreiche Mitmach-anfragen « ausgehungerter » Künstler – habe das Projekt voll Fahrt aufgenommen und sich zum zweitägigen Festival ausgeweitet.

Portrait Tamriko Kordzaia

Und für die Umsetzung der Coronavorgaben bietet das Areal den perfekten Spielraum. Denn so Kordzaia: “man kann verschiedene Räume bespielen, und die Orte wechseln, drinnen und draussen Musik machen, aber auch zwischendrin am See spazieren gehen und einfach verweilen”. Ein Konzert findet zum Beispiel in einer Vintage-Möbelhalle statt, anderes wiederum spielt sich im Freien ab.

“wir möchten die künstlerischen Synergien des ganzen Areals nutzen” (Kordzaia)

Der Ort bilde nicht blosse Kulisse für das Festival, sondern werde vereinnahmt. “Wir führen einen Dialog mit den Räumlichkeiten, mit dem Ort und auch mit der Geschichte”, meint Babazadeh.

Mit dem Al(t)chemiefestival will das Intendantentrio ein Zeichen setzen. “Durch Corona und die Lahmlegung aller künstlerischer Aktivitäten ist es uns wichtig, möglichst viele Musiker aus der Gegend einzubinden und ihnen eine Möglichkeit zu geben, zu spielen”, so Kordzaia.

Der musikalische Leitgedanke des Festivals ist ein Persönlicher – Musikschaffende zeigen selbstgewählte Stücke die sie während des Lockdowns intensiv beschäftigten, frisch entstandene Kompositionen oder Projekte, die durch die Pause verschoben wurden. Posaunist Nils Wogram zum Beispiel stellt neue Stücke vor, die im Herbst auf CD erscheinen.


Nils Wogram: Sneak Preview, Soloprogramm 2020

Neben Neuem steht auch Bewährtes im Line-up: Da tritt der Komponist Stefan Wirth selbst an den Tasten auf, mit Eigenem aber auch mit Beethoven, oder da ist Dominique Girod im Freien am Kontrabass zu hören.

Daneben gibt’s auch Elektroakustik, bspw. von Nicolas Buzzi. Oder es ist eine Klanginstallation, eine Klangkugel, von Krayer und Babazadeh zu sehen.


Nicolas Buzzi: ssssscccccaaaaallllleeeee, 2019

«Al(t)chemie» oder «Alchemie» – das (t) steht im Titel in Klammer: Der mehrdeutige Titel verweist auf  die musikalische Spannweite und gleichzeitig auf einen magischen Ort. “Das Areal ist der Hammer – und wenn sich das mit Klang und Liveperformance vermischt, dann ist das einzigartig”, meint Babazadeh.
Gabrielle Weber

Die Chemische

Das Al(t)chemiefestival findet am 4. und 5.Juli in der stillgelegten chemischen Fabrik in Uetikon am See statt.

An beiden Tagen gibt es je drei Konzertblöcke ab jeweils 15h. Eine Anmeldung ist Coronabedingt erwünscht.

Die Digital Concerts finden aufgrund der grossen Nachfrage bis sicherlich Ende August weiterhin statt.

Al(t)chemiefestival, Digital ConcertsStefan Wirth, Dominique Girod, Nils Wogram, Kappeler-Zumthor, Karolina Öhman, Isa Wiss, Sophie Krayer, Tobias Gerber/Ensemble Werktag, Philipp Schaufelberger

Neo-Profiles: Al(t)chemiefestival, Tamriko Kordzaia, Stefan WirthNicolas Buzzi, Karolina Öhman, Peter Conradin Zumthor

 

The Now In Sound

2002 gegründet, wurde Norient, das renommierte Schweiz-basierte online-Magazin nun in die neue online-Plattform Norient Space – The Now In Sound überführt. Mit einer Community von 700 Journalist*Innen, Musiker*Innen und Wissenschafter*Innen aus über 70 Ländern bündelt die neue Plattform die digitale Reflexion zum globalen zeitgenössisch-experimentellen Musikschaffen.

Snapshot Iokoi ©Norient

Am 5. März wurde die Beta-Version vom Norient Space im Haus der Kulturen der Welt in Berlin gelauncht. Ein Panel und eine Soundinstallation flankierten die Eröffnung der neuen “virtuellen transdisziplinären Galerie und Communityplattform zwischen Kunst, Journalismus und Wissenschaft”. Der Schweizer Launch steht am 24. September bevor.

Julia Vorkefeld war in Berlin dabei und berichtet für neo.mx3 über den Launch von Norient Space und das Panel Life after Music Magazinesthe Norient Way.

Die unabhängige Schweizer Musik- und Medienkunst Plattform Norient erfindet sich nach fast 20 Jahren neu. Die fetten Jahre der Kultur sind vorbei. In Zeiten von Herzen und Likes als Form der Musikkritik der post-digitalen Ära muss sich der Musikjournalismus innovativ zeigen und ist gefordert. The Now In Sound  lautet das Credo von Norient. Und the sound von now ist ein Spiegel globaler Ereignisse- genau das macht Musikjournalismus immer noch relevant. Die Plattform relaunchte ihr Projekt strategisch klug, zuerst in Berlin mit einer Veranstaltung in dem prestige-besetzten Haus der Kulturen der Welt.

Snapshot Bruno Spoerri ©Norient

Ein Relaunch ist in diesen Zeiten ein mutiges Unterfangen. Nicht zu ahnen war, dass kurz nach dem Berliner Launch ein Virus den Kulturbetrieb komplett lahmlegen sollte und damit viele Akteur*innen in verstärktes Prekarität stürzen würde. Dies, nachdem auch schon einige Zeit vorher, eine Reihe renommierter Musikmagazine, wie Spex und Groove ihre analogen Produkte begraben haben oder die Schweizer Zeitschrift Dissonance ganz aufgeben musste.

Der unabhängige Musikjournalismus ist damit endgültig zu einer bedrohten Tierart deklariert. Der Kick Off des Relaunches wurde dementsprechend mit einem Panel zur Zukunft des Musikjournalismus flankiert. Der Titel der Veranstaltung Life after Music Magazinesthe Norient Way kündigte die Diskurs-Richtung an: virtuell, interdisziplinär, global, kollaborativ und transmedial soll eine der Lösungen sein für den gegenwärtigen Musikjournalismus.

No – Orient: virtuell, interdisziplinär, global, kollaborativ und transmedial..

Und unter dem Motto Connecting the dots– steht das Netzwerk als ein Ort der geteilten Wissensproduktion. Die Norient-Macher*innen verfolgen damit ambitionierte Ideen. Norient schrieb sich Diversity schon seit Anfang auf die Fahnen, lange bevor das Schlagwort den deutschsprachigen Kulturbetrieb eroberte. Und es ist nicht nur eine leere Phrase, sondern ernst gemeinte Policy. Denn schon der Name, ein Wortspiel aus No und Orient, enthält die Vermeidung von Exotisierung in der Musik und den damit einhergehenden Machtverhältnissen.


Norient Snaps Trailer 2020

Die Internationalität und Diversität der Plattform spiegelt sich im Panel wieder. Beteiligt waren globale Akteure, wie Jenny Fatou Mbaye (Centre for Culture and the Creative Industries, City University of London), Faisal M. Khan (Kurator, Akaliko Collective, Dhaka) oder Kamila Metwaly (Musikjournalistin, Musikerin Savvy Contemporary Berlin).

In den zwei Stunden ging es vor allem darum, wie die Plattform, ihre inhaltliche und formale Ausrichtung verbessern könne, mit dem Ziel mehr Diversität, mehr Internationalität, neue Formate und Veranstaltungen, und damit insgesamt mehr Qualität zu erlangen.


