Der Komponist Andreas Eduardo Frank ist seit der Saison 2024/2025 neuer künstlerischer Leiter & Co-Leiter des Basler Gare du Nord, einer der wichtigsten Spielstätten für zeitgenössische Musik der Schweiz. Franks eigene Werke sind multimedial, verspielt, humorvoll und oft politischer, als man auf den ersten Blick annehmen würde. Ein Porträt von Jaronas Scheurer.
Jaronas Scheurer
Seit dieser Saison ist Andreas Eduardo Frank neuer künstlerischer Leiter des Gare du Nord. Gleichzeitig ist er in der Programmgruppe des Festivals Neue Musik Rümlingen. Zum Komponieren komme er daher momentan nicht mehr, meint Frank im Interview. «Ich muss ehrlich sagen, ich sass die letzten zehn Jahren viel hinter dem Schreibtisch und habe Noten aufs Papier gesetzt. Es ist ein einsamer Job und eigentlich bin ich ein geselliger Mensch. Und Kuratieren ist so eine Art Meta-Komponieren, gerade wenn man mit Leuten kollaboriert und zusammen Ideen austauscht und umsetzt.»
Für Frank fühlt sich der Wechsel vom Komponieren zum Kuratieren also nicht als Bruch an. Auch wenn man seine früheren Stücke anschaut, wird der kollaborative Zug seiner Kompositionsweisen deutlich, was er im Interview nochmals betont: «Ich lasse mich gerne von den Menschen, für die ich schreibe, inspirieren: Was für ein Klang, was für eine Aktion, was für ein Moment passt zu diesen Menschen?»
Ja, Nein, Vielleicht
Doch nicht nur seine Arbeitsweise trägt eine stark soziale Dimension, auch seine Stücke selbst. Im 2020 entstandenen Stück Yes Yes No No, Yes No No No für Geige, Saxofon, Akkordeon, Perkussion, Elektronik und Video, hier gespielt vom Concept Store Quartet, beschäftigte sich Frank mit den Bedeutungsdimensionen der Wörter Ja und Nein.
«Mich hat diese Grauzone zwischen Ja und Nein, zwischen Eins und Null interessiert. Ein ‹Ja› kann schön, brutal, aggressiv, angestrengt, ablehnend klingen.» Frank ist von diesen zwei Alltagswörtchen ausgegangen und hat sie in ihrer Bedeutung und ihrem Klang untersucht. Dazu kam dann noch die Videoebene. Im Video und auf der Bühne sind Performer:innen zu sehen, wie sie in unterschiedlichen Weisen «Yes» und «No» sagen. «Das fand ich eine interessante Konstellation», meint Frank. «Es gibt vier Performerinnen und Performer auf der Bühne, die alle nur ‹Yes› und ‹No› sagen. Dazu kommen ihre digitalen Avatare, die dasselbe tun. Daraus entstehen ganz unterschiedliche soziale Konstellationen zwischen realen und digitalen Doppelgängern, zwischen den Individuen und verschiedenen Gruppenkonstellationen, zwischen medialen Ebenen. Es ist eine Art gesellschaftlicher Mikrokosmos.»
Neue Musik und Politik
Damit klingt eine dezidiert gesellschaftspolitische Dimension bei Andreas Eduardo Frank an, die er auch sofort bejaht: «Ich glaube, dass es in der Musik und in der Kunst eine Haltung zur Gesellschaft braucht, die sich in der Musik widerspiegelt oder heraushören lässt. Natürlich lässt sich in die Musik als eine Art heile Welt flüchten. Aber die Realität ist nicht heil.» Die Gefahr besteht dann jedoch, dass Musik zu Propaganda wird. Franks Gegenmittel dazu heisst Virtuosität: «Ich will niemandem sagen, was sie oder er denken soll.» meint er im Gespräch. «Ich möchte Gedankenräume anreissen, in die man kurz hineindenken kann und im nächsten Moment öffnet sich ein neuer Raum. Dadurch versuche ich eine Art Virtuosität in Gedankenform zu etablieren.»
Kann man schneller als Licht singen?
Auch in einem weiteren Stück von Frank, Restore Factory Defaults von 2017, geht es um Virtuosität. Ausgangspunkt der Komposition, die Frank mit der Sängerin Anne-May Krüger entwickelte, war die Vorstellung, dass man schneller als Licht singen kann. Mit dieser eigentlich absurden Frage ist man jedoch mitten im äusserst realen Musiker:innenalltag. Es geht Frank im Stück um Virtuosität, Wettkampf, um die Kraft der Performance.
Im Stück singt Anne-May Krüger gegen digitale Doppelgängerinnen und die projizierte Lichtchoreographie an, die sie immer wieder im Dunkeln stehen lässt. Die verschiedenen medialen Ebenen wie Video, Licht oder Audioeinspielungen dienen dabei sowohl als virtuose Erweiterung der stimmlichen Fähigkeiten der Mezzosopranistin als auch als Medienmaschine, gegen die Krüger ankämpft.
Restore Factory Default ist gleichzeitig eine humorvolle Untersuchung der Limitierungen von menschlich-körperlichen Fähigkeiten, ein multimediales Virtuosenstück für eine Sängerin und eine kulturpolitische Reflexion über den absurden Wettkampf zwischen Mensch und Medienmaschine. «Mir ging es einerseits um ein ‘Enhancen’: Also – wie kann ich es mit den medialen Mitteln noch virtuoser machen?», so Frank. «Aber gleichzeitig ist es ein Kampf zwischen der Maschine, die mit Licht operiert, und dem Klang, der vor allem vom Menschen kommt. Ich habe manchmal den Eindruck, dass hinter diesem multimedialen Trend in der zeitgenössischen Musik eine Flucht von der Arbeit mit dem Klang steckt. Das wollte ich umdrehen und habe mich daher gefragt, kann man doch schneller singen als das Licht?»
Ein sicherer Hafen für Klangexperimente
Mit dieser sanften Kritik an der zeitgenössischen Musik schliesst sich auch der Kreis zu seiner momentanen Arbeit als künstlerischer Leiter des Gare du Nord: «Der Gare du Nord soll ein Ort für Klangexperimente sein und ein sicherer Hafen für andere Ansätze, die vielleicht nicht dem Mainstream angehören. Ich möchte die zeitgenössische Musik entstauben und verstärkt der jüngeren Generation eine Plattform bieten.»
Jaronas Scheurer
Sendungen SRF 2 Kultur:
Kultur Kompakt vom 17. Oktober 2024 (ab 00:25:51): Jaronas Scheurer berichtet über die Eröffnungsproduktion der diesjährigen Saison des Gare du Nord.
Neo-Profile:
Andreas Eduardo Frank, Concept Store Quartet, Anne-May Krüger