Natur und Kultur sind eng verwoben

String Creatures, Liza Lims neues Stück für das Jack Quartet aus den USA, kommt am Lucerne Festival am 14. August zur Uraufführung. Natur und Kultur in ihrem Verhältnis und das Zusammenspiel verschiedener Kulturen sind zentrale Themen im Werk der australischen Komponistin. Mit ihrem Blick auf die schwindende Schönheit der Natur sensibilisiert sie für ökologische Themen.
Ein Portrait.

 

Portrait Liza Lim ©Ricordi/Harald Hoffmann

 

Gabrielle Weber
Transkulturelle Ideen und Kollaboration, Schönheit der Natur, Wahrnehmung von Zeit, Ritual und ökologische Verbindungen – so beschreibt Liza Lim ihre künstlerischen Anliegen. Ihre Homepage mit eigenen blog zieren Aufnahmen von Natur – immer in Verbindung mit dem Menschen: im neusten post sind das Impressionen von Berliner Naherholungszonen, gerahmte Blicke aus dem Fenster, Ansichten von Häuserfassaden nachts im Grünen.

 

Die Aussicht aus Liza Lims Arbeitszimmer in Berlin ©Liza Lim

 

2021/22 war Liza Lim für ein Jahr lang composer in residence beim Wissenschaftskolleg (WIKO) in Berlin. Nach zwei Jahren pandemiebedingter drastischer Einschnitte ins Konzertleben sei sie vom lebendigen Berliner Konzertleben und den zahlreichen Begegnungen am WIKO euphorisiert gewesen, schreibt Lim. Die Schatten von Covid, der Kriegsausbruch in der Ukraine, die Unterstützung geflüchteter Kulturschaffender aber auch die emotionale Komplexität im Umgang mit Musiker:innen aus der Ukraine und Russland in Berlin hätten sie schwer beeindruckt. Die Stimmung sei in ihre neuen, dort entstandenen Stücke eingeflossen.

Der Blick aus dem Berliner Fenster hat einen inneren Zusammenhang mit ihrem künstlerischen Schaffen. Lim sieht Natur immer in Verbindung zum Menschen. Sie lebt eng auf die Natur bezogen. Und ihre Musik thematisiert Ökologie, Klimaschutz und die Veränderung der Umwelt durch den Menschen im Anthropozän, dem vom Menschen bestimmten Erdenzeitalter.

In Australien in der Grossstadt Perth am Indischen Ozean 1966 geboren, wuchs Lim in Brunei auf der Insel Borneo auf, bevor sie für die Ausbildung wieder nach Australien zurückkehrte. Die frühe Kindheit im Tropenparadies und das Verhältnis von westlicher und indigener Kultur und Natur in Australien prägen ihr Sensorium für Natur und Kultur, aber auch für das Zusammenspiel verschiedener Kulturen. Seit 2017 Professorin am Sydney Conservatorium of Music, schrieb Lim nebst Solo-, Kammermusik und Ensemblewerken u.a. vier Opern, bspw. Tree of Codes (2016), ein Musiktheater über Herkunft und Erinnerung und Zeit. Daneben arbeitet sie auch immer wieder genreübergreifend und installativ, wie 2011 zusammen mit dem Licht-Künstler Carsten Nicolai in Escalier du chant, einer architektonischen Intervention mit Performance, uraufgeführt mit den Neuen Vocalsolisten Stuttgart in der Münchner Pinakothek.

In Berlin entstanden mehrere Werke, in denen sie ihre aufwühlenden Eindrücke verarbeitete. Bspw. das Klavier-Orchesterwerk World as Lover, world as self, uraufgeführt an den Donaueschinger Musiktagen 2021.

 

Liza Lim, World as lover world as self for piano and orchestra, UA Donaueschingen 15.10. 2021, Orchestre philharmonique de Luxembourg, Dirigent Ilan Volkov, Tamara Stefanovich, Klavier.