Joy Frempong, The sample shapes the song, 2012

We care about content– lautet ein weiteres Motto: Alle Panelisten stimmten darin überein, dass Journalismus und damit auch Musikjournalismus wieder mehr Qualität kriegen müssten und dass das Erstellen von hochwertigen Inhalten seinen Preis habe. Da aber Musik-Plattformen und -redaktionen meist schlecht zahlten, sei es kein Wunder, dass Musikjournalismus immer mehr zu einem schlecht bezahlten Hobby verkomme. Dass Musikkritik von globalen Playern, wie RedBull oder Ballantines als corporate culture und Marketing Tool benutzt werde, sei traurige Tatsache. Denn hier gebe es Geld für kulturelle Wissensproduktion. Um den Marken nicht die Gestaltung von Kultur zu überlassen, müssten andere Lösungen einer Finanzierung für unabhängige Musikplattformen gefunden werden, frei von Werbung, Zensur und Algorithmen. Ein Lösungsansatz könnte mehr generosity beim sharen von Inhalten sein, so der Tenor der Panelisten.

Eine Diskussion zur Problematik der Prekarität im Musikjournalismus blieb hingegen aus. Auf meine Nachfrage waren sich alle Beteiligten durchaus der Problematik bewusst. Die Antwort, dass möglichst mehrere berufliche Standbeine zu verfolgen seien, überzeugte allerdings kaum.

Snapshot No Orientalism ©Norient

Norient selbst versucht sich durch ein Membership-Modell zu finanzieren. Connaisseure, die die Plattform schätzen, finanzieren die Inhalte durch Abonnements. Ihnen sind gewisse vertiefte Inhalte wie Dossiers oder Specials vorbehalten. Der Rest der Plattform ist frei und kostenlos zugänglich.

Es wird sich zeigen, ob Norient mit seinem neuen Modell überleben kann. Es ist schwer zu hoffen. Denn in einer Ära des völkischen Backlashes brauchen wir solche kulturelle Plattformen.
Julia Vorkefeld

Norient Space befindet sich derzeit in der Beta Phase. Der offizielle digitale Launch findet am 24.September statt.

Norient – The Now In Sound, Wael Elkholy, Jing Yang, Jonas Kocher, Joy Frempong/Oy

Sendungen SRF 2 Kultur, 22.1.2020

Neo-Profiles: Norient, Wael Sami Elkholy, Jing Yang, Jonas Kocher, Bruno Spoerri

 

 

«Jetzt dürfen wir das Usinesonore neu erfinden!»

Das kleine ausgesuchte Usinesonore Festival im Berner Jura hätte vom 10. bis zum 13. Juni stattgefunden. Haarscharf zu knapp kam der neue Entscheid des Bundesrats, der gewisse Veranstaltungen in überschaubarer Grösse genau ab dem Startdatum wieder zulässt. Umso schmerzlicher, da das Festival biennnal stattfindet und vielleicht bis 2022 auf die nächste Ausgabe gewartet werden muss. Dafür findet die Konzertserie Les Battements de l’Abbatiale in Bellelay nun doch statt.

Portrait: Julien Annoni©Lucas Dubuis

Der Co-Leiter von Usinesonore und Leiter von Les Battements de l’Abbatiale, Julien Annoni, über Chancen in Zeiten von Covid-19. Und warum Streaming die Stimmung nicht ersetzt.

Interview: Bjørn Schaeffner

Julien Annoni, vom 9. bis 13. Juni sollte das Usinesonore stattfinden. Was verpassen wir?
Wie immer ein buntgemischtes Programm zwischen zeitgenössischer Musik und Volksmusik  und weiteren künstlerischen Disziplinen. Wir zeigen die Dinge so, dass sie fürs Publikum möglichst nahbar sind. Was die grossen Namen angeht: Da wäre unter anderem das Konzert mit Renaud Capuçon gewesen. Und wir haben auch extra für die diesjährige Ausgabe wieder ein schönes Zelt konstruiert.

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie das Festival absagen müssen?
Anfang April. Allerspätestens zwei Monate vor dem offiziellen Festival-Beginn, das war die absolut letzte Deadline, die wir uns gesetzt hatten. Der letztmögliche Zeitpunkt, um uns einigermassen schadlos zu halten.

Jetzt hat sich der Lockdown gelockert.
Das freut mich natürlich. Ein positives Signal für die Schweiz. Und für alle Kulturschaffenden!

Ärgert es sie nicht, dass ihr Festival theoretisch trotzdem hätte stattfinden können? Eben fiel ja der bundesrätliche Entscheid, dass kulturelle Anlässe mit bis zu 300 Menschen ab dem 6.Juni wieder zugelassen sind.
Das wäre nur gegangen, wenn wir das Usinesonore verkleinert hätten. Und für uns war von Anfang an klar, dass das keine Option ist. Unter diesen Umständen hätte sich die Atmosphäre unseres Festivals gar nicht entfalten können.


Usinesonore 2018, Gérard Grisey, Le noir d’étoiles, WeSpoke

Warum nicht?
Weil es auf Kosten der Qualität gegangen wäre. Und da wollten wir keine Kompromisse machen.

Aber nochmals: Stört sie nicht, dass sie jetzt so haarscharf die Durchführung verpassen?
Natürlich ist es schade, dass die Usinesonore dieses Jahr nicht stattfinden kann. Wir hatten ja auch schon sehr viel Herzblut investiert. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer.

Was bedeutet die Festivalabsage finanziell für Sie?
Wir stehen relativ gut da. Der Kanton Bern und der Grossteil der Stiftungen, die das Festival massgeblich unterstützen, sind sehr kulant und stehen zu ihren Subventionen und Beiträgen.

Und was heisst das für die Künstler?
Wir können einen grossen Teil ihrer Gagen und Produktionskosten zahlen und damit ihre Erwerbsaufälle zum Teil auffangen.

Sie haben die Festivalräumlichkeiten in Biel, die frei geworden sind, kostenlos anderen Künstlern zu Verfügung gestellt.
Ja, das war für uns selbstverständlich. Damit sie dort proben können, oder an Produktionen arbeiten. Und bis Ende Juli nisten sich da Künstlerinnen und Künstler ein, sei es nur für ein paar Tage oder eine Woche. Unter anderem das  Collective Mycelium, Camille Emaille, Lucie Tuma, Paquita Maria oder Adrien Gygax. Auch wenn da nichts für die Öffentlichkeit entsteht: Ich spüre viel Enthusiasmus!

Usinesonore Festival 2018

Sind Sie als Musiker selbst von der Krise betroffen?
Das habe ich finanziell natürlich auch gespürt. Dafür war ich viel mit meiner Familie zusammen, was ich sehr genossen habe. Normalerweise bin ich ja sehr viel unterwegs.

Ein Streaming von Usinesonore kam für sie nie in Frage?
Wir haben uns das natürlich überlegt. Aber uns dann bewusst dagegen entschieden. Das Usinesonore lebt vom Austausch mit dem Publikum, der ganzen Ambiance. Das kann ein Streaming nie ersetzen.


Trailer, Usinesonore Festival 2014

Können Sie sich vorstellen, dass das Usinesonore in Zukunft trotzdem digitale Formate realisiert?
Das ist gut denkbar. Wie das aussehen könnte, ist aber noch komplett offen. Wir reflektieren, recherchieren, machen Grundlagenarbeit für was Neues.

Findet das nächste Usinesonore jetzt in einem Jahr statt?
Das ist denkbar. Es kann auch sein, dass es erst 2022 wieder stattfindet. Das wissen wir noch nicht. Wir machen uns grad intensiv Gedanken, wie das Festival in Zukunft aussehen wird. Jetzt haben wir auch die Zeit dazu.

Sie begreifen die Krise also als Chance?
Genau. Das ist doch super, wenn man die Chance hat, ein Festival komplett neu zu erfinden.

Usinesonore Festival 2018

Auf was freuen sie sich sonst noch?
Auf die Konzerte in der historischen Abtei von Bellelay. Mit dem Usinesonore hat das aber nichts zu tun. Darin stecken drei Jahre Arbeit von mir, eine Saison von Ensemble-Konzerten – ich hatte dazu Carine Zuber (Moods), Claire Brawand (Label Suisse) und Arnaud Di Clemente (Cully Jazz) als Programmatoren eingeladen. Die ordentliche Saison mussten wir zwar absagen, aber immerhin kann jetzt trotzdem einiges stattfinden: von Ende August bis Mitte September.
Bjørn Schaeffner

Das Usinesonore Festival findet jeweils biennal im Juni in La Neuveville statt. Nächste geplante Edition voraussichtlich 2022.

Die Konzertserie Les Battements de l’Abbatiale findet – als eine der ersten Veranstaltungen im Jura – ab dem 29. August (Ensemble Contrechamps Genève) statt.

Usinesonore Festival, Les Battements de l‘Abbatiale, Julien Annoni/WeSpokeKollektiv Mycelium

Neo-Profiles: Usinesonore Festival, Les Battements d’Abatiale, WeSpoke, Kollektiv Mycelium

Sprechstunde für neue Musik @Musikfestival Bern

“Sprechstunde für neue Musik”, so lautet ein online-Angebot des Musikfestival Bern. Das Motto: “Musik hören und diskutieren”. Tobias Reber, selbst Komponist und Performer ist für das Vermittlungsprogramm des Festivals verantwortlich. Das Format initiierte er bereits 2019. Damals fanden die Sprechstunden live statt. Nun werden sie als Videokonferenzen abgehalten.

Mit Reber unterhielt sich Gabrielle Weber über Sprechstunden, Field recordings und Terry Rileys Werk In C.

Portrait Tobias Reber © Samira Reber

Vor kurzem hielten Sie die erste online-“Sprechstunde neue Musik” ab. Unter dem Titel Schichtungen besprachen Sie Terry Rileys Stück “in C”, ein Werk aus der Minimal Music. Das dreht sich alles insistierend um den Ton C.. weshalb dieses Werk?

Mit dem Stück stieg ich ein, weil es einerseits zugänglich ist und es andererseits Bezug zum Festivalthema Tektonik hat. Es ist ein Schichtungswerk, in dem sich Klangschichten übereinander und gegen einander verschieben.


Terry Riley, In C, Ensemble Ictus live, 2012

Der Titel “Sprechstunde neue Musik” ist ja durchaus auch unterhaltsam zu verstehen – zur Sprechstunde beim Arzt begibt man sich meist eher ungern…

Sprechstunde ist natürlich einerseits wörtlich gemeint. Denn es soll ja gemeinsam gesprochen werden. Und gleichzeitig auch selbstironisch, als eine Art “Sorgentelefon”. Denn die zeitgenössische Musik bereitet ja auch Kopfzerbrechen. Sie hat ein Problem damit, ein grösseres Publikum zu erreichen. Mir geht’s darum: Wie kann ich die Lust am Facettenreichtum dieser Musik wecken. Mir begegnet oft die Angst, alles verstehen zu müssen. Diese möchte ich abbauen.

Nehmen wir als Vergleich die Gourmetküche. Wenn ich bspw. in einem Molekular-Restaurant esse, gehe ich auch nicht davon aus, das verstehen zu müssen. Da lasse ich mich bewusst auf etwas Neues ein. Auch bei der neuen Musik geht es darum sich sinnlich einzulassen, zu probieren, zu kosten.

“ich möchte ein grosses Buffet anbieten..”

Die Sprechstunde ist einmalig, findet im Hier und jetzt statt, wenn auch virtuell – wer dabei ist, erlebt einen exklusiven Moment des Zusammenkommens.. wie kam das an?

Gerade das einmalige Zusammensein im Moment haben alle speziell genossen. Es gibt ein Bedürfnis nach dem Experimentieren mit virtuellen Begegnungen. Wir alle lernen jetzt Vertrauen aufzubauen, bspw. mit fremden Menschen über Videokonferenzen. Das ist fast eine neue Kulturtechnik.

Die nächsten Daten stehen unter dem Motto: “Klingende Welten” resp. “Brüche, Störungen, Falten” – das klingt etwas allgemein: können Sie mir weiterhelfen?

Bei “Klingende Welten” geht es um reale aufgezeichnete Klänge aus der “echten” Welt, sogenannte field recordings, die in Musik verwendet werden. Zum Beispiel hören wir uns Klangmaterial von Erdbewegungen an, das durch Sensoren im Boden aufgezeichnet wurde, oder von Verschiebungen von Eisschollen, durch Hydrophone oder wasserfeste Mikrofone im arktischen Wasser aufgezeichnet.

In der letzten Sprechstunde geht es dann um Werke, die für einen spezifischen Ort gestaltet wurden, bspw. in Form von Performances oder Klangskulpturen.


Tobias Reber, Polyglot, 2013

Die Sprechstunden sind komplett offen und richten sich genauso an ein Fachleute wie an ein interessiertes Laienpublikum: wie gelingt dieser Spagat?

In der ersten online-Sprechstunde hatten wir eine gute Mischung von Berufsmusikern und -musikerinnen und interessierten Laien. Alle brachten ganz unterschiedliche Kenntnisse mit. Den gemeinsamen Nenner mussten wir aber zuerst herstellen. Das war dann für beide Seiten bereichernd.

Ich deklarierte die Sprechstunde als Experiment und lud dazu ein, Vorschläge einzubringen. Wir fanden gemeinsam heraus, was gut funktionierte.

Wie gingen Sie konkret an Terry Rileys “In C” heran..?

Als Vorbereitung habe ich eine nicht-öffentliche Playlist auf Soundcloud erstellt und geteilt. Wir verglichen dann drei sehr unterschiedliche Interpretationen. Bspw. gibt es eine Aufnahme mit Musikern aus Mali. Dort wird über die Motive improvisiert anstatt sie zu wiederholen. Das ist auch völlig in Terry Rileys Sinn.


Terry Riley, Africa Express, In C Mali, live at Tate Modern, 2015

Gibt es etwas in der kommenden Sprechstunde auf das wir speziell gespannt sein können..?

Letzten Winter gab es das Phänomen des sogenannten “singenden Eises”. Ich habe es im Oberengadin am zugefrorenen St.Moritzer-See selbst erlebt. Eine der Aufnahmen die ich mitbringe hat damit zu tun…
Gabrielle Weber

Klang-Spaziergang mit Radio.Antenne.SA © Musikfestival Bern 2019

Das Musikfestival Bern findet vom 2. Bis zum 6. September 2020 statt. Die diesjährige Festivalausgabe steht unter dem Motto “Tektonik”

Musikfestival Bern, 2.-6. September, Tektonik
Anmeldung & Information: Sprechstunde für neue Musik @Tobias Reber

Neo-Profiles: Musikfestival Bern, Tobias Reber, Kollektiv Mycelium

Offenheit und Kontinuität

35 Jahre ensemble für neue musik zürich
Bereits drei Jahrzehnte setzt es wesentliche Akzente: 1985, im Gründungsjahr, befand sich die zeitgenössische Musik erst im Aufbruch – heute steht sie vor besonderen Herausforderungen. Eine Rückschau mit Ausblick von Thomas Meyer.

ensemble für neue musik zürich

Man muss sich die Situation im musikalischen Zürich um 1980 vergegenwärtigen. Das Konservatorium machte seinem Namen noch Ehre: Es bewahrte und war noch keine Hochburg der Kreation wie heute. Uraufführungen wurden in Tonhalle-Abokonzerten von Herzen ausgebuht. Es gab zwar kleine Konzertreihen für Neue Musik, aber kein Spezialistenensemble dafür. Es war viel zu tun.