 

World as lover, world as self ist geprägt vom Motiv der Trauer. Der Titel bezieht sich auf eine Publikation der Umweltaktivistin, Ökologin und Buddhistin Joanna Macy, deren Gedankengut Lim seit langem begleitet. Nach Macy könnten aus Trauer und einem tiefen Mitempfinden ein neuer Bezug zum Leben und umso grössere innige Freude entstehen.

 

Magische Seiltricks

 

Während ihres Berliner Jahres entwickelte Lim auch ihr neues 30minütiges Streichquartett String Creatures für das Jack Quartet. Auch String creatures befasst sich mit der Dualität von Trauer und Freude.

 

Workshop Jack Quartet, WIKO Berlin Januar 2022 ©Liza Lim: Hier setzt der Bratschist John Richards sein Instrument Seiltricks aus.

 

Das Quartett versteht Lim als lebendiges Ganzes, als hybriden mehrköpfigen Organismus. Die Streichersaiten haben für Lim etwas Magisches, sie seien als Material lebendig und beseelt. In einer Eingangssequenz mit Titel «Cats Craddle: 3 diagrams of griev» – Katzennest – drei Diagramme der Trauer befragt Lim die Streichersaiten als natürliches Material, das mittels Verknoten, Flechten oder Weben als Ursprung von Gewebe dienen könnte. An einem Workshop mit dem Quartett im Januar experimentierte sie mit magischen Seiltricks. Und Lim erwähnt im Gespräch als Inspiration auch Finger-Fadenspiele, wie sie Kinder miteinander spielen. Beides fand im übertragenen Sinn Eingang ins Stück, in ein sich immer wieder neu verflechtendes Klanggewebe.

String Creatures endet mit der Metapher des Baus eines Nests, des Inbegriffs von Geborgenheit: A nest is woven from the inside out – ein Nest wird von innen nach aussen gewoben. Der Vogel baut es rund um den eigenen Körper.

 

Nonverbale Kommunikation

 

Streichinstrumente spielen in Lim Oeuvre schon immer eine zentrale Rolle. Der Streicherklang steht für subtile nonverbale Kommunikation.  In ihrem grossen Ensemblewerk Extinction Events and Dawn Chorus (2018), unternimmt eine Geigerin in einer intimen Schlüsselszene den Versuch, einem Perkussionisten auf seinem Tamburin das Geigenspiel beizubringen. Die resultierenden Klänge haben eine eigene Schönheit, voll kratzender Harmonie. Die Kommunikation verläuft auf anderer Ebene als die Musik-sprachliche.

 


Liza Lim: Extinction, Events and Dawn Chorus, Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO),Forward 2021, Dir. Mariano Chaicchiarini, Luzern 2021, Eigenproduktion SRG/SSR

 

Liza Lim versteht es, Gegensätze in Schönheit zu verweben und dennoch ihr gelebtes Anliegen geltend zu machen. Wir Menschen sind verantwortlich für die Natur und für unser Zusammenleben. Das Schicksal des Planeten liegt in unserer Hand. Damit ist sie wegweisend für eine jüngere Komponist:innengeneration, die sich über Musik hinaus um die Konsequenzen unseres Handelns und die Zukunft unserer Welt sorgt.
Gabrielle Weber
Lucerne Festival, Konzert Sonntag, 14.8., 14:30hString creatures, UA Liza Lim &Jack Quartett,
Liza LimJoanna Macy, Carsten Nicolai, Neue Vocalsolisten Stuttgart, Wissenschaftskolleg zu Berlin

Lucerne Festival, 8.8.-11.9.2022, widmet diese Ausgabe unter dem Motto Diversity insbesondere dem im Klassikbetrieb nach wie vor vernächlässigten musikalischen Schaffen von people of colour.

String Creatures geht nach Luzern auf Tournee in New York, Berlin, Schwaz und Melbourne.

Sendungen SRF 2 Kultur:
Musik unserer Zeit, 14.9.2022: Liza Lim – Verwebung von Natur und Kultur, Redaktion Gabrielle Weber

Musik unserer Zeit, 1.12.2021: Lucerne Festival Forward – neue Hörsituationen für neue Musik, Redaktion Gabrielle Weber


Neo-Profiles:
Liza Lim, Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO)

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