Als 1986 erstmals die Tage für Neue Musik durchgeführt wurden, trat ein junges Ensemble hervor, das sich erst ein Jahr zuvor erstmals präsentiert hatte, benannt schlicht als „ensemble für neue musik zürich“. Hier kam eine Handvoll Musiker zusammen, die eben das Neue suchten, die sich für die jungen KomponistInnen ihrer Generation und ihre Umgebung einsetzten und die auch sonst keinen engen Musikbegriff hatten. Auslöser dazu war ein Konzert des Gruppo Musica Insieme di Cremona bei den Zürcher Junifestwochen mit der Mezzosopranistin Cathy Berberian. „Mir ist es wie Schuppen von den Augen gefallen: So etwas möchte ich auch machen.“ sagt der Flötist Hanspeter Frehner, der das Ensemble mit anderen jungen Studenten gründete und bis heute künstlerisch leitet. Zusammen mit dem Pianisten Viktor Müller ist er als einziger noch von der ursprünglichen Crew mit dabei.

Hanspeter Frehner Portrait

Zwei wesentliche Charaktereigenschaften prägen das Ensemble: Offenheit und Kontinuität. Die Offenheit zeigt sich etwa daran, dass sie schon früh Komponistinnen-Programme spielten und mehrere Aufträge etwa an Liza Lim oder Noriko Hisada gaben. Oder aber, dass sie Jazzmusiker um Kompositionen baten – woraus etwa die Karriere eines Dieter Ammann entsprang. Oder dass sie sich bildender Kunst widmeten wie in den Hommages an den Zürcher Bildhauer Hans Josephsohn oder in der Zusammenarbeit mit dem Interventionskünstler Peter Regli.


Verwandtschaft, composer: Junghae Lee, UA Winterthur, Villa Sträuli  2019, ensemble für neue musik zürich

Vor allem aber brachten sie das Musiktheater voran: Die Besetzung des „ensembles“ geht nämlich auf Schönbergs cabarethaften „Pierrot lunaire“ zurück: Flöte, Klarinette, Violine, Cello und Klavier, erweitert um das Schlagzeug, ähnlich wie die „Fires of London“ von Peter Maxwell Davies in London. Und mit zwei Kurzopern von Davies bewies das „ensemble“ früh schon, dass man mit wenigen, konsequent eingesetzten Mitteln grandioses Musiktheater machen kann. Ein anderes Experiment war, zusammen mit Regisseur Herbert Wernicke, eine radikale Version der „Lustigen Witwe“ – so frech, dass die Léhar-Erben sie prompt verboten. Kammeropern gehören seither fest zum Programm. Kommenden November steht zum Beispiel eine Operette des Dortmunder Komponisten Johannes Marks auf dem Spielplan: „Neues vom Weltuntergang“.

Die Kontinuität zeigt sich in der langen Zusammenarbeit untereinander, aber auch mit Komponistinnen und Komponisten. Das „ensemble für neue musik“, so sagt etwa die Japanerin Noriko Hisada, „ist eine jener Musikgruppen, der ich zutiefst vertraue.“ Und der Deutsche Sebastian Gottschick begleitet das „ensemble“ seit langem auch als Dirigent. Dieser Tage erscheinen bei Hat Hut (ezz-thetics) denn auch gleich zwei neue CDs mit seinen „Notturni“ sowie mit Bearbeitungen von Charles Ives-Songs. Im Herbst ist ausserdem ein Memorial für den 2010 verstorbenen Komponisten Franz Furrer-Münch geplant. Was auch zeigt: Hier geht es nicht nur um die grossen Namen der Neuen Musik, hier wird Basisarbeit betrieben, wird gefördert…


Trailer ZUHÖAN, Komposition Duo: Christoph Coburger / Sebastian Gottschick, UA 2015, ensemble für neue musik zürich

Auf diese Weise hat das ensemble dreieinhalb Jahrzehnte Akzente gesetzt. Vor einiger Zeit tauchte das Gerücht auf, es wolle sich auflösen, die Musiker seien ja allmählich im Pensionsalter. Tatsächlich läuft die Subvention der Stadt Zürich Ende 2021 aus, aber Ideen für Projekte darüber hinaus habe man noch einige, sagt Frehner. Im übrigen sei es durchaus in Ordnung, wenn die regelmässige städtische Unterstützung in die Zukunft, also in ein junges Ensemble investiert würde.

Man muss sich nämlich die Situation im heutigen Zürich vergegenwärtigen: Einen festen Spielort wie die Gare du Nord in Basel hat die Neue Musik nicht, mit dem Walcheturm im Kasernenareal ist zumindest eine von der freien Szene gewünschte Option vorhanden. Die Tage für Neue Musik stehen vor einer Neukonzeption, die Orchesterkonzerte strotzen nicht gerade von Novitäten. Es gibt zwar eine reiche Kreation an der ZHdK und mit dem Collegium Novum Zürich auch ein fixes Kammerorchester, aber ein neues kleineres Ensemble müsste unterstützt werden. Es ist noch viel zu tun.
Thomas Meyer

Die im Mai und Juni geplanten Konzerte wurden Corona-bedingt abgesagt und werden wie folgt nachgeholt:
Stöckli/Neumann/Ustwolskaja (anstelle 16.5.20): am 5.2.21
CD Taufe Ives/Gottschick (anstelle 14.6.20): am 12.12.20
Grüsse an Regli (anstelle 28.6.20): am 29.6.21

ensemble für neue musik zürich, Hat HutSebastian Gottschick, Liza Lim, Franz Furrer-Münch, Dieter Ammann, Hans Josephsohn, Johannes Marks, Peter Regli

Neo-Profilesensemble für neue musik zürich, Dieter Ammann, Junghae Lee

..Inspiriert vom Fussball.. – Klanglieferservice Gare du Nord Basel

Das Team des Gare du Nord – Bahnhof für Neue Musik Basel, dachte sich ein spezielles Programm für die Zeit des Zuhause Bleibens aus: der Klanglieferservice.

Das Motto: Reisen in der Phantasie sind gerade in diesen Tagen nicht der schlechteste Weg, um beweglich zu bleiben und die Seele zu wärmen.

Gare du Nord: Klanglieferservice ©Alexa Früh

Wie alle Veranstaltungsorte ist auch der Gare du Nord – Bahnhof für Neue Musik Basel seit Mitte März stillgelegt. Als einer der wichtigsten Musikbetriebe der zeitgenössischen Musik in der deutschen Schweiz bietet der Gare du Nord ein einzigartiges Ganzjahresprogramm. Désirée Meiser, künstlerische Leiterin, erzählt im Gespräch mit Gabrielle Weber wie der Gare du Nord die aktuelle Corona-Ausnahmesituation überbrückt. 

Désirée Meiser, die Homepage des Gare du Nord empfängt uns mit den Worten: “Wir arbeiten zu Hause”: Wie sieht ihr Tag gerade aus?

Wir staunen, dass diese Tage sehr gefüllt sind. Wir kümmern uns natürlich um die Absagen und Verschiebungen, aber auch die Planung muss weitergehen. Wir haben dafür verschiedene Chatrooms. Qualitativ funktioniert es gut. Aber quantitativ ist es manchmal anstrengend.

Sie steckten mitten in zwei grossen Saisonschwerpunkten, ‘Later Born’ und ‘Musiktheaterformen’. Nun sind alle Veranstaltungen vorerst abgesagt: Wie sieht die nahe Zukunft aus?

Im schlimmsten Fall können wir diese Spielzeit nichts mehr anbieten – sicher ist dies aber noch nicht. Am 8.Mai wäre im Rahmen von ‘Later born’ bspw. ein grosses Kooperationsprojekt angesetzt: der Stummfilm: “Die Stadt ohne Juden” (1924, Karl Breslauer) mit einer Neukomposition von Olga Neuwirth (UA WienModern, 2018), gespielt vom Sinfonieorchester Basel. Das ist ein hoch politisches Projekt und wäre uns sehr wichtig gewesen. Aber wir planen inzwischen gemeinsam mit dem Sinfonieorchester, eine Verschiebung.

Olga Neuwirth, Die Stadt ohne Juden, UA Festival WienModern, Wiener Konzerthaus 7.11.2018

Was bedeutet die aktuelle Situation für Sie, für das Team, für die an den Projekten Beteiligten?

Es ist eine große Herausforderung. Für Teile des Teams haben wir nun Kurzarbeit beantragt. Im Moment können wir die Situation noch halbwegs stemmen, aber wie es langfristig aussieht, ist offen. Wir versuchen, so solidarisch wie möglich damit umzugehen, auch in Bezug auf die Musiker und die Ensembles, die sich in einer schwierigen Lage befinden.

Der Gare du Nord rief zu Solidarität auf mit der Aktion #ichwillkeingeldzurück / #solidaritätmitfreienkünstlerinnen: das ist eine tolle und wichtige Initiative – wie entstand sie?

Die Idee haben wir von bestehenden Aktionen übernommen und finden sie wichtig und sinnvoll. Wir sind mit Ensembles im Gespräch, um gewisse Konzerte vielleicht zu verschieben, aber Vieles ist noch offen. Insbesondere von Seiten des Publikums erfahren wir großes Verständnis und große Anteilnahme für alle Kulturschaffenden.

Germán Toro-Peréz / Reise nach Comala, Hörspielfassung Juan Rulfo, GdN / IGNM Basel

“Es ist jetzt von allen eine große Flexibilität -auch im Kopf- gefordert..”

Für Ihr Publikum haben Sie ein Programm entworfen, das in die Bresche springt: den Klanglieferservice: Wie kam es dazu?

Als der Ruf nach Streamingangeboten laut wurde, kam die Idee auf, dieser Schnelllebigkeit, und dem permanent Neues bieten zu wollen, etwas entgegenzusetzen. Wir wollten Zeitfenster öffnen, um in ausgewählten Archivaufnahmen zu schmökern. Es gibt so wundervolle Sendungen, Gespräche und Konzertmitschnitte, gerade von SRF 2 Kultur.

Neue Stücke aufzuführen ist wichtig und toll. Aber viel gute bestehende Musik wird zu selten wieder in die Programme aufgenommen. Dass wir nun alle zu Hause bleiben müssen, bietet eine schöne Gelegenheit, um sich Werken zuzuwenden, die in Vergessenheit geraten sind.

Und wir waren auch inspiriert vom Fußball: weil die Spiele nicht mehr stattfinden können, begannen die Fußballfans sich gemeinsam legendäre Spiele von früher anzuschauen.. (lacht)

Was ist das Besondere am Klanglieferservice – Weshalb sollte man ihn anhören?

Wir haben Fachfrauen und Fachmänner aus der Musikszene gebeten, uns ihre persönlichen Highlights zukommen zu lassen. Da kommen nun laufend schöne Fundstücke zusammen, die immer wieder überraschen und auch für uns eine Freude sind anzuhören.

aus: Klanglieferservice GdN, Tipp: Anja Wernicke, 9.4.20

Die Begriffe ‘Physical distancing’ oder ‘social distancing’ sind omnipräsent: Spüren Sie soziale Nähe trotz der physischen Distanz – mit dem Publikum, mit dem Team..? Der Klanglieferservie steht ja auch symbolisch für das Verbindende der Musik…

Das Publikum wollen wir in der Pause nicht mit einer Mailflut überhäufen. Der Klanglieferservice soll eine Art virtuelle Verbindung darstellen, indem wir uns gemeinsam in einen virtuellen Raum begeben und uns zusammen etwas anhören. Das gibt einen gewissen Trost. Aber gemeinsam etwas in einem realen Raum zu erleben und Klang live zu hören, ist etwas Einzigartiges. Das kann nicht ersetzt werden.

Und gerade jetzt ist unser Team unglaublich kostbar. Auch über die zum Teil großen geografischen Distanzen sind wir alle hoch motiviert und haben einen starken Zusammenhalt.

Der Ausnahmezustand – eine Art ,Wachmacher’

Bietet die Corona-Zeit auch Chancen oder Potenziale?

Ein Phänomen dieses seltsamen Ausnahmezustands: er ist auch eine Art ,Wachmacher’ –  wir schätzen mit einem neuen Bewusstsein was wir hatten und haben…
Interview: Gabrielle Weber

Der Klanglieferservice startete am 30. März und stellt täglich ein persönliches Highlight auf die Homepage des GdN. Die ausgewählten Fundstücke stammen u.a. von Mark Sattler, Dramaturg Lucerne Festival, Bernhard Günther, künstlerischer Leiter der Festivals WienModern und Zeiträume Basel, Anja Wernicke, Geschäftsführung und zentrale Produktionsleitung ZeitRäume Basel, Uli Fussenegger, Leiter Neue Musik FHNW oder Désirée Meiser, künstlerische Leiterin GdN, sowie von Musikredakteurinnen und -redakteuren von SRF 2 Kultur.

Klanglieferservice / GdN

Vorgestellte Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit: Heinz Holliger und die Literatur
Klassiker der Moderne: Concorde Sonata von Charles Ives
Neue Musik im Konzert: Wassermusik, darin UA Katharina Rosenberger: Rein
neo.mx3: Antoine Chessex, écho/cide

Neo-profiles:
Gare du Nord, Antoine Chessex, Eklekto Geneva Percussion Center, Lucerne Festival, Lucerne Festival Academy, Lucerne Festival Alumni, Germán Toro-Peréz, Katharina Rosenberger

„etwas erschaffen, was Menschen bewegt“

Noch bis zum 1. Mai läuft die Eingabefrist für Impuls neue Musik – Förderrunde 2020.

Gesucht werden Musikprojekte, die zum Austausch zwischen dem deutschsprachigen und dem frankophonen Sprach- und Kulturraum in Deutschland, Frankreich und der Schweiz beitragen.

Brigitta Muntendorf, Room © Brigitta Muntendorf

Impuls neue Musik, so heisst ein länderübergreifendes Fördergefäss für zeitgenössische Musik. Seit Jahren setzt sich der Projektfonds für die Vernetzung der Musikszenen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz ein. Ermöglicht werden ‘Ideenwerkstätten’, die einen grenzüberschreitenden Kulturaustausch konkretisieren. 2020 sind zwei neue Jurymitglieder mit dabei: die deutsche Komponistin Brigitta Muntendorf und die französische Journalistin Anne Montaron.

Mit Brigitta Muntendorf unterhielt sich mit Gabrielle Weber über Impuls neue Musik, über die spezielle heutige Situation, über digitale Vernetzung und das langfristige Potenzial von internationalem Zusammenarbeiten.

Brigitta Muntendorf, Sie reisen viel, sind normalerweise laufend mit verschiedenen Teams und Partnern an unterschiedlichen Orten tätig: wie sieht ihre aktuelle Situation aus?

Ich arbeite momentan zu Hause – wie alle anderen Musikerinnen und Komponistinnen- und alles Geplante ist erst einmal abgesagt. Das ändern zu wollen, reisen zu wollen oder Veranstaltungen nachzutrauern, wäre unsinnig. Aber es macht Sinn, den Künstlerinnen und Künstlern zu vertrauen. Darauf zu vertrauen, dass wir kreative Menschen sind, die sich Dinge einfallen lassen können.

„Musik kann sehr viel sein und sehr viel bedeuten.“

Was möchten Sie selbst konkret in Impuls neue Musik einbringen?

Ich bin neugierig auf die Fragen, mit denen sich andere Künstlerinnen und Künstler beschäftigen, auf die Themen, die Ensembles beschäftigt, auf die Verbindungen, die gesucht werden und auf die Motivationen, dies zu tun. Mit diesem Ansatz möchte ich mir die Projekte anschauen. Künstlerisch vertrete ich die Position, dass Neue Musik ein sehr weites Feld sein kann. Und das möchte ich zulassen.

Was ist das Besondere am Impuls-Objektkredit?

Die internationale Kooperation steht im Zentrum. Und Internationalität bedeutet immer auch die Herausforderung, in einem größeren Rahmen zu denken.


Joint adventure, Ensemble C Barré und Neue Vokalsolisten, Eclat 2020

..und an der Kombination genau dieser drei Länder – Deutschland, Frankreich und der Schweiz?

Die drei Länder liegen geografisch dicht beieinander. Jedes Land hat aber gewisse Eigenarten: die Neue Musik in Frankreich bspw. basiert auch kompositorisch auf einem völlig anderen Hintergrund als diejenige in Deutschland und der Schweiz. Gleichzeitig verfolgen alle drei Länder im heutigen Praktizieren von Neuer Musik ähnliche Formate, Festivals und Strukturen. Man kommt aus unterschiedlicher kultureller Sozialisierung und findet sich in einem gemeinsamen Nenner des Präsentierens.

 „das Potenzial sich aus seiner eigenen Komfortzone weg zu bewegen“

Was ist die Herausforderung am internationalen Zusammenarbeiten?

Bereits bestehende Kontakte sind wesentlich. Vieles lässt sich nur mit vereinten Kräften stemmen – mit Partner im eigenen, aber eben auch im anderen Land. Angesichts von Impuls neue Musik stehen hier sicher Fragen im Vordergrund wie: wie hoch ist das Potenzial, sich aus seiner eigenen Komfortzone weg zu bewegen, und worin liegt im jeweiligen Projekt begründet, dass man ausgerechnet in die genannten Länder geht und zusammenarbeitet. Aber auch Neugierde kann ein Grund sein, und kann etwas bewirken, was niemand vorhergeahnt hat.

..Länderübergreifend kann man sich ja bspw. nicht oft zum brainstormen treffen..

In Bezug auf das Klima und den Klimawandel, finde ich sogar wichtig, genau zu überlegen, warum man sich trifft und warum andere Kommunikationswege evtl. nicht ausreichen. Die Qualität einer Begegnung hängt vor allem davon ab, wie viele Gedanken sich beide Seiten im Vorfeld darüber gemacht haben, nicht davon, wie oft man von A nach B reist.

Und wie sieht es mit Nachhaltigkeit aus – ist ein einmaliges Zusammenarbeiten sinnvoll?

Man kann sehr wohl in der Zusammenarbeit dafür sorgen, dass Nachhaltigkeit eine Rolle spielt. Dass man bspw. nicht nur ein einzelnes Projekt konzipiert, sondern längerfristiges Zusammenarbeiten plant. Je längerfristig angelegt, desto mehr künstlerischen Gewinn haben die beteiligten Partner davon.

Was können denn Koproduktionsprojekte besser als andere?

Bei Koproduktionsprojekten hat die Art und Weise des Kontaktes eine andere Qualität. Der Entstehungsprozess wird als solcher unterstützt. Im frühen Projektstadium fließen die spezifischen Eigenheiten und Merkmale der Beteiligten am stärksten ein.

Nun befinden wir uns gerade in einer speziellen Situation. Grenzen werden ausnahmsweise geschlossen – sehen Sie darin eine Gefährdung der grundsätzlichen Idee von Impuls?

Ich glaube, dass ein ‚sich Verbinden wollen‘ über Grenzen hinaus spätestens seit der digitalen Revolution in uns allen verankert ist, gerade bei den jüngeren Generationen. Der jetzige Zustand erfordert ein Umdenken. Es geht um grundsätzliche Fragen: wie machen wir Kunst, wie zeigen wir Kunst, welche Bedeutung hat Kunst? Aber auch: worin könnte eine neue Kraft des Sich-Verbindens und der Kooperation bestehen? Wir müssen auch digital ganz dezidiert in die Interaktionen gehen – uns dabei aber auch darüber bewusst sein, dass auch die digitale Welt Grenzen hat.

IScreen, YouScream!, Brigitta Muntendorf, Ensemble Garage, Eclat Festival

Wohin könnte sich Impuls längerfristig entwickeln? Was ist Ihre Vision?

Die Grenzen verwischen immer mehr – zu anderen Kunstformen, zwischen Musik und Performance, zwischen Musik und Intermedialität. Der Begriff der Komponistin / des Komponisten und das musikalische Material verändern sich. Hier sollte Impuls neue Musik sich stärker positionieren. Und: mir schwebt eine noch nachhaltigere Projektförderung durch den Aufbau von langfristigen Verbindungen zu Künstler*innen vor.
Interview, Gabrielle Weber

Neue Jurymitglieder ab 2020:
Brigitta Muntendorf hat nach Studien in Bremen, Köln. Paris und Kyoto, und dem Erhalt zahlreicher Preise, u.a. 2017 dem Musikautorenpreis der GEMA in der Kategorie Nachwuchs, eine Professur an der Hochschule Musik Köln inne.

Anne Montaron, Germanistin und Musikwissenschaftlerin, arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Autorin bei Radio France (France Musique).  Am bekanntesten ist ihre wöchentliche Sendung zur musikalischen Improvisation: A l’Improviste.

Impuls neue Musik wurde 2009 auf Initiative der französischen Botschaft in Deutschland, des Ministère de la Culture et de la Communication, der SACEM und des Bureau Export de la musique française gegründet. Mittlerweile gehören verschiedene Partner aus Frankreich und Deutschland zum Lenkungsausschuss des Fonds und finanzieren diesen. Träger ist seit 2020 das Institut français (Paris), verwaltet wird der Fonds in Berlin (Leitung: Sophie Aumüller).

Die Schweiz schloss sich 2018 mit der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia als Partnerin an. Für die Schweiz wirken Xavier Dayer, Komponist, Thomas Meyer, freier Musikessayist, und Bernhard Günther, künstlerischer Leiter der Festivals WienModern und ZeitRäume Basel, in der trinationalen Jury mit.


Shaker Kami, Nik Bärtsch und Percussions de Strasbourg, Jazzdor 2020

Geförderte Projekte werden an den wichtigsten internationalen Festivals gezeigt und begeistert aufgenommen. Bspw. die französisch-schweizerische Koproduktion zwischen Eklekto, Geneva Percussion Center und dem Vokalensemble NESEVEN zur Eröffnung der Wittener Tage für Neue Kammermusik 2019, das Projekt Joint Venture mit dem Marseiller Ensemble C Barré und den Neuen Vocalsolisten beim Eclat Festival Stuttgart 2020 oder das Uraufführungsprojekt Shaker Kami mit Nik Bärtsch und den Percussions de Strasbourg beim Jazzdor Festival in Straßburg 2020.

Bis 1. Mai läuft die Eingabefrist für die Förderrunde 2020. Gefragt sind gemeinsame länderübergreifende Projekte mit Spieldatum frühestens ab 1. August 2020.

Brigitta Muntendorf
Impuls neue Musik / gesamte Jury / neues online-Antragsverfahren,

Neo-Profiles:
Impuls neue Musik, Eklekto Geneva Percussion Center, Nik Bärtsch, Stefan Keller, Xavier Dayer, Trio Saeitenwind

Ma rencontre avec le futur – ANNULÉ!

Passages – so lautet das Motto des Genfer Festivals für zeitgenössische Musik Archipel. Vom 26. März bis zum 6. April widmet sich Archipel der musikalischen Vision einer Gesellschaft ohne Grenzen. Zwischen Menschen, Kulturen, Generationen und Künsten. Die Schweiz steht dabei für einen zentralen Knotenpunkt innerhalb Europas in einer Welt in Transformation. Und Musik für eine vibrierende Kunstform im Fluss, die Brücken bildet und Grenzen überwindet.

Marc Texier, scheidender Intendant, kuratiert die diesjährige Ausgabe letztmals. Einen Ausblick in die Zukunft bildet die ganztägige Carte Blanche Ma rencontre avec le futur am 31. März, programmiert vom designierten Intendantenduo Marie Jeanson und Denis Schuler.

Gabrielle Weber
Wie soll sich Archipel in Zukunft positionieren und wie sieht die Zusammenarbeit als Duo aus? Wie bezieht sich die Carte Blanche auf die übergreifende Thematik Passages und inwiefern weist Ma rencontre avec le futur auf die zukünftige Ausrichtung des Festivals? Im Gespräch stellt sich das Intendantenduo vor und präsentiert die Carte Blanche wie auch die Sicht aufs zukünftige Festival.

Marie Jeanson kommt als Veranstalterin aus den Bereichen experimentelle und improvisierte Musik wie auch Klangkunst und radiophone Musik. Das Einbringen ihrer Schwerpunkte ins Festival bedeute Kontinuität. Denn Archipel sei zwar in der komponierten zeitgenössischen Musik verankert. Improvisierte Musik wie auch Klangkunst bildeten aber immer schon einen Teil. “Es handelt sich weniger um einen Richtungswechsel als um ein Zurückkehren der experimentellen Musik ans Festival”, so Jeanson.
Für Denis Schuler, Komponist und künstlerischer Leiter des Genfer Ensemble Vide, ist die neue Tätigkeit als Festivalintendant eine Weiterführung dessen was er aktuell tut. Die gemeinsame Co-Intendanz sei eine ideale Kombination. Denn beide brächten ihre individuelle Erfahrung und ihr Netzwerk ein. Ein gemeinsames ästhetisches Terrain und gegenseitige Neugierde sehen beide als Grundvoraussetzung der Zusammenarbeit.

Marie Jeanson & Denis Schuler © Gabrielle Weber, neo.mx3

Ma rencontre avec le futur ist in vielerlei Hinsicht repräsentativ. Denn jedes Einzelprojekt repräsentiert sie beide als Duo, beinhaltet also sowohl Komposition als auch Improvisation.

La musique c’est fait pour être vécue ensemble

Offenheit ist durchgängiges Prinzip. Das zeigt sich an der Dauer -ein ganzer Tag-, dem einheitlichen Ort -die maison communale de Plainpalais wird gesamthaft bespielt-, dem Rahmen -Gastfreundschaft mit gemeinsamen Mahlzeiten und Gefässen für den Austausch-. Denn: “Musik ist da, um zusammen gelebt zu werden”, so Schuler.

‘cohérence poétique’

Im Unterschied zur langjährigen Intendanz von Marc Texier will sich das Festival in Zukunft weniger auf die Musikschaffenden als auf das Publikum ausrichten. “Wir möchten einen Rahmen schaffen, wo man berührt wird durch eine poetische Kohärenz. Wir erzählen Geschichten und möchten in den Menschen ein Begehren wecken, wiederzukommen”, so Jeanson.

‘faire exister la création’

Am Festival-Wettbewerb um die meisten und besten Uraufführungen will Archipel nicht mitmischen. “Vielen geht es ja nur darum, die ersten zu sein, die irgendetwas tun oder zeigen”, so Schuler. Dem Duo geht es hingegen darum, die Kreation am Leben zu erhalten. “Uns interessiert die Mischung von Komposition mit dem was direkt im Moment entsteht. Bspw. wird an der Carte Blanche die holländisch-schweizerische Klangkünstlerin Cathy van Eck in ihrer Performance Klangverordnung die ganze maison communale bespielen und kurzfristig entscheiden wo sie wann auftritt.


Cathy van Eck, Klangverordnung, a performance for mobile loudspeaker horns 2012

‘partage de l’écoute’

Auch Transdisziplinarität steht nicht im Zentrum des künftigen Festivals. Vielmehr geht es um das ‘reine Hören’. “Wir möchten einen besonderen Rahmen schaffen in dem das konzentrierte Hören im Zentrum steht”, so Jeanson. Konzentration schaffe eine besondere Präsenz, die paradoxerweise der Stille fast nahekomme. An der Carte Blanche gibt es bspw. ‘Salons d’écoute‘, Räume für das reine Hören also, mit Klangdiffusionssystem (Acousmonium) und Soundingenieur. Wer will bringt eine eigene CDs zum gemeinsamen Hören und Besprechen mit.

Carte Blanche = ‘Mega-Metakonzert

Und es werden Musikschaffende zusammengeführt, die sich vorher nicht kannten. An der Carte Blanche treten bspw. Shuyue Zhao (Klarinette, China-CH) und Maximilian Haft (Geige, USA-Genf) erstmals zusammen auf. “Wir provozieren Begegnungen und schaffen den Rahmen: die Musiker*innen können in einem gegebenen Zeitrahmen spielen, was und wo sie wollen. Sie entscheiden kurzfristig, so dass es auch das Publikum überrascht wird”, so Schuler. Auch das Basler Ensemble Neuverband trifft neu auf die Improvisatorin Shuyue Zhao in einem komponierte-improvisierten Programm, u.a. mit einer Uraufführung der Komponistin Junghae Lee. Und zum Schluss tritt der Perkussionist Will Guthrie zusammen mit einem Gamelanorchester auf. Dabei geht es nicht zuletzt darum, wie verschiedene musikalische Kulturen kombiniert werden, ohne einer Art von Exotismus zu erliegen.


Shuyue Zhao, Noise fragments

Passages sind auch bei Ma rencontre avec le future zentral – zwischen Ländern, Genres, Musiker*innen und Publikum. “Ein Meta-Megakonzert mit allem was dazu gehört”, so Jeanson.
Interview Gabrielle Weber, Genf, 26. Februar 2020

Das Genfer Festival Archipel findet vom 26. März bis 6. April statt. Eingebunden sind alle wichtigen Klangkörper Genfs, zudem arbeiten zahlreiche Institutionen erstmals zusammen. Highlights bilden u.a. Coro von Luciano Berio, ein ‘Fresko’ für 40 Stimmgruppen als Koproduktion der Musikhochschulen Genf, Lausanne und Lugano in der Victoria Hall, oder eine Opern-Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève.

Ma rencontre avec le futur, 31. März 2020, 12-24h: Carte Blanche – Marie Jeanson & Denis Schuler, mit: Maximilian Haft & Shuyue Zhao, Cathy van Eck, Ensemble neuverBand, Will Guthrie & Ensemble Nist-Nah

Grand théâtre de Genève, Will Guthrie & Ensemble Nist-NahCathy van Eck, Maximilian Haft, Ensemble Vide, Denis Schuler

Sendungen SRG
RTS: Musique d’avenir, Redaktion Anne Gillot
SRF2 Kultur: Musikmagazin, 21./22.3., Redaktion Florian Hauser (abgesagt)

neo-profiles: Festival Archipel, Shuyue Zhao, NeuverBand, Denis Schuler, Ensemble Vide, Cathy van Eck

Happy Birthday Nouvel Ensemble Contemporain!

Das Nouvel Ensemble Contemporain (NEC) aus La Chaux-de-Fonds feiert dieses Jahr seinen 25-jährigen Geburtstag und lädt zum Jubiläumswochenende. «Time to Party» heisst es am grossen Geburtstagskonzert am Samstagabend mit Stücken von Anton Webern, Claire-Mélanie Sinnhuber und Daniel Zea. Und am Sonntag gibt es als Finale einen Marathon an Mini-Konzerten.

Le NEC Nouvel ensemble contemporain © Pablo Fernandez, 25 mars 2017, Temple Allemand, La Chaux-de-Fonds

Jaronas Scheurer
«Wenn man nach Neuer Musik in der Schweiz fragt, fällt den meisten Menschen das NEC nicht gleich ein. Aber wenn man es dann erwähnt, dann zaubert der Name NEC ein Lächeln auf die Lippen.» – so Antoine Françoise, Pianist und künstlerischer Leiter des Nouvel Ensemble Contemporain (NEC) aus La Chaux-de-Fonds, auf die Frage, was denn die geheime Superkraft des NEC sei. Ein Lächeln auf die Lippen zaubern – das bringt die Philosophie des NEC ziemlich gut auf den Punkt. Vor rund 25 Jahren haben sich einige befreundete Musiker*innen in La Chaux-de-Fonds zusammengefunden, um gemeinsam ihrer Freude an Neuer Musik nachzugehen.

Eine Gruppe von Freund*innen – eine feste Institution

Inzwischen hat sich viel getan: Die Gruppe von Freund*innen wurde zu einer festen Institution der Schweizer Musikszene und neue Musikerinnen und Musiker sind dazu gestossen, unter anderem Antoine Françoise. Er stieg vor circa 13 Jahren als Pianist beim NEC ein und löste 2016 das Gründungsmitglied Pierre-Alain Monot als künstlerischen Leiter ab.

Antoine Françoise dirigiert das Nouvel Ensemble Contemporain in: Mathis Saunier, Palindrome for String Orchestra, am Antigel Festival Genève 2019,

Für Françoise ist der ständige Wandel essentiell. Er möchte so lange künstlerischer Leiter bleiben, wie er die Ästhetik des NEC verändern könne. Wenn ihm das nicht mehr gelänge, dann hoffe er, die Leitung an jemanden mit frischen Ideen abgeben zu können. Doch was trotz aller Veränderung bleibt, ist die gemeinsame Liebe zur Musik. So ist das NEC heute noch immer eine Gruppe von Freund*innen, die ihre Leidenschaft für Neue Musik teilen möchte.

Eine Woche lang Party

Zum 25. Geburtstag schenkt das NEC sich und La Chaux-de-Fonds eine ganze Jubiläumskonzertwoche. Die Woche beginnt mit einer Reihe von kleinen Mini-Konzerten mit Solostücken an verschiedenen Orten in der Stadt. Am Freitag wird das Ensemble dann für die «Suitcase Suite» vom Punkrock-Gitarrist Louis Jucker mit selbstgebastelten Instrumenten ausgerüstet. Am Samstagabend findet das grosse Geburtstagskonzert mit dem passenden Titel «Time to Party» statt und als Abschluss spielen die Musiker*innen des NEC am Sonntag die Solostücke der Mini-Konzerte noch öffentlich.

Portrait Daniel Zea

Gerade das Konzert am Samstag steht dabei repräsentativ für das Nouvel Ensemble Contemporain: Zuerst spielen sie die Variationen für Orchester, op. 30 von Anton Webern aus dem Jahre 1940. Ein Schlüsselwerk der Musik des 20. Jahrhunderts, das der ehemalige Leiter des NEC, Pierre-Alain Monot, für Ensemble arrangiert hat. Danach wird das Stück «Soliloque» der französischen Komponistin Claire-Mélanie Sinnhuber zu hören sein. Es ist das erste Mal, dass das NEC ein Stück von Sinnhuber spielt. Das Stück «Pocket enemy» aus dem Jahre 2017 des kolumbianischen Komponisten Daniel Zea wird den Abend abrunden. Zea hat schon öfters mit dem NEC zusammengearbeitet und «Pocket enemy» speziell für Antoine Françoise geschrieben.


Daniel Zea, Pocket enemy, Ensemble Vortex, 2017

Zuerst also ein Klassiker des 20. Jahrhunderts mit einem Gruß an den früheren Dirigenten Pierre-Alain Monot. Dann ein neueres Werk von einem Freund des Ensembles und eine Entdeckung einer neuen Komponistin – eigentlich eine gute Zusammenfassung der NEC-Philosophie. Alle drei Stücke sind für ein grösseres Ensemble geschrieben. So kommen möglichst viele Musiker*innen des NEC zum Zuge. Ganz nach der wohl einzigen Regel, nach der Françoise die Programme des NEC zusammenstellt: «Ich gestalte die Programme nicht, um dem Publikum, sondern um meinen Musiker*innen eine Freude zu machen. Und wenn die Musiker*innen glücklich sind, dann weiss ich, dass das Publikum das spürt.» Gemäss der NEC-Devise – um allen ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern…
Jaronas Scheurer

Les musiciens du NEC © 2019 Pablo Fernandez. La Chaux-de-Fonds, février 2019

Freitag, 13. März, 18:30h, Eröffnung der Festivitäten und Vernissage, Théâtre ABC, Ausstellung: Annick Burion & Pablo Fernandez (geöffnet Sa: 11-24h; So: 11h-20h), musikalische Intervention: Matthieu Grandola
20:30h Louis Jucker, The Suitcase Suite, Temple Allemand
22h Marcel Chagrin, tourneur de 78 tours
Samstag, 14. März, 20:30h, Time to party, Temple Allemand La Chaux-de-Fonds:
Anton Webern, Variations pour orchestre op. 30, nouvel arrangement pour ensemble Pierre-Alain Monod, création
Claire-Mélanie Sinnhuber, Soliloque pour ensemble
Daniel Zea, Pocket enemy pour sampler et ensemble
Sonntag, 15. März, ab 14h, Miniatures, Temple Allemand La Chaux-de-Fonds
14h Miniatures I
14:40h Pierre Jodlowski: Typologies du regard pour piano et électronique
15h Apéritif SONART
16h Miniatures II
16:40h Matthieu Grandola, flûte: Werke von Eliott Carter, Toru Takemitsu, Kaija Saariaho, Ofer Pelz
17:15h MIniatures III


25ans le NEC: SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 12./13.3.20: Redaktion Annelis Berger

Nouvel Ensemble Contemporain, Daniel Zea, Claire-Mélanie Sinnhuber, Louis JuckerSONART – Musikschaffende Schweiz

Sendungen SRG:
RTS, musique d’avenir, Redaktion: Anne Gillot
SRF 2 Kultur:
Aktuell & Kultur kompakt, 12./13.3., Redaktion Annelis Berger
Musikmagazin, 14./15.3., Redaktion Annelis Berger

Neo-Profiles: Nouvel Ensemble Contemporain, Daniel Zea